RzF - 20 - zu § 63 Abs. 2 LwAnpG

Bundesverwaltungsgericht 9. Senat, Urteil vom 04.07.2017 - BVerwG 9 C 12.16 (Lieferung 2018)

Aktenzeichen BVerwG 9 C 12.16 Entscheidung Urteil Datum 04.07.2017
Gericht Bundesverwaltungsgericht 9. Senat Veröffentlichungen Lieferung 2018

Leitsätze[Quelltext bearbeiten]

1. Der Vergütungsanspruch eines Vertreters findet seine Rechtsgrundlage abschließend in § 119 Abs. 3 FlurbG.
2. Kriterien für die Bestimmung der Angemessenheit der Vergütung sind die für die Führung der Vertretungsgeschäfte nutzbaren Fachkenntnisse des Vertreters sowie Umfang und Schwierigkeit der Tätigkeit.
3. Wegen der sachlichen Nähe einer Vertretung im Flurbereinigungsverfahren zur Abwesenheitspflegschaft kommen die auf der Grundlage des § 1915 Abs. 1 Satz 2 BGB üblichen Stundensätze als Orientierungshilfe für eine angemessene Vertretervergütung in Betracht. Bei Bestellung eines Rechtsanwalts zum Vertreter sind dabei auch die Kosten für die personelle und sächliche Ausstattung einer Anwaltskanzlei zu berücksichtigen.
4. Die Orientierung an einem Stundensatz der für die Führung einer Pflegschaft üblichen Vergütung nach § 3 Abs. 1 VBVG kommt nur bei besonders geringer Schwierigkeit der Geschäfte in Betracht.
5. Der Vertreter hat für die Bewilligung einer bei Pflegschaften üblichen Vergütung nicht die besondere Schwierigkeit der Geschäfte darzulegen; vielmehr hat umgekehrt die Behörde aufzuzeigen, weshalb ein besonders einfach gelagerter Fall vorliegt und deshalb nur der Mindeststundensatz für Hochschulabsolventen gemäß § 3 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 VBVG zu bewilligen ist.

Aus den Gründen

Der Vergütungsanspruch findet seine Rechtsgrundlage abschließend in § 63 Abs. 2 LwAnpG i. V. m. § 119 Abs. 3 FlurbG. Dem Gesetz lässt sich kein Hinweis auf die entsprechende Anwendung des § 1915 Abs. 1 Satz 2 BGB entnehmen und entgegen der Auffassung des Beklagten ist auch nicht die Regelung über die Höhe der Vergütung in § 3 VBVG heranzuziehen (a). Kriterien für die Bestimmung der Angemessenheit der Vergütung in § 119 Abs. 3 FlurbG sind einerseits die nutzbaren Fachkenntnisse des Vertreters sowie andererseits Umfang und Schwierigkeit der Vertretungsgeschäfte (b). Die Vorschrift des § 1915 Abs. 1 Satz 2 BGB kann bei der Bestimmung der Höhe einer angemessenen Vergütung nach Maßgabe dieser Kriterien als Orientierungshilfe dienen (c). Gemessen an diesen Grundsätzen ist die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts nicht zu beanstanden (d).


a) ...


Keine ausschlaggebende Bedeutung für die Auslegung des § 119 Abs. 3 FlurbG kommt dagegen dem Umstand zu, dass der Gesetzgeber später in §§ 3, 4 VBVG Vergütungsregelungen mit festen Stundensätzen für Vormünder und Betreuer geschaffen und anschließend in § 1915 Abs. 1 Satz 2 BGB bestimmt hat, dass sich die Höhe der Vergütung der Pfleger abweichend von diesen Stundensätzen bemisst. Zweck der zuletzt genannten Regelung war es, die Grundlage für eine gegenüber den nunmehr für die Vormundschaft geltenden Regelsätzen (noch) höhere Pflegervergütung zu bieten (s. BT-Drs. 15/4874 S. 27). Der Gesetzgeber hat diese Neuregelungen jedoch nicht zum Anlass genommen, in § 119 Abs. 3 FlurbG hinsichtlich der Vertretervergütung eine Verweisung aufzunehmen, wie dies etwa in § 277 Abs. 2 Satz 2 FamFG für die dort genannten Verfahrenspfleger geschehen ist.


