Flurbereinigungsgericht München, Urteil vom 06.11.2008 - 13 A 08.1888 = RdL 2009, 123-125 (Leitsatz und Gründe)= BayVBl 2009, 435-437 (Leitsatz und Gründe) (Lieferung 2010)

Aktenzeichen 13 A 08.1888 Entscheidung Urteil Datum 06.11.2008
Gericht Flurbereinigungsgericht München Veröffentlichungen RdL 2009, 123-125 (Leitsatz und Gründe) = BayVBl 2009, 435-437 (Leitsatz und Gründe)  Lieferung 2010

Leitsätze[Quelltext bearbeiten]

1. Wird Masseland von der Teilnehmergemeinschaft zum Verkauf ausgeschrieben und werden von dieser dabei Vergabebedingungen festgelegt und öffentlich bekannt gegeben, ist sie hieran bei der Vergabeentscheidung grundsätzlich gebunden. Der Inhalt der Vergabebedingungen, hier die Festlegung eines Mindestgebots, ist vom Empfängerhorizont aus zu bestimmen.

Aus den Gründen

25     Die zulässige Klage ist begründet.


26     Die Kläger haben einen Anspruch auf die Zuteilung des Masselandflurstücks 1271 mit einem Wert von 7.861 WVZ und einer Größe von 0,6739 ha zum Preis von 7.200 Euro. Der Flurbereinigungsplan war deshalb entsprechend zu ändern und der Widerspruchsbescheid des Spruchausschusses bei dem ALE vom 6. November 2006 – soweit er dem entgegensteht – aufzuheben (§ 144 Satz 1, § 146 Nr. 2, § 54 Abs. 2 Satz 2 FlurbG i.V.m. § 113 Abs. 5 Satz 1, § 114 Satz 1 VwGO).


27     Rechtsgrundlage für die Zuteilung von Masseland ist § 54 Abs. 2 FlurbG. Danach ist das infolge von Geldabfindungen und nach § 46 FlurbG zur Abfindung der Teilnehmer nicht benötigte Land in einer dem Zweck der Flurbereinigung entsprechenden Weise oder für Siedlungszwecke zu verwenden. Durch den Flurbereinigungsplan wird bestimmt, wem das Land zu Eigentum zugeteilt wird (bezüglich der Grundsätze der Vergabe vgl. allgemein: Seehusen, Verwendung von Masseland, RdL 1989, 60 und Emig, Das Masseland in der Flurbereinigung, AgrarR 1984, 88).


28     § 54 Abs. 2 FlurbG ermächtigt die Flurbereinigungsbehörde, übrig gebliebenes Land nach pflichtgemäßem Ermessen an interessierte Bewerber so zu verteilen, dass die Vergabe – von Siedlungszwecken abgesehen, die hier nicht in Betracht kommen – vornehmlich den in § 1 und § 37 Abs. 1 FlurbG umschriebenen Zwecken der Flurbereinigung entspricht. Abgezielt werden kann deshalb insbesondere darauf, die Grundlagen der Wirtschaftsbetriebe zu verbessern bzw. den Arbeitsaufwand zu vermindern, um die Bewirtschaftung zu erleichtern (§ 37 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 FlurbG).


29     Der Flurbereinigungsbehörde steht bei der Zuteilung ein (Auswahl-)Ermessen zu. Aus diesem Grund hat kein Teilnehmer einen Rechtsanspruch auf Zuweisung von Masseland, sondern lediglich ein Recht auf ermessensfehlerfreie Entscheidung (vgl. BVerwG vom 2.12.1980 Buchholz 424.01 § 54 FlurbG Nr. 3; BayVGH vom 22.3.1973 AgrarR 1973, 402).


