Flurbereinigungsgericht Kassel, Urteil vom 23.02.2016 - 2 C 159/15.N = DÖV 2016, 618= LSK 2016, 44395 (Leitsatz) (Lieferung 2017)
Aktenzeichen | 2 C 159/15.N | Entscheidung | Urteil | Datum | 23.02.2016 |
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Gericht | Flurbereinigungsgericht Kassel | Veröffentlichungen | = DÖV 2016, 618 = LSK 2016, 44395 (Leitsatz) | Lieferung | 2017 |
Leitsätze[Quelltext bearbeiten]
1. | Grundsätzlich ist ein Rechtsschutzbedürfnis dafür anzuerkennen, auch eine Satzung zur gerichtlichen Überprüfung zu stellen, die zur Heilung eventueller formeller Fehler durch eine neue Satzung über den gleichen Gegenstand ersetzt worden ist. |
2. | Die gerichtliche Kontrolle einer Abwägung auf der Grundlage des § 58 Abs. 4 Satz 2 FlurbG findet statt in entsprechender Anwendung der Grundsätze aus dem Bauplanungsrecht zur eingeschränkten Beachtlichkeit von Abwägungsfehlern. |
3. | Bei der Abwägung nach § 58 Abs. 4 Satz 2 FlurbG ist insbesondere zu berücksichtigen, dass die Rechtsposition des Teilnehmers an der Flurbereinigung weiter reicht als die Rechtsposition des Anliegers nach dem Wegerecht. Dem Teilnehmer an der Flurbereinigung kommt eine eigentumsrechtlich geschützte Position zu. |
Aus den Gründen
Die Antragstellerin zu 1. und der Antragsteller zu 2. können sich auf § 58 Abs. 4 Satz 2 FlurbG als Schutznorm berufen (BVerwG, a.a.O. sowie bereits BVerwG, Urteil vom 18. November 2002 - 9 CN 1/02 -, juris). Nach dieser Vorschrift können Festsetzungen eines Flurbereinigungsplans, die im gemeinschaftlichen Interesse der Beteiligten oder im öffentlichen Interesse im Sinne des § 58 Abs. 4 Satz 1 FlurbG getroffen worden sind, nach Beendigung des Flurbereinigungsverfahrens nur durch Gemeindesatzung mit Zustimmung der Gemeindeaufsichtsbehörde geändert oder aufgehoben werden. Aus dieser Norm ergibt sich eine die Teilnehmer des abgeschlossenen Flurbereinigungsverfahrens schützende Pflicht der Gemeinde, ihre berechtigten Interessen am Fortbestand sie begünstigender Festsetzungen des Flurbereinigungsplans einerseits und die für die Änderung sprechenden öffentlichen oder sonstigen Belange andererseits abzuwägen (BVerwG, Urteil vom 19. Februar 2015, a.a.O., juris Rn. 14 m.w.N.).
Die Antragstellerin zu 1. zählt zu den Teilnehmern des Flurbereinigungsverfahrens in den Jahren 1975/1976 und nach ihrem Vorbringen ist der streitbefangene Weg zur Andienung des Flurstücks B... geschaffen worden, wobei sie hierfür andere Grundstücke habe abgeben müssen. Dies genügt zur Bejahung der Antragsbefugnis. Die Antragstellerin zu 1. hat hiernach ein berechtigtes Interesse am Fortbestand der sie begünstigenden Festsetzungen des Flurbereinigungsplans (vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Februar 2015, a.a.O.).
Auch der Antragsteller zu 2. als Pächter des Grundstücks der Antragstellerin zu 1. kann sich auf eine mögliche Verletzung des § 58 FlurbG berufen. In seiner Eigenschaft als Pächter ist er Träger schutzwürdiger, in der Abwägung bei der Einziehung eines im Flurbereinigungsverfahren geschaffenen Wirtschaftswegs zu berücksichtigender Belange und insoweit in eigener Person antragsbefugt (s. BVerwG, a.a.O., juris Rn. 19 m.w.N.). Der besondere Zweck des § 58 Abs. 4 FlurbG, die Nachhaltigkeit der Ergebnisse der Flurbereinigung zu sichern (s. BVerwG, Urteil vom 18. November 2002 - 9 CN 1.02 -, juris Rn. 61) spricht dafür, neben den dinglichen Rechtsnachfolgern der Teilnehmer des Flurbereinigungsverfahrens die Pächter der jeweiligen Grundstücke in den Kreis der geschützten Personen einzubeziehen (BVerwG, Urteil vom 19. Februar 2015, a.a.O.).
