Finanzgericht Kassel, Urteil vom 27.02.1975 - V 121/72
Aktenzeichen | V 121/72 | Entscheidung | Urteil | Datum | 27.02.1975 |
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Gericht | Finanzgericht Kassel | Veröffentlichungen | Lieferung | N/A |
Leitsätze[Quelltext bearbeiten]
1. | Der Erwerb eines Grundstückes durch eine Teilnehmergemeinschaft in einer Zwangsversteigerung dient der Durchführung der Flurbereinigung und ist nach § 11 a des HessAGFlurbG (GVBl. 1955 S. 35) grunderwerbsteuerfrei. |
Aus den Gründen
In dem Versteigerungstermin am 8.1.1970 vor dem Amtsgericht E. (Aktenzeichen 3 K 1/69) ist die Teilnehmergemeinschaft im Flurbereinigungsverfahren N. die Klägerin für das im Grundbuch von N. in Band 22 Blatt 862 eingetragene 44,43 ar große Grundstück lfd. Nr. 3 Flur 10 Flurstück 74 mit einem Bargebot von 1 050,-- DM Meistbietende geblieben. Durch Steuerbescheid vom 9.3. 1970 zog daraufhin der Beklagte die Klägerin aufgrund des Zuschlagsbeschlusses vom 15.1.1970 zu einer Grunderwerbsteuer (GrESt) in Höhe von (7 % von 1 050,-- DM =) 73,50 DM heran. Der dagegen eingelegte Einspruch blieb ohne Erfolg..
Die Klage ist auch begründet.
Grundlage für die Steuerbefreiung ist nicht § 108 FlurbG. Das Flurbereinigungsgesetz als Bundesgesetz regelt die Flurbereinigung ländlichen, d. h. landwirtschaftlichen oder forstwirtschaftlichen Grundbesitzes. Seine in § 108 FlurbG geregelte Gebühren- und Steuerbefreiung konnte nicht die der Gesetzgebungshoheit der Länder unterliegende GrESt umfassen (s. Boruttau/Klein, Grunderwerbsteuergesetz, § 4 Tz. 68, § 1 Tz. 7). Durch Artikel I Nr. 3 Buchstabe a des 21. Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes - Finanzreformgesetz - vom 12.5.1969 (Bundesgesetzblatt I 1969, 359) ist zwar Artikel 105 Abs. 2 des Grundgesetzes mit Wirkung vom 1.1.1970 (Artikel II) neu gefaßt worden. Der Bund hat danach auch bezüglich der GrESt die konkurrierende Gesetzgebungsbefugnis, hat aber davon insoweit noch keinen Gebrauch gemacht. Für die Umlegung landwirtschaftlichen Grundbesitzes gelten demnach weiterhin die von den einzelnen Ländern getroffenen Anordnungen, für Hessen also § 11 a HessAGFlurbG.
Die Voraussetzungen für eine Anwendung des § 11 a HessAGFlurbG liegen vor, denn bei dem Grundstückserwerbsvorgang vom 8.1.1970, der Abgabe des Meistgebots, handelt es sich um ein Geschäft bzw. eine Verhandlung, die der Durchführung der Flurbereinigung diente. Zur Klarstellung muß darauf hingewiesen werden, daß an sich das Meistgebot im Zwangsversteigerungsverfahren und nicht, wie der Beklagte im Steuerbescheid und in der Einspruchsentscheidung zum Ausdruck gebracht hat, der Zuschlagsbeschluß den steuerbaren Erwerbsvorgang darstellt (§ 1 Abs. 1 Nr. 4 des Hessischen Grunderwerbsteuergesetzes in der Fassung vom 31.5.1965 - GrEStG -). Da es sich jedoch um denselben die GrESt auslösenden Sachverhalt handelt, ist der unrichtige Hinweis auf den Zuschlagsbeschluß unschädlich. Die Abgabe des Meistgebots ist an sich bei strenger Anlehnung an den Wortlaut des Gesetzes kein "Geschäft" und keine "Verhandlung". Nach Auffassung des Gerichts sind die Begriffe "Geschäfte und Verhandlungen" nach dem Sinn und Zweck des Gesetzes weit auszulegen; sie umfassen alle in § 1 Abs. 1 GrEStG aufgezählten Erwerbsvorgänge. Andernfalls würde die Mehrzahl der mit dem FlurbG zusammenhängenden Grundstückserwerbsvorgänge nicht von § 11 a HessAGFlurbG erfaßt werden. Denn im Regelfall erfolgen die im Zusammenhang mit dem FlurbG stehenden an sich steuerbaren Erwerbsvorgänge aufgrund des Flurbereinigungsbeschlusses, d. h. ebenfalls nicht aufgrund eines Geschäftes oder einer Verhandlung im strengen Wortsinn.
