Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 17.04.1975 - V CB 4.74 = BayVBl 1976, 55
Aktenzeichen | V CB 4.74 | Entscheidung | Urteil | Datum | 17.04.1975 |
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Gericht | Bundesverwaltungsgericht | Veröffentlichungen | = BayVBl 1976, 55 | Lieferung | N/A |
Leitsätze[Quelltext bearbeiten]
1. | Für die Frage der Richterausschließung wegen Mitwirkung bei dem vorausgegangenen Verwaltungsverfahren im Sinne des § 54 Abs. 2 VwGO ist das gesamte beschleunigte Zusammenlegungsverfahren als einheitliches Verfahren anzusehen. |
Aus den Gründen
Die von den Klägern eingelegte Revision ist zulässig, weil als wesentlicher Mangel im Rahmen der zulassungsfreien Verfahrensrevision gemäß § 133 Nr. 2 VwGO schlüssig gerügt wird, daß bei der angegriffenen Entscheidung ein Richter mitgewirkt habe, der von der Ausübung des Richteramts kraft Gesetzes ausgeschlossen gewesen sei. Zur Ausschließung dieses richterlichen Mitglieds des Flurbereinigungsgerichts, Richter am Oberverwaltungsgericht Sch., wird darauf hingewiesen, daß dieser in dem vorangegangenen Verwaltungsverfahren über eine Beschwerde der Kläger befunden habe.
Aus den beigezogenen Beschwerdevorgängen ergibt sich, daß die Kläger sich gegen die im Verlauf des vorliegenden Zusammenlegungsverfahrens ergangene Anordnung der vorläufigen Besitzeinweisung vom 18.09.1967 gewehrt haben. Ihre Beschwerde vom 06. 10.1967, in der sie die Neuausweisung des Weges Nr. 8 a in ihrer Neuzuteilung und geringe Grünlandabfindung beanstandeten, war durch Bescheid der Oberen Flurbereinigungsbehörde vom 23.04.1968 zurückgewiesen worden. Dieser Beschwerdebescheid des Ministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten des Landes Schleswig-Holstein ist vom vorgenannten richterlichen Mitglied des Flurbereinigungsgerichts unterzeichnet. Damit ist ein Sachverhalt dargelegt, der nach § 133 Nr. 2 in Verbindung mit § 54 Abs. 2 VwGO die Ausschließung kraft Gesetzes bewirkt.
Nach § 54 Abs. 2 VwGO ist von der Ausübung des Amtes als Richter auch ausgeschlossen, wer bei dem vorausgegangenen Verwaltungsverfahren mitgewirkt hat. Unter vorausgegangenem Verwaltungsverfahren ist dasjenige zu verstehen, in dem die Entscheidung ergangen ist, die der Überprüfung im verwaltungsgerichtlichen Verfahren unterliegt (Urteil vom 29.01.1965 - BVerwG VII C 84.62 (VerwRspr. Bd. 17, Nr. 167)). Damit wird das gesamte Verwaltungsverfahren erfaßt, das bei einer Anfechtungsklage den Erlaß des angefochtenen Verwaltungsaktes zum Gegenstand hatte, also auch die Mitwirkung im Widerspruchs- bzw. Beschwerdeverfahren (Urteil vom 15.11.1961 - BVerwG VI A 1.60 (Buchholz 310, § 54 VwGO Nr. 1)). Der Grund der Ausschließung nach § 54 Abs. 2 VwGO wird darin gesehen, daß jede Mitwirkung bei der im Verwaltungsverfahren getroffenen Entscheidung bei dem durch den Verwaltungsakt Betroffenen den Eindruck hervorrufen könnte, daß der inzwischen in das Richteramt hinübergewechselte Verwaltungsbeamte sich bereits festgelegt habe und seine Entscheidung als Richter nicht mehr mit der gebotenen Objektivität treffen könne. Diese Erwägung entfällt dagegen bei Entscheidungen in früheren Verfahren, die bereits abgeschlossen sind, weil die vom Richter selbst erlassenen oder unter seiner Mitwirkung zustande gekommenen Verwaltungsentscheidungen nicht mehr zur Überprüfung stehen. Hieran scheitert die vorliegend erhobene Rüge der Ausschließung des richterlichen Mitglieds des Flurbereinigungsgerichts aber nicht. Wenn sich dessen Mitwirkung auf die Entscheidung über die Beschwerde der Kläger gegen die Anordnung der vorläufigen Besitzeinweisung beschränkte, die nicht Gegenstand der vorliegenden Klage ist, so ist jene Beschwerdeentscheidung gleichwohl im Rahmen des beschleunigten Zusammenlegungsverfahrens getroffen worden, in dem auch die mit der vorliegenden Klage angefochtenen