Flurbereinigungsgericht Lüneburg, Beschluss vom 26.08.2008 - 15 MF 15/08 = NL-BzAR 2008, 471-475 (Gründe)= RdL 2008, 293-294 (Leitsatz und Gründe)= AUR 2009, 199-201 (Leitsatz und Gründe) (Lieferung 2010)

Aktenzeichen 15 MF 15/08 Entscheidung Beschluss Datum 26.08.2008
Gericht Flurbereinigungsgericht Lüneburg Veröffentlichungen NL-BzAR 2008, 471-475 (Gründe) = RdL 2008, 293-294 (Leitsatz und Gründe) = AUR 2009, 199-201 (Leitsatz und Gründe)  Lieferung 2010

Leitsätze[Quelltext bearbeiten]

1. Zu den Anforderungen an die Änderung einer vorläufigen Besitzeinweisung in Flurbereinigungsverfahren.
2. Die vorläufige Besitzeinweisung schafft keinen Vertrauenstatbestand.
3. Die vorläufige Besitzeinweisung ist kein begünstigender Verwaltungsakt, sie kann daher gem. § 49 Abs. 1 VwVfG geändert werden.

Aus den Gründen

Das Amt für Agrarstruktur O. ordnete durch Beschluss vom 2. Januar 2002 das vereinfachte Flurbereinigungsverfahren C. -D. an, um den zersplitterten und teilweise unwirtschaftlich geformten Grundbesitz im Verfahrensgebiet nach neuzeitlichen betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten zusammenzulegen und zweckmäßig zu gestalten. Zudem soll die mit dem Verfahren bezweckte Verbesserung der Agrarstruktur durch eine Straffung und den Ausbau eines zeitgemäßen Wegenetzes ergänzt werden. Das im Landkreis O gelegene Verfahrensgebiet umfasst eine Fläche von rd. 1.875 ha mit rd. 250 Teilnehmern. Der Antragsteller ist als Eigentümer von land- und forstwirtschaftlich genutzten Flächen Teilnehmer an diesem Flurbereinigungsverfahren. Die Wertermittlung der vom Verfahren betroffenen Flächen ist seit dem 15. Dezember 2002 unanfechtbar.


Die Antragsgegnerin ordnete unter dem 5. Juli 2007 mit Wirkung zum 1. September 2007 die vorläufige Einweisung der Beteiligten in den Besitz und Nutzung der neuen Flächen an. Der Antragsteller und weitere Teilnehmer wandten sich gegen die neue Feldeinteilung. Am 1. April 2008 verhandelten die Beteiligten über eine Änderung der bisherigen Feldeinteilung. Unter dem 14. April 2008 übersandte die Antragsgegnerin dem Antragsteller Unterlagen über die beabsichtigte Änderung der Feldeinteilung.


Die Antragsgegnerin änderte unter dem 1. Juli 2008 die vorläufige Besitzeinweisung vom 5. Juli 2007 mit Wirkung vom 1. September 2008. Zugleich ordnete sie die sofortige Vollziehung ihrer Verfügung an. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen an: Im Zusammenhang mit der laufenden Aufstellung des Flurbereinigungsplans seien zwischenzeitlich Veränderungen der neuen Feldeinteilung geplant. Diese Änderungen seien zur Umsetzung in der Zwischenzeit erzielter Vereinbarungen aber auch von Amts wegen erforderlich geworden, um die Abfindungen für alle Beteiligten insgesamt wertgleich und wirtschaftlich optimal zu gestalten. Aus dem gesetzlichen Anspruch der Teilnehmer auf wertgleiche Abfindung ergebe sich die Notwendigkeit, die bisherige Feldeinteilung zu ändern und den Teilnehmern die Verbesserungen in der Bewirtschaftung unverzüglich zu verschaffen. In einem Flurbereinigungsverfahren könne der Besitz- und Nutzungsübergang in die Abfindungsflächen nur einheitlich für alle betroffenen Beteiligten erfolgen. Nur unter dieser Voraussetzung sei eine ordnungsgemäße Bewirtschaftung der neuen Flächen gegeben. Eine Weiterbewirtschaftung nach der veralteten Feldeinteilung führe zu erheblichen betriebswirtschaftlichen Nachteilen der Beteiligten sowie zu landeskulturellen Nachteilen. Deshalb überwiege das öffentliche Interesse und das Interesse der betroffenen Grundstückseigentümer an einem unverzüglichen Besitzwechsel in die künftige Feldeinteilung das private Interesse etwaiger Widerspruchsführer, die bisher zugeteilten Flächen bis zur Entscheidung über ihren Rechtsbehelf weiter bewirtschaften zu können.


Der nach § 138 Abs. 1 Satz 2 des Flurbereinigungsgesetzes - FlurbG - in Verbindung mit § 80 Abs. 5 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - zulässige Antrag, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen die Anordnung der Antragsgegnerin vom 1. Juli 2008 über die Änderung der vorläufigen Besitzeinweisung vom 5. Juli 2007 wiederherzustellen, hat keinen Erfolg.


