Flurbereinigungsgericht Koblenz, Urteil vom 12.03.2008 - 9 C 10181/08.OVG (Lieferung 2009)

Aktenzeichen 9 C 10181/08.OVG Entscheidung Urteil Datum 12.03.2008
Gericht Flurbereinigungsgericht Koblenz Veröffentlichungen Lieferung 2009

Leitsätze[Quelltext bearbeiten]

1. Die Zustellung außerhalb der gewöhnlichen Geschäftszeiten steht einer Ersatzzustellung und dem Eintritt der Zustellungsfiktion nach § 180 Satz 2 ZPO nicht entgegen.
2. Bei der Zustellung durch die Post mit Zustellungsurkunde hat der Nachweis des Zustellungsdatums in der Handakte des Rechtsanwalts aus Gründen anwaltlicher Sorgfalt dadurch zu erfolgen, dass der Umschlag des zugestellten Schreibens zur Akte geheftet wird.
3. Die von einem Rechtsanwalt eigenverantwortlich vorzunehmende Prüfung, ob das Ende einer Rechtsbehelfsfrist richtig ermittelt und eingetragen worden ist, hat spätestens dann zu geschehen, wenn ihm die Akten bei der Vorbereitung einer fristwahrenden Prozesshandlung vorgelegt werden.

Aus den Gründen

Die Klage ist unzulässig.
Sie ist erst nach Ablauf der Klagefrist erhoben worden.


Die Klagefrist beträgt nach § 138 Abs. 1 FlurbG i.V.m. § 74 Abs. 1 VwGO einen Monat nach Zustellung des Widerspruchsbescheids. Der Widerspruchsbescheid ist ausweislich der vorliegenden Zustellungsurkunde im Wege der Ersatzzustellung durch Einlegen in den zum Geschäftsraum der Kanzlei der Verfahrensbevollmächtigten der Kläger gehörenden Briefkasten zugestellt worden (vgl. § 56 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 180 ZPO). Nach dem Vermerk des Zustellers ist die Zustellung am 12. Januar 2008 erfolgt. Die Klagefrist lief daher am 12. Februar 2008 ab (§ 57 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 222 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 188 Abs. 2 BGB).


Dass die Zustellung außerhalb der gewöhnlichen Geschäftszeiten erfolgt ist, steht einer Ersatzzustellung und dem Eintritt der Zustellungsfiktion nach § 180 Satz 2 ZPO nicht entgegen (vgl. BGH, Beschluss vom 24. April 2007, NJW 2007, 2186; BVerwG, Beschluss vom 2. August 2007, NJW 2007, 3222). Hierfür spricht das Ziel der Neufassung des Zustellungsrechts zum 1. Juli 2002, den hohen Anteil an Niederlegungen zu reduzieren und dazu den Zustelldiensten eine einfachere Möglichkeit der Ersatzzustellung für den Fall zu eröffnen, dass eine Zustellung in den Geschäftsräumen daran scheitert, dass sie nicht geöffnet haben (vgl. BGH und BVerwG, jeweils a.a.O.).


Die Kläger haben keinen Anspruch auf Wiedereinsetzung in die versäumte Klagefrist.


Gemäß § 60 Abs. 1 VwGO ist auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Dabei steht das Verschulden des Bevollmächtigten dem Verschulden der Partei gleich (§ 173 VwGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO). Lediglich für ein Verschulden von Hilfspersonen, denen sich ihr Bevollmächtigter zur Erfüllung seiner Pflichten bedient, hat die Partei nicht einzustehen. Die Versäumung der Klagefrist beruht hingegen nicht auf einem ausschließlichen Verschulden der Rechtsanwaltsfachangestellten ****, sondern - zumindest auch - auf einem eigenen Verschulden des Bevollmächtigten der Kläger. Der Bevollmächtigte muss sich vorhalten lassen, die aus anwaltlicher Sorgfaltspflicht gebotene Fristkontrolle schuldhaft unterlassen zu haben.


