Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 21.12.2000 - 11 C 8.00 = = RdL 2001, 96
Aktenzeichen | 11 C 8.00 | Entscheidung | Urteil | Datum | 21.12.2000 |
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Gericht | Bundesverwaltungsgericht | Veröffentlichungen | = = RdL 2001, 96 | Lieferung | N/A |
Leitsätze[Quelltext bearbeiten]
1. | Bei Hofgrundstücken in der Dorflage genießen auch solche Teile des Einlageflurstücks den besonderen Schutz des § 45 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 FlurbG, die zwar im räumlichen Zusammenhang mit den Wohn- und Wirtschaftsgebäuden des Hofes liegen, jedoch keinen unmittelbaren betriebswirtschaftlichen Nutzen für einen landwirtschaftlichen Betrieb aufweisen. |
2. | Ob eine Teilfläche als Bestandteil des Einlageflurstücks Hoffläche nach § 45 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 FlurbG ist, kann nicht wegen der umstrittenen Nutzung durch einen Dritten in Frage gestellt werden. Dessen Belange sind vielmehr im Rahmen des § 45 FlurbG bei der Prüfung einzubeziehen, ob Veränderungen wegen des Zwecks der Flurbereinigung erforderlich werden. |
3. | Es ist nicht Aufgabe des Flurbereinigungsverfahrens, strittige Grenzverläufe (der Einlage) richtig zu ermitteln. |
Aus den Gründen
In nicht zu beanstandender Weise ist die Vorinstanz in Übereinstimmung mit der Flurbereinigungsbehörde zunächst davon ausgegangen, dass die streitige Hofeinfahrtsfläche von 32 qm zum Einlageflurstück 79/1 der Flur 4 in der Gemarkung W., mithin zum Hofgrundstück des Beigeladenen gehört. Soweit der Kläger einen Eigentumsübergang nach § 900 BGB anführt, ist eine dazu erforderliche zivilrechtliche Klärung bisher unterblieben. Es ist nicht Aufgabe des Flurbereinigungsverfahrens, strittige Grenzverläufe richtig zu ermitteln (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 09.07.1999 - BVerwG 11 B 12.99 - Buchholz 424.01 § 13 Nr. 3).
Das Flurbereinigungsgericht hat in dem angefochtenen Urteil den Standpunkt eingenommen, die Veränderungen an den Hofgrundstücken des Klägers und des Beigeladenen seien vom Zweck des Verfahrens, so wie er im Einleitungsbeschluss festgeschrieben worden sei, umfasst. Bereits dieser Ausgangspunkt erweist sich als fehlerhaft. Der Flurbereinigungsbeschluss kann nämlich bei verständiger Würdigung aus der Sicht der Betroffenen nur so verstanden werden, dass er in der Ortslage von W. die Verbesserung der Wohn- und Arbeitsverhältnisse der Einwohner durch Dorferneuerungsmaßnahmen zum Gegenstand des Verfahrens gemacht hat. Darauf hat die Beklagte bereits im vorinstanzlichen Verfahren zu Recht hingewiesen. Zwar war Zweck des Verfahrens daneben, die landwirtschaftlichen Arbeits- und Produktionsverhältnisse dadurch zu verbessern, dass Wirtschaftsflächen zusammengelegt und der Flächenzuschnitt sowie die Erschließungswege den Anforderungen an eine moderne Bewirtschaftungsweise gemäß gestaltet werden sollten; doch kann die Begründung des Flurbereinigungsbeschlusses vom 03.11.1988 nicht so interpretiert werden, als würden in der Dorflage von W. die beiden genannten Zwecke gleichermaßen verfolgt. Wäre dies der Fall gewesen, so hätte in geeigneter Weise zum Ausdruck gebracht werden müssen, dass in der Dorflage außerdem, auch oder gleichzeitig Dorferneuerungsmaßnahmen erfolgen sollten. Das ist nicht geschehen, so dass die Eigentümer in der Dorflage bei Einleitung des Verfahrens davon ausgehen konnten, der unveränderte Bestand ihrer Grundstücke sei durch die beabsichtigten Dorferneuerungsmaßnahmen nicht in Frage gestellt. Bereits diesen Umstand kann der Beigeladene dem Flurbereinigungsplan entgegenhalten. Der mit der Klage angegriffene Widerspruchsbescheid führt dies zu Recht aus.
Das angefochtene Urteil enthält im Übrigen keine Feststellungen dazu, ob die Hofgrundstücke des Klägers und des Beigeladenen im Wertermittlungsverfahren nach § 27 ff. FlurbG beurteilt worden sind. Trifft zu, was die Beklagte bereits mit Schriftsatz vom 21.02.2000 gegenüber dem Flurbereinigungsgericht vorgetragen hat, so hat auch die Flurbereinigungsbehörde jedenfalls ursprünglich nur Dorferneuerungsmaßnahmen ohne Grundstücksveränderungen beabsichtigt. Anders wäre nämlich nicht zu erklären, dass danach eine Wertermittlung in der Dorflage nicht stattgefunden hat.