Es ist ein Rechtsschutzbedürfnis dafür anzuerkennen, auch die Wirksamkeit der früheren, durch den Satzungsbeschluss vom 30. November 2015 ersetzten Satzung vom 29. September 2014 zur Prüfung zu stellen. Sobald eine Gemeinde eine Satzung durch eine Satzung über den gleichen Gegenstand ersetzt, verliert die frühere Satzung zwar grundsätzlich ihre Wirksamkeit. Das folgt aus dem in der Rechtsordnung allgemein geltenden gewohnheitsrechtlich anerkannten Satz zur Auflösung einer Normkollision, wonach die spätere Norm die frühere Norm verdrängt (BVerwG, Urteil vom 10. August 1990 - 4 C 3/90 -, juris Rn. 21). Wenn jedoch wegen Unwirksamkeit der neuen Norm diese Möglichkeit der Normkollision entfällt, dann tritt die Rechtsfolge der Verdrängung der älteren Norm nicht ein (BVerwG, a.a.O.). Das bedeutet, dass die ältere Norm in diesem Fall unverändert fortgilt. Deshalb müssen diejenigen, die die Unwirksamkeit mehrerer Satzungen über den gleichen Gegenstand festgestellt haben wollen, sowohl die ältere als auch die neuere Fassung der Norm gleichzeitig angreifen können, auch wenn nach dem Willen des Normgebers die neuere Norm die ältere ersetzen soll (BVerwG, a.a.O.; s. auch BVerwG, Beschluss vom 18. September 1981 - 7 N 1.79 -, juris Rn. 36; OVG Lüneburg, Urteil vom 5. September 2007 - 1 KN 25/07 -, juris Rn. 30 m.w.N.).
Etwas anderes könnte höchstens dann in Betracht kommen, wenn der Beschluss über die Ersetzung der alten Norm durch eine inhaltsgleiche neue Norm erkennen lässt, dass er auch dann Bestand haben soll, wenn sich die neue Norm als unwirksam erweisen sollte (OVG Lüneburg, a.a.O., Rn. 29). Das ist hier jedoch nicht der Fall. Die Antragsgegnerin hat den erneuten Beschluss über die Einziehung des Wirtschaftswegs "Huhnfeld" vielmehr allein deshalb gefasst, um eventuelle formelle Mängel des vorherigen Satzungsbeschlusses zu heilen. Sie wollte weiterhin den Wirtschaftsweg durch einen Satzungsbeschluss einziehen und nicht den alten Satzungsbeschluss über die Einziehung auch für den Fall aufheben, dass der neue Satzungsbeschluss unwirksam sein sollte.
II. Der Normenkontrollantrag ist hinsichtlich beider Satzungen begründet.
Es bedarf letztlich keiner Prüfung mehr, ob der erste Satzungsbeschluss vom 29. September 2014 die von den Antragstellern gerügten formellen Rechtsmängel aufweist, denn beide Satzungen erweisen sich wegen beachtlicher Abwägungsmängel als unwirksam (§ 47 Abs. 5 Satz 2 VwGO). Es erscheint allerdings trotzdem noch geboten darauf hinzuweisen, dass die am 29. September 2014 von der Stadtverordnetenversammlung beschlossene rückwirkende Einziehung des Wirtschaftsweges bereits mit Wirkung zum 1. August 2014 (§ 2 der Satzung) auch für sich betrachtet wegen Verstoßes gegen das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) als unwirksam anzusehen sein dürfte. Mit einer rückwirkenden Einziehung würde den Normunterworfenen nachträglich die Befugnis zur Benutzung des Wegs entzogen.
