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von Anonymer Benutzer

RzF - 114 - zu § 138 Abs. 1 Satz 2 FlurbG

Flurbereinigungsgericht Koblenz, Urteil vom 29.01.1988 - 9 C 43/86

Aktenzeichen 9 C 43/86 Entscheidung Urteil Datum 29.01.1988
Gericht Flurbereinigungsgericht Koblenz Veröffentlichungen Lieferung N/A

Leitsätze[Quelltext bearbeiten]

1. Ein Vergleich zur Beendigung des Widerspruchsverfahrens vor der Spruchstelle für Flurbereinigung ist zulässig; seine Wirksamkeit beurteilt sich nach den vertragsrechtlichen Vorschriften des Verwaltungs- und Zivilrechts.
2. Auf die Anfechtung eines Vergleichs vor der Spruchstelle sind die Regeln für die Anfechtung eines Prozeßvergleichs entsprechend anwendbar.

Aus den Gründen

Die Spruchstelle für Flurbereinigung ist zutreffend davon ausgegangen, daß der von dem Kläger wiederaufgenommene Widerspruch unzulässig war. Der Inhalt der in die Niederschrift am 11.06.1986 aufgenommenen Erklärungen des Klägers in Verbindung mit dem Schreiben der Spruchstelle vom 08.07.1986 stellt sich als einen Prozeßvergleich dar, durch den das Widerspruchsverfahren beendet worden ist. Gegen einen solchen im Vorverfahren abgeschlossenen Vertrag, mit dem zur Beseitigung einer bestehenden Ungewißheit hinsichtlich der Sach- und Rechtslage ein bestimmter Inhalt des Flurbereinigungsplans vereinbart und der eingelegte Rechtsbehelf zurückgenommen wird, bestehen grundsätzlich keine rechtlichen Bedenken. Die Zulässigkeit eines derartigen Vergleiches öffentlich-rechtlicher Natur ist nunmehr ausdrücklich in § 55 des Verwaltungsverfahrensgesetzes - VwVfG - vom 25.05.1976 (BGBl. I S. 1253) geregelt. Dem verwaltungsrechtlichen Vergleich dieser Art kommt eine doppelte Rechtswirkung zu. Zum einen beschränkt er die materiell-rechtlichen Ansprüche des Widerspruchsführers auf das, was in dem anerkannten Flurbereinigungsplan und darüber hinaus vergleichsweise geregelt ist. Das bedeutet, daß der Teilnehmer in diesen Fällen auf die durch den Vergleich herbeigeführte neue materiell-rechtliche Grundlage angewiesen ist und nicht mehr auf seinen gesetzlichen Abfindungsanspruch nach § 44 FlurbG zurückgreifen kann. Zum anderen wird durch den abgeschlossenen Vergleich das Widerspruchsverfahren beendet mit der verfahrensrechtlichen Folge, daß das Widerspruchsrecht erlischt (vgl. zur Doppelnatur des gerichtlichen Vergleiches BVerwGE 14, 104; 28, 334). Im Gegensatz zu der bloßen Rücknahme des Widerspruchs, die sich als Prozeßhandlung charakterisiert und daher nicht angefochten werden kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 21.03.1979 - 6 C 10/78 - in NJW 1980, S. 135), beurteilt sich die Rechtswirksamkeit des Prozeßvergleichs nach materiell-rechtlichen Bestimmungen, da dieser nicht nur prozessual-rechtliche Bedeutung hat, sondern die materiell-rechtlichen Beziehungen zwischen den Beteiligten auf eine neue Grundlage stellt. Im vorliegenden Fall spricht indessen nichts dafür, das der zwischen dem Kläger und dem Beklagten abgeschlossene Vergleich unwirksam ist.

Insbesondere ergibt sich die Unwirksamkeit des abgeschlossenen Vergleichs nicht etwa daraus, das ihm die Ehefrau des Klägers ihre Mitwirkung versagt hat. Unstreitig hatte diese nämlich kein Miteigentum an dem Einlagebesitz des Klägers, so daß eine derartige Rechtsposition bei der Gestaltung der Landabfindung nicht gewahrt werden mußte. Der Kläger beruft sich auch zu Unrecht auf die §§ 1365, 1366 BGB, wonach sich ein Ehegatte nur mit Einwilligung bzw. mit - nachträglicher - Genehmigung rechtswirksam verpflichten kann, über sein Vermögen im ganzen zu verfügen. Eine Verpflichtung dieses Inhalts ist der Kläger jedoch offensichtlich nicht eingegangen, da er trotz Aufforderung durch die Spruchstelle für Flurbereinigung nicht bestätigen konnte, daß es sich bei seinem verfahrensbeteiligten Grundbesitz um sein gesamtes Vermögen handelt.

