Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 04.07.1985 - 5 C 7.82 = BVerwGE 71, 369= DÖV 1986 S. 27= NJW 1986 S. 1888= AgrarR 1986 S. 213= RdL 1987 S. 130

Aktenzeichen 5 C 7.82 Entscheidung Urteil Datum 04.07.1985
Gericht Bundesverwaltungsgericht Veröffentlichungen BVerwGE 71, 369 = DÖV 1986 S. 27 = NJW 1986 S. 1888 = AgrarR 1986 S. 213 = RdL 1987 S. 130  Lieferung N/A

Leitsätze[Quelltext bearbeiten]

1. Der Begriff "verändern" in § 85 Nr. 7 FlurbG bezieht sich auf Änderungen sowohl rechtlicher als auch tatsächlicher Art. Hierzu gehören auch die Folgen einer vorläufigen Besitzeinweisung.
2. Die Zustimmung der Forstaufsichtsbehörde kann noch im flurbereinigungsgerichtlichen Verfahren nachgeholt werden.

Aus den Gründen

Dem angefochtenen Urteil ist auch darin zu folgen, daß die Anordnung der vorläufigen Besitzeinweisung nicht wegen Verstoßes gegen § 85 Nr. 7 FlurbG rechtswidrig ist. Das Flurbereinigungsgericht hat im Ergebnis zutreffend angenommen, daß diese Vorschrift hier zu beachten war. Nicht zu beanstanden ist ferner, daß es das Vorliegen einer Zustimmungserklärung der Forstaufsichtsbehörde bejaht hat.

Nach § 85 Nr. 7 FlurbG darf eine geschlossene Waldfläche von mehr als 3 ha Größe nur mit Zustimmung des Eigentümers oder der Forstaufsichtsbehörde wesentlich verändert werden. Unter den Anwendungsbereich dieser Regelung fallen zwar nicht die Waldgrundstücke Flur ... Nrn. ... und ..., weil sie nach den tatsächlichen Feststellungen des Flurbereinigungsgerichts nicht die genannte Größe erreichen. Erfaßt wird aber das Altbesitzgrundstück Flur ... Nr. ... mit einer Fläche von 4,3524 ha. Dieses Grundstück ist auch Gegenstand einer wesentlichen Veränderung im Sinne des § 85 Nr. 7 FlurbG.

Dabei ist mit dem Flurbereinigungsgericht davon auszugehen, daß sich das Tatbestandsmerkmal "verändern" wie in § 45 Abs. 1 FlurbG (s. dazu BVerwG, Beschluß vom 19.04.1963 - BVerwG 1 B 151.61 - (RdL 1963, 166)) auf Änderungen sowohl rechtlicher als auch tatsächlicher Art bezieht (ebenso Quadflieg, Recht der Flurbereinigung, § 85 FlurbG RdNr. 58; Schwantag in Seehusen/Schwede, Flurbereinigungsgesetz, 4. Aufl. 1985, § 85 RdNr.12). Für ein insoweit übereinstimmendes Normverständnis spricht nicht nur, daß § 45 Abs. 1 und § 85 Nr. 7 FlurbG den gleichen Begriff verwenden, sondern auch der Umstand, daß beide Vorschriften aus § 49 der Reichsumlegungsordnung vom 16.06.1937 (RGBl. I S. 629) hervorgegangen sind (vgl. dort einerseits Abs. 1 und andererseits Abs. 2), also einem ursprünglich einheitlichen Regelungszusammenhang entstammen. Im Ergebnis richtig hat das Flurbereinigungsgericht die Ausrichtung des Merkmals "verändern" auf rechtliche wie tatsächliche Vorgänge auch aus Sinn und Zweck des § 85 Nr. 7 FlurbG gefolgert. Die Vorschrift dient - einerseits im Interesse des einzelnen Waldeigentümers, andererseits im überindividuellen volkswirtschaftlichen Gesamtinteresse - der Sicherung einer ordnungsmäßigen Waldbewirtschaftung sowie der Schonung und Erhaltung der vorhandenen Holzbestände (vgl. BT-Drucks. I/3385 S. 42 zu § 85). Von diesen Belangen wird nur der zuerst genannte auch durch rechtliche Veränderungen betroffen, so wenn aus der geschlossenen Waldfläche ein selbständiges, gegebenenfalls erstmals gebildetes Grundstück herausgenommen und einem anderen Teilnehmer zugewiesen wird. Dagegen werden durch tatsächliche Maßnahmen, durch die Waldbestände ihrer bisherigen Bestimmung entzogen werden, beide Zielsetzungen berührt. Dies schließt es aus, den Anwendungsbereich des § 85 Nr. 7 FlurbG auf rechtliche Veränderungen zu beschränken.