Beide Satzungen leiden unter Abwägungsmängeln, die zu ihrer Unwirksamkeit führen. Die Antragsgegnerin hat das ihr in § 58 Abs. 4 Satz 2 FlurbG zugewiesene Gebot zur Abwägung fehlerhaft ausgeübt.
Die Antragstellerin zu 1. war Teilnehmerin des Flurbereinigungsverfahrens für die Gemarkung Herolz, das mit Flurbereinigungsbeschluss vom 17. Februar 1970 eingeleitet worden ist und in den Jahren 1975/1976 zum Abschluss gekommen war. Der streitgegenständliche Weg wurde in diesem Verfahren geschaffen. Deshalb ist die Festsetzung des streitgegenständlichen Flurstücks A... als Wirtschaftsweg im Rahmen dieses Flurbereinigungsverfahrens im gemeinschaftlichen Interesse der Beteiligten im Sinne des § 58 Abs. 4 Satz 2 FlurbG getroffen worden.
In dieser Situation kann die Antragsgegnerin die Einziehung des streitbefangenen Wegs nicht durch Einziehungsverfügung nach § 6 des Hessischen Straßengesetzes unter den dort genannten Voraussetzungen vornehmen; vielmehr ist ein Satzungsbeschluss erforderlich. Das Satzungsermessen der Antragsgegnerin ist dabei im Hinblick auf die in § 58 Abs. 4 Satz 1 FlurbG angesprochenen öffentlichen und privaten Belangen dahin eingeschränkt, dass sie die berechtigten Interessen der Teilnehmer des Flurbereinigungsverfahrens am Fortbestand der sie begünstigenden Festsetzungen des Flurbereinigungsplans abwägend zu berücksichtigen hatte (BVerwG, Urteil vom 19. Februar 2015 - 9 CN 1/14 -, juris Rn. 25; Urteil vom 18. November 2002 - 9 CN 1.02 -, juris). Die gerichtliche Kontrolle dieser Abwägung ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der sich der Senat anschließt, an den Grundsätzen auszurichten, die in der Rechtsprechung für die Begrenzung der planerischen Gestaltungsfreiheit entwickelt worden sind. Dementsprechend ist zu prüfen, ob eine Abwägung überhaupt stattgefunden hat, ob die nach Lage der Dinge abwägungsbeachtlichen Belange in sie eingestellt worden sind und ob weder die Bedeutung der betroffenen öffentlichen und privaten Belange verkannt noch der Ausgleich zwischen ihnen in einer Weise vorgenommen worden ist, die zu der objektiven Gewichtigkeit einzelner Belange außer Verhältnis steht (ständige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, speziell zu § 58 Abs. 4 Satz 1 FlurbG: Urteil vom 19. Februar 2015, a.a.O.).
Das Bundesverwaltungsgericht wendet ferner für die Abwägungskontrolle von Satzungen nach § 58 Abs. 4 Satz 2 FlurbG die Grundsätze aus dem Bauplanungsrecht für die eingeschränkte Beachtlichkeit von Abwägungsfehlern entsprechend an (BVerwG, a.a.O., juris Rn. 26). Auch diesem Ansatz, der Ausdruck des allgemeinen Rechtsgedankens ist, Abwägungsentscheidungen, die jedenfalls im Ergebnis nicht offenkundig fehlerhaft sind, nach Möglichkeit aufrechtzuerhalten, folgt der Senat. Ein Mangel im Abwägungsvorgang ist danach nur erheblich, wenn er offensichtlich und auf das Abwägungsergebnis möglicherweise von Einfluss gewesen ist (BVerwG, a.a.O. sowie etwa Urteil vom 23. August 2006 - 10 C 4.05 -, juris Rn. 32 für die Abwägungskontrolle gegenüber Festsetzungen des Flurbereinigungsplans). Offensichtlich in diesem Sinne sind insbesondere Fehler, die die Zusammenstellung und Aufbereitung des Abwägungsmaterials, die Erkenntnis und Einstellung aller wesentlichen Belange in die Abwägung oder die Gewichtung der Belange betreffen und die sich aus Akten, der Entwurfsbegründung oder sonstigen Umständen ergeben. Möglichen Einfluss auf das Abwägungsergebnis hat ein Mangel, wenn ohne ihn die konkrete Möglichkeit einer anderen Entscheidung bestanden hätte (ständige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, für den vorliegenden Zusammenhang des § 58 Abs. 4 FlurbG: Urteil vom 19. Februar 2015, a.a.O. Rn. 26).