Nach seinem Vorbringen ist es zur Versäumung der Klagefrist dadurch gekommen, dass der Zeitpunkt, zu dem die Klagefrist in Lauf gesetzt worden ist (Zustellung des Widerspruchsbescheids am 12. Januar 2008) nicht zutreffend ermittelt und notiert und daraufhin die Klagefrist falsch berechnet worden ist. In der Handakte sei lediglich auf dem Anschreiben der Spruchstelle für Flurbereinigung vom 10. Januar 2008 und dem Widerspruchsbescheid ein Eingangsstempel vom 14. Januar 2008 aufgebracht worden. Der Umschlag der zugestellten Schriftstücke sei nicht zur Akte geheftet worden. In der mündlichen Verhandlung hat der Bevollmächtigte ergänzt, dass ihm die Akte bei Eingang des Widerspruchsbescheids nicht vorgelegt worden sei. Er habe die Akte auch in der Folgezeit nicht eingesehen, sondern lediglich mit dem Kläger telefoniert und den Auftrag entgegengenommen, Klage einzureichen. Zu dem Termin der Vorfrist sei ihm die Akte ebenfalls nicht ausgehändigt worden. Wie in seiner Kanzlei üblich, seien ihm lediglich die mit Vorfrist notierten Verfahren genannt worden. Er habe sich dann im vorliegenden Fall - ohne Einsicht in die Akte - dazu entschieden, dass die geforderte Prozesshandlung (Klageerhebung) noch bei Vorlage am letzten Tag der notierten Frist (14. Februar 2008) erfolgen könne. Diese Verfahrensweise genügt nicht den in der Rechtsprechung verlangten Anforderungen an die von einem Rechtsanwalt eigenverantwortlich vorzunehmende Fristkontrolle.


Zunächst kann dem Bevollmächtigten allerdings kein (Organisations)Verschulden dergestalt vorgehalten werden, dass er es für den Fall des Zugangs förmlich zugestellter Schreiben an den erforderlichen organisatorischen Anweisungen hat fehlen lassen. Insofern ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass es die ordnungsgemäße und insbesondere fristgerechte Erfüllung des Rechtsmittelauftrags erfordert, das für den Lauf der Rechtsbehelfsfrist maßgebliche Datum der Zustellung des Bescheids in einer jeden Zweifel ausschließenden Weise zu ermitteln und festzuhalten (vgl. BGH, Beschluss vom 5. November 2002, NJW 2003, 435 und juris; Beschluss vom 16. April 1996, NJW 1996, 1968 und juris, jeweils m.w.N. - für den Fall der Rechtsmittelfrist -). Ohne die korrekte Erfassung des Zustellungsdatums ist eine Überprüfung der Fristberechnung nicht möglich. Dafür reicht es keineswegs aus, eine mit einem Eingangsstempel versehene Ausfertigung des Bescheids zu den Handakten zu nehmen. Denn ein solcher Stempel besagt für den Zeitpunkt der Zustellung nichts (vgl. BGH, Beschluss vom 5. November 2002, a.a.O., Rn. 11).


Demzufolge hat der Rechtsanwalt durch ausreichende Anweisungen seiner Kanzleikräfte dafür Sorge zu tragen, dass beim Empfang zugestellter Schriftstücke das Datum der Zustellung in der Akte zweifelsfrei nachgewiesen wird. Dies hat bei der Zustellung eines Bescheids oder eines Urteils gegen Empfangsbekenntnis dadurch zu geschehen, dass ein besonderer Vermerk über das Datum angefertigt wird, zu dem das Empfangsbekenntnis unterzeichnet worden ist (vgl. BGH, Beschluss vom 5. November 2002, a.a.O., Rn. 9). Bei der Zustellung durch die Post mit Zustellungsurkunde - wie hier - hat der Nachweis des Zustellungsdatums in der Handakte des Rechtsanwalts aus Gründen anwaltlicher Sorgfalt dadurch zu erfolgen, dass der Umschlag des zugestellten Schreibens zur Akte geheftet wird. Dieses Vorgehen entspricht im Übrigen auch den Hinweisen auf dem für diese Art der Zustellung verwendeten Umschlag.


Der Bevollmächtigte der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung erklärt, dass in seiner Kanzlei die strikte Anweisung herrsche, die Umschläge förmlich zugestellter Schreiben in der jeweiligen Handakte aufzubewahren. Mit dieser allgemeinen Anweisung und der regelmäßigen Kontrolle, ob die Anweisung von den Kanzleikräften auch erfüllt wird, hat der Bevollmächtigte der Kläger jedoch die an die anwaltliche Fristenkontrolle zu stellenden Anforderungen noch nicht erfüllt.