Erfolgt eine vorläufige Besitzeinweisung, sind Flächenänderungen der vorbezeichneten Art schon bei Erlaß dieses Verwaltungsakts zu berücksichtigen. Dies trifft nicht nur für Eingriffe zu, die wie hier die vorzeitige Rodung der für den Wirtschaftsweg Flur ... Nr. ... benötigten Waldfläche die vorläufige Besitzeinweisung voraussetzen und dazu führen, daß der vorhandene Waldbestand tatsächlich verringert wird. Es gilt vielmehr auch für die den Holzbestand nicht beeinträchtigende Ausgliederung von Grundstücken, wie sie vorliegend mit der Zuweisung der von dem Wirtschaftsweg abgetrennten Teilfläche an einen anderen Teilnehmer vorgesehen ist. Zwar läßt die vorläufige Besitzeinweisung die Eigentumsverhältnisse an den Grundstücken des Verfahrensgebietes unberührt, weil Änderungen insoweit erst mit Wirksamwerden der Ausführungsanordnung eintreten (§ 61 Satz 2 in Verbindung mit den § 62 bis § 64 FlurbG). Doch greift auch die vorläufige Besitzeinweisung insofern in die Rechtsstellung des Eigentümers ein, als ihm Besitz, Verwaltung und Nutzung seiner Altgrundstücke entzogen werden und diese Befugnisse auf den Neubesitzer übergehen (vgl. § 66 Abs. 1 Satz 1 FlurbG). Mit Rücksicht darauf ist es geboten, den Schutz des § 85 Nr. 7 FlurbG auf den Zeitpunkt der vorläufigen Besitzeinweisung vorzuverlegen.

Dem Flurbereinigungsgericht kann weiter darin gefolgt werden, daß die Veränderungen, die das von der Klägerin eingebrachte Grundstück Flur ... Nr. ... im Flurbereinigungsverfahren erfährt, im Sinne des § 85 Nr. 7 FlurbG wesentlich sind. Ob dieses Tatbestandsmerkmal erfüllt ist, ist, wovon das angefochtene Urteil zutreffend ausgeht, Tat- und Rechtsfrage (ebenso Quadflieg, a.a.O., § 85 FlurbG RdNr. 59). Sie ist unterschiedlich zu beantworten je nachdem, ob allein eine rechtliche Veränderung eintreten oder ob - gegebenenfalls damit verbunden - in den vorhandenen Holzbestand eingegriffen, dieser also tatsächlich geschmälert werden soll. Im ersten, vornehmlich die Bewirtschaftungsinteressen des Eigentümers berührenden Fall ist eine Veränderung wesentlich, wenn sie die betroffene Waldfläche derart verkleinert, daß der Eigentümer zu einer Umstellung seiner bisherigen Bewirtschaftung gezwungen wird. Nur unbedeutende Flächenverluste, die eine solche Auswirkung nicht haben, reichen deshalb insoweit nicht aus (s. auch Quadflieg, a.a.O., § 85 FlurbG RdNr. 59). Anders verhält es sich im zweiten, zugleich das volkswirtschaftliche Gesamtinteresse betreffenden Fall. Gemessen an der ökonomischen und erst recht gemessen an der - gleichfalls berücksichtigungsfähigen (zutreffend Quadflieg, a.a.O., § 85 FlurbG RdNr. 59) - ökologischen Bedeutung möglichst umfassender und in sich geschlossener Waldbestände haben auch tatsächliche Eingriffe, die flächenmäßig zu nur verhältnismäßig geringfügigen Verlusten führen, erhebliches Gewicht. Vor diesem Hintergrund begegnet es keinen Bedenken, daß das Flurbereinigungsgericht sowohl in der Abtrennung der jenseits des Wirtschaftsweges Flur ... Nr. ... für einen anderen Teilnehmer ausgewiesenen, etwa 1/7 des Altbesitzgrundstücks Flur ... Nr. ... betragenden Fläche als auch in der Inanspruchnahme des für diesen Weg benötigten Flächenstreifens im Umfang von rund 1/21 des genannten Grundstücks eine wesentliche Veränderung gesehen hat. Die Beteiligten nehmen dies ebenfalls an.

