Bayerisches Oberstes Landesgericht, Urteil vom 19.03.1984 - 2 Z 346/82 = RdL 1984 S. 126

Aktenzeichen 2 Z 346/82 Entscheidung Urteil Datum 19.03.1984
Gericht Bayerisches Oberstes Landesgericht Veröffentlichungen RdL 1984 S. 126  Lieferung N/A

Leitsätze[Quelltext bearbeiten]

1. Die Entschädigung infolge vorläufiger Anordnung nach § 88 Nr. 3 Satz 3 FlurbG ist zu verzinsen.
2. Die Entschädigung wird mit dem Zeitpunkt fällig, in dem die vorläufige Anordnung wirksam wird.
3. Die Höhe der Zinsen ist mit zwei vom Hundert über dem Diskontsatz der Deutschen Bundesbank jährlich anzunehmen.
4. Die Verzinsung verstößt nicht gegen das Verbot der Doppelentschädigung und von Zinseszinsen.

Aus den Gründen

Für die den Klägern durch die vorläufige Besitzeinweisung entstandenen Nachteile ist gemäß § 88 Nr. 3 Satz 3 FlurbG Entschädigung in Geld zu leisten. Die Geldentschädigung richtet sich nach dem für das Unternehmen geltenden Gesetz (§ 88 Nr. 6 Satz 1 FlurbG). Dies ist gemäß § 19 Abs. 5 FStrG, Art. 40 BayStrWG das Bayerische Gesetz über die entschädigungspflichtige Enteignung. Die Entschädigung für die vorzeitige Besitzeinweisung ist in Art. 39 Abs. 4 BayEG geregelt.

Art. 39 BayEG spricht die Frage der Verzinsung nicht ausdrücklich an. Sie ergibt sich aus Art. 39 Abs. 4 Satz 3 BayEG, in Verbindung mit einem allgemeinen, im Recht der Enteignungsentschädigung entwickelten Grundsatz, der auch in Art. 13 Abs. 2 BayEG zum Ausdruck gekommen ist.

Art. 13 Abs. 2 BayEG steht in Teil II Abschnitt 1 des Bayerischen Entschädigungsgesetzes; dieser Abschnitt behandelt die Entschädigung für die Enteignung selbst (vgl. Art. 8 Abs. 1, 2 Nr. 1 und 2 BayEG), während die vorläufige Besitzeinweisung und die für sie zu leistende Entschädigung an anderer Stelle des Gesetzes (Teil III, Abschnitt 2) geregelt sind. Der in Art. 13 Abs. 2 BayEG angeordneten Verzinsungspflicht liegt folgende Erwägung zugrunde: Demjenigen, der durch eine Enteignung einen Nachteil erleidet, soll von dem Zeitpunkt an, in dem ihm die Nutzungsmöglichkeit entzogen wird, als Äquivalent der Entschädigungsbetrag zur Verfügung stehen. Wird der Entschädigungsbetrag erst später ausgezahlt, so muß dem Betroffenen für die Zeit, in der ihm der enteignete Gegenstand nicht mehr, der Entschädigungsbetrag aber noch nicht zur Verfügung stand, ein Ausgleich dafür gegeben werden, daß er weder den Gegenstand noch den Entschädigungsbetrag nutzen konnte; dieser Ausgleich ist Teil der insgesamt geschuldeten einheitlichen Entschädigung. Er wird grundsätzlich in Form der Verzinsung des (Haupt-) Entschädigungsbetrags berechnet.

In Rechtsprechung und Schrifttum sind die vorstehenden Erwägungen auch auf die Entschädigung angewendet worden, die für eine vorläufige Besitzeinweisung zu zahlen ist. Der Bundesgerichtshof hat eine Verzinsungspflicht für eine Einweisung nach § 40 Abs. 2 Landbeschaffungsgesetz bejaht (BGH WPM 1974, 601/602). Für vergleichbare Bestimmungen in anderen die Enteignung und vorzeitige Besitzeinweisung betreffenden Gesetzen wird dies im Schrifttum ebenfalls angenommen; so für § 116 Abs. 4 BBauG:

Ernst/Zinkahn/Bielenberg BBauG - letzte ErgLfg April 1983 - RdNrn. 17/19, Schrödter BBauG 4. Aufl. RdNr. 8, je zu § 116. Für Art. 39 Abs. 4 BayEG geht Molodovsky BayEG - letzte ErgLfg 01.05.1983 - Art. 39 RdNr. 9.2.7 ebenfalls von der Verzinsungspflicht aus. Der Senat schließt sich dieser Auffassung an. Für sie sprechen folgende Gründe:

Die Entschädigung für die vorzeitige Besitzeinweisung hat die Nachteile auszugleichen, die dem Betroffenen durch den Besitzentzug entstehen. Nach dem Gesetz soll diese Entschädigung dem Betroffenen in dem Zeitpunkt zur Verfügung stehen, in dem die vorzeitige Besitzeinweisung wirksam wird. Das ist der Sinn der Vorschrift, wonach die Entschädigung mit dem Zeitpunkt "fällig" wird, in dem die Besitzeinweisung wirksam wird (BGH aaO und das oben angegebene Schrifttum). Steht dem Betroffenen entgegen dieser Vorschrift der Entschädigungsbetrag zu dieser Zeit noch nicht zur Verfügung und kann er ihn deshalb nicht nutzen, so ist zum Ausgleich dieses Nachteils auch hier (wie bei der Entschädigung für die Enteignung selbst) die Verzinsung geboten.

Das Oberlandesgericht hat seine entgegengesetzte Auffassung u. a. mit dem Hinweis begründet, daß die Entschädigung für die vorzeitige Besitzeinweisung ihrem Wesen nach eine Entschädigung für entgangene Nutzungen sei. Daraus hat das Oberlandesgericht gefolgert: Die Verzinsung dieser Entschädigung laufe also auf einen Ausgleich für entgangene Nutzungen hinaus. Das sei im Gesetz nicht vorgesehen; die Verzinsungspflicht nach Art. 13 Abs. 2 BayEG sei ein Ausgleich für entgangene Nutzungen des "Kapitals", nicht von Nutzungen.

Dem Oberlandesgericht ist zuzugeben, daß die Nachteile, die sich für den Betroffenen daraus ergeben, daß ihm der Gegenstand infolge der Besitzeinweisung nicht mehr zum Gebrauch und zur Fruchtziehung zur Verfügung steht, vornehmlich durch einen Vergleich sichtbar werden, welche Vorteile er im weiteren zeitlichen Verlauf ohne die Besitzeinweisung gehabt hätte. Das ist besonders deutlich hinsichtlich der entgangenen Fruchtziehung; aber auch für andere, für die Entschädigung wesentliche Gesichtspunkte gilt nichts anderes (z. B. für Entschädigungen bei Anschneidungen und Umwegen). Nach den Vorstellungen des Gesetzes aber ist für die Entschädigung maßgebend, daß durch den Akt der vorzeitigen Besitzeinweisung eine Veränderung in der Rechtsstellung des Betroffenen bewirkt wird (die ihrerseits erst jene Nachteile hinsichtlich des Gebrauchs und der Fruchtziehung zur Folge hat); die Entschädigung als Äquivalent der nachteiligen Veränderung der Rechtsstellung ist in eben dem Zeitpunkt fällig, in dem der die Veränderung der Rechtsstellung bewirkende Akt wirksam wird. Steht die Entschädigung dem Betroffenen in diesem Zeitpunkt nicht zur Verfügung, so ist sie zu verzinsen. Eine andere, hier nicht zu entscheidende Frage ist, ob der Gesichtspunkt, daß sich die Vorteile hinsichtlich des Gebrauchs und der Fruchtziehung an der Sache erst im zeitlichen Verlauf verwirklicht hätten, auf die Höhe der Entschädigung Einfluß haben kann.

Die Verzinsung der Besitzeinweisungsentschädigung verstößt auch nicht gegen das Verbot der Doppelentschädigung (zur Doppelentschädigung vgl. BGHZ 55, 294/297).

Nach Meinung des Oberlandesgerichts würde eine Verzinsung der Besitzeinweisungsentschädigung deshalb gegen das Verbot der Doppelentschädigung verstoßen, weil die Geldentschädigung für den endgültigen Landentzug gemäß § 88 Abs. 4 Satz 4 FlurbG als Ausgleich für die entgangene Nutzung zu verzinsen sei, die Besitzeinweisungsentschädigung aber schon den Ausgleich für entzogene Nutzungen darstelle.