30     Da die Modalitäten des Verfahrens bei der Zuteilung von Masseland nach § 54 Abs. 2 FlurbG gesetzlich nicht geregelt sind, kann die Flurbereinigungsbehörde hierfür Richtlinien, Verwaltungsvorschriften o.ä. festlegen und damit vorab ihre Ermessensausübung (Art. 40 BayVwVfG) – unter Beachtung des in Art. 3 Abs. 1 GG zum Ausdruck kommenden Gleichbehandlungsgebots – binden (sog. Selbstbindung der Verwaltung; z.B. BVerwG vom 21.3.2003 RdL 2003, 321; BayVGH vom 30.7.2007 RdL 2008, 79). Dies ist mit der Ermächtigung einer Behörde nach Ermessen zu entscheiden vereinbar, wenn sich – wie hier – die selbstgesetzten Richtlinien ihrerseits am Zweck der Ermächtigung orientieren und sachgerecht sind (vgl. BVerwG vom 10.8.1990 NJW 1991, 650/651; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 10. Aufl. 2008, RdNr. 51 zu § 40).


31     Bei der Vergabe des Masselands hat die Flurbereinigungsbehörde dann bestehende Richtlinien über das Antrags- und Auswahlverfahren zu beachten und inhaltlich insbesondere die Vor- und Nachteile der möglichen Zuteilungsergebnisse unter agrarstrukturellen Gesichtspunkten zu prüfen. Eine an der Höhe des Geldgebots orientierte Entscheidung kommt nur ausnahmsweise in Betracht, da es im Zuteilungsverfahren nach § 54 Abs. 2 FlurbG nicht in erster Linie auf die Erzielung eines möglichst hohen Preises, sondern vielmehr auf die Erreichung agrarstruktureller Zielsetzungen ankommt (OVG RhPf vom 4.6.1980 RdL 1980, 293). Nur dann, wenn gleichgelagerte Verhältnisse bei den betreffenden Teilnehmern vorliegen, kann die Höhe des Geldgebots den Ausschlag geben (VGH BW vom 10.6.1985 RdL 1986, 12/13).


32     Die Beklagte hat bei der Ausschreibung des Masselands im Amts- und Mitteilungsblatt des Marktes F. vom 7. Mai 2005 von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, Regelungen für die Vergabe festzulegen und ihre Ermessensausübung entsprechend zu binden. Zu diesen öffentlich bekanntgegebenen verbindlichen Erwerbsbedingungen zählt im vorliegenden Fall auch die Beachtung des in der Ausschreibung des Masselands für jedes Flurstück gesondert ausgewiesenen Mindestgebots. Dies ergibt sich aus der hier notwendigen, aber auch möglichen Auslegung des Ausschreibungswortlauts. Dies hat zur Folge, dass eine Vergabe an einen Bieter grundsätzlich nur dann in Betracht kommt, wenn dessen Kaufangebot die Höhe des Mindestgebots erreicht.


33     An die Allgemeinheit gerichtete Erklärungen wie die hier vorliegende Ausschreibung – eine sog. invitatio ad offerendum – sind der Auslegung zugänglich (vgl. z.B. BGH vom 11.3.1999 NJW 1999, 2432/2433). Diese hat sich grundsätzlich am objektiven Erklärungswert des veröffentlichten Ausschreibungstexts zu orientieren (§ 133 BGB; s. hierzu BVerwG vom 7.5.1981 DVBl 1982, 195/197). Maßgeblich für die Ermittlung des Erklärungsinhalts ist dabei der "Empfängerhorizont", d.h. die Verständnismöglichkeit eines durchschnittlichen Beteiligten oder Angehörigen des angesprochenen Personenkreises zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Ausschreibung (so z.B. BGH vom 26.2.1970 BGHZ 52, 307; vom 24.6.1988 NJW 1988, 2878; Heinrichs/ Ellenberger in Palandt, BGB, 67. Aufl. 2008, RdNrn. 3 ff. zu § 133).


34     Der Charakter der Mindestgebotsvorgabe als einer verbindlichen Vergabebedingung ergibt sich bereits aus der Verwendung des Begriffs "Mindestgebot" im Ausschreibungstext bei der Beschreibung der zur Vergabe vorgesehenen Flurstücke. Das Mindestgebot gilt aus der Sicht eines objektiven Interessenten im allgemeinen Sprachgebrauch als derjenige Preis, der bei einem Angebot nicht unterschritten werden darf, um den Zuschlag erhalten zu können (siehe z.B. auch § 817a Abs. 1 Satz 1 ZPO). Die sich aus dem Wortlaut ergebende Bedeutung dieser Angabe als verbindliche Vergabebedingung wird gestützt durch die graphische Darstellung der jeweiligen Mindestangebotspreise als eigene Spalte in der Angebotsübersicht, die deren Bedeutung auch optisch unterstreicht.