Die von den Beteiligten vorgetragenen gesamten Umstände, die zu dem Abschluß des Prozeßvergleichs geführt haben, rechtfertigen auch nicht den Schluß, daß der Kläger im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses etwa geschäftsunfähig i. S. d. § 104 Nr. 2 BGB war. Es kann hier zwar unterstellt werden, daß der Kläger vor der Verhandlung mit den Vertretern der Spruchstelle für Flurbereinigung eine Zeitlang warten mußte, und daß er in dieser Zeit alkoholische Getränke zu sich genommen hat. Aus diesem Umstand kann jedoch seine Geschäftsunfähigkeit nicht geschlossen werden. Zum einen beschränkte sich nämlich die genannte Wartezeit unstreitig auf nur 15 Minuten, so daß der Genuß größerer Mengen alkoholischer Getränke nicht angenommen werden kann. Der an dem Termin vom 11.06.1986 beteiligte Vorsitzende der Spruchstelle für Flurbereinigung hat im übrigen unwidersprochen vorgetragen, daß der Kläger seine Interessen in jenem Termin ohne Ausfallerscheinungen wahrgenommen hat. Es kommt hinzu, daß der Kläger diesen Einwand erst im Laufe des Verwaltungsrechtsstreits geltend gemacht hat, nachdem er sich zunächst auf verschiedene andere rechtliche Gesichtspunkte berufen hatte. Unter diesen Umständen vermag der Senat seinen Ausführungen nicht zu folgen, zumal er selbst nicht behauptet hat, in einem hochgradig alkoholisierten Zustand gewesen zu sein, der ihm die Wahrnehmung seiner Interessen nicht mehr ermöglicht hätte.

Auch liegen keine Gründe vor, die den Kläger zur Anfechtung der von ihm abgegebenen Willenserklärung berechtigen könnten. Dies gilt zunächst für § 123 Abs. 1 BGB, wonach demjenigen ein Anfechtungsrecht zusteht, der zur Abgabe einer Willenserklärung durch arglistige Täuschung oder widerrechtlich durch Drohung bestimmt worden ist. Diese gesetzlichen Voraussetzungen sind hier indessen nicht gegeben. Es mag zwar sein, daß die Vertreter der Spruchstelle für Flurbereinigung dem Kläger gegenüber ihren Rechtsstandpunkt dargelegt und das nach ihrer Auffassung für ihn bestehende Kostenrisiko hervorgehoben haben. In diesem Umstand ist jedoch weder eine arglistige Täuschung noch eine widerrechtliche Drohung zu sehen. Dadurch ist der Kläger nicht in unzulässiger Weise in seiner freien Willensbildung beeinflußt worden. Es kann der Behörde nämlich bei unterschiedlicher Beurteilung der Sach- und Rechtslage nicht verwehrt sein, ihren Standpunkt gegebenenfalls auch nachdrücklich darzulegen.

Schließlich ergeben sich aus den vorgetragenen Umständen auch keine Anhaltspunkte dafür, daß dem Kläger ein Anfechtungsrecht wegen Irrtums nach § 119 BGB zusteht. Nach § 119 Abs. 1 BGB kann zwar derjenige eine Willenserklärung anfechten, wenn er bei ihrer Abgabe über ihren Inhalt im Irrtum war oder eine Erklärung dieses Inhalts überhaupt nicht abgeben wollte und er diese Erklärung bei Kenntnis der Sachlage und bei verständiger Würdigung des Falles nicht abgegeben haben würde. Diese gesetzlichen Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall jedoch nicht gegeben. Denn der Kläger selbst hat nicht einmal vorgetragen, daß er über die in der Niederschrift vom 11.06.1986 enthaltenen Erklärungen im Irrtum war. Sein Vorbringen, daß seinem Altbesitz ein höherer Wert hätte beigemessen werden müssen, läßt sich lediglich als Motivirrtum beurteilen, der grundsätzlich unbeachtlich ist. Nach § 119 Abs. 2 BGB gilt als Irrtum über den Inhalt der Erklärung zwar auch der Irrtum über solche Eigenschaften der Person oder der Sache, die im Verkehr als wesentlich angesehen werden. Es mag sein, daß bei einer in der Flurbereinigung abgegebenen Geldabfindungserklärung nach § 52 FlurbG Eigenschaften des Einlagebesitzes eine entscheidende Rolle spielen können. Als Eigenschaft i. S. d. § 119 Abs. 2 BGB kommen jedoch nur wertbildende Faktoren, soweit sie die Sache unmittelbar kennzeichnen, in Betracht. Nicht dagegen kann der Wert einer Sache, der sich aus verschiedenen wertbildenden Faktoren herleitet, als Eigenschaft im Sinne der genannten Vorschrift angesehen werden (vgl. Palandt-Heinrichs, BGB, 47. Aufl., Anm. 6 g zu § 119). Im vorliegenden Fall behauptet der Kläger, daß er bei dem Abschluß des Prozeßvergleichs von einem zu geringen Wert seines Altbesitzes ausgegangen sei. Aus diesem Vorbringen läßt sich deshalb unter Berücksichtigung der vorangegangenen Rechtsausführungen keinesfalls auf einen Irrtum über eine rechtserhebliche Eigenschaft des Einlagebesitzes schließen.

Ist der Prozeßvergleich zwischen dem Kläger und dem Beklagten somit rechtswirksam und unanfechtbar zustandegekommen, so war es der Widerspruchsbehörde verwehrt, das Widerspruchsverfahren nach seiner Beendigung fortzusetzen. Dies bedeutet zugleich, daß der Kläger auch in materiell-rechtlicher Hinsicht nur das geltend machen kann, was in dem Prozeßvergleich inhaltlich in beiderseitigem Einvernehmen geregelt worden ist. Deshalb entbehrt auch sein hilfsweises Klagebegehren jeglicher Rechtsgrundlage. Auf seine Einwendungen, daß der Flurbereinigungsplan keine wertgleiche Landabfindung im Sinne der Abfindungsgrundsätze des § 44 FlurbG enthalte, kommt es daher nicht mehr an.