Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 03.06.1961 - I B 19.61 = RdL 1961 S. 190= DVBl. 1961 S. 551

Aktenzeichen I B 19.61 Entscheidung Beschluss Datum 03.06.1961
Gericht Bundesverwaltungsgericht Veröffentlichungen RdL 1961 S. 190 = DVBl. 1961 S. 551  Lieferung N/A

Leitsätze[Quelltext bearbeiten]

1. Bei der Prüfung der Frage, ob ländlicher Grundbesitz im Sinne des § 1 FlurbG zersplittert oder unwirtschaftlich geformt ist, kommt es auf die Verhältnisse im g e s a m t e n Verfahrensgebiet an. Entscheidend ist nicht, ob diese Voraussetzungen beim Grundbesitz jedes einzelnen Beteiligten in diesem Gebiet vorliegen. Selbst die Beiziehung eines weitgehend arrondierten Einzelbesitzes kann gerechtfertigt sein, wenn hierdurch eine Verbesserung der Agrarstruktur des gesamten Bereinigungsgebietes ermöglicht wird.
2. Waldflächen können unabhängig von ihrer Größe in ein Flurbereinigungsverfahren einbezogen werden.
3. Die Pflicht, ein Grundstück in ein Flurbereinigungsverfahren einbeziehen zu lassen, ist Verwirklichung der Eigentumsbindung (Art. 14 Abs. 2 GG) aber keine Enteignung.

Aus den Gründen

Nach § 1 FlurbG kann zersplitterter oder unwirtschaftlich geformter ländlicher Grundbesitz in ein Flurbereinigungsverfahren einbezogen werden, wenn hierdurch eine Förderung der landw. oder forstw. Erzeugung oder der allgemeinen Landeskultur ermöglicht wird. Zum ländlichen Grundbesitz im Sinne dieser Vorschrift rechnen nach der ausdrücklichen Regelung des § 84 FlurbG auch W a l d g r u n d s t ü c k e . Das Flurbereinigungsgesetz hat die in der RUO vorgenommene Unterscheidung zwischen kleinen Waldflächen, die in der zu bereinigenden Feldflur liegen (§ 1 Abs. 3 RUO), und über 25 ha großen Waldflächen (§ 157 RUO) nicht aufrechterhalten. Nach dem Flurbereinigungsgesetz können Waldflächen grundsätzlich ohne Rücksicht auf ihre Größe in ein Flurbereinigungsverfahren einbezogen werden.

Nach § 85 Nr. 2 FlurbG ist lediglich für die Einbeziehung einer geschlossenen Waldfläche von mehr als 10 ha Größe die Zustimmung der Forstaufsichtsbehörde erforderlich. Diese ist mit Schreiben vom 1.12.1959 erteilt worden. Die Rüge des Klägers, es habe entsprechend dem Inhalt der Zustimmung im Urteil ausgesprochen werden müssen, daß der aus vermessungstechnischen Gründen beigezogene Wald, der keine wesentlichen Vorteile haben werde, von Beiträgen freizustellen sei, ist nicht gerechtfertigt. Zunächst ist zweifelhaft, ob die Forstaufsichtsbehörde ihre Zustimmung überhaupt von Bedingungen abhängig machen kann. Im vorliegenden Fall ergibt sich die Freistellung von Beiträgen aber ohne weiteres aus § 85 Nr. 3 FlurbG und bedurfte daher weder der Aufnahme in den Flurbereinigungsbeschluß noch in die Entscheidung des Flurbereinigungsgerichts.