b) Zutreffend hat das Oberverwaltungsgericht zur Bestimmung der Angemessenheit der Vergütung auf die Kriterien der für die Führung der Vertretungsgeschäfte nutzbaren Fachkenntnisse des Vertreters einerseits sowie auf Umfang und Schwierigkeit der Tätigkeit andererseits abgestellt. Diese Kriterien hat der Gesetzgeber sowohl in § 1915 BGB als auch in §§ 3, 4 VBVG benannt. Gemäß § 1915 Abs. 1 Satz 2 BGB bestimmt sich die Höhe der Vergütung nach den für die Führung der Pflegschaftsgeschäfte nutzbaren Fachkenntnissen des Pflegers sowie nach dem Umfang und der Schwierigkeit der Pflegschaftsgeschäfte. Nach § 3 Abs. 1 Satz 2 und § 4 Abs. 1 Satz 2 VBVG erhöht sich der Stundensatz des Vormunds bzw. des Betreuers, wenn der Betreffende über besondere Kenntnisse verfügt, die für die Vormundschaft bzw. Betreuung nutzbar sind, und § 3 Abs. 3 VBVG erlaubt bei besonderer Schwierigkeit der Geschäfte die Bewilligung eines höheren als des in § 3 Abs. 1 des Gesetzes vorgesehenen Stundensatzes.


An der Benennung dieser Kriterien in verschiedenen Vorschriften und Regelungszusammenhängen lässt sich erkennen, dass sie nach dem Willen des Gesetzgebers allgemeine Gültigkeit beanspruchen sollen und so auch für die Auslegung gesetzlicher Regelungen wie § 119 Abs. 3 FlurbG oder § 16 Abs. 3 VwVfG herangezogen werden können, die für die Bestimmung der Angemessenheit einer Vergütung keine eigenen Kriterien enthalten (im Ergebnis ebenso für § 16 Abs. 3 VwVfG Hönig, in: Obermayer/Funke-Kaiser, VwVfG, 4. Aufl. 2014, § 16 Rn. 71; Birk, in: Bader/Ronellenfitsch, VwVfG, 2. Aufl. 2016, § 16 Rn. 22; im Ansatz auch VG Halle (Saale), Urteil vom 17. Dezember 2012 - 2 A 122/12 HAL - juris Rn. 24; VG Frankfurt (Oder), Urteil vom 22. Juni 2015 - 4 K 765/13 - juris Rn. 20; a.A.- analoge Anwendung der Stundensätze des § 3 Abs. 1 VBVG - Wingerter/Mayr, FlurbG, 9. Aufl. 2013, § 119 Rn. 5).


c) Der Umstand, dass § 119 Abs. 3 FlurbG eine abschließende Vergütungsregelung enthält, schließt nicht aus, dass sich die festsetzungsberechtigte Behörde - und im Streitfall das Gericht - zur Ausfüllung des unbestimmten Rechtsbegriffs der angemessenen Vergütung an anderen gesetzlichen Regelungen orientiert, soweit sie vergleichbare Sachverhalte betreffen. In diesem Zusammenhang ist die Wertung des Gesetzgebers zu berücksichtigen, die davon ausgeht, dass die Vertretung im Flurbereinigungsverfahren sachlich einer Abwesenheitspflegschaft nach § 1911 BGB am nächsten kommt (BT-Drs. 7/3020 S. 34 zum Entwurf für § 119 FlurbG, ebenso BT-Drs. 7/910 S. 44 zum Entwurf des heutigen § 16 Abs. 3 VwVfG). Diese Sachnähe der Vertretung im Flurbereinigungsverfahren zur Pflegschaft hat zur Folge, dass die auf der Grundlage des § 1915 Abs. 1 Satz 2 BGB üblichen Stundensätze in besonderem Maße als Orientierungshilfe für eine angemessene Vertretervergütung in Betracht kommen. Im Unterschied zu der in § 3 VBVG getroffenen Regelung, nach der erst die besondere Schwierigkeit der Geschäfte nach § 3 Abs. 3 VBVG die Bewilligung eines höheren als des in § 3 Abs. 1 VBVG vorgegebenen Stundensatzes rechtfertigen kann, kommt umgekehrt bei Orientierung an der für die Führung einer Pflegschaft üblichen Vergütung ein Stundensatz nach § 3 Abs. 1 VBVG nur bei besonders geringer Schwierigkeit der Geschäfte in Betracht. Es handelt sich bei dem Stundensatz für Hochschulabsolventen gemäß § 3 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 VBVG so um die untere Grenze für die angemessene Vergütung eines Rechtsanwalts als Vertreter im Flurbereinigungsverfahren. Der Vertreter hat für die Bewilligung einer bei Pflegschaften üblichen Vergütung nicht die besondere Schwierigkeit der Geschäfte darzulegen; vielmehr hat umgekehrt die Behörde aufzuzeigen, weshalb ein besonders einfach gelagerter Fall vorliegt und deshalb nur der Mindeststundensatz für Hochschulabsolventen gemäß § 3 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 VBVG zu bewilligen ist.