35     Dass die Notwendigkeit der Erreichung des Mindestgebots nicht (nochmals) unter den "Bedingungen für den Erwerb" aufgeführt ist, steht der hier vertretenen Interpretation nicht entgegen, da diese Auflistung erkennbar keinen abschließenden Charakter aufweist. Dies ergibt sich schlüssig aus dem dortigen Fehlen von im Ausschreibungstext bereits vorher aufgeführten eindeutig als solche erkennbaren (und deshalb nicht eigens wiederholten) "typischen" Vergabebedingungen, wie der Beachtung der Schriftform und der Abgabefrist. Ebenso wie bei diesen – denen als auch allgemein so verstandenen wesentlichen Essentialien eines öffentlichen Ausschreibungsverfahrens gleichwohl das Wesen einer verbindlichen Bedingung nicht abgesprochen werden kann – lässt das Fehlen eines Hinweises auf die Beachtung des Mindestgebots bei der Aufzählung der "Bedingungen für den Erwerb" gerade nicht auf dessen Unverbindlichkeit schließen. Vielmehr handelt es sich ebenfalls um eine solche Vergabebedingung, deren Beachtung auch ohne (nochmalige) Nennung und ausdrücklichen Bezeichnung als "Bedingung für den Erwerb" als Selbstverständlichkeit zu gelten hat. Soweit die Beklagte vorträgt, mit der Nennung des (Mindestgebots-) Betrags lediglich beabsichtigt zu haben, einen "vernünftigen" Preis zu erzielen (zu den Anforderungen an die Preisgestaltung bei der Landweitergabe: Nr. 3 der Beilage 1, Anlage 1, der Finanzierungsrichtlinien Ländliche Entwicklung – FinR-LE –, Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums für Landwirtschaft und Forsten vom 23.3.2005 Nr. E 5-7554-1300, AllMBl 2005, S. 175/184), kommt diese Absicht in dem verwendeten Begriff nicht zum Ausdruck. Um diesem Zweck gerecht zu werden, hätte es einer (am objektiven Erklärungswert orientierten) entsprechenden Bezeichnung, wie z.B. "Preisvorstellung", "WVZ-Preis", bedurft.


36     Damit stellt das Erfordernis der Beachtung des Mindestgebots ein bei der Ermessensausübung zwingend zu beachtendes Vergabekriterium dar. Erfüllt wurde diese Vergabevoraussetzung lediglich von den Klägern, da deren Angebot in Höhe von 7.200 Euro deutlich über dem Mindestgebot von 5.660 Euro liegt, während das vom Beigeladenen unterbreitete Angebot von 4.009,11 Euro dieses nicht erreicht.


37     Ein Abweichen hiervon war der Beklagten ohne Verstoß gegen die bei der Ausübung behördlichen Ermessens geltenden Grundsätze rechtlich nicht möglich. Zwar darf die Selbstbindung der Verwaltung nicht so weit gehen, dass die Ausübung eines die besonderen Umstände des Einzelfalles berücksichtigenden Ermessens beseitigt wird. Eine Abweichung von allgemein geltenden behördlichen Vorschriften für die Ausübung des Ermessens, hier den Vergabebedingungen, muss daher möglich bleiben, soweit wesentliche Besonderheiten des Falles sie rechtfertigen (BVerwG vom 1.6.1979 NJW 1980, 75; vom 4.11.1977 Buchholz 237.0 § 39 LBG Baden-Württemberg Nr. 1; Kopp/Schenke, VwGO, 15. Aufl. 2007, RdNr. 10a zu § 114). Deren Wortlaut ist deshalb auch unter dem Blickwinkel des Art. 3 Abs. 1 GG nicht stets verbindlich. Ob das Gleichbehandlungsgebot im Einzelfall beachtet worden ist, beurteilt sich in diesen Fällen danach, wie die Verwaltungsvorschriften tatsächlich gehandhabt werden (BVerwG vom 30.4.1981 DVBl 1981, 1063). Aus der dargestellten Rechtsprechung folgt, dass aus Art. 3 Abs. 1 GG kein Anspruch darauf abzuleiten ist, dass Verwaltungsvorschriften nur jeweils ihrem Wortlaut entsprechend angewendet werden dürfen bzw. vor einer von ihrem Wortlaut abweichenden Handhabung entsprechend geändert werden müssen (BVerwG vom 1.6.1979 a.a.O.).