Die Antragsgegnerin hat die sofortige Vollziehung der Anordnung des vereinfachten Flurbereinigungsverfahrens besonders angeordnet (§ 138 Abs. 1 Satz 2 FlurbG in Verbindung mit § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO) und das besondere Interesse an der Vollziehung in einem ausreichenden Maße und in nachvollziehbarer Weise schriftlich begründet (§ 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO). Die angeführte Begründung genügt den Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO, weil sie die maßgeblichen Gründe für die Anordnung der sofortigen Vollziehung in Bezug auf die geänderte vorläufige Besitzeinweisung angibt und damit dem Antragsteller ermöglicht, seine Rechte wahrzunehmen. Dass hier die Gründe, die die vorläufige Besitzeinweisung und ihre Änderung für geboten erscheinen lassen, mit denen, die die Anordnung der sofortigen Vollziehung rechtfertigen, im Wesentlichen übereinstimmen, unterliegt keinen rechtlichen Bedenken; es dürfen an die zusätzliche Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung in einem solchen Fall keine übermäßig strengen Anforderungen gestellt werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. Oktober 1980 - 2 BvR 1068/80 -, = RzF - 20 - zu § 65 FlurbG, S. 43; Bay. VGH, Beschluss vom 28. Februar 2007 - 13 AS 07.168 -, juris). Die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Anordnung des Flurbereinigungsverfahrens ist auch inhaltlich nicht zu beanstanden.
Im Rahmen eines Antrages nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann der Senat die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise wiederherstellen. Dabei ist zu prüfen, ob neben der Einhaltung der formellen Voraussetzungen für die Anordnung der sofortigen Vollziehung sich ergibt, dass das Interesse des Antragstellers, von einer Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsaktes bis zur Entscheidung über seine Rechtmäßigkeit in einem Verfahren zur Hauptsache verschont zu bleiben, das Interesse der Allgemeinheit an der sofortigen Durchsetzung überwiegt. Bei der in diesem Rahmen zu treffenden eigenen Ermessensentscheidung des Senats kommt es maßgeblich darauf an, ob der Rechtsbehelf, dessen aufschiebende Wirkung wiederhergestellt werden soll, voraussichtlich Erfolg haben wird. Hat der Rechtsbehelf auf Grund der Rechtswidrigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes aller Voraussicht nach Erfolg, ist dem Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes stattzugeben, weil der Vollzug eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes nicht im öffentlichen Interesse liegen kann. Ein überwiegendes öffentliches Interesse ist in der Regel dann gegeben, wenn bereits im Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zu erkennen ist, dass der Rechtsbehelf des Antragstellers offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg bietet; denn an der sofortigen Vollziehung eines offenbar zu Unrecht angefochtenen Verwaltungsaktes besteht regelmäßig ein besonderes öffentliches Interesse (BVerfG, Kammerbeschluss vom 19. Oktober 1988 - 2 BvR 1147/88 -, VBlBW 1989, 130; Beschluss vom 11. Februar 1982 - 2 BvR 77/82 -, NVwZ 1982, 241). Ist jedoch der Ausgang des Verfahrens in der Hauptsache bei der im Aussetzungsverfahren grundsätzlich nur gebotenen summarischen Überprüfung offen, kommt es auf eine Abwägung der widerstreitenden Interessen an (BVerwG, Beschluss vom 29. April 1974 - BVerwG 4 C 21.74 -, DVBl. 1974, 566; st. Rspr. d. Senats, vgl. Beschluss des Senats vom 4. Juli 2008 - 15 MF 6/08 -, Entscheidungsdatenbank des OVG, m.w.N.).
Nach Maßgabe dessen liegen die Voraussetzungen für die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs des Antragsstellers gegen die Änderung der vorläufigen Besitzeinweisung in dem Flurbereinigungsverfahren C. -D. nicht vor. Der Widerspruch des Antragstellers gegen die angefochtene Verfügung der Antragsgegnerin, die vorläufige Besitzeinweisung vom 5. Juli 2007 zu ändern, wird aller Voraussicht nach ohne Erfolg bleiben. Nach der in dem Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Überprüfung der Sach- und Rechtslage ist davon auszugehen, dass die angefochtene Verfügung der Antragsgegnerin rechtmäßig ist.


Die Änderung der vorläufigen Besitzeinweisung findet ihre rechtliche Grundlage in §§ 1 Abs. 1 NVwVfG, 49 Abs. 1 VwVfG in Verbindung mit § 65 Abs. 1 Satz 1 FlurbG. Sie ist in formeller Hinsicht nicht zu beanstanden. Die Antragsgegnerin hat als zuständige Flurbereinigungsbehörde (§§ 65 Abs. 2 Satz 1, 2 Abs. 2 Satz 2, 3 Abs. 1 Satz 1 FlurbG) gehandelt. Sie hat sowohl entsprechend den Anforderungen des § 65 Abs. 1 Satz 2 FlurbG den Beteiligten die geänderte Neueinteilung der Flächen bekannt gegen als auch die vorläufige Besitzeinteilung nach § 65 Abs. 2 Satz 3 FlurbG öffentlich bekannt gegeben. Ferner hat sie dem Antragsteller Gelegenheit gegeben, sich zu der Änderung der vorläufigen Besitzeinweisung zu äußern.


