Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 10.12.2003 - 9 C 5.03 = RdL 2005 S. 157 (Lieferung 2005)
Aktenzeichen | 9 C 5.03 | Entscheidung | Urteil | Datum | 10.12.2003 |
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Gericht | Bundesverwaltungsgericht | Veröffentlichungen | = RdL 2005 S. 157 | Lieferung | 2005 |
Leitsätze[Quelltext bearbeiten]
1. | Der Grundeigentümer kann die Anordnung des Bodenordnungsverfahrens nicht verhindern, indem er die Einrede der geringen Restnutzungsdauer (§ 31 SachenRBerG) erhebt. |
2. | Gelingt es der Flurbereinigungsbehörde nicht, entsprechendes Tauschland zu ermitteln und bereit zu stellen, ist das Verfahren nach § 64 LwAnpG einzustellen. Damit ist nach § 28 Satz 2 SachenRBerG der Weg zur Sachenrechtsbereinigung und zur Anwendung von § 31 Abs. 1 SachenRBerG frei. |
Aus den Gründen
Nach § 64 LwAnpG, der die Voraussetzungen für die Einleitung des Bodenordnungsverfahrens regelt, erfolgt dessen Anordnung "auf Antrag des Eigentümers der Fläche oder des Gebäudes". Die Antragsbefugnis ist nach § 57 LwAnpG "auf der Grundlage der Eintragungen im Grundbuch zu ermitteln". Entsteht Streit über die Eigentumslage, weil diese sich nicht aus den Grundbucheintragungen ergibt, ist die Antragsbefugnis des Antragstellers von Amts wegen zu ermitteln (vgl. BVerwG, Urteil vom 2. September 1998 - 11 C 4.97 - BVerwGE 107, 177). Zu diesem Zweck ist die Eigentumslage zur Zeit der DDR auf der Grundlage der insoweit für den Beitritt erlassenen Vorschriften nachzuzeichnen. Letztere ordnen, soweit es um LPG-Gebäudeeigentum geht, in Art. 233 § 2b Abs. 2 EGBGB die Anlegung eines Gebäudegrundbuchblatts und damit die Geltung des Immobiliarsachenrechts der Bundesrepublik Deutschland an (vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 9. März 1999 - 3 C 21.98 - Buchholz 115 SonstWiedervereinigungsrecht Nr. 21). Soweit demnach wie hier der Nutzer landwirtschaftlicher Gebäude oder Anlagen als Antragsteller nach § 64 LwAnpG auftritt, richtet sich seine Antragsbefugnis somit danach, ob er sein Gebäudeeigentum nachweisen kann. Das setzt voraus, dass er entweder zu Recht im Gebäudegrundbuch eingetragen ist oder diese Eintragung nachträglich beanspruchen kann, wenn sie bislang noch nicht erfolgt ist. Weitergehende Anforderungen an die Antragsbefugnis stellt § 64 LwAnpG nicht.
Der erkennende Senat hat in seinem Urteil vom 29. Juli 2002 BVerwG - 9 C 1.02 - (Buchholz 424.02 § 64 LwAnpG Nr. 9, S. 7) eine Ausweitung der Antragsbefugnis auf der Grundlage einer entsprechenden Anwendung des § 5 Abs. 2 SachenRBerG abgelehnt und dieses Ergebnis damit begründet, § 64 LwAnpG regele die Anordnungsbefugnis für das Bodenordnungsverfahren "abschließend"; das "in § 64 LwAnpG klar begrenzte Antragsrecht" sei deswegen nicht auszudehnen. Diese Überlegung steht aber auch der vom Kläger geforderten Einschränkung der Antragsbefugnis entgegen. Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht hat zutreffend darauf aufmerksam gemacht, dass die Restnutzungsdauer landwirtschaftlicher Gebäude und Anlagen ein häufiger Streitpunkt zwischen dem Grundeigentümer und dem Gebäudeeigentümer ist. Der "in § 64 LwAnpG enthaltene Gestaltungsauftrag" (so BVerwG, Urteil vom 9. Juli 1997 - 11 C 2.97 - BVerwGE 105, 128) verlangt von den zuständigen Behörden, dass sie im Interesse einer Strukturverbesserung des ländlichen Raums in den neuen Bundesländern die Aufspaltung zwischen Gebäude- und Grundeigentum zügig überwinden. Wenn sie den Streit über die Restnutzungsdauer austragen müssten, bevor sie einen Anordnungsbeschluss erlassen dürften, würde die Erfüllung dieses Gestaltungsauftrags ohne Notwendigkeit ernsthaft behindert. Die in der Praxis zu bewältigenden Schwierigkeiten sind in diesem Bereich ohnehin groß genug (vgl. Laudemann, Probleme der Antragsbefugnis zur Einleitung des Bodenordnungsverfahrens gemäß § 64 LwAnpG, RdL 2002, 1 ff.).
