Flurbereinigungsgericht Bautzen, Urteil vom 03.05.2019 - 7 C 26/17.F = Entscheidungssammlung des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts im Internet: https://www.justiz.sachsen.de//ovgentschweb/documents/17C26.pdf (Lieferung 2021)
Aktenzeichen | 7 C 26/17.F | Entscheidung | Urteil | Datum | 03.05.2019 |
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Gericht | Flurbereinigungsgericht Bautzen | Veröffentlichungen | = Entscheidungssammlung des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts im Internet: https://www.justiz.sachsen.de//ovgentschweb/documents/17C26.pdf | Lieferung | 2021 |
Leitsätze[Quelltext bearbeiten]
1. | Es bestehen erhebliche Zweifel, ob die Vorschrift des § 142 Abs. 2 FlurbG mit der Rechtsschutzgarantie aus Art. 19 Abs. 4 GG sowie dem im Rechtsstaatsprinzip wurzelnden Grundsatz eines fairen Verfahrens (Art. 20 Abs. 3 GG) vereinbar ist. (Amtlicher Leitsatz) (Rn 14) |
2. | Die Bewertung von Anlagen und Gebäuden erfordert Kenntnisse, die iSd § 31 Abs.2 FlurbG über die allgemeine landwirtschaftliche Sachkunde hinausgehen. (Rn 20) (Redaktioneller Leitsatz) |
Aus den Gründen
12 1. Die Klage ist ist zulässig.
13 Der Widerspruchsbescheid des Beklagten ist zwar erst am 27. Juni 2016 ergangen, so dass die Klage am 23. Dezember 2015 noch vor der Entscheidung über den Widerspruch erhoben worden ist. ... Der Zulässigkeit der Klage steht dies vorliegend jedoch nicht entgegen, denn nach § 142 Abs. 2 Satz 1 FlurbG ist die Klage "ohne ein Vorverfahren" zulässig, wenn über einen Widerspruch innerhalb einer Frist von sechs Monaten sachlich nicht entschieden worden ist. Das ist vorliegend der Fall. Der Widerspruch des vormaligen Klägers zu 1 ist am 10. August 2009 bei dem Beklagten per Telefax eingegangen, so dass die Sechs-Monats-Frist aus § 142 Abs. 2 Satz 1 FlurbG am Mittwoch, den 10. Februar 2010 endete (§ 115 Abs. 2 Satz 1 FlurbG i. V. m. § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 BGB) und bei Erhebung der Klage am 23. Dezember 2015 lange abgelaufen war.
14 Der Zulässigkeit der Klage steht auch die Sondervorschrift des § 142 Abs. 2 Satz 2 FlurbG nicht entgegen. Diese regelt, dass die Erhebung einer Untätigkeitsklage nur bis zum Ablauf von weiteren drei Monaten seit Ablauf der Frist nach Satz 1 zulässig ist. Diese Frist lief am Montag, den 10. Mai 2010 ab, so dass grundsätzlich eine sog. "Klageverjährung" eingetreten ist, die der Beklagte im Verfahren zunächst auch eingewandt hat. Bei den Fristen des § 142 Abs. 2 FlurbG handelt es sich um sog. Ausschlussfristen, in die eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gewährt werden kann (offen gelassen von BVerwG, Urt. v. 16. August 1995 - 11 C 2.95 -, juris Rn. 25), so dass der Verwaltungsakt - hier: die Feststellung der Ergebnisse der Wertermittlung - dann bestandskräftig geworden wäre. Der Senat hat erhebliche Zweifel, ob die Vorschrift des § 142 Abs. 2 FlurbG mit der Rechtsschutzgarantie aus Art. 19 Abs. 4 GG sowie dem im Rechtsstaatsprinzip wurzelnden Grundsatz eines fairen Verfahrens (Art. 20 Abs. 3 GG) vereinbar ist, da sie einem Widerspruchsführer, der einen Rechtsbehelf erhoben und dessen Bearbeitung erwartet und erwarten darf, ein fristgebundenes weiteres Tätigwerden abverlangt, um des gerichtlichen Rechtsschutzes gegen die von ihm bereits angefochtene Verwaltungsentscheidung nicht verlustig zu gehen. Der Widerspruchsführer muss auf diese Rechtsfolge weder hingewiesen werden noch muss er mit ihr rechnen, da eine vergleichbare Vorschrift in keiner Prozessordnung der öffentlich-rechtlichen Gerichtsbarkeiten existiert (vgl. § 75 VwGO, § 88 SGG, § 46 FGO); § 142 Abs. 2 Satz 2 FlurbG steht auch im offenen Widerspruch zu Sinn und Zweck der Regelungen zur Untätigkeitsklage, die den gerichtlichen Rechtsschutz bei einer Untätigkeit der Verwaltung gewährleisten und nicht verhindern will. Die Vorschrift des § 142 Abs. 2 Satz 2 FlurbG kann einem Kläger aber jedenfalls dann nicht entgegen gehalten werden, wenn er durch das Verhalten der Behörde von einer rechtzeitigen Klageerhebung abgehalten wurde. Erweckt die Flurbereinigungsbehörde bei dem Widerspruchsführer den Eindruck, er dürfe mit dem Erlass des Widerspruchsbescheids (noch) rechnen und folglich mit der Untätigkeitsklage noch weiter abwarten, ohne die Klagemöglichkeit zu verlieren, ist eine Ausnahme von § 142 Abs. 2 FlurbG aus Gründen des Gebots effektiven Rechtsschutzes gemäß Art. 19 Abs. 4 GG geboten (Senatsurt. v. 8. Juni 2012 - F 7 C 35/11 -, juris Rn. 35 m. w. N.; BayVGH, Urt. v. 22. Oktober 2014 - 13 A 13.1852 -, juris Rn. 13 m. w. N.; Mayr; in Wingerter/Mayr, FlurbG, 9. Aufl. 2013, § 142 Rn. 16a).