Kriterien der Abwägung benennt § 58 Abs. 4 Satz 2 FlurbG nicht ausdrücklich (BVerwG, Urteil vom 18. November 2002, a.a.O. Rn. 62). Aus dem Zusammenhang des Flurbereinigungsgesetzes und der Bedeutung der Flurbereinigung lässt sich jedoch entnehmen, dass die gemeinschaftlichen Anlagen im Flurbereinigungsgebiet wie Wege und Straßen (§ 39 FlurbG) mit Landabzug der Teilnehmer der Flurbereinigung hierfür geschaffen werden (§ 47 FlurbG). Dies verleiht den Teilnehmern der Flurbereinigung eine eigentumsrechtlich geschützte Position (BVerwG, Urteil vom 18. November 2002, a.a.O.). Änderungssatzungen nach § 58 Abs. 4 FlurbG dürfen nur ergehen, wenn wichtige öffentliche Interessen oder wichtige wirtschaftliche Bedürfnisse der Beteiligten dies erfordern (BVerwG, a.a.O.). Eine Änderungssatzung nach § 58 Abs. 4 Satz 2 FlurbG kann regelmäßig nur dann ermessensfehlerfrei ergehen, wenn sich die für die Festsetzung des Flurbereinigungsplans maßgebende Interessenlage geändert hat; das ist insbesondere dann der Fall, wenn der betreffende Weg die ihm ursprünglich zugedachte Verkehrsbedeutung nicht erlangt oder nachträglich verloren hat (BVerwG, Urteil vom 19. Februar 2015, a.a.O. Rn. 28).
Bei der Abwägung ist insbesondere zu berücksichtigen, dass die Rechtsposition des Teilnehmers an der Flurbereinigung weiter reicht als die Rechtsposition des Anliegers nach dem Wegerecht, der keinen Anspruch auf Aufrechterhaltung des Gemeingebrauchs und damit grundsätzlich keinen Anspruch auf den Bestand eines öffentlichen Weges hat (BVerwG, a.a.O., Rn. 64). Vielmehr dient ein durch die Flurbereinigung geschaffenes Wegenetz speziellen Interessen der Teilnehmer des Flurbereinigungsverfahrens und unterliegt - auch bei einer eventuellen Widmung für den Gemeingebrauch - weiterhin einem flurbereinigungsrechtlichen Sonderregime. Anders als bei der Entscheidung über eine wegerechtliche Einziehung muss sich der Teilnehmer einer Flurbereinigungsgemeinschaft, wenn ihm ein Verzicht auf fortbestehende Erschließungsfunktionen zugemutet werden soll, nicht entgegenhalten lassen, dass seine Grundstücke weiterhin hinreichend erschlossen bleiben (BVerwG, a.a.O., Rn. 66; Bay. VGH, Urteil vom 11. Mai 2011 - 13a N 10.577 -, juris Rn. 31). Das flurbereinigungsrechtliche Sonderregime schützt nämlich nicht nur einen Weg oder Wegeteil, auf dessen Vorhandensein der Grundeigentümer für die Zugänglichkeit seines Grundstücks angewiesen ist, sondern den konkreten Erschließungsvorteil, den der Teilnehmer als einen Ausgleich für den entschädigungslosen Landabzug im Flurbereinigungsverfahren betrachten darf (BVerwG, a.a.O., Rn. 66; Bay. VGH, a.a.O.).