Wie in der Rechtsprechung ebenfalls allgemein anerkannt, hat der Rechtsanwalt die Einhaltung der Rechtsbehelfsfristen im jeweiligen Verfahren eigenverantwortlich zu prüfen. Dabei hat er insbesondere zu kontrollieren, ob das Fristende richtig ermittelt und eingetragen worden ist. Dies hat spätestens dann zu geschehen, wenn ihm die Akten bei der Vorbereitung einer fristwahrenden Prozesshandlung vorgelegt werden (vgl. BGH, Beschluss vom 15. August 2007 - XII CB 57/07 - juris, Rn. 7; Beschluss vom 11. Dezember 1991, NJW 1992, 841 juris, Rn. 6). Diese Pflicht zur eigenverantwortlichen Prüfung, ob das Fristende richtig ermittelt und eingetragen worden ist, trifft den Rechtsanwalt insbesondere dann, wenn ihm die Akten auf Vorfrist zur Bearbeitung vorgelegt werden (vgl. BGH, Beschluss vom 25. April 2007, NJW 2007, 2332 und juris, Rn. 7). Diese Prüfung muss zwar nicht sofort erfolgen, weil die Vorfrist gerade den Sinn hat, dem Rechtsanwalt einen gewissen Spielraum zur Bearbeitung bis zum endgültigen Ablauf der Frist zu verschaffen. Sie kann daher auch noch am folgenden Tag vorgenommen werden. Soll die Prüfung Sinn machen, darf sie jedoch nicht bis zum letzten Tag der Frist zurückgestellt werden. Die Prüfungspflicht entsteht mit Vorlage der Akten zur Vorfrist unabhängig davon, ob sich der Rechtsanwalt daraufhin zur sofortigen Bearbeitung der Sache entschließt. Denn die Vorfrist dient dem Zweck, die Einhaltung der Hauptfrist zu sichern (vgl. zum Vorstehenden insgesamt: BGH, Beschluss vom 25. April 2007, a.a.O., Rn. 7 und 8).


Im vorliegenden Fall hat der Bevollmächtigte der Kläger dadurch in schuldhafter Weise seine Sorgfaltspflichten verletzt, dass er die Akten am Tag der Vorfrist nicht zur Hand genommen und sich somit der von ihm geforderten Prüfmöglichkeit begeben hat (vgl. zu einer ähnlichen Fallgestaltung: BayVGH, Beschluss vom 15. November 2007 - 16 b D 07.952 -, juris, Rn. 38). Der Bevollmächtigte war dieser Verpflichtung nicht deshalb enthoben, weil er die ordnungsgemäße Berechnung der Rechtsbehelfsfristen bereits vorher überprüft hatte. Denn nach seinem Vorbringen in der mündlichen Verhandlung war ihm die Akte im Anschluss an die Zustellung des Widerspruchsbescheides noch nicht vorgelegt worden. Er hatte deshalb umso mehr Anlass, zum Vorfristtermin Einsicht in die Akte zu nehmen. Wäre dies geschehen, hätte der Bevollmächtigte bei der gebotenen Sorgfalt erkennen müssen, dass der Widerspruchsbescheid gegen Zustellungsurkunde zugestellt worden (vgl. hierzu das Adressfeld im Anschreiben der Spruchstelle für Flurbereinigung vom 10. Januar 2008) und das exakte Zustellungsdatum mangels Abheftung des - mit dem Zustellungsvermerk versehenen - Umschlags nicht nachweisbar war. Bei diesem Befund hätte sich der Prozessbevollmächtigte - wie oben dargelegt - nicht darauf verlassen dürfen, dass der Eingangsstempel auf diesem Schreiben mit dem Zustellungsdatum identisch ist. Vielmehr hätte er das Fehlen eines zweifelsfreien Nachweises über das Zustellungsdatum zum Anlass nehmen müssen, Erkundigungen hierüber einzuholen.


Indem der Bevollmächtigte sich im vorliegenden Verfahren vollständig auf die Fristberechnung durch seine Kanzleiangestellte verlassen und zu keinem Zeitpunkt eine eigenverantwortliche Überprüfung der Fristberechnung vorgenommen hat, ist ihm die Versäumung der Klagefrist als eigenes Verschulden zuzurechnen, was die begehrte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ausschließt.