Zu Recht hat das Flurbereinigungsgericht angenommen, daß die in der Erklärung vom 12.11.1981 enthaltene Zustimmung das Fehlen einer vor Anordnung der vorläufigen Besitzeinweisung erteilten Zustimmung heilen konnte. Nach § 45 Abs. 1 Nr. 5 des nordrhein-westfälischen Verwaltungsverfahrensgesetzes vom 21.12.1976 (GV NW S. 438) - VwVfG NW -, auf den hier gemäß § 1 Abs. 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes des Bundes vom 25.05.1976 (BGBl. I S. 1253) - VwVfG - abzustellen ist, ist eine Verletzung von Verfahrens- oder Formvorschriften, die nicht den Verwaltungsakt nach § 44 VwVfG NW nichtig macht, unbeachtlich, wenn die erforderliche Mitwirkung einer anderen Behörde nachgeholt wird. Bei der Zustimmung der Forstaufsichtsbehörde nach § 85 Nr. 7 FlurbG handelt es sich um eine Mitwirkungshandlung im Sinne des § 45 Abs. 1 Nr. 5 VwVfG NW, deren Fehlen nicht zur Nichtigkeit, sondern nur zur Anfechtbarkeit des maßgeblichen Verwaltungsakts, im vorliegenden Fall der Anordnung der vorläufigen Besitzeinweisung, führt. Es gilt insoweit all das, was das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 16.04.1971 - BVerwG 4 C 36.68 - (RdL 1971, 326 (328) = DÖV 1972, 173 f.) zu dem Zustimmungsvorbehalt des § 85 Nr. 2 FlurbG dargelegt hat (vgl. auch Schwantag, a.a.O., § 85 RdNr. 5). Die forstaufsichtsbehördliche Zustimmung konnte deshalb nachträglich heilend erteilt werden (zutreffend Quadflieg, a.a.O., § 85 FlurbG RdNr. 60 in Verbindung mit RdNr. 25).

Dies konnte noch während des flurbereinigungsgerichtlichen Verfahrens geschehen. Zwar dürfen nach Abs. 2 des § 45 VwVfG NW Handlungen im Sinne des Abs. 1 Nr. 5 dieser Vorschrift nur bis zum Abschluß eines Vorverfahrens und, falls ein solches nicht stattfindet, bis zur Erhebung der verwaltungsgerichtlichen Klage nachgeholt werden. Wie das Flurbereinigungsgericht zutreffend entschieden hat, gilt diese Regelung jedoch (entgegen der bei Quadflieg, a.a.O., Einleitung RdNr. 258, wiedergegebenen Übersicht) nicht für das Gebiet des Flurbereinigungsrechts. Das Flurbereinigungsgesetz, das nach Art. 83 GG von den Ländern als eigene Angelegenheit ausgeführt wird, enthält insoweit entgegenstehendes Recht, das sowohl dem Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes als auch den Verwaltungsverfahrensgesetzen der Länder vorgeht (s. einerseits § 1 Abs. 2 Satz 1 letzter Halbsatz VwVfG und andererseits Kopp, Verwaltungsverfahrensgesetz, 3. Aufl. 1983, § 1 RdNr.11; Obermayer, Verwaltungsverfahrensgesetz, 1983, § 1 RdNr. 66; Leonhardt in Stelkens/Bonk/Leonhardt, Verwaltungsverfahrensgesetz, 2. Aufl. 1983, § 1 RdNr. 35a).

