Flurbereinigungsgericht München, Urteil vom 29.01.2009 - 13 A 08.1688 = RdL 2009, 307-308 (Leitsatz und Gründe) (Lieferung 2010)
Aktenzeichen | 13 A 08.1688 | Entscheidung | Urteil | Datum | 29.01.2009 |
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Gericht | Flurbereinigungsgericht München | Veröffentlichungen | = RdL 2009, 307-308 (Leitsatz und Gründe) | Lieferung | 2010 |
Leitsätze[Quelltext bearbeiten]
1. | Wird ein Klageverfahren von den Parteien in der Hauptsache für erledigt erklärt, kann ein Widerruf dieser Prozesserklärung in Betracht kommen, wenn es mit dem Grundsatz von Treu und Glauben nicht vereinbar ist, einen Beteiligten hieran festzuhalten. Diese Voraussetzungen können beispielsweise bei der Ausübung von unzulässigem Zwang durch das Gericht erfüllt sein. Dies ist aber regelmäßig nicht bereits dann der Fall, wenn das Gericht den Beteiligten seine vorläufige Rechtsauffassung zu den Erfolgsaussichten der Klage mitteilt. |
Aus den Gründen
20 Die Klage hat keinen Erfolg.
21 Die Kläger haben keinen Anspruch auf die Fortführung des Verwaltungsstreitverfahrens 13 A 06.2981, da dieses Verfahren durch die Abgabe übereinstimmender Hauptsacheerledigungserklärungen der Parteien in der mündlichen Verhandlung am 17. Juni 2008 wirksam beendet wurde. Das Gericht hat deshalb zu Recht in seinem (insoweit deklaratorischen) Beschluss vom selben Tag das Verfahren in entsprechender Anwendung von § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO eingestellt und über dessen Kosten entschieden (§ 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO).
22 Mit ihren übereinstimmenden Hauptsacheerledigungserklärungen haben die Kläger und die Beklagte die Beendigung der Rechtshängigkeit des Rechtsstreits unmittelbar herbeigeführt. Diese in den Prozesserklärungen wirksam werdende, in der Dispositionsbefugnis der Prozessparteien begründete Rechtsmacht, den zwischen ihnen schwebenden Rechtsstreit zu beenden, ist in der ebenfalls die Beseitigung der Rechtshängigkeit durch Parteierklärung betreffenden Bestimmung des § 269 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 1 ZPO vorausgesetzt und nur deshalb zum Gegenstand einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung gemacht, weil bei der Klagerücknahme ausnahmsweise eine Rückwirkung der Rechtshängigkeitsbeendigung angeordnet wird (BVerwG vom 14.10.1988 NVwZ-RR 1989, 110).
23 Der Einstellungsbeschluss nach Erledigung der Hauptsache ist in entsprechender Anwendung von § 92 Abs. 3 Satz 2 VwGO unanfechtbar. Das gleiche gilt nach § 158 Abs. 2 VwGO für die nach § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO zu treffende Kostenentscheidung (s. hierzu BVerwG vom 3.11.1981 BayVBl 1982, 156 = DÖV 1982, 161).
24 Eine Anfechtung der Prozesserklärung ist nicht möglich. Die (Hauptsache-) Erledigungserklärung unterliegt ebenso wie die Klage- oder Rechtsmittelrücknahme oder sonstige Handlungen, die unmittelbar die Einleitung, Führung oder Beendigung des Prozesses betreffen, nicht der Anfechtung nach den §§ 119 ff. BGB. Weder das Verwaltungsprozessrecht noch die nach § 173 VwGO sinngemäß anwendbare Zivilprozessordnung (ZPO) enthalten den bürgerlich-rechtlichen Anfechtungsregelungen entsprechende Vorschriften. Auch eine analoge Anwendung der für privatrechtliche Willenserklärungen geltenden Anfechtungsregeln verbietet sich, weil die Interessenlage im Prozessrechtsverhältnis anders zu bewerten ist als in Rechtsbeziehungen im rein privaten Rechtskreis (vgl. BVerwG vom 21.3.1979 BVerwGE 57, 342 = NJW 1980, 135; vom 6.12.1996 NVwZ 1997, 1210; BGH vom 27.5.1981 NJW 1981, 2193).
25 Eine Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 153 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 578 ff. ZPO scheidet ebenfalls aus, da – wie oben bereits dargelegt – der aufgrund analoger Anwendung von § 92 Abs. 3 Satz 2 VwGO getroffene Einstellungsbeschluss vom 17. Juni 2008 lediglich deklaratorisch die kraft Gesetzes eingetretene Verfahrensbeendigung feststellt (s. hierzu Brink in Posser/Wolf, VwGO, 2008, RdNr. 5 zu § 153; Kopp/Schenke, VwGO, 15. Aufl. 2007, RdNr. 15 zu § 161).
