Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 10.11.1993 - 11 C 21.92 = RdL 1994 S. 35

Aktenzeichen 11 C 21.92 Entscheidung Urteil Datum 10.11.1993
Gericht Bundesverwaltungsgericht Veröffentlichungen RdL 1994 S. 35  Lieferung N/A

Leitsätze[Quelltext bearbeiten]

1. Hauptanwendungsfall des § 64Satz 1 letzte Alternative FlurbG ist die Korrektur nach § 13 Abs. 2 FlurbG getroffener vorläufiger Festsetzungen.
2. Das Bekanntwerden einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung im Sinne des § 64 Satz 1 letzte Alternative FlurbG ermöglicht die Änderung oder Ergänzung des bestandskräftigen Flurbereinigungsplans nur dann, wenn die Aussage der gerichtlichen Entscheidung, die den Anlaß für die Änderung oder Ergänzung bildet, an der Rechtskraftwirkung teilnimmt.

Aus den Gründen

Gemäß § 64 Satz 1 FlurbG kann die Flurbereinigungsbehörde den Flurbereinigungsplan auch nach der Ausführungsanordnung (§§ 61 und 63) ändern oder ergänzen, wenn öffentliche Interessen oder wichtige, nicht vorherzusehende wirtschaftliche Bedürfnisse der Beteiligten es erfordern oder wenn ihr eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung bekannt wird. Die Vorschrift ermächtigt danach zu Eingriffen in die durch den ausgeführten Plan bereits neugestalteten Privatrechtsverhältnisse der Teilnehmer; doch ist diese Befugnis auf Fälle beschränkt, in denen eine Plankorrektur durch besonders gewichtige Interessen unumgänglich geworden ist (BVerwGE 49, 176 <181 f.>; BVerwG, Urteile vom 26.03.1981 - BVerwG 5 C 67.79 - <a.a.O. S. 4> und vom 25.04.1989 - BVerwG 5 C 41.84 - <Buchholz 424.01 § 64 FlurbG Nr. 6 S. 2>). Während nämlich die Flurbereinigungsbehörde bis zur Ausführungsanordnung noch weitergehende Änderungsbefugnisse hat (sie kann Änderungen des Flurbereinigungsplans vornehmen, die sie für erforderlich hält - § 60 Abs. 1 Satz 2 FlurbG), besteht in dem Zeitraum zwischen Ausführungsanordnung nach § 61 FlurbG und Schlußfeststellung nach § 149 FlurbG eine engere Bindung an die eigene Planung. Damit wird das Interesse an Rechtssicherheit und am Bestand der ausgeführten Planung gewichtiger. Mit der Schlußfeststellung endet schließlich auch die Änderungsbefugnis nach § 64 Satz 1 FlurbG (BVerwG, Urteil vom 16.09.1975 - BVerwG 5 C 44.75 - <Buchholz 424.01 § 149 FlurbG Nr. 3 S. 7>; Kaiser, RdL 1972, 281/282).

Unter Berücksichtigung dessen ist der Begriff "rechtskräftige gerichtliche Entscheidung" in § 64 Satz 1 FlurbG auszulegen. Die Auslegung ergibt, daß der Begriff lediglich solche Aussagen rechtskräftiger Gerichtsentscheidungen erfaßt, die ihrerseits in Rechtskraft erwachsen. Demgegenüber erstreckt er sich entgegen der Auffassung der Vorinstanz nicht auch auf solche Entscheidungsbestandteile, die nicht selbst an der Rechtskraft teilnehmen, sondern nur der Begründung rechtskräftig werdender Aussagen dienen.

Allein dem Wortlaut von § 64 Satz 1 FlurbG ist dies allerdings - noch - nicht zu entnehmen. Daß mit dem Urteil des Landgerichts eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung vorliegt, ist unzweifelhaft. Ob aber die für das Flurbereinigungsverfahren bedeutsame und in der rechtskräftigen Entscheidung enthaltene Aussage ihrerseits an der Rechtskraftwirkung teilnehmen muß oder nicht, beantwortet der Wortlaut nicht. Insbesondere enthält er anders als § 73 Nr. 2 BauGB für das Baulandumlegungsverfahren (Änderungsbefugnis für den Fall, daß "eine rechtskräftige Entscheidung eines Gerichts die Änderung notwendig macht") keine ergänzenden Hinweise.

Für die restriktive Auslegung sprechen indessen der Zusammenhang der Vorschrift mit § 13 Abs. 2 FlurbG und ihr Zweck.