Es ist dem Beklagten darin zu folgen, daß die Geschäfte und Verhandlungen, wenn sie der GrESt-Befreiung nach § 11 a HessAGFlurbG zuteil werden sollen, unmittelbar der Durchführung der Flurbereinigung dienen müssen. Dies haben der RFH in dem Urteil vom 6.5.1938 und der BFH in dem Urteil vom 14.12.1960 II 30/59 U (BStBl. III 1961, 105) zu dem nach dem Wortlaut fast gleichlautenden und nach dem Sinn und Zweck des Gesetzes gleichlautenden § 29 RSiedlG ausdrücklich ausgesprochen (s. auch die Urteile des RFH vom 27.3.1941 II 13/41, RStBl. 1941, 416, und des BFH vom 14.6.1961 II 154/58, BStBl. III 1961, 440, zu § 4 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a GrEStG, sowie des BFH vom 2.4.1952 II 21/52, BStBl. III 1952, 133, zur Verordnung über den Erlaß von GrESt auf dem Gebiete der Wasserwirtschaft vom 22.8.1922 - d. h. zu dem § 11 a HessAGFlurbG ähnlichen Gesetzesbestimmungen). Im vorliegenden Fall diente der Grunderwerb unmittelbar der Durchführung der Flurbereinigung. Das FlurbG bezweckt nicht nur die Zusammenlegung und wirtschaftliche Gestaltung zersplitterten oder unwirtschaftlich geformten ländlichen Grundbesitzes nach neuzeitlichen betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten, sondern auch die Förderung der allgemeinen Landeskultur durch landeskulturelle Maßnahmen (§ 1, § 18 Abs. 1, § 37, Abs. 1 und 2, § 39 FlurbG). Zu den gemeinschaftlichen und öffentlichen Anlagen, die im Interesse der allgemeinen Landeskultur zum Wohle der Allgemeinheit geschaffen werden sollen, gehören u. a. auch öffentliche Wege (§ 40 FlurbG). Wie die Klägerin vorgetragen hat, war der Erwerb des Grundstücks notwendig, um - bei weitestgehender Schonung des von den Beteiligten an der Flurbereinigung eingebrachten Landes - Feldwege ausbauen und die Landesstraße 3242 verlegen zu können. Die Klägerin hat demnach das Grundstück erworben, um die Erfüllung eines vom FlurbG geforderten Zwecks zu verwirklichen, d. h. um die Flurbereinigung unmittelbar durchzuführen. Dabei spielt es keine Rolle, ob das Grundstück für die Anlage oder für den Ausbau von öffentlichen Wegen und Straßen verwandt oder Teilnehmern an der Flurbereinigung zugeschlagen worden ist; denn in beiden Fällen hat es unmittelbar der Durchführung der Flurbereinigung gedient. Unerheblich ist es auch, daß das Grundstück von der Klägerin zu Eigentum erworben und nicht durch Eintritt der Rechtskraft des Flurbereinigungsplanes (§ 61 FlurbG) auf den (die) Teilnehmer, zu denen auch die Teilnehmergemeinschaft als solche gehören kann (s. z. B. § 42 Abs. 2 FlurbG), übergegangen ist. § 11 a HessAGFlurbG setzt nicht voraus, daß es sich um Geschäfte und Verhandlungen nach dem Flurbereinigungsgesetz handeln muß; dann fielen in der Tat, wie der Beklagte meint, nur Grunderwerbsvorgänge nach § 61 FlurbG unter die GrESt-Befreiungsvorschrift.
Die genannte Bestimmung verlangt vielmehr nur, daß es sich um die Durchführung der Flurbereinigung nach dem Flurbereinigungsgesetz handelt. Das ist der Fall, denn es handelte sich um eine Flurbereinigung durch eine Teilnehmergemeinschaft aufgrund Flurbereinigungsbeschlusses (§ 16 FlurbG) nach einem Flurbereinigungsplan (§ 58 FlurbG).
Die getroffene Entscheidung steht nicht in Widerspruch zur Rechtsprechung des BFH, denn zu § 11 a HessAGFlurbG sind bisher weder höchstrichterliche Entscheidungen noch solche des Hessischen Finanzgerichtes ergangen. Die Entscheidung steht auch nicht in Widerspruch zur Rechtsprechung des RFH und BFH zu ähnlichen GrESt-Befreiungsvorschriften, z. B. zu den Bestimmungen des § 29 RSiedlG und des § 4 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a GrEStG. Ganz abgesehen davon, daß die zu diesen Bestimmungen ergangenen Entscheidungen andersgelagerte Sachverhalte zum Gegenstand hatten, so daß sie auf den vorliegenden Fall nicht ohne weiteres angewandt werden können, beweisen sie, daß es jeweils auf den einzelnen zu entscheidenden Fall ankommt, ob die Befreiungsvorschrift angewandt werden kann oder nicht. Alle diese Entscheidungen zeigen auf, daß es entscheidend auf den Zweck des Gesetzes und darauf ankommt, ob der Erwerbsvorgang der Zweckerfüllung des Gesetzes unmittelbar dient. Im vorliegenden Falle diente der Grunderwerb, wie dargelegt, unmittelbar der Durchführung der Flurbereinigung nach dem Flurbereinigungsgesetz.
Ganz abgesehen davon, daß das Gericht nicht an den vom Beklagten angeführten Erlaß des Bayerischen Staatsministeriums der Finanzen zur Steuerbefreiung bei der Durchführung der Flurbereinigung vom 9.11.1957 (BStBl. II 1958, 2) gebunden ist, läßt der Erlaß nicht eindeutig erkennen, ob ein Fall wie der vorliegende grunderwerbsteuerfrei (I 1) oder grunderwerbsteuerpflichtig sein soll (I 2), da er von dem Erlaß nicht ausdrücklich erfaßt wird.