26 Dies bedeutet indessen nicht, dass die Prozessbeteiligten sich an ihren Erklärungen ausnahmslos festhalten lassen müssen. In der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist anerkannt, dass Prozesshandlungen unter bestimmten Umständen widerrufen werden können. Ein Widerruf kommt grundsätzlich in Betracht, wenn ein Restitutionsgrund im Sinn des § 580 ZPO vorliegt. Denn lässt der Gesetzgeber es nach Maßgabe der §§ 578 ff. ZPO, die nach § 153 VwGO auch im Verwaltungsprozess anwendbar sind, ausdrücklich zu, sich selbst von der Bindung an ein rechtskräftiges Urteil zu lösen, so entspricht es seinem Regelungswillen, die von ihm gezogenen Konsequenzen unter den in § 580 ZPO genannten Tatbestandsvoraussetzungen auch dann zu ziehen, wenn ein Verfahren anderweitig beendet worden ist (vgl. BVerwG vom 21.3.1979 a.a.O.; vom 26.1.1971 Buchholz 310 § 92 VwGO Nr. 3). Ein Restitutionsgrund im Sinn von § 580 ZPO liegt hier aber ersichtlich nicht vor.
27 Ein Widerruf kann allerdings auch dann in Betracht kommen, wenn es mit dem Grundsatz von Treu und Glauben, der das gesamte Recht unter Einschluss der Verwaltungsgerichtsordnung beherrscht, unvereinbar wäre, einen Beteiligten an einer von ihm vorgenommenen Prozesshandlung festzuhalten (BVerwG vom 6.12.1996 a.a.O.; BGH vom 16.5.1991 NJW 1991, 2839). Dies kann ausnahmsweise dann in Betracht kommen, wenn diese durch Drohung, sittenwidrige Täuschung, unzulässigen Druck oder unzutreffende richterliche Belehrung bzw. Empfehlung u.ä. herbeigeführt wurde (s. hierzu BVerwG vom 9.1.1985 NVwZ 1985, 196; BGH vom 26.11.1980 NJW 1981, 576; BayVGH vom 6.11.2008 Az. 13 A 08.2579; vom 4.12.1997 Az. 13 A 96.1117; Kopp/Schenke, a.a.O., RdNr. 15 vor § 40).
28 Ein solcher Fall liegt hier jedoch nicht vor. Soweit die Kläger rügen, das Gericht habe in der mündlichen Verhandlung vom 17. Juni 2008 auf sie durch die Verweigerung weiterer Bedenkzeit unzulässigen Druck ausgeübt und sie "überrumpelt", lässt sich hieraus kein Widerrufsrecht ableiten. Die Voraussetzungen für die Einräumung einer weiteren Bedenkzeit in der Form einer Vertagung gemäß § 173 Satz 1 VwGO, § 227 Abs. 1 ZPO oder der Gewährung einer Schriftsatzfrist (§ 173 Satz 1 VwGO, § 283 ZPO) lagen nicht vor. Da der Sachverhalt nach der unmittelbar vor der mündlichen Verhandlung erfolgten Durchführung eines Augenscheins geklärt war, lag Entscheidungsreife vor. In der mündlichen Verhandlung wurden auch keine neuen tatsächlichen oder rechtlichen Gesichtspunkte vorgebracht bzw. erörtert, zu denen sich die Kläger nicht hätten sofort äußern können (s. Geiger in Eyermann, VwGO, 12. Aufl. 2006, RdNr. 18 zu § 103). Im Übrigen hatten die Parteien während der fast zwanzigmonatigen Dauer des Verfahrens ausreichend Gelegenheit, sich mit dem Prozessstoff vertraut zu machen, hierzu Stellung zu nehmen und (Prozess-) Handlungsoptionen zu prüfen (z.B. in Hinblick auf die Höhe möglicherweise anfallender Prozesskosten). Damit bestand für ein weiteres Zuwarten keine Veranlassung, zumal das Gericht nach § 87 Abs. 1 Satz 1 VwGO prozessrechtlich gehalten ist, das Verfahren zügig durchzuführen und den Rechtsstreit möglichst in einer mündlichen Verhandlung zu erledigen (s. hierzu z.B. Kopp/Schenke, a.a.O., RdNr. 1 zu § 87).
29 Dass der Vorsitzende Richter den Parteien nach einer Senatsberatung die vorläufige Rechtsauffassung des Gerichts – nämlich, dass die Klage nach der gegenwärtigen Sach- und Rechtslage voraussichtlich abzuweisen wäre – mitgeteilt hat, stellt ebenfalls keine Ausübung unzulässigen Drucks dar, sondern ist – insbesondere bei nicht anwaltlich vertretenen Parteien – Ausdruck der sich aus § 86 Abs. 3 VwGO ergebenden Hinweis- und Fürsorgepflichten des Gerichts und im Übrigen durchaus gängige Praxis (vgl. Höfling/Rixen in Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Aufl. 2006, RdNrn. 111 ff. zu § 86; Kopp/Schenke, a.a.O., RdNr. 4 zu § 104).