§ 45 Abs. 2 VwVfG NW geht im Zusammenhang mit § 45 Abs. 1 Nr. 5 VwVfG NW davon aus, daß auf die mitwirkungspflichtige Behörde bei Nachholbarkeit der Mitwirkung noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren eine Art von psychologischen Zwang ausgeübt würde, diese Mitwirkung aus Gründen der "Behördensolidarität" im Hinblick auf die negativen Folgen eines verlorenen Behördenprozesses nicht mehr zu versagen, obwohl sie anfangs aus sachlichen Gründen nicht zu erreichen gewesen wäre (so zur entsprechenden Vorschrift des Verwaltungsverfahrensgesetzes des Bundes BT-Drucks. 7/910 S. 66 zu § 41 Abs. 2). Dem liegt die Vorstellung zugrunde, daß sich Behörden und Gerichte im Verwaltungsrechtsstreit als strikt getrennte Gewalten mit wesensverschiedener Aufgabenstellung gegenüberstehen (vgl. auch Kopp, a.a.O., § 45 RdNr. 39). Auf das Verhältnis zwischen Flurbereinigungsbehörden und Flurbereinigungsgerichten läßt sich diese Vorstellung nur eingeschränkt übertragen. Diese Gerichte haben zwar ebenfalls die Aufgabe, Verwaltungskontrolle zu üben. Doch wird diese Aufgabe - abweichend vom allgemeinen Verwaltungsprozeß - ergänzt und überlagert durch die den Flurbereinigungsgerichten in § 144 FlurbG erteilte Ermächtigung, wie die Behörde selbst rechtsgestaltend tätig zu werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 12.07.1962 - BVerwG I C 89.61 - (RdL 1962, 328)). Diese Ermächtigung, die sich auf alle Verwaltungsakte bezieht, die gemäß § 140 FlurbG flurbereinigungsgerichtlicher Überprüfung unterliegen (Schoof in Seehusen/Schwede, a.a.O., § 144 RdNr. 1; Steuer, Flurbereinigungsgesetz, 2. Aufl. 1967, § 144 Anm. 3), dient dem Ziel, den für die Durchführung der Flurbereinigung bestimmenden Gedanken der Verfahrensbeschleunigung (vgl. § 2 Abs. 2 Satz 1 FlurbG) auch im Bereich der Flurbereinigungsgerichte zu verwirklichen (s. BVerwGE 8, 65 (67) sowie Urteil vom 12.07.1962 (a.a.O.)). Mit Rücksicht auf diese Zielsetzung muß jede nicht durch besondere Umstände gerechtfertigte Verfahrensverzögerung unterbleiben. Die Flurbereinigungsgerichte sind gehalten, die bei ihnen anhängigen Rechtsstreitigkeiten, wenn eben möglich, zu einem sachlichen Abschluß zu bringen. Daraus erklärt sich nicht nur, daß Mängel des flurbereinigungsbehördlichen Verfahrens regelmäßig keinen Anlaß zu einer Zurückverweisung im Sinne des § 144 Satz 1, 2. Alt. FlurbG geben können (dazu BVerwG, Urteil vom 12.07.1962 (a.a.O.)). Daraus folgt vielmehr auch (und erst recht), daß es zulässig ist, Mitwirkungshandlungen der in § 45 Abs. 1 Nr. 5 VwVfG NW bezeichneten Art auch noch nach Erhebung der flurbereinigungsgerichtlichen Klage nachzuholen und damit den Verfahrensfehler zu heilen.