Flurbereinigungsgericht Mannheim, Beschluss vom 01.12.1975 - VII 493/74

Aktenzeichen VII 493/74 Entscheidung Beschluss Datum 01.12.1975
Gericht Flurbereinigungsgericht Mannheim Veröffentlichungen Lieferung N/A

Leitsätze[Quelltext bearbeiten]

1. Zur Ablehnung wegen Befangenheit eines ehrenamtlichen Richters wegen freimütiger Äußerungen über das Vorliegen der Voraussetzungen für die - angefochtene - Anordnung der Flurbereinigung.
2. Zur Ablehnung wegen Befangenheit des Vorsitzenden wegen Nichtgewährung von Einsicht in die - senatsinterne - Stellungnahme eines - wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnten - ehrenamtlichen Richters über das Ergebnis eines Augenscheins.

Aus den Gründen

1. Die Ablehnungsgesuche sind zulässig.

2. Begründet ist jedoch nur das Ablehnungsgesuch gegen den ehrenamtlichen Richter RVD a. D. S. Das gegen den VRaVGH Dr. W. angebrachte Ablehnungsgesuch ist dagegen unbegründet.

Eine Besorgnis der Befangenheit ist nach § 54 Abs. 1 VwGO i. V. mit § 42 Abs. 2 ZPO dann gegeben, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit der Richter zu rechtfertigen. Hierbei kommt es weder darauf an, ob der Richter befangen ist oder sich für befangen hält, noch reicht es aus, wenn ihn ein Prozeßbeteiligter für befangen hält. Maßgeblich ist ausschließlich, ob vom Standpunkt eines Prozeßbeteiligten aus gesehen objektive Gründe vorliegen, die bei Würdigung aller Umstände in den Augen eines vernünftigen Menschen geeignet sind, Zweifel an der Unvoreingenommenheit und objektiven Einstellung des Richters zu begründen (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluß vom 8.3.1973 - IV 1267/72 - und Beschluß vom 22.5.1973 - VII 236/72 -; Bundesverfassungsgericht, Beschluß vom 2.3.1966 - BVerfGE 20, 1 und Beschluß vom 25.1.1972 - DÖV 1972, 312; Stein-Jonas, ZPO, 19. Aufl., 1972, § 42 Erl. II 1; Teplitzky in JuS 1969, 318 ff.).

a) Freimütige Äußerungen eines Richters über den Stand und die Aussichten des Verfahrens sind nicht immer vermeidbar, oft angebracht und - gerade in komplizierten Fällen oder in Fällen in speziellen Rechtsgebieten wie z. B. auch dem Flurbereinigungsrecht - meist sogar erwünscht (vgl. hierzu auch Schneider in ZRP 1975, 248). Sie sind auch immer dann nicht zu beanstanden, wenn sie maßvoll in der Form sind und vor allem nicht den Eindruck der Endgültigkeit erwecken (Teplitzky a.a.O.). Ein Ablehnungsgesuch ist jedoch dann begründet, wenn der Richter zu erkennen gibt, daß er nicht bereit ist, den Sachverhalt erneut sorgfältig zu prüfen und gegebenenfalls seine Meinung zu ändern (Schmid in NJW 1974, 229). Wenn es auch für einen ehrenamtlichen, relativ wenig Gerichtspraxis besitzenden Richter, insbesondere auch einen technischen Fachbeisitzer, schwierig sein mag, bei von allen Beteiligten an sich erwünschten Äußerungen auf seinem speziellen Fachgebiet selbst bei eindeutiger Sach- und Rechtslage den Anschein der Endgültigkeit zu vermeiden, so hat er doch der speziellen psychischen Situation insbesondere der Rechtssuchenden, um deren Vermögen es schließlich geht (vgl. dazu Schneider a.a.O.), Rechnung zu tragen. Im vorliegenden Falle konnten zwar nicht die Äußerungen des ehrenamtlichen Richters RVD a. D. S. bei der mündlichen Verhandlung und beim Augenschein den Eindruck der Endgültigkeit im o. g. Sinne erwecken, wohl aber ist dies der Fall hinsichtlich der in den dienstlichen Stellungnahmen enthaltenen Begründungen seiner Überzeugung, daß auf Gemarkung E. die Voraussetzungen einer Flurbereinigung vorliegen und daß die Durchführung der Flurbereinigung auch im - objektiven - Interesse der Beteiligten liegt. Der ehrenamtliche Richter RVD a. D. S. war daher für befangen zu erklären.

b) Nicht gerechtfertigt ist dagegen die Besorgnis der Befangenheit hinsichtlich des VRaVGH Dr. W.

