Flurbereinigungsgericht Koblenz, Urteil vom 08.04.1976 - 3 C 17/76
Aktenzeichen | 3 C 17/76 | Entscheidung | Urteil | Datum | 08.04.1976 |
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Gericht | Flurbereinigungsgericht Koblenz | Veröffentlichungen | Lieferung | N/A |
Leitsätze[Quelltext bearbeiten]
1. | Fortsetzung des Verwaltungsrechtsstreits nach Abschluß eines Prozeßvergleichs. |
2. | Prozeßvergleiche können nicht Gegenstand eines Wiederaufnahmeverfahrens sein. |
Aus den Gründen
Die Prozeßbeteiligten haben in der mündlichen Verhandlung vor dem Gericht am 11.12.1975 einen Vergleich abgeschlossen, um den gesamten Rechtsstreit wegen der den Klägern in der beschleunigten Zusammenlegung O. zugeteilten Landabfindung zu erledigen (§ 106 VwGO). In der Sache bedeutet der abgeschlossene Prozeßvergleich, daß die Kläger Ansprüche nach § 44 FlurbG nicht mehr, sondern dafür nunmehr die vergleichsweise vereinbarte Geldentschädigung gegenüber dem beklagten Lande geltend machen können. Prozessual hat der abgeschlossene Vergleich zwischen den Prozeßbeteiligten die Wirkung, daß er den gesamten Verwaltungsrechtsstreit beendet und damit die mit der Erhebung der Klage eingetretene Rechtshängigkeit beseitigt. Dem Gericht ist es somit grundsätzlich verwehrt, das beendete Verfahren mit dem Ziel einer Sachentscheidung fortzuführen. Prozessuale Rechtsgrundsätze, welche die Wiedereröffnung des abgeschlossenen Verfahrens in Ausnahmefällen zulassen, rechtfertigen im vorliegenden Falle kein anderes Ergebnis.
Anerkanntermaßen können Prozeßvergleiche nicht Gegenstand eines Wiederaufnahmeverfahrens nach § 153 Abs. 1 VwGO in Verbindung mit den §§ 578 ff. ZPO sein. Nach dem Wortlaut des § 578 Abs. 1 ZPO sind die Nichtigkeits - und Restitutionsklage nur dann zugelassen, wenn damit ein Verfahren wiederaufgenommen werden soll, das durch ein rechtskräftiges Endurteil abgeschlossen worden ist.
Es entspricht im übrigen nicht dem Zweck der Wiederaufnahmeklage, sie auch zur Fortsetzung eines durch Prozeßvergleich beendeten Rechtsstreits zuzulassen. Denn der Zweck der Wiederaufnahmeklage nach den §§ 578 ff. ZPO besteht darin, die materielle Rechtskraft eines formell rechtskräftig gewordenen Urteils zu beseitigen. Der Prozeßvergleich hat aber - anders als ein Urteil - keine Rechtskraftwirkung und eine prozeßrechtliche Wirkung nur insoweit, als er zur Verfahrensbeendigung führt, während es sich bei der Umgestaltung der Rechtsbeziehungen zwischen den Prozeßbeteiligten um die Wirkung eines materiell-rechtlichen Vertrages handelt (BVerwGE 28, 333). Aber auch bei anderer rechtlicher Beurteilung, die der Senat nicht für vertretbar hält, würde die Wiederaufnahmeklage daran scheitern, daß die Kläger keine Tatsachen vorgetragen haben, aus denen auf das Vorliegen eines Wiederaufnahmetatbestandes im Sinne der §§ 578, 580 ZPO geschlossen werden könnte.
Es ist zwar anerkannt, daß die Fortsetzung eines Rechtsstreites dann gestattet ist, wenn sich der Prozeßvergleich, der die Verfahrensbeendigung herbeiführen soll, als unwirksam erweist. Dieser im Prozeßrecht überwiegend anerkannte Grundsatz rechtfertigt sich aus der Doppelnatur des Prozeßvergleichs (BVerwGE 28, 334; BVerwG in DÖV 1962, 423; Redeker - von Oertzen, VwGO, 5. Aufl., Anm. 12 zu § 106; Eyermann - Fröhler, VwGO, 6. Aufl., Anm. 16 zu § 106). Eine vergleichsweise Regelung vor Gericht charakterisiert sich nämlich einmal als eine - auf Erledigung des Prozesses gerichtete - Prozeßhandlung der Vergleichspartner, zum anderen aber materiell-rechtlich als ein öffentlich-rechtlicher Vertrag, dessen Wirksamkeit sich nach den Normen des allgemeinen materiellen Rechtes bestimmt. Im vorliegenden Falle ist die Wiedereröffnung des abgeschlossenen Verfahrens jedoch nicht zulässig, da rechtserhebliche Tatsachen für die Unwirksamkeit des Vergleiches von den Klägern nicht schlüssig und glaubhaft vorgetragen und auch sonst dem Gericht nicht erkennbar geworden sind. Insbesondere können die allgemeinen Rechtsgrundsätze der §§ 119, 123 sowie des § 779 BGB, die unzweifelhaft auch auf öffentlich-rechtliche Verträge entsprechende Anwendung finden, nicht zu dem von den Klägern gewünschten Erfolg führen.
Nach § 779 BGB ist ein Vergleich unwirksam, wenn der nach seinem Inhalt als feststehend zugrundegelegte Sachverhalt der Wirklichkeit nicht entspricht und der Streit oder die Ungewißheit der Parteien über ein Rechtsverhältnis - das Gegenstand des Vergleiches ist - bei Kenntnis der Sachlage nicht entstanden sein würde. Ein solcher beiderseitiger Irrtum der Vergleichspartner über einen dem Vergleich zugrundegelegten Sachverhalt im Sinne dieser gesetzlichen Bestimmung liegt nicht vor.
Die unterschiedlichen Vorstellungen über Streitpunkte des Prozesses werden gerade durch den Vergleich erledigt und ihm nicht etwa als feststehender Sachverhalt zugrundegelegt (vgl. Staudinger-Brändl, BGB 10./11. Aufl., 1975, Anm. 18 und 19 zu § 779). Handelte es sich bei den abweichenden Vorstellungen der Prozeßbeteiligten um unterschiedliche Vorstellungen und Wertungen über die Ackerfähigkeit verschiedener Flächen der Landabfindung und des Einlagebesitzes, so können auch die gesetzlichen Voraussetzungen einer Irrtumsanfechtung nach § 119 BGB nicht bejaht werden. Denn die Kläger sind nach ihrem eigenem Sachvortrag weder einem Irrtum über wesentliche Eigenschaften ihres Altbesitzes oder ihrer Landabfindung unterlegen, noch haben sie sich über den in der gerichtlichen Niederschrift formulierten Vergleichsinhalt falsche Vorstellungen gemacht. Im übrigen fehlt es an konkreten Anhaltspunkten dafür, daß sie durch den Beklagtenvertreter oder etwa von seiten ihres prozeßbevollmächtigten Rechtsanwaltes und ihres sachverständigen Beistandes in einer nach § 123 BGB unerlaubten Weise durch arglistige Täuschung oder widerrechtliche Drohung zu dem Abschluß des Prozeßvergleiches bestimmt worden wäre. Es ist somit von der Wirksamkeit des abgeschlossenen Prozeßvergleichs und der dadurch eingetretenen Beendigung des Prozesses auszugehen. Für die von den Klägern geforderte sachliche Nachprüfung, ob die zugeteilte Landabfindung den Abfindungsgrundsätzen des § 44 FlurbG entspricht, ist daher kein Raum mehr.