38     Allerdings liegt hier ein besonderer Einzelfall, der zur Abweichung von den Vergabebedingungen berechtigen würde, nicht vor. Ein solcher wäre hier wohl dann gegeben, wenn kein Angebot alle Vergabebedingungen einhalten würde oder die Beachtung aller Zuteilungsvoraussetzungen objektiv unmöglich wäre. Hier erfüllen aber die Kläger – und nur diese – alle Vergabebedingungen, so dass eine Veräußerung des Masselandflurstücks 1271 an sie nach den von der Beklagten selbst gesetzten Regelungen geboten ist. Ein willkürliches Abweichen im Einzelfall zugunsten eines Bewerbers,der nicht alle Vergabevoraussetzungen erfüllt, wäre auch von der angeführten Rechtsprechung nicht gedeckt und deshalb rechtsfehlerhaft.


39     Die Kläger haben nach den Feststellungen in der Niederschrift zur Sitzung des Vorstands der Beklagten vom 14. Juni 2005 ein form- und fristgerechtes Angebot eingereicht. Ob sie einen landwirtschaftlichen Betrieb im Vollerwerb betreiben – was von der Beklagten und vom Beigeladenen in Frage gestellt wird –, kann offen bleiben, da sie jedenfalls als ausübende (Nebenerwerbs-)Landwirte anzusehen sind. Als solche zählen sie nach den Vergaberichtlinien zu dem bei der Masselandzuteilung "vorrangig zu berücksichtigenden" Personenkreis.


40     Mit der Vergabe an die Kläger wird das streitgegenständliche Flurstück zudem in einer § 54 Abs. 2 Satz 1 FlurbG entsprechenden Weise verwendet. Sie dient durch die Aufstockung der Nutzfläche ihres landwirtschaftlichen Betriebs Zwecken der Flurbereinigung und beachtet in ausreichender Weise – die in den "Bedingungen für den Erwerb" als Zuteilungskriterium genannten – agrarstrukturellen Gesichtspunkte (vgl. Schwantag, a.a.O., RdNr. 8 zu § 54). Dass bei einer Zuteilung an den Beigeladenen ein (noch) größerer agrarstruktureller Vorteil erreicht würde, steht der Zuteilung an die Kläger nicht entgegen, da sowohl § 54 Abs. 2 Satz 1 FlurbG als auch die Vergabebedingungen nicht das optimale agrarstrukturelle Zuteilungsergebnis als ausschlaggebend bewerten, sondern die genannten geringeren bei der Vergabe an die Kläger erfüllten Anforderungen ausreichen lassen. Die Vergabeentscheidung wird auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass das Flurstück 1271 nicht zusammen mit einem unmittelbar benachbarten Grundstück der Kläger genutzt werden kann. Nach der Auffassung des insoweit sachverständig besetzten Senats kann die 0,6739 ha große Fläche ohne weiteres als eigenständiges Flurstück sinnvoll bewirtschaftet werden.


41     Im Ergebnis liegen somit ausschließlich bei den Klägern alle bei der Ausschreibung festgelegten Vergabevoraussetzungen vor. Das von der Beklagten bei der Zuteilungsentscheidung auszuübende Ermessen reduziert sich in diesem Fall auf Null mit der Folge, dass das Masselandflurstück 1271 rechtsfehlerfrei nur den Klägern zugewiesen werden kann. Diese rechtliche Bindung vermittelt den Klägern einen Rechtsanspruch auf die Vergabe an sie zum Angebotspreis von 7.200 Euro.