Die Abwägungskontrolle muss bei einer Satzung wie der vorliegenden insbesondere anhand des in den Akten mitgeteilten und verwerteten Abwägungsmaterials erfolgen, vorliegend ist hier insbesondere die Beschlussvorlage für die Stadtverordnetenversammlung einschlägig. Anders als für Aufstellung von Bebauungsplänen gibt es für Satzungen nach § 58 Abs. 4 FlurbG keine speziellen Vorschriften über die schriftlich niederzulegende Begründung eines Satzungsentwurfs (s. dort § 2a des Baugesetzbuches).
Die Zusammenstellung und Aufbereitung des Abwägungsmaterials weist hier offensichtliche Mängel auf. Die als maßgeblich benannten Gesichtspunkte sind allein wegerechtlicher Natur und nehmen die Rechtsposition der Teilnehmer am Flurbereinigungsverfahren nicht in den Blick. In der Beschlussvorlage des Magistrats für die Stadtverordnetenversammlung vom 4. Juni 2014 (Bl. 89 VA) heißt es, eine Wegefläche könne eingezogen und entwidmet werden, wenn die Grundlage für die Benutzung entfallen sei. Dies sei gegeben, wenn kein öffentliches Verkehrsbedürfnis mehr an der Fläche bestehe. Die eingegangene Beschwerde des Pächters gegen die geplante Einziehung betreffe die Frage der Erreichbarkeit der landwirtschaftlichen Nutzfläche ohne den einzuziehenden Weg. Abschließend heißt es in der Darstellung, bei Abwägung der Interessen des Einzelnen gegenüber einem öffentlichen Verkehrsbedürfnis sei der Weg einzuziehen. Die Schutzbedürftigkeit der Allgemeinheit sei höher anzusetzen als der Wille des einzelnen Anliegers auf eine kürzere und beschwerdefreiere Zufahrt zu seinem Pachtgrundstück.
Damit wird die oben näher beschriebene besondere Position der früheren Teilnehmer des Flurbereinigungsverfahrens an der Erhaltung des im Zuge des Flurbereinigungsverfahrens geschaffenen Wegenetzes verkannt. Nach dem Satzungsbeschluss hat die Kommunalaufsicht im Übrigen die Vorlage des Flurbereinigungsplans erbeten und um nähere Ausführungen zum Zweckentfall des Wirtschaftsweges gebeten (VA Bl. 140). Die Antragsgegnerin hat den Flurbereinigungsplan nicht vorgelegt, die Kommunalaufsichtsbehörde allerdings im Folgenden gleichwohl die Genehmigung gemäß § 58 Abs. 4 Satz 2 FlurbG erteilt.
Weiterhin wird in der Beschlussvorlage für die Stadtverordnetenversammlung das Abwägungsmaterial hinsichtlich der geltend gemachten Interessen am Fortbestand des Wirtschaftsweges auf unzutreffender Tatsachengrundlage aufbereitet. Es heißt in der Beschlussvorlage (a.a.O.), die Wegeparzelle sei bis Ende 2013 mit in die bewirtschaftete Fläche des oberhalb liegenden Flurstücks einbezogen worden und dieser Zustand habe Jahrzehnte gewährt. Der Stadt liege aus dieser Zeit keine einzige Beschwerde über diesen Zustand vor. Die Wegeparzelle sei also von niemandem "vermisst" worden. Offensichtlich habe nicht im Geringsten ein öffentliches Verkehrsbedürfnis bestanden.