Das Bodenordnungsverfahren ist dreistufig ausgestaltet. Zumindest auf seiner ersten Stufe der Anordnung des Bodenordnungsverfahrens (vgl. § 56 Abs. 1 LwAnpG) weist dieses Regelungssystem keine Lücke auf, die eine entsprechende Anwendung des § 31 Abs. 1 SachenRBerG erforderlich machen könnte. Dem Anordnungsbeschluss folgt auf der nächsten Stufe die Feststellung der Ergebnisse der Wertermittlung (vgl. § 63 Abs. 2 LwAnpG i.V.m. § 27 ff. FlurbG). Dem folgt auf der dritten Stufe der Bodenordnungsplan (vgl. § 59 Abs. 1 LwAnpG), der insbesondere die Entscheidung über die Zusammenführung von Boden- und Gebäudeeigentum trifft. Nach Einleitung des Bodenordnungsverfahrens bieten die weiteren Verfahrensstufen Raum für die Berücksichtigung der Restnutzungsdauer der landwirtschaftlichen Gebäude oder Anlagen, die in das Verfahren einbezogen worden sind. Soweit dem Gebäudeeigentümer nicht ein Nutzungsrecht zusteht, das ihn zu einem Neubau berechtigen würde (vgl. BTDrucks 12/5992, S. 75), führt eine geringe Restnutzungsdauer notwendig zu einer Erhöhung des Bodenwertes, die im Rahmen der Wertfestsetzung dem Bodeneigentümer zugute kommt. In diesem Fall wird die zuständige Behörde außerdem auch unter dem Gesichtspunkt der jeweiligen Restnutzungsdauer prüfen müssen, ob bei der im Bodenordnungsplan zu treffenden Zuteilungsentscheidung nicht dem Bodeneigentümer gegenüber dem Gebäudeeigentümer Vorrang einzuräumen ist, weil gewichtigere Belange dafür sprechen, Boden- und Gebäudeeigentum in seiner Hand zu vereinigen.
Ein Verzicht auf die entsprechende Anwendung des § 31 Abs. 1 SachenRBerG bei der Entscheidung über die Anordnung des Bodenordnungsverfahrens begegnet auch etwa unter dem Aspekt des Art. 14 Abs. 1 GG keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Wie der erkennende Senat entschieden hat (Urteil vom 17. Dezember 1998 BVerwG - 11 C 5.97 - BVerwGE 108, 202), wollte der Gesetzgeber des Landwirtschaftsanpassungsgesetzes bei der Zusammenführung von Gebäude- und Grundeigentum keinem der beiden Rechtsinhaber eine Präferenzstellung einräumen. Die im Schrifttum geäußerte Kritik, dass Eigentümer von baulichen Anlagen mit geringer Restnutzungsdauer im Bodenordnungsverfahren die Grundeigentümer demgegenüber zwingen könnten, "ihren unvermehrbaren und zeitlich unbegrenzt nutzbaren Boden" zu "opfern" (so Kuchs, Das Landwirtschaftsanpassungsgesetz und seine Folgen, RdL 2003, 88), geht fehl (vgl. Fritzsch, Flurneuordnungsverfahren bei Gebäuden und Anlagen mit geringer Restnutzungsdauer, RdL 2003, 169) und rechtfertigt die Heranziehung des § 31 Abs. 1 SachenRBerG auf der Stufe der Anordnung des Bodenordnungsverfahrens nicht. Im Einzelnen ist dazu Folgendes zu bemerken:
Nach § 31 Abs. 1 SachenRBerG kann der Grundstückseigentümer den Abschluss eines Erbbaurechtsvertrages (vgl. § 32 SachenRBerG) oder eines Grundstückskaufvertrages (vgl. § 61 Abs. 1 SachenRBerG), den der Nutzer (vgl. § 9 SachenRBerG) von ihm nach seiner Wahl verlangen kann (vgl. § 15 Abs. 1 SachenRBerG), dann verweigern, wenn das vom Nutzer errichtete Gebäude oder die bauliche Anlage öffentlichen Zwecken dient oder land-, forstwirtschaftlich oder gewerblich genutzt wird, dem Nutzer ein Nutzungsrecht nicht bestellt wurde und die Restnutzungsdauer des Gebäudes oder der baulichen Anlage in dem Zeitpunkt, in dem der Nutzer Ansprüche nach Kapitel 2 des Gesetzes geltend macht, weniger als 25 Jahre beträgt. Der Gesetzgeber hat mit dieser Regelung zwei unterschiedliche Zielrichtungen verfolgt, die beide nichts mit der Situation zu tun haben, die für das Bodenordnungsverfahren kennzeichnend ist.