Ein Befangenheitsgrund kann insbesondere nicht in der Weigerung gesehen werden, den Klägern Einsicht in die sog. schriftliche Darlegung des abgelehnten ehrenamtlichen Richters zu gewähren. Denn diese Weigerung war berechtigt. Die sog. schriftliche Darlegung des technischen Beisitzers ist im Ergebnis ebenso wie beispielsweise das Votum des Berichterstatters oder das des Mitberichterstatters oder ein schriftlicher Beratungsbeitrag eines anderen Richters zu werten und damit den Prozeßbeteiligten weder vorzulegen noch abschriftlich mitzuteilen (§ 100 Abs. 3 VwGO). Im Hinblick auf die Pflicht der Berufsrichter und der ehrenamtlichen Verwaltungsrichter, über den Hergang bei Beratung und Abstimmung Stillschweigen zu bewahren (§§ 43 und 45 Abs. 3 Deutsches Richtergesetz (DRiG)), besteht selbst dann kein Anspruch auf Einsichtnahme, wenn der betroffene Richter bzw. ehrenamtliche Richter zustimmt.

Anlaß zu der Besorgnis der Befangenheit des VRaVGH Dr. W. besteht auch nicht auf Grund der Tatsache, daß er den abgelehnten ehrenamtlichen Richter, wie dieser in seinen dienstlichen Stellungnahmen bestätigt hat, noch nach Anbringung des Ablehnungsgesuches zur Anfertigung und Übergabe der sog. schriftlichen Darlegung aufgefordert hat. Nicht zu beanstanden ist zunächst, daß der Vorsitzende den ehrenamtlichen Richter veranlaßt hat, seine Eindrücke schriftlich festzuhalten, solange sie diesem noch unmittelbar gegenwärtig waren (vgl. § 47 ZPO). Zwar hätten diese Aufzeichnungen dann zunächst bis zur Entscheidung über das Ablehnungsgesuch bei dem abgelehnten Richter verbleiben können. Aber auch aus der Tatsache, daß der Vorsitzende sie, um einem Verlust entgegenzuwirken, selbst bis zur Entscheidung über das Ablehnungsgesuch in Verwahrung genommen hat, haben die Kläger - bei vernünftiger Würdigung des Vorgangs - keinen Nachteil zu besorgen. VRaVGH Dr. W. wußte, daß es sich um Aufzeichnungen eines abgelehnten Richters handelte. Schon deshalb ist, was auch die Kläger einräumen, als selbstverständlich davon auszugehen, daß VRaVGH Dr. W. die ihm von dem abgelehnten ehrenamtlichen Richter gefertigte Darlegung weder selbst bei seiner Entscheidung berücksichtigen noch den übrigen Mitgliedern des Senats zugänglich machen wird und daß er selbst bei einer etwaigen Kenntnis der übrigen Mitglieder des Senats diese an der Verwertung der o. g. schriftlichen Darlegung hindern wird. Bei Berufsrichtern kann und muß grundsätzlich die Fähigkeit und Bereitschaft vorausgesetzt werden, sich nicht nur von politischen und gesellschaftlichen Auffassungen und Beziehungen, sondern auch von Tatsachen, deren Verwertung rechtswidrig wäre, nicht auf Kosten seiner Unparteilichkeit beeinflussen zu lassen (VGH Baden-Württemberg, Beschluß vom 21.1.1975 - IV 1591/74 -). Der Berufsrichter ist immer wieder gezwungen, ihm bekannte Tatsachen nicht zu verwerten und sich von vorläufigen Eindrücken und Einflüssen, die während des Rechtsstreits auf ihn einwirken, freizumachen (vgl. Schmid in NJW 1974, 729). Dem Gesuch der Kläger auf Ablehnung des VRaVGH Dr. W. kann daher nicht entsprochen werden.

3. Der Antrag der Kläger, ihnen Einsicht in die sog. schriftliche Darlegung des ehrenamtlichen Richters RVD a. D. S. zu gewähren, scheitert bereits daran, daß auf ihren Antrag hin dieser ehrenamtliche Richter für befangen erklärt worden ist und ihm die o. g. schriftliche Darlegung wieder zurückgegeben worden ist. Im übrigen kann ihm auch wegen § 100 Abs. 3 VwGO und § 45 Abs. 3 DRiG nicht entsprochen werden.