Bundesfinanzhof, Urteil vom 24.06.1964 - II 125/61 U = BStBl. 1964 III S. 446
Aktenzeichen | II 125/61 U | Entscheidung | Urteil | Datum | 24.06.1964 |
---|---|---|---|---|---|
Gericht | Bundesfinanzhof | Veröffentlichungen | = BStBl. 1964 III S. 446 | Lieferung | N/A |
Leitsätze[Quelltext bearbeiten]
1. | Unter "Geschäften" im Sinne von § 108 Abs. 1 und 2 FlurbG sind nicht nur Rechtsgeschäfte, sondern auch tatsächliche Handlungen zu verstehen, die in unmittelbarer Erfüllung eines Rechtsgeschäftes vorgenommen werden. |
2. | Vorgänge, die eine Beförderungssteuerpflicht begründen, können "Geschäfte" im Sinne von § 108 FlurbG sein. |
3. | Es besteht kein Rechtsgrundsatz, wonach Steuerbefreiungsvorschriften eng auszulegen sind. Es gelten vielmehr auch insoweit die allgemeinen Auslegungsregeln. |
Aus den Gründen
Streitig ist, ob bei Werkfernverkehr, der zur Anlieferung der Güter bei ihrem Abnehmer dient, die Vorschrift des § 108 Abs. 2 FlurbG anzuwenden ist.
Der Bf. lieferte im Werkfernverkehr Grenzsteine an Flurbereinigungsbehörden und Teilnehmergemeinschaften. Die Flurbereinigungsbehörden versicherten nach den Feststellungen des Finanzgerichts gem. § 108 Abs. 2 FlurbG, daß es sich bei den Lieferungen um Geschäftsvorgänge handele, die der Durchführung der Flurbereinigung dienten. Der Bf. war daher der Auffassung, daß die Beförderung der Steine beförderungssteuerfrei sei. Er meldete deshalb diese Werkfernverkehrsfahrten nicht zur Versteuerung an. Das Finanzamt, das als Beförderungssteuerstelle der Oberfinanzdirektion anläßlich einer Betriebsprüfung von diesem Sachverhalt Kenntnis erlangte, stellte sich auf den Standpunkt, daß der Unternehmer in derartigen Fällen an die Teilnehmergemeinschaft unmittelbar nur eine Lieferung, aber keine Beförderungsleistung erbringe. Im Werkfernverkehr durchgeführte Beförderungen fielen daher nicht unter § 108 FlurbG.
Wie auch der Bf. nicht bestreitet, besteht die Steuerforderung zu Recht, wenn im Streitfall nicht auf Grund von § 108 FlurbG Steuerfreiheit zu gewähren ist. Nach Abs. 2 der Vorschrift ist u.a. die Steuerfreiheit von der zuständigen Behörde ohne Nachprüfung anzuerkennen, wenn die Flurbereinigungsbehörde versichert, daß ein Geschäft oder eine Verhandlung der Durchführung der Flurbereinigung dient.
Nach der ständigen Rechtsprechung von Reichsfinanzhof und Bundesfinanzhof zu der ähnlich lautenden Bestimmung des § 29 Abs. 2 des Reichssiedlungsgesetzes - RSiedlG - (BGBl III 2331 - 1) bindet eine nach § 29 Abs. 2 RSiedlG abgegebene Versicherung die Finanzbehörden nur in tatsächlicher, nicht auch in rechtlicher Hinsicht. Dies gilt auch für die hier zu beurteilende Vorschrift des § 108 FlurbG. Wenn in den Versicherungen der zuständigen Behörde bescheinigt ist, daß die Lieferung von Grenzsteinen zur Durchführung der Flurbereinigung dient, so kann daher von den Finanzbehörden, wie das Finanzgericht nicht verkannt hat, nicht mehr selbständig geprüft werden, ob die Steine geliefert worden sind und ob sie unmittelbar der Flurbereinigung dienten. Dagegen haben die Finanzverwaltungsbehörden und Steuergerichte u.a. darüber zu befinden, ob die Bescheinigungen über die Lieferungen der Flursteine die Beförderungsvorgänge mitumfassen und ob diese Vorgänge gegebenenfalls Geschäfte oder Verhandlungen im Sinne von § 108 Abs. 2 FlurbG darstellen.