Voraussetzung für die Zulässigkeit der Flurbereinigung ist weiter, daß der ländliche Grundbesitz zersplittert oder unwirtschaftlich geformt ist. Bei der Prüfung der Frage, ob das der Fall ist, kommt es auf die Verhältnisse im gesamten Verfahrensgebiet an. Entscheidend ist nicht, ob diese Voraussetzungen beim Grundbesitz jedes einzelnen Beteiligten in diesem Gebiet vorliegen. Selbst die Beiziehung eines weitgehend arrondierten Einzelbesitzes kann gerechtfertigt sein, wenn hierdurch eine Verbesserung der Agrarstruktur des gesamten Bereinigungsgebietes ermöglicht wird (Beschluß vom 16.12.1960 - BVerwG I B 156.60 -). Ebenso können größere Waldflächen, die selbst einer Bereinigung nicht bedürfen, zu einem Flurbereinigungsverfahren beigezogen werden, wie § 85 Nr. 3 FlurbG ergibt. Dem liegt die Erwägung zugrunde, daß der Zweck der Flurbereinigung nicht allein in einer Zusammenlegung von zersplittertem Grundbesitz und der Verbesserung der Arbeitsgrundlage der einzelnen Betriebe besteht. Sie zielt vielmehr auf eine Verbesserung der gesamten Agrarstruktur des Bereinigungsgebietes, also auf eine Förderung der landeskulturellen und wirtschaftlichen Verhältnisse eines bestimmten Raumes. Das kann nicht allein durch Schaffung großer Flächen oder Förderung einzelner Betriebe erreicht werden, sondern erfordert darüber hinaus Maßnahmen der verschiedensten Art. Dieses - vom öffentlichen Interesse getragene - Ziel wäre vielfach nicht erreichbar, wenn im Flurbereinigungsgebiet liegender Grundbesitz oder Wald, der selbst einer Bereinigung nicht bedarf, vom Verfahren ausgeschlossen werden müßte. Schließlich hat der Gesetzgeber bei der Ermächtigung, Wald in ein Flurbereinigungsverfahren einzubeziehen, die auf jahrzehntelangen Erfahrungen beruhende Tatsache berücksichtigt, daß durch die Einbeziehung großer Waldflächen regelmäßig die technischen Arbeiten erleichtert und durch Vereinfachung der Vermessungsarbeiten die Kosten verringert werden können (vgl. die amtliche Begründung zu § 85 FlurbG, Drucksache des Deutschen Bundestags, 1. Wahlperiode, Nr. 3385). Weitere Voraussetzung für die Zulässigkeit der Anordnung eines Flurbereinigungsverfahrens ist nach § 1 FlurbG, daß hierdurch eine Förderung der landwirtschaftlichen oder forstwirtschaftlichen Erzeugung oder der allgemeinen Landeskultur ermöglicht wird. Auch hierbei stehen im Vordergrund der Betrachtung die Verhältnisse und Möglichkeiten des gesamten Bereinigungsgebietes.

Daß weder die Einbeziehung von Grundbesitz in ein Flurbereinigungsverfahren noch die mit dem Verfahren erstrebte Neuordnung der Besitzverhältnisse eine E n t e i g n u n g darstellt, ist einheitliche Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts und des Bundesgerichtshofs. Die Einbeziehung von Grundstücken in ein Flurbereinigungsverfahren berührt zweifelsfrei das Eigentum des Betroffenen. Der Eigentümer ist - wenn die gesetzlichen Voraussetzungen gegeben sind - verpflichtet, sich dem Verfahren zu unterwerfen, und muß Handlungen, die zur Vorbereitung und Durchführung notwendig sind, hinnehmen. Solche Verpflichtungen und Belastungen aktualisieren die dem Eigentum an bestimmten Grundstücken innewohnenden Bindungen und Pflichtigkeiten; sie bürden ihm aber kein "Sonderopfer" auf. Die Pflicht, ein Grundstück in eine Flurbereinigung einbeziehen zu lassen, ist Verwirklichung der Eigentumsbindungen (Art. 14 Abs. 2 GG), aber keine Enteignung. Das ist in der höchstrichterlichen Rechtsprechung geklärt und herrschende Auffassung der Wissenschaft.

Es ist auch unrichtig, daß "eine Umlegung unter bestimmten Voraussetzungen auch eine Enteignung sein" könne. Eine rechtmäßig durchgeführte Flurbereinigung, die den Grundsatz der wertgleichen Abfindung wahrt, kann keine Enteignung sein; eine Umlegungsmaßnahme, die sich wirtschaftlich wie eine Enteignung auswirken würde, wäre rechtswidrig und könnte keinen Bestand haben. Eine andere Frage ist, ob in Zusammenhang mit einem Flurbereinigungsverfahren einzelne enteignende Maßnahmen zulässig sind. Wie der Senat im Urteil vom 6.10.1960 - BVerwG I C 31.59 - hierzu eingehend dargelegt hat, sind Enteignungen im Zusammenhang mit einer Umlegung nur unter den im Gesetz bestimmten Voraussetzungen zulässig. Darüber, ob ein solcher Fall im Laufe des Verfahrens eintritt und ob eine solche Maßnahme rechtmäßig wäre, kann erst entschieden werden, wenn der Flurbereinigungsplan vorliegt.