Die Gesetzesbegründung (BTDrucks 12/5992, S. 75) führt für die Einrede der geringen Restnutzungsdauer zunächst den Gedanken an, dass "eine Verdinglichung des Nutzungsrechts dem Nutzer keine Vorteile bietet, da ein Erbbaurecht mit kurzer Laufzeit nicht mehr vernünftig beleihbar ist (vgl. § 20 Nr. 3 ErbbauVO)". Die genannte Vorschrift gehört zu den Regelungen über die Mündelhypothek und besagt, dass die planmäßige Tilgung dieser Hypothek "spätestens zehn Jahre vor Ablauf des Erbbaurechts endigen" muss. Ein Erbbaurecht mit weniger als 25 Jahren Restlaufzeit ist aus diesem Grunde kaum noch ein geeignetes Beleihungsobjekt. Die Bestellung eines Erbbaurechts wäre "untunlich" (so BTDrucks 12/5992, S. 130). Die Regelung ist im Übrigen im Zusammenhang mit der Vorschrift des § 53 Abs. 2 Nr. 3 SachenRBerG zu sehen, die für land- und forstwirtschaftlichen oder gewerblichen Zwecken dienende Gebäude oder bauliche Anlagen eine Nutzungsdauer von 50 Jahren vorgibt. Diese Frist, die der Laufzeit des zu bestellenden Erbbaurechts zugrunde zu legen ist, soll ungefähr der durchschnittlichen Nutzungsdauer eines Neubaus entsprechen (vgl. BTDrucks 12/5992, S. 145). Auf Verlangen des Grundeigentümers ist nach § 53 Abs. 3 Satz 1 SachenRBerG eine verkürzte Laufzeit nach der Restnutzungsdauer zu vereinbaren, wenn diese weniger als 50 Jahre, jedoch mehr als 25 Jahre beträgt. Insofern wird hier wieder auf die Frist des § 31 Abs. 1 SachenRBerG abgestellt.
Mit einem Rückgriff auf diesen Regelungszusammenhang ist eine Einschränkung der Antragsbefugnis des Gebäudeeigentümers zur Anordnung des Bodenordnungsverfahrens nicht zu rechtfertigen. Denn der Gesetzgeber wollte insoweit lediglich einer Eigentümlichkeit des Erbbaurechts Rechnung tragen. Der Nutzer, der einen Anspruch auf Erbbaurechtsbestellung (vgl. § 32 SachenRBerG) geltend macht, wird durch die Einrede der geringen Restnutzungsdauer, die der Grundeigentümer erheben kann, letztlich im eigenen wohlverstandenen Interesse darauf verwiesen, gemäß § 31 Abs. 2 SachenRBerG den Abschluss eines Mietvertrages zu verlangen, dessen Laufzeit nach der Restnutzungsdauer des Gebäudes zu bemessen ist. Eine Parallele im Bodenordnungsverfahren, die einen überzeugenden Grund dafür liefern könnte, entsprechend der geringen Restnutzungsdauer das Antragsrecht nach § 64 LwAnpG einzuschränken, ist insoweit nicht ersichtlich.
