Flurbereinigungsgericht Kassel, Urteil vom 30.01.2014 - 23 C 2254/12 = DÖV 2015, 346;= juris (Lieferung 2016)

Aktenzeichen 23 C 2254/12 Entscheidung Urteil Datum 30.01.2014
Gericht Flurbereinigungsgericht Kassel Veröffentlichungen DÖV 2015, 346; = juris  Lieferung 2016

Leitsätze[Quelltext bearbeiten]

1. Bei der vorläufigen Anordnung nach § 36 FlurbG handelt es sich nicht um einen rechtsgestaltenden Einzelakt, sondern um einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung, der sich in dieser Rechtswirkung ständig aktualisiert.
2. Die durch die vorläufige Anordnung erfolgte Besitzeinweisung entfaltet keine einmalige Statusveränderung, sondern verschafft dem begünstigten Beigeladenen für die Dauer ihrer Geltung den Besitz.
3. Die unzulässige Rückwirkung einer vorläufigen Anordnung stellt daher deren Rechtmäßigkeit ab dem Zeitpunkt ihrer nachträglich eintretenden äußeren Wirksamkeit nicht in Frage.

Aus den Gründen

Die vorläufige Anordnung vom 17. Juli 2008 ist, soweit sie sich gegen den Kläger richtet, in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 12. April 2013 rechtswidrig und verletzt den Kläger in eigenen Rechten, soweit sie die Zeit vom 1. Januar 2009 bis einschließlich 1. März 2012 betrifft. Denn die vorläufige Anordnung legt sich bezogen auf diesen Zeitraum in rechtlich unzulässiger Weise eine Rückwirkung bei. Dies beruht darauf, dass die vorläufige Anordnung mangels öffentlicher Bekanntmachung in H. L. erst durch die Übermittlung des fraglichen Textes per Fax an den Kläger am 2. März 2012 diesem gegenüber äußere Wirksamkeit gemäß § 43 Abs. 1 Satz 1 HVwVfG erlangt hat.


Da die vorläufige Anordnung sich ausweislich ihres maßgeblichen Inhalts (§ 43 Abs. 1 Satz 2 HVwVfG) eine innere Wirksamkeit bezüglich des Klägers bereits zum 1. Januar 2009 beilegt, erlegt sie dem Kläger eine rückwirkende Belastung auf. Eine Auslegung oder Umdeutung der vorläufigen Anordnung dahingehend, dass die Besitzeinweisung der Beigeladenen erst mit Beginn der Wirksamkeit gegenüber dem Kläger, also erst ab 2. März 2012 gelten solle, ist angesichts des eindeutigen Wortlauts der vorläufigen Anordnung nicht möglich (vgl. BVerwG, Urteil vom 11. März 1983 - 8 C 91/81 - juris Rdnr. 12 und Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 26. Juni 2008 - 5 ME 156/08 - juris Rdnr. 10 und 11). Dies gilt auch deshalb, weil die vorläufige Anordnung der Beigeladenen unmittelbar nach ihrem Ergehen bekannt gemacht worden ist und somit dieser gegenüber äußere Wirksamkeit erlangt hat.


Auch durch den angefochtenen Widerspruchsbescheid hat der Beklagte die innere Wirksamkeit der vorläufigen Anordnung nicht modifiziert oder einschränkend interpretiert, sondern in diesem Zusammenhang lediglich ausgeführt, es brauche nicht thematisiert zu werden, dass die vorläufige Anordnung möglicherweise verfassungsrechtlich angreifbar sei, denn sie sei dem Kläger inzwischen in wirksamer Weise bekannt gegeben worden. Danach steht fest, dass die streitige vorläufige Anordnung dem Kläger den Besitz an seinem Grundstück am 2. März 2012 rückwirkend zum 1. Januar 2009 entzogen hat.


Ein solcher rückwirkender Eingriff in das grundrechtlich geschützte Eigentum des Klägers (Art. 14 GG) wäre allerdings zulässig, wenn sich der Beklagte insoweit auf eine ausdrückliche gesetzliche Rechtsgrundlage stützen könnte oder wenn die Maßnahme zum Schutz wertiger Rechtsgüter zwingend geboten und unaufschiebbar gewesen wäre. Beides ist nicht der Fall und wird auch vom Beklagten nicht geltend gemacht. Dass die Maßnahme nicht eilbedürftig war, ergibt sich überdies auch daraus, dass der Beklagte die sofortige Vollziehung der vorläufigen Anordnung bezüglich des Klägers nicht angeordnet hat. Wegen der mithin nicht gerechtfertigten Rückwirkung ist die vorläufige Anordnung vom 17. Juli 2008, soweit sie sich gegen den Kläger richtet, rechtswidrig und verletzt den Kläger in eigenen Rechten, soweit sie die Zeit vom 1. Januar 2009 bis einschließlich zum 1. März 2012 betrifft und ist daher in diesem Umfang aufzuheben.


Im Übrigen ist die Klage unbegründet. Da es sich bei der vorläufigen Anordnung gemäß § 36 FlurbG nicht um einen rechtsgestaltenden Einzelakt handelt, sondern um einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung (Kopp/Schenke, Verwaltungsgerichtsordnung, Kommentar 19. Auflage 2013, § 113 Rdnr. 43 bis 45), der sich in dieser Rechtswirkung ständig aktualisiert (vgl. Niedersächsisches OVG, a.a.O., Rdnr. 12), stellt die unzulässige Rückwirkung die Rechtmäßigkeit der vorläufigen Anordnung ab dem Zeitpunkt ihrer äußeren Wirksamkeit gegenüber dem Kläger nicht in Frage (vgl. Sächsisches Oberverwaltungsgericht, Urteil vom 8. Juni 2012 - 5 A 455/09 - juris). Anders als die vorzeitige Ausführungsanordnung gemäß § 63 FlurbG, die die Auflassung von Grundstücken erfasst und damit eine rechtsgestaltende Wirkung über das Eigentum an Grundstücken entfaltet (OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 4. Januar 1996 - 20 W 548/95 -, juris Rdnr. 9 bis 11 und BGH, Urteil vom 14. Oktober 1992 - IV ZR 9/92 -, juris Rdnr. 17) indem sie deren Status verändert, entfaltet die durch vorläufige Anordnung gemäß § 36 FlurbG erfolgte Besitzeinweisung keine (einmalige) Statusveränderung, sondern verschafft der begünstigten Beigeladenen für die Dauer ihrer Geltung den Besitz. Es handelt sich also um einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung, der sich nicht in einem einmaligen Gebot oder Verbot oder in einer einmaligen Gestaltung der Rechtslage erschöpft (BVerwG, Urteil vom 20. Juni 2013 - 8 C 46/12 - juris und Urteil vom 18. Oktober 1979 - 5 C 12/79 -; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 17. Juli 1971 - VI 525/71 -, DÖV 1972 S. 428 und BFH, Urteil vom 24. November 1987 - juris).

Anmerkung


Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen durch BVerwG, 29.10.2014 - 9 B 32.14.