15 Das ist vorliegend der Fall. Der damalige Prozessbevollmächtigte der Voreigentümer des Flurstücks Nr. F1. richtete zur Bearbeitung des am 10. August 2009 eingelegten Widerspruchs eine Sachstandsanfrage an den Beklagten, die dort am 23. Dezember 2009 einging. Der Beklagte teilte hierzu mit Schreiben vom 20. Januar 2010 mit, dass die Bearbeitung des Widerspruchs voraussichtlich noch einige Zeit in Anspruch nehmen werde und der Beklagte bzw. der Widerspruchsausschuss "zu gegebener Zeit informieren" werde. In der am 6. Juli 2010 - und damit nach Ablauf der Frist des § 142 Abs. 2 Satz 2 FlurbG - durchgeführten Abhilfeverhandlung wurde durch den Beklagten als "weiteres Vorgehen" das Erstellen eines Widerspruchsbescheids festgehalten, mit dessen Erlass der Widerspruchsführer damit ersichtlich rechnen durfte. Dies gilt auch für das weitere Verfahren vor dem Widerspruchsausschuss.
16 Der Beklagte hat die im Widerspruchsverfahren angekündigte Sachentscheidung auch getroffen. Der Widerspruchsbescheid vom 27. Juni 2016 ermöglicht die volle gerichtliche Nachprüfung auch dann, wenn er zwar nach Fristablauf des § 142 Abs. 2 Satz 2 FlurbG ergangen ist, aber - wie hier - eine Sachentscheidung trifft. Der Widerspruchsbescheid ist auch wirksam geworden, obwohl er nicht ordnungsgemäß zugestellt worden ist, denn eine Zustellung an den (damaligen) Prozessbevollmächtigten des Widerspruchsführers und vormaligen Klägers zu 1 ist nicht erfolgt (vgl. § 112 Satz 1 FlurbG i. V. m. § 7 Abs. 1 Satz 2 VwZG). Der Widerspruchsbescheid ist dem Kläger bzw. dessen (jetziger) Prozessbevollmächtigter aber tatsächlich zugegangen, denn er ist dem Schriftsatz der (jetzigen) Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 16. August 2018 als Anlage K 5 beigefügt. Spätestens zu diesem Zeitpunkt ist eine Heilung des Zustellungsmangels nach § 112 Satz 1 FlurbG i. V. m. § 8 VwZG eingetreten und der Widerspruchsbescheid gegenüber dem Kläger wirksam geworden.
17 2. Die Klage ist aber unbegründet.
18 Die Feststellung der Ergebnisse der Wertermittlung des Beklagten vom 11. Juni 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27. Juni 2016 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (vgl. § 60 LwAnpG i. V. m. § 138 Abs. 1 Satz 2 FlurbG, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
...
20 Soweit der Kläger vorgetragen hat, der Sachverständige L..., dessen Gutachten der Festsetzung der Ergebnisse der Wertermittlung zu Grunde liegt, sei nicht fachlich qualifiziert, weil er kein landwirtschaftlicher Sachverständiger sei, übersieht er, dass nach § 31 Abs. 2 FlurbG "besondere, anerkannte Sachverständige" für die Wertermittlung heranzuziehen sind, wenn Kenntnisse erforderlich sind, die über die allgemeine landwirtschaftliche Sachkunde hinausgehen. Das ist hier der Fall, weil Gegenstand der Wertermittlung nicht nur um die Bewertung landwirtschaftlicher Flächen, sondern auch um die Bewertung von Gebäuden und Anlagen war. Warum der Sachverständige L... als "anerkannter Sachverständiger für Haus- und Grundstücksbewertung" hierfür fachlich nicht geeignet sein sollte, ist weder vorgetragen noch ersichtlich.