Flurbereinigungsgericht Koblenz, Urteil vom 27.10.1971 - 3 C 92/70 = RdL 1972 S. 150

Aktenzeichen 3 C 92/70 Entscheidung Urteil Datum 27.10.1971
Gericht Flurbereinigungsgericht Koblenz Veröffentlichungen RdL 1972 S. 150  Lieferung N/A

Leitsätze[Quelltext bearbeiten]

1. Eine Vereinbarung zwischen dem beschwerdeführenden Teilnehmer eines Flurbereinigungsverfahrens und der Flurbereinigungsbehörde über die Rücknahme der Beschwerde ist als außergerichtlicher Vergleich mit der Rechtsnatur eines öffentlich-rechtlichen Vertrages anzusehen (Beschwerdebeendigungsvertrag). Dieser Vertrag kann unter Anwesenden nur sofort abgeschlossen werden (§ 147 Abs. 1 BGB).
2. Statt mit dem Beschwerdeführer einen Beschwerdebeendigungsvertrag abzuschließen, kann die Flurbereinigungsbehörde auch eine bestimmte Regelung in Aussicht stellen und für den Fall ihrer Verwirklichung von dem Beschwerdeführer einen Rechtsmittelverzicht entgegennehmen. Mit Aufnahme der in Aussicht gestellten Regelung in den Flurbereinigungsplan wird die Weiterverfolgung der Beschwerde unstatthaft.

Aus den Gründen

Es wird von den Klägern vorgetragen, daß die Beschwerde deswegen noch nicht erledigt sei, weil zwei in der Verhandlung festgelegte und auch in den Plantext zur Erledigung übernommene Beschwerdepunkte nicht vollständig erfüllt worden seien. Da es sich bei den einzelnen Punkten - wie die Kläger meinen - um echte Bedingungen im Sinne der §§ 158 ff. BGB handele, sei - so glauben sie - aufgrund ihrer teilweisen Nichterfüllung die Beschwerderücknahme überhaupt nicht wirksam geworden. Dieser Rechtsstandpunkt des Prozeßbevollmächtigten der Kläger kann von dem Senat nicht geteilt werden.

Obwohl weder im Flurbereinigungsgesetz noch in der Verwaltungsgerichtsordnung Regeln über die Rücknahme einer Beschwerde bzw. eines Widerspruchs enthalten sind, kann es keinem Zweifel unterliegen, daß eine solche Rücknahme möglich ist. Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg hat in seinem Urteil vom 1.10.1968 - VII 762/65 - die Möglichkeit der Rücknahme einer Beschwerde ebenfalls bejaht, jedoch dabei angenommen, daß beim Streit über die Wirksamkeit der Rücknahme die allgemeinen Regeln über die Klagerücknahme analog anzuwenden seien. Bei dieser Entscheidung ging es allerdings nicht um die Frage, ob eine Rücknahme wirksam zustande gekommen ist, sondern lediglich um die spätere Anfechtung einer zunächst unbestritten rechtswirksamen Rücknahmeerklärung. Fälle einseitiger Beschwerderücknahmen sind bei der nichtstreitigen Beschwerdeerledigung jedoch nicht die Regel. Ein Beschwerdeführer wird vielmehr seine Beschwerde im allgemeinen nur dann zurücknehmen, wenn ihm seitens der Behörde dafür Zugeständnisse gemacht, d.h. irgendwelche Verbesserungen in Aussicht gestellt werden. Die Fälle, in denen jemand unbedacht oder nur vorsorglich Beschwerde führt und im Laufe des Verfahrens davon durch einseitige Erklärung wieder Abstand nimmt, werden die Ausnahme bleiben. Demgemäß wird eine Analogie zur Klagerücknahme häufig nicht ausreichen, um zu einem dem Sachverhalt gerechtwerdenden Ergebnis zu kommen.