Soweit das Flurbereinigungsgericht unabhängig davon entscheidend darauf abgestellt hat, dem fraglichen Einlageflurstück des Beigeladenen komme im Bezug auf den Flächenanteil vom 32 qm der besondere Schutz des § 45 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 FlurbG nicht zu, vermag der Senat dem nicht zu folgen. Jedenfalls für Hofgrundstücke innerhalb historisch gewachsener Dorflagen liegt darin eine zu restriktive Anwendung der genannten Schutzvorschrift.
Nach der Rechtsprechung des BVerwG genießen den besonderen Schutz des § 45 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 FlurbG nur solche Flächen, die in dem nach § 44 Abs. 1 Sätze 3 und 4 FlurbG maßgebenden Zeitpunkt in der in der einschlägigen Schutznorm bezeichneten Weise genutzt werden oder die dort angeführten Anlagen aufweisen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 15.09.1976 - BVerwG 5 B 56.74 - (Buchholz 424.01 § 45 Nr. 8 S. 9); Beschluss vom 11.01.1990 - BVerwG 5 B 103.89 - (Buchholz 424.01 § 45 Nr. 19); Urteil vom 30.09.1992 - BVerwG 11 C 1.92 - (Buchholz 424.01 § 37 Nr. 24 S. 20)). Als Hofflächen sind danach im Grundsatz diejenigen Grundstücke anzusehen, die im räumlichen Zusammenhang mit den Wohn- und Wirtschaftsgebäuden liegen und dazu bestimmt sind, der Betriebsführung des Hofes zu dienen (vgl. BVerwGE 80, 193/194 f.). Daran anknüpfend stellt das angefochtene Urteil darauf ab, die Voraussetzungen für eine Hoffläche lägen nicht vor, weil die umstrittene Teilfläche gerade nicht der Betriebsführung des Hofes des Beigeladenen, sondern der des Klägers diene.
Dies tritt zwar zu; jedoch dürfen die beschriebenen Definitionsmerkmale nicht schematisch, sondern grundsätzlich nur in einer Weise angewendet werden, die dem Schutzzweck des § 45 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 FlurbG entspricht. Dies gilt insbesondere für Hofgrundstücke in historisch gewachsenen Dorfkernen. Zwar wird es auch hier auf den räumlichen Zusammenhang mit den Wohn- und Wirtschaftsgebäuden des gegenwärtigen - oder ehemaligen - landwirtschaftlichen Betriebes ankommen; jedoch muss in dem vorliegenden Zusammenhang auf das Merkmal eines unmittelbaren betriebswirtschaftlichen Nutzens verzichtet werden. Stattdessen ist auf die bebaute Eigentumsfläche abzustellen, so wie sie sich in der Ortslage historisch entwickelt hat.
Dass es Fallkonstellationen gibt, in denen der Schutz des § 45 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 FlurbG Platz greift, auch ohne dass das zuvor genannte Merkmal eines unmittelbaren betriebswirtschaftlichen Nutzens gegeben ist, ist in der Rechtsprechung des BVerwG ohnedies bereits anerkannt. So hat der Senat bereits in seinem Urteil vom 30.09.1992 (a.a.O. S. 19) entschieden, dass auch Flurbereinigungsteilnehmer, die keinen (Land-)Wirtschaftsbetrieb führen, als Eigentümer eines Hausgrundstückes eine den Schutz des § 45 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 FlurbG genießende Hoffläche haben können (vgl. ebenso OVG Koblenz, Urteil vom 30.01.1962 - OVG 3 C 66/61 - RdL 1963, 165; BayVGH, Urteil vom 31.07.1986 - Nr. 13 A 83 A.784 - RdL 1989, 15/16). Ihnen will die Vorschrift die Nutzung ihres Grundstücks zu Wohnzwecken sichern und im Interesse dieser Nutzung vor allem den ungehinderten Zugang zum Wohngebäude erhalten. Auf einen Nutzen der Fläche im betriebswirtschaftlichen Sinn kommt es danach nicht an.
Ähnlich müssen im Ergebnis die Besonderheiten des vorliegenden Falles beurteilt werden. Der Halbrundling von W. mit den Hofgrundstücken des Klägers und des Beigeladenen bildet einen über lange Zeit zusammengewachsenen historischen Dorfkern, in dem die Einlageflurstücke 79/1 und 383/76 der Flur 4 von jeweils etwa 3 000 qm Größe in ihrem Bestand und ihrer gemeinsamen Grenze seit Jahrzehnten unverändert sind. Bei der keineswegs untypischen Grundstücksgröße liegt zudem auf der Hand, dass auch bei Fortbestehen der landwirtschaftlichen Betriebsführung nicht für jeden Flächenteil jeweils eine aktuelle betriebswirtschaftliche Nutzung festgestellt werden kann. So kann etwa dem zur Hoflage gehörenden Blumengarten, der kaum der Führung des landwirtschaftlichen Betriebes dienen wird, nicht deshalb der Schutz des § 45 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 FlurbG entzogen werden. Daraus ergibt sich, dass bereits unter Würdigung der bisherigen Rechtsprechung als verfehlt angesehen werden muss, bei Hofgrundstücken in der Dorflage nur solche Flächen in den hier fraglichen Schutzbereich einzubeziehen, die für den Einlagebesitz betriebswirtschaftlich aktuell erforderlich sind. Gerade in der engeren Dorflage erfordert § 45 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 FlurbG vielmehr, entsprechend seinem Wortlaut als Hoffläche den historisch gewachsenen Grundstücksbestand aufzufassen.