d) Nach Maßgabe dieser Grundsätze steht die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts mit Bundesrecht in Einklang. Es hat auf die zutreffenden Kriterien der für die Vertretertätigkeit nutzbaren Fachkenntnisse des Klägers sowie auf den Umfang und die Schwierigkeit der Vertretertätigkeit abgestellt. Seine tatsächlichen Feststellungen sind nicht mit Verfahrensrügen angegriffen worden und im Übrigen - insbesondere der vom Kläger genau dargelegte zeitliche Umfang seiner Tätigkeit - auch unstreitig. In erster Linie hat das Flurbereinigungsgericht die für die Vertretertätigkeit nutzbaren Fachkenntnisse des Klägers herangezogen und den Umstand gewürdigt, dass das Amtsgericht mit dem Kläger einen zugelassenen Rechtsanwalt zum Vertreter bestellt hat. Dabei hat die Vorinstanz den vom Kläger geltend gemachten Stundensatz von 70 EUR mit der Begründung gerechtfertigt, die Kosten für die personelle und sächliche Ausstattung einer Anwaltskanzlei seien zu berücksichtigen.


Das ist nicht zu beanstanden. Entgegen der Auffassung des Beklagten ergibt sich aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Vergütung von Berufsbetreuern (Beschluss vom 15. Dezember 1999 - 1 BvR 1904/95 u.a. - BVerfGE 101, 331 <352>) und von Verfahrenspflegern (Kammerbeschluss vom 7. Juni 2000 - 1 BvR 23/00 und 111/00 - FamRZ 2000, 1280 <1282>) nichts anderes. Das Bundesverfassungsgericht hat wesentlich darauf abgestellt, dass bei Berufsbetreuern und Verfahrenspflegern keine Pflicht zur Übernahme des Amtes besteht. Mit diesem Gesichtspunkt hat es begründet, dass die Kostenstruktur einer Anwaltskanzlei dort nicht berücksichtigt werden musste. Demgegenüber besteht für das Amt eines Vertreters im Flurbereinigungsverfahren und auch in anderen Verwaltungsverfahren wie im Pflegschaftsrecht eine Pflicht zur Übernahme der Tätigkeit (§ 119 Abs. 4 FlurbG i.V.m. §§ 1915, 1785 BGB; so auch Wingerter/Mayr, FlurbG, 9. Aufl. 2013, § 119 Rn. 7; ebenso allg. Meinung zur entsprechenden Norm des § 16 Abs. 4 VwVfG, s. Schmitz, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl. 2014, § 16 Rn. 32; Birk, in: Bader/Ronellenfitsch, VwVfG, 2. Aufl. 2016, § 16 Rn. 26; ferner zu § 207 BauGB Kalb/Külpmann, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand 1. Februar 2017, § 207 Rn. 33; Hornmann, in: Spannowsky/Uechtritz, BauGB, 2. Aufl. 2014, § 207 Rn. 30; vgl. auch Bienwald, FamRZ 2000, 1283). Dies rechtfertigt und erfordert die Berücksichtigung der Kosten für die personelle und sächliche Ausstattung einer Anwaltskanzlei bei der Festlegung des Stundensatzes, weil der Rechtsanwalt hier für das öffentliche Interesse an der ordnungsgemäßen Durchführung eines Verwaltungsverfahrens in die Pflicht genommen wird.

Anmerkung


Vorinstanz: OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 25.06.2015 - OVG 70 A 13.12