Die Frage einer Doppelentschädigung stellt sich im gegenwärtigen Verfahren jedoch nicht. Hier ist lediglich zu entscheiden, ob die festgesetzte Besitzeinweisungsentschädigung zu verzinsen ist. Das Verbot der Doppelentschädigung wird erst aktuell bei der Frage der Verzinsung einer Enteignungsentschädigung (Hauptentschädigung) für eine etwaige (endgültige) Landabgabe gemäß § 88 Nr. 4 FlurbG, Art. 13 Abs. 2 BayEG. Denn erst die Verzinsung der Geldentschädigung für eine Landabgabe könnte eine Entschädigung für die schon durch die Besitzeinweisungsentschädigung ausgeglichenen Nachteile des Betroffenen enthalten. Eine Doppelentschädigung muß also (erst) bei der Geldentschädigung für die Landabgabe vermieden werden; dies kann dadurch geschehen, daß die Entschädigung für die vorläufige Besitzeinweisung berücksichtigt wird (vgl. BGHZ 48, 291; Ernst/Zinkahn/Bielenberg § 116 RdNr. 18).

Die Verzinsung der Besitzeinweisungsentschädigung verstößt auch nicht gegen das Verbot von Zinseszinsen (vgl. § 289 Satz 1 BGB). Die Besitzeinweisungsentschädigung ist hier gemäß § 88 Nrn. 3, 6 FlurbG, Art. 39 Abs. 4 BayEG konkret berechnet worden. Jedenfalls für eine solche Besitzeinweisungsentschädigung gilt das Verbot von Zinseszinsen nicht (BGH WPM 1974, 601; Molodovsky Art. 39 RdNr. 9.2.7; Aust/Jacobs Die Enteignungsentschädigung 2. Aufl. S. 263).

Der Verzinsung der im vorliegenden Fall festgesetzten Besitzeinweisungsentschädigung steht auch nicht der Grundsatz entgegen, daß nur einmalige Entschädigungsbeträge, nicht aber Entschädigungen, die als wiederkehrende Leistungen gewährt werden, zu verzinsen sind (vgl. Art. 13 Abs. 1, 2, 4 BayEG). Zwar ist die Entschädigung hier getrennt für die Wirtschaftsjahre 1979 und 1980 festgesetzt worden. Es handelt sich aber nicht um "wiederkehrende Leistungen" im Sinn des Gesetzes (vgl. BGH WPM 1974, 601).

Der Entschädigungsbetrag ist ab der Fälligkeit, das ist der Zeitpunkt des Wirksamwerdens der vorzeitigen Besitzeinweisung, hier also der 01.03.1979, zu verzinsen. Das ergibt sich aus den oben dargelegten Gründen, insbesondere aus der Vorschrift des Art. 39 Abs. 4 Satz 3 BayEG.

Wie ebenfalls bereits erörtert, hat das Oberlandesgericht u. a. darauf hingewiesen, daß die Fruchtziehung auf den von der Besitzeinweisung betroffenen Grundstücken der Kläger erst im Verlauf der Wirtschaftsjahre 1979 und 1980 eingetreten wäre. Hierauf kommt es aber aus den oben näher dargelegten Gründen für den Beginn der Verzinsungspflicht nicht an. Nach dem Gesetz hat der von der Besitzeinweisung Betroffene Anspruch darauf, daß ihm der ganze Entschädigungsbetrag vom Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Besitzeinweisung an zur Verfügung steht. Der ganze Entschädigungsbetrag ist daher vom Anfangszeitpunkt an zu verzinsen. Für diese gesetzgeberische Entscheidung mag auch die Erwägung gesprochen haben, daß es zu weiteren erheblichen Komplikationen führen könnte, den Beginn der Zinspflicht von einer Differenzierung abhängig zu machen, je nachdem ob die - innerhalb des einheitlichen Entschädigungsbetrags - auszugleichenden einzelnen Nachteile sofort oder erst im zeitlichen Verlauf der Besitzeinweisung eintreten.

Die Höhe der Zinsen ist mit zwei vom Hundert über dem Diskontsatz der Deutschen Bundesbank jährlich anzunehmen. