Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 23.05.1973 - IV C 21.70 = DÖV 1974 S. 781

Aktenzeichen IV C 21.70 Entscheidung Urteil Datum 23.05.1973
Gericht Bundesverwaltungsgericht Veröffentlichungen DÖV 1974 S. 781  Lieferung N/A

Leitsätze[Quelltext bearbeiten]

1. Die Heranziehung der Mitglieder eines niedersächsischen Wasserverbands (Unterhaltungsverbands) zu den Kosten für die Unterhaltung von Gewässern zweiter Ordnung nach dem sogenannten Flächenmaßstab - ohne Stufung nach Qualität und Ertrag des Bodens - ist mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar.
2. Die hierfür von den Pflichtmitgliedern eines solchen Unterhaltungsverbands erhobenen Geldleistungen sind dem Verbandsrecht eigentümliche Verbandslasten und keine die Gewährung eines Vorteils voraussetzende "Beiträge" in der engeren Bedeutung dieses Begriffs.
3. Die Pflichtmitgliedschaft in einem öffentlich-rechtlichen Verband ist im Hinblick auf das allgemeine Freiheitsgrundrecht des Art. 2 Abs. 1 GG nur im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung zulässig.
4. Art. 3 Abs. 1 GG verlangt bei der satzungsmäßigen Verteilung des Stimmenverhältnisses eine nach sachlichen Gesichtspunkten ausreichende, nicht aber eine schematisch-gleichwichtige Repräsentanz der Verbandsmitglieder in den Verbandsorganen.

Aus den Gründen

Mit seinen Angriffen gegen den Beitragsmaßstab macht der Kläger geltend, die in § 34 Abs. 1 der Satzung einheitlich vorgeschriebene Bestimmung der Beitragspflicht nach dem sogenannten Flächenmaßstab... verstoße gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG; sie sei angesichts ganz unterschiedlicher Grundstücksstrukturen im Verbandsgebiet mit Geest und Marsch, mit stehenden Gewässern, Heide, Wald und hochwertigem Ackerboden sachwidrig und willkürlich. Dieser Einwand ist indessen nicht begründet. Er geht von unzutreffenden rechtlichen Voraussetzungen aus...

Das BerGer. geht von der ständigen Rechtsprechung des BVerfG und des BVerwG aus, nach welcher ein "Beitrag" dann anzunehmen ist, wenn der erhobene Geldbetrag zur Verringerung oder zur Deckung der Kosten einer öffentlichen Einrichtung von denjenigen gefordert wird, denen die Einrichtung bes. Vorteile gewährt (vgl. z.B. BVerfGE 14, 312; Urteil vom 15.10.1971, BVerwGE 39, 5 - DÖV 1972, 723 (Ls)). Aus dieser Begriffsbestimmung entnimmt das BerGer., daß die Frage nach einem die Beitragslast rechtfertigenden Vorteil auch dann noch nicht abschließend beantwortet sei, wenn die gegen den Flächenmaßstab aus Art. 3 Abs. 1 GG erhobenen Bedenken aus den hier angeführten Gründen nicht durchgreifen sollten. Dieser Ansicht ist jedoch nicht zu folgen. Sie läßt außer acht, daß die nieders. Unterhaltungsverbände gerade nicht öffentliche Einrichtungen sind, die ihren Mitgliedern bes. Vorteile gewähren sollen, sondern Lastengemeinschaften zur gemeinsamen Erfüllung einer gesetzlichen Unterhaltungspflicht ... (das), was von den Mitgliedern des Beklagten im Hinblick auf dessen Unterhaltungsaufgaben an Geldleistungen, teilweise aber auch an Sach- und Dienstleistungen gefordert wird, ... ist ... eine ... der Unterhaltungslast des § 29 WHG entsprechende Verbandslast. Eine solche Verbandslast bedarf ungeachtet ihrer (zumindest ungenauen) Bezeichnung als Beitrag zu ihrer Rechtfertigung voraussetzungsgemäß nicht des Nachweises eines ihr äquivalenten Vorteils; sie ist vielmehr - wie im Verbandsrecht allgemein - die selbstverständliche Folge einer gesetzlich angeordneten Pflichtmitgliedschaft der davon betroffenen Grundstückseigentümer in einem öffentlich-rechtlichen Unterhaltungsverband (vgl. dazu BVerfGE 12, 319; Wolff, VerwR I, 8. Aufl. 1971, § 42 II a 2 u. 3; Mronz, Körperschaften und Zwangsmitgliedschaft, 1973, S. 54).

... Der erkennende Senat ist für die nieders. Unterhaltungsverbände von ihrer Übereinstimmung mit den rechtsstaatlichen Anforderungen des GG in seinem Urteil vom 10.2.1967 (RdL 1967, 247) ausdrücklich ausgegangen. Das durch die Pflichtmitgliedschaft (allein) berührte allgemeine Freiheitsgrundrecht des Art. 2 Abs. 1 GG (vgl. BVerfGE 10, 89 = DÖV 1959, 698) läßt Zwangsmitgliedschaften zu öffentlich-rechtlichen Körperschaften im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung zu, für die hier neben den Vorschriften des NWG letztlich auf § 29 WHG zurückgegriffen werden kann.

Mit dieser rechtlichen Beurteilung des Flächenmaßstabes setzt sich der erkennende Senat nicht ... in Widerspruch zu seiner bisherigen Rechtsprechung. Das ergibt sich für das ... Urteil vom 29.5.1964 (BVerwGE 18, 324 = DÖV 1965, 573 (Ls.)) schon daraus, daß es die hier nicht unmittelbar einschlägigen Vorschriften der §§ 81 und 82 WVVO betrifft. Im übrigen hebt das Urteil für deren Anwendungsbereich im Hinblick auf die nach § 82 Abs. 2 Nr. 4 WVVO zulässige Abweichung von dem in § 81 Abs. 1 S. 1 WVVO für das Beitragsverhältnis grundsätzlich vorgesehenen Vorteilsmaßstab lediglich hervor, daß sie nicht willkürlich sein dürfe und die durch Art. 3 Abs. 1 GG gezogenen Grenzen einhalten müsse. Von diesem Ansatz her erhebt das Urteil keine rechtlichen Bedenken gegen den Flächenmaßstab an sich, sondern gegen seine Einführung in solchen Fällen, in denen er - anders als hier - gerade nicht zu einer dem Gleichheitssatz entsprechenden gleichmäßigen Beitragsheranziehung zu führen vermag ... Aus dem schon ... angeführten Urteil vom 10.2.1967 ... folgt nichts anderes. Dort ist der erkennende Senat im Gegenteil stillschweigend davon ausgegangen, daß der für die (neuen) nieders. Unterhaltungsverbände gesetzlich eingeführte Flächenmaßstab unter bundesrechtlichen Gesichtspunkten unbedenklich ist. Schließlich steht der hier vertretenen Auffassung auch nicht das Urteil vom 2.12.1966 (Buchholz 445.2 § 81 WVVO Nr. 1) entgegen ... Das Urteil beschränkt sich ... auf die ... Prüfung der Frage, ob sich der Satzungsgeber mit der Einführung des Beitragsmaßstabes nach dem Einheitswert innerhalb der Grenzen der ihm zustehenden Gestaltungsfreiheit gehalten habe ...

Der an die Verteilung des Stimmenverhältnisses im Vorstand und im Ausschuß anknüpfende zweite Einwand des Klägers gegen die Gültigkeit der Satzung des Beklagten geht davon aus, daß die Verbandsmitglieder des Altgebiets in beiden Verbandsorganen ein satzungsgemäß festgelegtes Stimmenübergewicht im Verhältnis zu den Mitgliedern des Ausdehnungsgebiets haben.

Dieses Stimmenübergewicht, und zwar i. S. einer absoluten Mehrheit, wird dadurch erreicht, daß die Satzung das Stimmenverhältnis nach dem Beitragsverhältnis so festlegt, wie es sich aus dem zusammengefaßten Beitragsaufkommen für alle Verbandsaufgaben ergibt. Da die Mitglieder des Altgebiets bei dieser Zusammenfassung infolge ihres bes. Beitrages für die allein sie betreffenden Verbesserungsaufgaben im Altgebiet ein insgesamt erheblich höheres Beitragsaufkommen als die Mitglieder des Ausdehnungsgebietes haben, verfügen sie in den beiden Verbandsorganen satzungsgemäß auch dann jeweils über die absolute Mehrheit, wenn allein über die alle Verbandsmitglieder gleichermaßen angehenden Unterhaltungsaufgaben des Beklagten im Gesamtgebiet zu entscheiden ist. Dabei verhält sich die Fläche des beitragspflichtigen Altgebiets mit 17 196 ha zur Fläche des beitragspflichtigen Ausdehnungsgebiets mit 46 107 ha in einem Verhältnis von annähernd 1 zu 3 ...

... Die Satzung scheitert insoweit ... nicht an den Anforderungen, die sich aus Art. 3 Abs. 1 GG ergeben, weil sich für sie noch sachlich vertretbare, der Eigenart des Regelungsgegenstandes angemessene Gesichtspunkte anführen lassen:

... Für die in der Satzung getroffene Regelung spricht ..., daß der Satzungsgeber vor die Notwendigkeit gestellt war, den gesetzlich mit einer Doppelaufgabe betrauten Verband trotz seiner daraus folgenden unterschiedlichen Funktionen für Alt- und Ausdehnungsgebiet an dem durch die WVVO vorgegebenen Organisationsrecht auszurichten. Für den Verband waren daher ein einheitlicher Ausschuß und ein einheitlicher Vorstand mit einer einheitl., die Verbandstätigkeit insgesamt umfassenden Entscheidungszuständigkeit für alle diesen Organen nach der WVVO obliegenden Aufgaben zu bilden. Damit war im Hinblick auf die beiden verschiedenen Mitgliedsgruppen und deren unterschiedlichen Anteil an der Verbandstätigkeit von vornherein eine Lösung ausgeschlossen, die eine gleichgewichtige Repräsentanz jedes Verbandsmitglieds in den Verbandsorganen ermöglicht hätte. Hätte nämlich die Satzung zur Vermeidung der Majorisierung der Mitglieder des Ausdehnungsgebiets das Stimmenverhältnis nach dem auf die Unterhaltungsaufgabe des Beklagten entfallenden Beitragsaufkommen bestimmt, so hätte sich daraus notwendig eine Majorisierung in umgekehrter Richtung ergeben ... Dafür ließen sich sachl. einleuchtende Gesichtspunkte um so weniger finden, als eine Stimmenmehrheit zugunsten der Mitglieder des Ausdehnungsgebiets nicht nur die Bedenken gegen eine Majorisierung überhaupt gegen sich hätte, sondern insbesondere auch dazu führen würde, daß die Mitglieder des Ausdehnungsgebiets mit Mehrheit auch über die sie schlechthin nicht betreffenden Aufgaben des Altgebiets würden entscheiden können. Unter solchen Voraussetzungen wäre eine satzungsmäßige Majorisierung der davon betroffenen Verbandsmitglieder unzumutbar, weil von der Sache her schlechthin nicht begründbar. Für die in der Satzung tatsächlich getroffene Regelung spricht dgg., daß die Ungleichgewichtigkeit der Stimmenverteilung im Hinblick auf eine Verbandsaufgabe zu würdigen ist, die dem Beklagten für das Altgebiet und das Ausdehnungsgebiet in gleicher Weise obliegt und die insoweit daher eine für alle Verbandsmitglieder übereinstimmende Interessenlage betrifft. Wenn der Satzungsgeber bei der sich ihm danach stellenden Regelungsalternative das Stimmengewicht in den Verbandsorganen nach dem gesamten Beitragsaufkommen und ohne Differenzierung nach den unterschiedlichen Verbandsaufgaben ausgerichtet hat, so ist er dabei nach Lage der Dinge von einem der Sache nach vertretbaren Gesichtspunkt ausgegangen.

Das wird noch durch die Überlegung unterstrichen, daß eine völlige Übereinstimmung zwischen dem Maß der (aktiven und passiven) Teilhabe der Verbandsmitglieder an der Verbandstätigkeit und ihrer Repräsentanz in den Verbandsorganen auch in anderen Wasser- und Bodenverbänden nur unter in dieser Hinsicht besonders günstigen Umständen erreicht werden kann. Erfüllt z.B. ein Verband mehrere der in § 2 WVVO vorgesehenen Aufgaben oder erfüllt er eine dieser Aufgaben mit regional unterschiedlicher Intensität, so kann sich auch schon dadurch ergeben, daß das Stimmengewicht in den Verbandsorganen dem Gewicht der unterschiedlichen Interessenbeteiligung der Verbandsmitglieder nur ungenau entspricht. Das nimmt ... die WVVO offensichtlich in Kauf, wenn sie in § 56 Abs. 1 das Stimmenverhältnis grundsätzlich an dem notwendig groben Maßstab des Beitragsverhältnisses ausrichtet und gleichzeitig die Verbandsorgane als Gesamtvertretung aller Verbandsmitglieder auffaßt (vgl. z.B. § 53 Abs. 1 WVVO).

Für den Beklagten ist im übrigen auch zu berücksichtigen, daß die Satzung die Aufstellung eines Haushaltsplans gesondert je für das Gesamtgebiet und das Altgebiet sowie die Führung des Beitragsbuchs in zwei diesen Gebieten entsprechenden Abteilungen vorschreibt (§§ 26 und 36). Damit ist institutionell gewährleistet, daß bei der Haushaltsführung wie bei der Beitragsfestsetzung eine Vermengung der den unterschiedlichen Verbandsaufgaben entsprechenden unterschiedlichen Verbandslasten zum Nachteil der Verbandsmitglieder des Ausdehnungsgebiets weithin ausgeschlossen ist. Wird schließlich bedacht, daß die von dem Beklagten für das Gesamtgebiet zu erfüllende Unterhaltungsaufgabe nach ihrer Zielsetzung gesetzlich abschließend festgelegt ist und überdies nach der Art ihrer Durchführung weitgehend nach einem obj. Maßstab den im Verbandsgebiet bestehenden Gegebenheiten folgen muß, so wiegt die Gefahr nicht schwer, daß sich für die Mitglieder des Ausdehnungsgebiets aus der Verteilung des Stimmengewichts in den Verbandsorganen praktisch bedeutsame Nachteile grundsätzlicher Natur ergeben könnten. Davon durfte der Satzungsgeber ausgehen mit der Folge, daß die von ihm gewählte Lösung vor den Anforderungen des Art. 3 Abs. 1 GG standhält.