Entscheidungen ergangen sind. In Anlehnung an die Verfahrensgestaltung in der Flurbereinigung ist auch das beschleunigte Zusammenlegungsverfahren nach § 91 ff. FlurbG in verschiedene aufeinander abgestimmte Stadien unterteilt (Verfahrenseinleitung, Bewertungsverfahren, Plangestaltung entsprechend der Planvereinbarungen, Ausführung des Zusammenlegungsplans). Dabei unterliegen die in den einzelnen Verfahrensabschnitten ergehenden Entscheidungen einer gesonderten, selbständigen Anfechtbarkeit (so z. B. der Einleitungsbeschluß bzw. Zusammenlegungsbeschluß, die Bewertungsfeststellung, der Zusammenlegungsplan, die Ausführungsanordnung, die vorläufige Besitzeinweisung und die Schlußfeststellung). In der Regel werden deshalb wegen der selbständigen Anfechtbarkeit der in den verschiedenen, aufeinander aufbauenden und ergänzenden Verfahrensabschnitten ergangenen Verwaltungsakte spezielle Einwendungen gegen eine in dem vorausgegangenen Abschnitt erlassene konkrete Entscheidung nicht auch gegen eine in einem nachfolgenden Stadium ergangene Entscheidung gerichtet bzw. erneut vorgebracht werden können. Das hat zur Folge, daß Einwendungen, die in einem früheren Verfahrensabschnitt hätten erhoben werden müssen, in dem darauffolgenden Stadium regelmäßig unbeachtlich bzw. ausgeschlossen sind, sofern nicht eine Nachsichtgewährung nach § 134 Abs. 2 und 3 FlurbG in Betracht kommen kann.
Die Tatsache, daß z. B. die behördlichen Festsetzungen hinsichtlich der Bewertung der Grundstücke bzw. der vereinbarten Pläne dem nachfolgenden Verfahrensabschnitt als rechtswirksam zugrunde zu legen sind, macht deutlich, daß die beschleunigte Zusammenlegung in einem einheitlichen Verfahren erfolgt, in dem die Ergebnisse der einzelnen Verfahrensabschnitte aufeinander bezogen und von finaler Verbindlichkeit sind. Diese abschnittsübergreifende Akzessorietät der einzelnen behördlichen Feststellungen und Festsetzungen nötigt deshalb dazu, das gesamte beschleunigte Zusammenlegungsverfahren als einheitliches Verfahren anzusehen und die Befassung mit einer im Rahmen des Gesamtverfahrens ergangenen Entscheidung als eine Mitwirkung bei dem vorausgegangenen Verwaltungsverfahren im Sinne des § 54 Abs. 2 VwGO zu behandeln.
Ob diese Konsequenz hinsichtlich aller im Rahmen bzw. im Verlauf des Verfahrens ergangenen, anfechtbaren Entscheidungen gezogen werden muß, kann offen bleiben.
Zu bejahen ist die aufgezeigte Ausschließungsfolge jedenfalls bei einer Mitwirkung zur Anordnung der vorläufigen Besitzeinweisung. Möglichen Einwänden ist entgegenzuhalten, daß die vorläufige Besitzeinweisung nur dann angeordnet werden darf, wenn die Grenzen der neuen Grundstücke in die Örtlichkeit übertragen worden sind, die endgültigen Nachweise für Fläche und Wert der neuen Grundstücke bereits vorliegen und das Verhältnis der Abfindung zu dem von jedem Beteiligten Eingebrachten feststeht § 101, § 65 Abs. 1 FlurbG). Wenngleich dadurch mit dem in den Überleitungsbestimmungen bestimmten Zeitpunkt nur der Besitz, die Verwaltung und die Nutzungen der neuen Grundstücke auf den in der neuen Feldeinteilung benannten Empfänger übergehen (§ 101, § 66 Abs. 1 Satz 1 FlurbG), so sind damit doch bereits alle wesentlichen Voraussetzungen für die Plankonzeption erfüllt, so daß bei der Plandurchführung, der rechtlichen Umsetzung der umfassend vorbereiteten oder vereinbarten Plangestaltung praktisch nicht mehr mit wesentlichen Änderungen zu rechnen ist. Wenn die mit der vorläufigen Besitzeinweisung verbundenen rechtlichen Wirkungen erst mit der Ausführung des Zusammenlegungsplans enden (§ 101, § 66 Abs. 3 FlurbG), so ergibt sich daraus, daß dieser durch die vorläufige Besitzeinweisung geschaffene Rechtszustand erst mit der Rechtskraft des Zusammenlegungsplans endet (§ 101, § 62 Abs. 1 FlurbG), sofern nicht eine vorzeitige Ausführungsanordnung ergeht (§ 101, § 63 Abs. 1 FlurbG). Ebenso wie durch die Plangestaltung Änderungen nach der vorläufigen Besitzeinweisung eintreten können, die bis zur Rechtskraft des Zusammenlegungsplans jedoch keine tatsächlichen Auswirkungen haben, sind Änderungen auch nach der Ausführungsanordnung nicht ausgeschlossen. Daraus wird deutlich, daß mit der vorläufigen Besitzeinweisung die wesentlichen Umrisse der Plangestaltung bereits festliegen und die tatsächlich geschaffenen Verhältnisse ihre prägende Kraft entfalten. Hinzu kommt, daß bei der beschleunigten Zusammenlegung die neue Feldeinteilung im wesentlichen den Planvereinbarungen entspricht (§ 99 Abs. 1 Satz 1 FlurbG), die vorläufige Besitzeinweisung bereits nach Abschluß der Planvereinbarungen angeordnet werden kann (§ 101, § 65 FlurbG) und durch den sich daran anschließenden Zusammenlegungsplan sich kaum noch etwas an der vereinbarten Feldeinteilung ändert, weil durch die von der Flurbereinigungsbehörde genehmigten Vereinbarungen (§ 99 Abs. 1 Satz 2 FlurbG) der Flurbereinigungsbehörde selbst (und damit auch der Spruchstelle) nur noch erheblich eingeschränkte Gestaltungsmöglichkeiten verbleiben. Damit sind im beschleunigten Zusammenlegungsverfahren mit der vorläufigen Besitzeinweisung praktisch vollendete Tatsachen geschaffen.
Wenn danach beim beschleunigten Zusammenlegungsverfahren der mit der Überprüfung der Beschwerde gegen die Anordnung der vorläufigen Besitzeinweisung befaßte Beamte durch die Zurückweisung der Beschwerde die getroffene Anordnung gebilligt und damit zu erkennen gegeben hat, daß er keine Bedenken hinsichtlich der mit der vorläufigen Besitzeinweisung praktisch verbundenen vollendeten Gestaltung hege, so kann dies bei dem davon betroffenen Teilnehmer den Eindruck hinterlassen, daß der inzwischen ins Richteramt hinübergewechselte Beamte auch bei der Beschwerde über den Zusammenlegungsplan die dagegen vorgebrachten Einwendungen nicht mehr mit der gebotenen Objektivität prüfen und beurteilen werde. Im vorliegenden Fall kommt verstärkend dazu, daß das gegen die vorläufige Besitzeinweisung gerichtete Beschwerdevorbringen mit den gegen den Zusammenlegungsplan vorgebrachten Gründen übereinstimmte. Aus all diesen Gründen ist es im beschleunigten Zusammenlegungsverfahren geboten, bei der gerichtlichen Überprüfung von Beschwerden gegen den Zusammenlegungsplan die Beteiligung eines Richters bei der Beschwerde gegen die vorläufige Besitzeinweisung als eine Mitwirkung im vorausgegangenen Verwaltungsverfahren im Sinne von § 54 Abs. 2 VwGO anzusehen.
Das angefochtene Urteil ist deshalb nach § 138 Nr. 2 VwGO als auf der Verletzung von Bundesrecht beruhend anzusehen. Diese unwiderlegliche Vermutung nötigt dazu, das angegriffene Urteil aufzuheben und, da § 144 Abs. 4 VwGO nicht anwendbar ist, die Sache nach § 144 Abs. 3 Nr. 2 VwGO zurückzuverweisen.
Bei der nach Zurückverweisung der Sache an das Flurbereinigungsgericht durchzuführenden anderweitigen Verhandlung und Entscheidung könnte sich eine erneute Beweisaufnahme dann erübrigen, wenn die Beteiligten die Ergebnisse der unter Mitwirkung des ausgeschlossenen Richters durchgeführten Ortsbesichtigung als unstreitig ansehen. Für die rechtliche Beurteilung der Frage, ob ein Teilnehmer nur Anspruch auf eine Zuwegung oder mehrere arbeitserleichternde Zuwegungen hat, wird auf die vom erkennenden Senat fortgeführte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts hingewiesen und ferner darauf, daß ein etwaiger Entfernungsnachteil nicht am einzelnen Grundstück gemessen und ausgeglichen, sondern bei der Gesamtabfindung berücksichtigt werden müßte. Entscheidungserheblich könnte ferner sein, daß bei der beschleunigten Zusammenlegung ein Wege- und Gewässerplan nicht aufgestellt wird und die Veränderung und Neuanlage von Wegen sich auf die nötigsten Maßnahmen beschränken sollen (§ 97 Sätze 3 und 4 FlurbG).