Die Sache ist spruchreif. Auf Grund der dem Senat nunmehr zustehenden Möglichkeit zur selbständigen Beweiserhebung hat der Vorsitzende des Senats von dem Bf. einige Bescheinigungen angefordert. Aus diesen, im Wortlaut im wesentlichen übereinstimmenden Versicherungen des Vorstehers des zuständigen Amtes für Flurbereinigung und Siedlung ergibt sich, daß die Zweckdienlichkeit der Lieferungen "frei vorgenannter Flurbereinigung für .. Stück Hartbasaltlava-Grenzsteine" bescheinigt worden ist. Aus der Wendung "frei vorgenannter Flurbereinigung" in den Rechnungen an die Teilnehmergemeinschaften folgt, daß der Bf. vertraglich verpflichtet war, die Steine der Teilnehmergemeinschaft nicht nur zu übereignen, sondern sie auch anzuliefern. Die Bescheinigungen umfassen somit auch die Beförderungsvorgänge.
Die Befreiungsvorschrift ist daher im Streitfall anzuwenden, falls der Gegenstand der Besteuerung im Beförderungssteuerrecht als Geschäft im Sinne des § 108 Abs. 1 FlurbG anzusehen ist.
Gegenstand der Besteuerung nach den hier maßgebenden Beförderungssteuergesetzen von 1926 und 1955 ist der Beförderungsvorgang unter den vom Gesetz näher bestimmten Voraussetzungen, nicht etwa der Beförderungsvertrag. Derartige tatsächliche Vorgänge können ein Geschäft im Sinne der Befreiungsvorschrift darstellen. Der Auffassung der Vorinstanz, daß unter einem Geschäft nur Rechtsgeschäfte, Rechtsvorgänge und rechtsgeschäftliche Handlungen zu verstehen seien, kann nicht gefolgt werden. Hätte der Gesetzgeber den Kreis der begünstigten Vorgänge so stark einengen wollen, so hätte er dafür mit Sicherheit den im juristischen Sprachgebrauch allgemein üblichen Begriff des "Rechtsgeschäfts" verwendet. Daß er diesen bekannten Begriff nicht gebrauchte, sondern statt dessen den in der juristischen Terminologie wenig gebräuchlichen Begriff des "Geschäfts" verwendet hat, spricht nach der Überzeugung des Senats dafür, daß nicht nur rechtsgeschäftliche Vorgänge, sondern auch sonstige Vorgänge, die eine Steuerpflicht begründen, in den Genuß der Steuerfreiheit kommen sollen.
Bei Anwendung dieser Grundsätze besteht keine Veranlassung, alle Beförderungsvorgänge von der Steuerbefreiung auszunehmen, wie es geschehen müßte, wenn unter "Geschäften" nur rechtsgeschäftliche Vorgänge verstanden werden könnten. Das Finanzgericht hat von seinem Standpunkt aus nicht ganz folgerichtig zu erkennen gegeben, daß es in Fällen, in denen die Beförderungen auf Grund eines Vertrages mit einem Dritten im Güterfernverkehr ausgeführt werden, die Anwendung der Befreiungsvorschrift nicht für ausgeschlossen hält, da die Beförderungen in diesen Fällen auf Grund eines Rechtsgeschäftes ausgeführt werden. Dieser Meinung ist zuzustimmen. Das gleiche gilt aber auch, wenn ein Unternehmer sich der Teilnehmergemeinschaft oder der zuständigen Behörde gegenüber vertraglich außer zur Lieferung oder Leistung auch zu einer Beförderung der der Flurbereinigung dienenden Gegenstände verpflichtet. Dagegen kann für rein tatsächliche, innerbetriebliche Vorgänge die Steuerbefreiung nicht gewährt werden, denn der Begriff "Geschäft" besagt, daß nur solche Lieferungen, Leistungen oder sonstige Handlungen von der Steuer befreit sein sollen, die entweder selbst ein Rechtsgeschäft darstellen oder die in Erfüllung von solchen rechtsgeschäftlichen Verpflichtungen ausgeführt werden, die unmittelbar der Flurbereinigung dienen. Beförderungen, die auf Grund einer der Teilnehmergemeinschaft oder Flurbereinigungsbehörde gegenüber eingegangenen Verpflichtung zur Beförderung bestellter Gegenstände ausgeführt werden, sind aber entgegen der Ansicht der Vorinstanz keine rein innerbetrieblichen Vorgänge. In derartigen Fällen beruht die Beförderung nämlich nicht nur auf einer nur internen Anordnung, sondern sie erfolgt - und zwar unmittelbar - in Erfüllung eines Rechtsgeschäfts, das der Flurbereinigung dient. Da nicht bezweifelt werden kann, daß die Grenzsteine zur Durchführung der Flurbereinigung erforderlich sind und daß diese Steine, um ihren Zweck erfüllen zu können, auf den der Flurbereinigung unterworfenen Grund und Boden gebracht werden müssen, hat auch die Beförderung der Grenzsteine unmittelbar der Flurbereinigung gedient.