Der erkennende Senat hat bereits mit Urteil vom 27./28.8.1969 - 3 C 130/68 - (RdL 1970 S. 51) entschieden, daß Vereinbarungen von Verfahrensbeteiligten mit der Flurbereinigungsbehörde, die zum Zwecke einer Beendigung der Beschwerde im Vorverfahren abgeschlossen werden, als außergerichtliche Vergleiche mit der Rechtsnatur von öffentlich-rechtlichen Verträgen anzusehen sind und daß eine trotz eines solchen Vergleichs aufrechterhaltene Beschwerde unzulässig ist (vgl. hierzu auch Wolff, Verwaltungsrecht, 8. Aufl., 1971, § 44 II; Weitemayer, Der verwaltungsprozessuale Vergleich, Diss. Frankfurt/M. 1966 S. 76/77). Die Verpflichtungsfähigkeit der Behörde innerhalb eines solchen Vertrages umfaßt sämtliche Bereiche, die von ihr auch mit dem Erlaß eines Verwaltungsaktes geregelt werden könnten (vgl. Wolff, aaO). Wenn eine Behörde aber, statt die Regelung durch Verwaltungsakt zu treffen, auch eine vertragliche Lösung herbeiführen kann, dann ist sie auch in gleicher Weise berechtigt, sich zum Erlaß eines Verwaltungsaktes zu verpflichten (vgl. Weitemayer, aaO S. 113/114). Demgemäß kann die Flurbereinigungsbehörde in einer Vereinbarung mit dem Beschwerdeführer die von diesem gewünschte Regelung zusagen und sich damit zu einer Änderung des Flurbereinigungsplans (des zentralen Verwaltungsaktes, § 58 Abs. 1 Satz 1 FlurbG) verpflichten. Bei der Formulierung von Vereinbarungen, die unzweideutig den Sinn haben, das Beschwerdeverfahren zu beenden ("Verfahrensbeendigungsvertrag"), kann die spätere Auslegung immer nur vom gewollten Ergebnis her gesehen und nicht auf die mehr oder weniger sachgerechte Wortwahl abgestellt werden ("Falsche Bezeichnung schadet nicht!"). Die Meinung der Kläger, daß allein wegen der (objektiv falschen) Wortwahl "Bedingungen" ein besonderer Vertragstypus anzunehmen sei, ist daher nicht zutreffend. Es wird häufig im juristisch nicht durchdachten Sprachgebrauch der Begriff "Bedingung" verwandt, obwohl es sich nicht um eine Bedingung im Rechtssinne, sondern nur um die Formulierung einer Voraussetzung handelt (vgl. Palandt-Dankelmann, 29. Aufl. 1970, Einf. 2 vor § 158).

Unter Beachtung dieser Grundsätze ist die zwischen den Klägern und der Flurbereinigungsbehörde am 2./4.6.1969 protokollierte Vereinbarung zur Erledigung der Beschwerde als zulässiger, öffentlich-rechtlicher Verfahrensbeendigungsvertrag zustande gekommen. Die Forderungen der Kläger sind klar und eindeutig formuliert. Sie sind von der Behörde angenommen und mit den Festsetzungen im Nachtrag I zum Flurbereinigungsplan auch erfüllt worden. Die ehemalige Beschwerde konnte daher nicht mehr mit Erfolg fortgesetzt werden.

Mit der Aufnahme der vereinbarten Regelung in den Nachtrag I zum Flurbereinigungsplan hat die Flurbereinigungsbehörde ihre vertragliche Verpflichtung vollständig erfüllt. Dies gilt auch dann, wenn die Behauptungen der Kläger zutreffend sein sollten, daß bei zwei Abfindungsgrundstücken die festgelegten Planinstandsetzungsarbeiten nicht restlos ausgeführt worden seien. Mit der Übernahme der einzelnen Ausbauarbeiten in den Plantext sind diese Bestandteil des Flurbereinigungsplans geworden (§ 41 Abs. 1 FlurbG). Die Kläger haben damit einen Anspruch erlangt, der sich normalerweise gegen die zum Ausbau verpflichtete Teilnehmergemeinschaft richtet, unter Umständen aber auch bei mangelnder Aufsicht (§ 17 Abs. 1 FlurbG), gegen die Flurbereinigungsbehörde durchgesetzt werden kann. Ein Rechtsmittelverfahren müßte sich demgemäß auf die endgültige Erledigung der Planinstandsetzungsarbeiten beschränken. In diesem Verfahren wäre dann zu prüfen, ob die Arbeiten gemäß den Vereinbarungen und Festsetzungen restlos ausgeführt worden sind bzw. wer im Falle einer unvollständigen Ausführung hierfür die Verantwortung trägt. Der Prozeßbevollmächtigte der Kläger ist trotz eines entsprechenden Hinweises durch das Gericht in der mündlichen Verhandlung auf die Möglichkeit einer Klageänderung allerdings nicht eingegangen.

Die Klage wäre im übrigen auch dann abzuweisen gewesen, wenn das Kulturamt im Zeitpunkt der Protokollierung der klägerischen Wünsche bewußt noch keine Zusage hätte erteilen wollen und damit der Beschwerdebeendigungsvertrag mangels sofortiger Annahme des Angebots nicht zustande gekommen wäre (§ 147 Abs. 1 BGB).