Demgegenüber ist in Wirklichkeit aktenkundig, dass der Antragsteller zu 2. seit April 2012 darauf gedrungen hat, den streitbefangenen Weg in einen befahrbaren Zustand zu versetzen. In seinem Schreiben vom 30. April 2012 an die Antragsgegnerin (Bl. 2 VA) heißt es, er fordere die Stadt auf, den Feldweg Flur X..., Flurstück 30 in einen befahrbaren Zustand zu versetzen. Er sei dringend darauf angewiesen, diesen Feldweg nutzen zu können. Der Feldweg sei die Zufahrt für das Grundstück Gemarkung Herolz, Flur X..., Flurstück B..., das er nunmehr als Pächter übernommen habe. Darüber hinaus hat der Antragsteller zu 2. im Jahre 2013 ebenfalls aktenkundig ein Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Frankfurt am Main betreffend die Beseitigung von Bauschutt zur Herstellung der Befahrbarkeit der streitgegenständlichen Wegeparzelle geführt (Az.: 6 K 3237/13.F, dort insbesondere Niederschrift über die Erörterung der Sach- und Rechtslage vom 20. Dezember 2013, dieser Prozessvorgang ist von der Antragsgegnerin in das vorliegende Verfahren eingeführt worden). Insgesamt ergibt sich also, dass die der Abwägung der Stadtverordnetenversammlung zugrundeliegenden Annahmen über die Interessen am Befahren des eingezogenen Wegs nicht zutreffen. In der Vorlage des Magistrats an die Stadtverordnetenversammlung ist ein unzutreffender Sachverhalt zur Grundlage der Beschlussfassung gemacht worden.
Diese Mängel bei der Zusammenstellung des Abwägungsmaterials sind offensichtlich. Sie sind auch von Einfluss auf das Abwägungsergebnis gewesen. Es lässt sich nicht feststellen, dass die Abwägung bei Einbeziehung der flurbereinigungsrechtlichen Position der Antragsteller und bei Einbeziehung des Umstandes, dass der Antragsteller zu 2. spätestens seit 2012 die Befahrbarmachung des Weges verlangt hatte, unverändert ausgefallen wäre.
Ein Einfluss auf das Ergebnis kann insbesondere nicht durch den Vortrag des Antragsgegners in der mündlichen Verhandlung ausgeschlossen werden, die Beschlussfassung über die Satzung aufgrund der Magistratsvorlage vom 4. Juni 2014 (a.a.O., Bl. 89) sei zunächst verschoben worden und vor dem Satzungsbeschluss habe der Ältestenrat der Stadtverordnetenversammlung einen Ortstermin durchgeführt, um sich ein Bild darüber zu verschaffen, ob der Weg von seinem tatsächlichen Zustand her überhaupt noch zur Erschließung des Grundstücks der Antragstellerin zu 1. geeignet sei. Das Ergebnis dieses Ortstermins sei in die Abwägung eingeflossen.
Es gibt jedoch keinerlei schriftlich dokumentierte Feststellungen dazu, welche Gesichtspunkte aus dem Ortstermin in die Beschlussfassung der Stadtverordnetenversammlung einfließen sollten. Dokumentiert ist vielmehr, dass die Beschlussvorlage für die Stadtverordnetenversammlung gegenüber der ursprünglichen oben zitierten Vorlage vom 4. Juni 2014 nicht verändert wurde. In dem in der Akte befindlichen "Auszug aus der Niederschrift über die 29. öffentliche Sitzung des Haupt- und Finanzausschusses am 25.09.2014" heißt es, der Ausschuss empfehle der Stadtverordnetenversammlung gemäß der Vorlage des Magistrats vom 4. Juni 2014 zu beschließen (Bl. 136 VA). Dies geschah dann wenige Tage später in der Sitzung der Stadtverordnetenversammlung vom 29. September 2014 (Bl. 137 VA).
Eine Ergebniserheblichkeit des Abwägungsmangels kann weiter auch nicht durch den Vortrag der Antragsgegnerin ausgeschlossen werden, die Wegeparzelle könne wegen Abbruchs am Ufer der Kinzig nicht mehr durchgängig befahren werden und sie könne auch nicht ohne Weiteres wieder in einen befahrbaren Zustand versetzt werden, weil sich der Weg im FFH-Gebiet "Kinzigsystem oberhalb von Steinau an der Straße" bzw. im Landschaftsschutzgebiet "Auenverbund Kinzig" befände. Dieser tatsächliche Zustand des Weges sei Gegenstand des durchgeführten Ortstermins mit dem Ältestenrat gewesen.