Die Änderung der vorläufige Besitzeinweisung genügt auch materiell-rechtlich den Anforderungen der §§ 49 Abs. 1 VwVfG, § 65 Abs. 1 Satz 1 FlurbG. Nach § 49 Abs. 1 VwVfG kann ein rechtmäßiger nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft widerrufen werden, außer wenn ein Verwaltungsakt gleichen Inhalts erneut erlassen werden müsste. Dabei umfasst der Widerruf eines Verwaltungsaktes nicht nur seine nachträgliche (vollständige oder teilweise) Aufhebung, sondern zugleich auch seine Änderung ohne Rücksicht auf seine Rechtswidrigkeit durch eine Behörde außerhalb eines Rechtsbehelfsverfahrens (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG - Kommentar 10. Auflage, 2008 -, § 49 Rdnr. 5).


Diese Voraussetzungen für die Änderung der vorläufigen Besitzeinweisung liegen hier vor: Bei einer vorläufigen Besitzeinweisung nach § 65 Abs. 1 Satz 1 FlurbG handelt es sich um einen nicht begünstigenden Verwaltungsakt im Sinne des § 49 Abs. 1 VwVfG. Ein begünstigender Verwaltungsakt in diesem Sinne liegt unter Rückgriff auf die Regelung in § 48 Abs. 1 Satz 2 VwVfG nur dann vor, wenn er ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat. Hingegen greift die vorläufige Besitzeinweisung in den bisherigen Besitz und damit in die Nutzung der Flächen durch eine Trennung von Nutzungs- und Verfügungsrecht über das Grundstück ein und trifft vorläufig eine (in Teilen abweichende) Regelung über den Besitz an den Flächen im Verfahrensgebiet. Die vorläufige Besitzeinweisung ist darauf gerichtet, durch die faktische Vorwegnahme der geplanten Abfindung vor Eintritt der rechtlichen Wirkungen des Flurbereinigungsplanes das Flurbereinigungsverfahren im Interesse der Teilnehmer zu beschleunigen und nach Möglichkeit Entschädigungszahlungen nach § 51 FlurbG zu vermeiden (vgl. OVG Brandenburg, Urteil vom 26. September 2002 - 8 D 30/99.G -, RdL 2004, 326; Schwantag, in: Seehusen/Schwede, Flurbereinigungsgesetz - Kommentar - 8. Auflage 2008, § 65 Rdnr. 1; Haselhoff, RdL 1987, 1). Dass sich durch die vorläufige Besitzeinweisung die mit der Flurbereinigung beabsichtigten Verbesserungen für die Teilnehmer vorab einstellen, begründet aber weder ein Recht noch einen rechtlichen erheblichen Vorteil. Insoweit handelt es sich nicht um gezielte Rechtswirkungen der vorläufigen Besitzeinweisung, sondern lediglich um ihre Folgen im Tatsächlichen (Reflexwirkungen). Dies folgt auch daraus, dass lediglich eine vorläufige (Besitz-)Regelung getroffen wird, der mit Blick auf die endgültige Abfindung nach dem Flurbereinigungsplan (§ 58 FlurbG) eine verbindliche Wirkung nicht zukommt. Vielmehr werden durch die vorläufige Besitzeinweisung regelmäßig keine Tatsachen geschaffen, die im weiteren Verlauf des Flurbereinigungsverfahrens nicht mehr rückgängig gemacht werden können. Durch sie wird der Flurbereinigungsplan zwar in gewisser Weise vorgeprägt, nicht aber in rechtlicher Hinsicht vorweggenommen oder vorverwirklicht (std. Rechtsprechung des BVerwG, vgl. Urteil vom 19. Oktober 1994 - BVerwG 11 C 7.93 -, Buchholz 424.01 § 87 FlurbG Nr. 15; Urteil vom 6. Juli 1989 - BVerwG 5 C 13.86 -, Buchholz 424.01 § 65 FlurBG Nr. 7; Urteil vom 23. Juni 1988 - BVerwG 5 C 1.86 -, Buchholz 424.01 § 65 FlurbG Nr. 4). Deshalb greift auch der Einwand des Antragstellers, die Antragsgegnerin habe durch die vorläufige Besitzeinweisung in 2007 einen Vertrauenstatbestand geschaffen, nicht durch.


Der Änderung der vorläufigen Besitzeinweisung vom 5. Juli 2007 kann nicht entgegengehalten werden, dass diese Regelung erneut erlassen werden müsste (§ 49 Abs. 1 VwVfG). Die Antragsgegnerin ist gesetzlich nicht verpflichtet, die bisherige vorläufige Besitzeinweisung nach § 65 Abs. 1 FlurbG erneut unverändert anzuordnen.

Anmerkung


Vergleiche BVerwG Beschluss vom 12.07.2007 -9 B 18.07 = RzF - 106 - zu § 44 Abs. 1 FlurbG