Gemäß § 13 Abs. 2 Sätze 4 bis 7 FlurbG kann die Flurbereinigungsbehörde hinsichtlich der Beteiligung am Verfahren vorläufige Festsetzungen treffen. Diese erfolgen unbeschadet der bestehenden privatrechtlichen Verhältnisse und sind im Flurbereinigungsverfahren verbindlich. Ergeht später eine der vorläufigen Festsetzung entgegenstehende gerichtliche Entscheidung, die rechtskräftig wird, so ist der ausgeführte Plan nach § 64 Satz 1 letzte Alternative FlurbG zu ändern. Unter Geltung des Reichsumlegungsgesetzes vom 26.06.1936 (RGBl. I S. 518) und der auf seiner Grundlage erlassenen Reichsumlegungsordnung vom 16.06.1937 (RGBl. I S. 629) lag in diesem Zusammenhang nach §§ 73, 91 Reichsumlegungsordnung der einzige Anwendungsfall einer Planänderung aufgrund rechtskräftiger Gerichtsentscheidung. § 64 Satz 1 FlurbG sieht demgegenüber mangels eines Hinweises auf § 13 Abs. 2 Sätze 4 bis 7 FlurbG eine solche Beschränkung nicht vor. Gleichwohl ist die Korrektur nach § 13 Abs. 2 FlurbG getroffener vorläufiger Festsetzungen auch nach dem Flurbereinigungsgesetz ein Hauptanwendungsfall des § 64 Satz 1 letzte Alternative FlurbG. Soll die unbeschadet privatrechtlicher Verhältnisse ergangene vorläufige Festsetzung wegen einer rechtskräftigen Gerichtsentscheidung geändert werden können, so legt dies eine Auslegung des Begriffs "rechtskräftige gerichtliche Entscheidung" nahe, die ihm in bezug auf das betroffene private Rechtsverhältnis Verbindlichkeit und Unumstößlichkeit verleiht. Andernfalls würde eine vorläufige Festsetzung durch eine solche ersetzt, die ihrerseits nicht unumstößlich und damit letztlich gleichfalls vorläufig wäre. Dies aber widerspräche dem systematischen Zusammenhang der genannten Vorschriften; denn bezweckt ist offenbar die Eröffnung einer Korrekturmöglichkeit für den Fall, daß die vorläufige Regelung durch eine anderslautende, endgültige ersetzt werden kann.

Dieser Gesichtspunkt gilt nicht nur im Zusammenwirken der Regelungen in § 13 Abs. 2 Sätze 4 bis 7 FlurbG und § 64 Satz 1 letzte Alternative FlurbG, er läßt auch für den darüber hinausgehenden Regelungsbereich von § 64 Satz 1 letzte Alternative FlurbG keine andere Begriffsbestimmung zu. Auch hier nämlich erfordern die Gründe des Bestandsschutzes für den ausgeführten Plan und der Rechtssicherheit für alle Flurbereinigungsteilnehmer stärkere Beachtung als das Flurbereinigungsgericht annimmt. Änderungen des ausgeführten und bestandskräftigen Plans können danach nur in Betracht gezogen werden, wenn sie nicht von vornherein die Gefahr des Notwendigwerdens späterer weiterer Änderungen oder der Rückabwicklung durchgeführter Änderungen in sich bergen und dadurch Bestandsschutz und Rechtssicherheit zunehmend relativieren. Solche Folgen sind nur auszuschließen, wenn der inhaltliche Anlaß für die Änderungen nach § 64 Satz 1 letzte Alternative FlurbG seinerseits bestandsfest ist. Dies ist nur dann der Fall, wenn er an der Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung, dessen Bestandteil oder Begründungselement er ist, selbst teilnimmt.

Werden diese Maßstäbe zugrunde gelegt, so eröffnete das landgerichtliche Räumungsurteil entgegen der Auffassung des Flurbereinigungsgerichts die Änderungsbefugnis nach § 64 Satz 1 letzte Alternative FlurbG nicht. Daß nämlich die Rechtskraft eines Urteils auf Herausgabe auch dann nicht die Feststellung des Eigentums umfaßt, wenn die Klage gerade wegen § 985 BGB Erfolg hatte, entspricht ganz überwiegender Auffassung in der zivilrechtlichen Rechtsprechung und Literatur (so BGH, Urteil vom 13.03.1981 - V ZR 115/80 - <NJW 1981, 1517>; MünchKomm-Medicus § 985 BGB Rn. 55; Staudinger/Gursky § 985 Rn. 66, 67 jeweils mit zahlreichen weiteren Nachweisen; a. M. Zeuner, Die objektiven Grenzen der Rechtskraft im Rahmen rechtlicher Sinnzusammenhänge, S. 144 ff.). Dem schließt der Senat sich an. Das der Herausgabeklage der Beigeladenen zu 1 stattgebende Urteil hat für die Parteien des damaligen Rechtsstreits bindend einen Herausgabeanspruch der Beigeladenen zu 1 gegen den Kläger nach § 985 BGB festgestellt. Diese Bindung wirkt auch, wenn in einem neuen Prozeß der Partei die Entscheidung über einen anderen Anspruch (z. B. auf Herausgabe von Nutzungen nach § 987 BGB) von dem Bestehen oder Nichtbestehen des Herausgabeanspruchs abhängt (vgl. BGH, Urteile vom 07.04.1978 - V ZR 154/75 - <NJW 1978, 1529, 1531 a. E.> und vom 13.03.1981 a.a.O.). Sie erfaßt hingegen nicht die als Vorfrage in jenem Urteil getroffene Feststellung des Eigentums. Dies wäre nur dann anders zu beurteilen, wenn die Parteien im zivilrechtlichen Herausgabeklageverfahren klagend oder widerklagend nach § 256 Abs. 2 ZPO das Bestehen oder Nichtbestehen ihres Eigentumsrechts an der Jagdhütte hätten feststellen lassen (vgl. dazu MünchKomm-Medicus a.a.O.).