Es ist allerdings nicht zu verkennen, dass in dem vorliegenden Streit die umstrittene Fläche nicht nur keinen aktuellen betriebswirtschaftlichen Wert für den Betrieb des Beigeladenen hat, sondern darüber hinaus seit Jahrzehnten tatsächlich vom Kläger genutzt wird und für seine Landwirtschaft als Hofzufahrt von Bedeutung ist. Es ist indessen nicht Aufgabe des Flurbereinigungsverfahrens, im Einzelnen zu klären, worauf diese Überlassung beruht, ob sie sachenrechtliche Folgen nach sich gezogen hat und wie die sich heute daraus ergebenden zivilrechtlichen Streitigkeiten zu entscheiden sind (vgl. dazu auch BVerwG, Beschluss vom 09.07.1999 - BVerwG 11 B 12.99 - a.a.O.). Daraus muss gefolgert werden, dass die genannten Umstände für die Bestimmung des Schutzbereichs nach § 45 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 FlurbG außer Betracht zu bleiben haben.
Ob die 32 qm große Teilfläche als Bestandteil des Einlageflurstücks des Beigeladenen Hoffläche nach § 45 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 FlurbG ist, kann nicht wegen der umstrittenen Nutzung durch einen Dritten in Frage gestellt werden. Dessen Belange sind vielmehr im Rahmen des § 45 bei der Prüfung einzubeziehen, ob Veränderungen wegen des Zwecks der Flurbereinigung erforderlich werden.
Sind die tragenden Erwägungen des angefochtenen Urteils danach mit dem Bundesrecht nicht vereinbar, erweist sich die Entscheidung auch nicht im Sinne des § 144 Abs. 4 VwGO aus anderen Gründen als zutreffend.
Dies gilt schon deswegen, weil selbst eine Aussage dahin, der Eingriff in die Hoffläche des Beigeladenen sei nach § 45 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 FlurbG notwendig, nicht den Fehler zu heilen vermöchte, dass Veränderungen in der Hoflage vom hier festgeschriebenen Zweck des Flurbereinigungsverfahrens nicht gedeckt waren.
Im Übrigen sprechen mit dem Widerspruchsbescheid die Umstände dagegen, dass der Zweck der Flurbereinigung eine Veränderung der Hofflächen erfordert haben könnte.
Diese Voraussetzung ist nur dann gegeben, wenn ausnahmsweise das gesetzlich anerkannte besondere Interesse des Eigentümers an der unveränderten Zuteilung seines Hofgrundstücks zurückzutreten hat (vgl. BVerwGE 55, 48). Die Veränderung ist dagegen unzulässig, wenn sich der Interessierte durch betriebliche Umgestaltung oder durch zumutbare Opfer selbst helfen kann (vgl. BVerwG, Beschluss vom 06.12.1978 - BVerwG 5 CB 62.76 - (Buchholz 424.01 § 45 Nr. 11)). Bei Anwendung dieser Kriterien kann vorliegend von der Erforderlichkeit einer Hofflächenveränderung nicht ausgegangen werden. Der Kläger hat die umstrittene Teilfläche seit Jahrzehnten für die Zwecke seiner Hofeinfahrt unbeanstandet genutzt. Die Einzelheiten der dem zugrunde liegenden zivilrechtlichen Vereinbarung sind ungeklärt. Der Kläger macht nunmehr hinsichtlich der Fläche unter Abweichung vom Liegenschaftskataster Eigentumsrechte geltend. Die sich daraus ergebenden Möglichkeiten, den nachbarschaftlichen Streit zivilrechtlich entweder gütlich beizulegen oder streitig auszutragen, haben die Beteiligten nicht ausgeschöpft. Das Flurbereinigungsverfahren bietet dafür keinen Ersatz.
Im Übrigen ist es nach den zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen für den Kläger weder rechtlich noch tatsächlich unmöglich, für sein Hofgrundstück eine ausreichende Zufahrt herzustellen, wenn er die bisherige Möglichkeit der Nutzung eines Grundstücksteiles des Beigeladenen verlieren sollte. Insbesondere wäre dann zu erwägen, die Zufahrt nach vorheriger etwaiger Einschaltung der Denkmalschutzbehörde über die Grundfläche des bisher vorhandenen Treckerschuppens herzustellen.