Auch zur Frage des tatsächlichen Zustandes des Weges gibt es zum maßgeblichen Zeitpunkt des Satzungsbeschlusses jedoch keine dokumentierten Feststellungen. Die Antragsteller bestreiten eine fehlende Befahrbarkeit des größten Teils des Weges und wenden ein, die momentane fehlende Befahrbarkeit beziehe sich höchstens auf eine kurze "Engstelle" und eine zweifelsfreie Befahrbarkeit könne durch Ufersicherungsmaßnahmen wiederhergestellt werden. Außerdem war die fehlende Befahrbarkeit des Wegs ausweislich der Dokumentation des Abwägungsmaterials (Vorlage vom 4. Juni 2014, a.a.O.) nur ein zusätzliches, aber nicht das tragende Argument für die Einziehungsabsicht. In der Beschlussvorlage heißt es insoweit (nach den oben zitierten Ausführungen zum angeblich fehlenden Interesse an der Aufrechterhaltung des Wegs), es komme hinzu, dass die Wegeparzelle überhaupt nicht mehr durchgängig in vollem Umfang in Anspruch genommen werden könne.
Das Argument der Antragsgegnerin schließlich, eine Herstellung der Befahrbarkeit des Weges scheide aus, weil sich die Wegefläche in einem FFH-Gebiet befinde, beinhaltet allein die pauschale Bezugnahme auf das FFH-Gebiet, ohne dass der Schutzzweck des Gebiets ermittelt und auf dieser Grundlage festgestellt worden wäre, ob der konkrete Schutzzweck des Gebiets der Wiederherstellung der vollen Befahrbarkeit des Weges entgegensteht. Da die streitgegenständliche Wegefläche offenbar im Zuge des Flurbereinigungsverfahrens der Antragsgegnerin zugeteilt worden ist (die konkreten Festsetzungen müssten den von der Antragsgegnerin nicht beigezogenen und dem Senat trotz Aufforderung nicht vorgelegten Akten des Flurbereinigungsverfahrens zu entnehmen sein), ist sie grundsätzlich unterhaltspflichtig für das im Zuge des Flurbereinigungsverfahrens geschaffene und ihr zugeteilte Wegenetz (s. VG Mainz, Urteil vom 22. April 2015 - 3 K 367/14.MZ -, juris Rn. 22 m.w.N.). Eine Aufhebung der Wegeeigenschaft gegen weiterhin bestehende Erhaltungsinteressen der Teilnehmer des Flurbereinigungsverfahrens kommt nach den obigen Ausführungen grundsätzlich nur dann in Betracht, wenn die Erhaltung des Weges rechtlich oder tatsächlich unmöglich bzw. für die Antragsgegnerin wirtschaftlich gänzlich unzumutbar wäre, oder sonstige gewichtige öffentliche Interessen für die Aufhebung sprechen. Dass diese Voraussetzungen hier gegeben sind, ist nicht erkennbar.
Die genannten Abwägungsfehler, deren Ergebniserheblichkeit sich nicht ausschließen lässt, führen somit zur Unwirksamkeit des Satzungsbeschlusses vom 29. September 2014. Für den erneuten Satzungsbeschluss vom 23. November 2015 hat die Antragsgegnerin keine zusätzlichen Sachverhaltsermittlungen vorgenommen und kein zusätzliches Abwägungsmaterial dokumentiert. Vielmehr sollte die erneute Beschlussfassung allein der Behebung (von ihr obendrein verneinter) möglicher formeller Fehler dienen, ohne in der Sache eine veränderte Abwägung vorzunehmen (s. Vorlage des Magistrats an die Stadtverordnetenversammlung vom 22. Oktober 2015 - Gerichtsakte Bl. 119). Daher muss auch die auf dieser Grundlage beschlossene Satzung vom 23. November 2015 wegen der gleichen Abwägungsmängel wie bei der Vorgängersatzung für unwirksam erklärt werden (§ 47 Abs. 5 Satz 2 VwGO).
Anmerkung
Im Anschluss an das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 18.11.2002 - 9 CN 1.02 - = RzF - 16 - zu § 58 Abs. 4 FlurbG