Die Besonderheiten des Flurbereinigungsverfahrens erlauben es der Flurbereinigungsbehörde nicht in allen Fällen, Angebote von Beschwerdeführern auf vergleichsweise Erledigung der Beschwerde sofort anzunehmen. Bei der im allgemeinen größeren Anzahl von Beteiligten eines Flurbereinigungsverfahrens sind zwangsläufig viele unterschiedliche, zum Teil einander entgegenlaufende Interessen zu berücksichtigen, so daß die Flurbereinigungsbehörde nicht immer ohne weiteres übersehen kann, ob die von dem jeweiligen Beschwerdeführer gewünschten Änderungen oder Ergänzungen des Flurbereinigungsplanes auch verwirklicht werden können. In solchen Fällen kann es notwendig sein, die endgültige Zusage noch von weiteren Prüfungen abhängig zu machen. So ist mitunter noch zu ermitteln, ob die von dem Beschwerdeführer gewünschte Flächenänderung nicht in unzulässiger Weise in die Rechte eines anderen Beteiligten eingreift oder ob bei der Forderung nach Planinstandsetzungsarbeiten diese auch in einem vernünftigen Verhältnis zu den damit verbundenen Kosten stehen. Da einerseits das Flurbereinigungsverfahren dem Grundsatz möglichster Beschleunigung unterworfen ist und zum anderen insbesondere für die Beschwerdeerledigung nur bestimmte Fristen zur Verfügung stehen (vgl. § 142 Abs. 3 FlurbG), wäre es in solchen Fällen unökonomisch, in zeitraubenden Untersuchungen zu prüfen, ob die Vorstellungen des Beschwerdeführers verwirklicht werden können, ohne eine Sicherheit dafür zu haben, daß mit der Verwirklichung die Beschwerde auch erledigt ist. Diese Sicherheit besteht für die Behörde jedoch dann, wenn der Beschwerdeführer für den Fall einer wunschgemäßen Regelung den Nachtrag, der die von ihm geforderte Festsetzung enthält, vorweg anerkennt und somit auf ein Rechtsmittel dagegen verzichtet.

Die Frage, wieweit überhaupt ein Verzicht auf Rechtsmittel vor Erlaß der Entscheidung möglich ist, wird in Literatur und Rechtsprechung von Fall zu Fall unterschiedlich behandelt. Im zivilprozessualen Verfahren wird der Rechtsmittelverzicht vor Urteilserlaß dann als gültig angesehen, wenn er sich als die vertragliche Verpflichtung darstellt, kein Rechtsmittel einzulegen (vgl. Thomas-Putzo, Komm. z. ZPO, 5. Aufl. 1971, Anm. 2 zu § 514). Für das verwaltungsgerichtliche Vorverfahren steht die herrschende Meinung auf dem Standpunkt, daß grundsätzlich vor Erlaß des Verwaltungsaktes auf Rechtsbehelfe nicht wirksam verzichtet werden kann (vgl. Eyermann-Fröhler, Komm. z. VwGO, 5. Aufl. 1971, Anm. 1 zu § 69; etwas schwächer: Schunck - De Clerck, Komm. z. VwGO, 2. Aufl. 1967, Anm. 9 zu § 69). Dem liegt die rechtsstaatlich fraglos richtige Vorstellung zugrunde, daß ein der Verwaltung gegenüberstehender Bürger seine ihm von der Rechtsordnung zur Verfügung gestellten Rechtsmittel erst dann aufgeben soll, wenn er die von ihm begehrte Regelung auch im einzelnen kennt und ihre Tragweite abschätzen kann. Dementsprechend hat das Bundesverwaltungsgericht den Verzicht auf Widerspruch gegen einen Steuerbescheid bei selbsterrechneter Steuer für zulässig gehalten (Urteil vom 20.1.1967, DÖV 1967 S. 786) und die Beschränkung des Verzichts auf den Fall, daß die Steuer entsprechend den Angaben in der Steuererklärung festgesetzt wird, für notwendig angesehen, um einen wirksamen Verzicht annehmen zu können.

Im flurbereinigungsrechtlichen Vorverfahren besteht die gleiche Interessenlage. Auf seiten der Behörde bringt die Vorweganerkenntnis eine Arbeitsvereinfachung und damit Beschleunigung des Verfahrens mit sich. Da der Beschwerdeführer nur für den Fall anerkennt, daß die mit ihm erörterte und genau beschriebene Regelung verwirklicht wird, kann für ihn damit keine Benachteiligung verbunden sein, zumal ein auf Veranlassung der Behörde unter Verstoß gegen Treu und Glauben oder aufgrund ungenügender Aufklärung herbeigeführter Verzicht unwirksam wäre und zur Wiedereinsetzung berechtigen müßte (vgl. Schunck - De Clerck, aaO, mit weiteren Hinweisen). Das Vorweganerkenntnis eines Nachtrags zum Flurbereinigungsplan mit dem Verzicht auf offizielle Bekanntgabe und Anhörung (§ 59 FlurbG) ist somit in Fällen der vorstehenden Art zulässig. Selbst wenn man also annehmen wollte, daß der Beschwerdebeendigungsvertrag wegen nicht rechtzeitiger Annahme durch die Behörde nicht zustande gekommen ist, dann war die Beschwerde im Zeitpunkt der Entscheidung durch die Spruchstelle wegen des zulässigen Rechtsmittelverzichts unstatthaft, so daß die Spruchstellenentscheidung insoweit zu Recht ergangen ist.

Anmerkung

Diese Rechtsprechung wird fortgeführt durch d. Urteil vom 17./18.2.1975 - 3 C 43/73 = RdL 1975 S. 240; so auch Flurbereinigungsgericht Münster, Urteil vom 7.10.1976 - IX G 38/75