Eine Lücke in dem System der Bodenneuordnung, die es durch eine entsprechende Anwendung des § 31 Abs. 1 SachenRBerG zu überwinden gilt, ist somit allenfalls mit Rücksicht auf die weitere gesetzgeberische Erwägung in Betracht zu ziehen, die dafür maßgebend war, auch das Ankaufrecht des Nutzers (vgl. § 61 Abs. 1 SachenRBerG) auszuschließen. Hierzu heißt es in der Gesetzesbegründung, dass "der Bodenwertanteil des Nutzers bei kurzer Restlaufzeit eines ihm zu gewährenden Nutzungsrechts nur gering ist (vgl. dazu Nr. 5.2.3.1 der Wertermittlungsrichtlinien 1991)". Bei einem "sehr kleinen Bodenwertanteil" sei es aber geboten, dem Nutzer das Ankaufsrecht zu versagen (vgl. BTDrucks 12/5992, S. 75). Der auf den Nutzer entfallende Bodenwertanteil rechtfertige dann das Ankaufsrecht nicht (vgl. BTDrucks 12/5992, S. 130). Hieran knüpft unausgesprochen die Revision an, wenn sie darauf hinweist, der Kläger müsse hier mit einem Entzug seines Eigentums an dem Flurstück 46/1 rechnen, wenn das Bodenordnungsverfahren erst einmal angeordnet worden sei. Diesen Einwand räumt das Flurbereinigungsgericht nicht überzeugend aus, wenn es darauf hinweist, die Frage, ob das Grundeigentum dem Gebäudeeigentümer zugesprochen werde oder ob umgekehrt das Gebäude auf den Grundeigentümer übergehe, werde durch den Anordnungsbeschluss nicht präjudiziert. Denn die Antragstellung des Gebäudeeigentümers hat in der Tat regelmäßig zur Folge, dass der Grundeigentümer weichen muss (vgl. BVerwG, Urteil vom 9. Juli 1997 - 11 C 2.97 - a.a.O.). Der umgekehrte Fall, dass der Gebäudeeigentümer sich abfinden lassen muss, wird in der Praxis eher die Ausnahme bleiben. Dennoch ist die Entscheidung des Flurbereinigungsgerichts, auf eine Heranziehung des § 31 Abs. 1 SachenRBerG zu verzichten, im Ergebnis zu billigen.
Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht betont in seiner Stellungnahme mit Recht, dass der Grundeigentümer im Bodenordnungsverfahren anders als in der Sachenrechtsbereinigung nicht gegen seinen Willen auf einen Geldzahlungsanspruch verwiesen werden kann, weil er nach § 58 Abs. 1 LwAnpG einen Anspruch auf wertgleiche Landabfindung hat (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Dezember 1998 - 11 C 5.97 - a.a.O. ). Eine Enteignung findet somit nicht statt. Gelingt es der Flurneuordnungsbehörde nicht, entsprechendes Tauschland zu ermitteln und bereit zu stellen, ist das Verfahren nach § 64 LwAnpG einzustellen (zutreffend Fritzsch, a.a.O., S. 170). Damit ist nach § 28 Satz 2 SachenRBerG der Weg zur Sachenrechtsbereinigung und zur Anwendung von § 31 Abs. 1 SachenRBerG frei. Die zuletzt genannte Vorschrift verhindert dann, dass der Gebäudeeigentümer durch ein Verlangen nach § 61 Abs. 1 SachenRBerG den Bodeneigentümer zum Verkauf seines Grundeigentums zwingen kann, obwohl die Restnutzungsdauer der landwirtschaftlichen Gebäude oder Anlagen weniger als 25 Jahre beträgt. Dem Gebäudeeigentümer soll in diesem Fall das Ankaufsrecht versagt bleiben. Der Grundeigentümer ist nur zum Abschluss eines befristeten Mietvertrags verpflichtet (vgl. § 31 Abs. 2 SachenRBerG), so dass er zu späterer Zeit seine Eigentumsrechte wieder in vollem Umfang ausüben kann. Wie der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht zutreffend ausführt, hat der Gesetzgeber auf diese Weise versucht, den Interessenkonflikt zwischen Gebäudeeigentümer und Grundeigentümer einer Lösung zuzuführen, die unverhältnismäßige Ergebnisse der Sachenrechtsbereinigung vermeidet. Das Bodenordnungsverfahren ist zwar ebenfalls von dem genannten Interessenkonflikt geprägt, führt diesen aber auf anderen Wegen zu einem angemessenen Ausgleich, so dass zumindest auf der Verfahrensstufe des Anordnungsbeschlusses für eine Heranziehung des § 31 Abs. 1 SachenRBerG kein Raum bleibt.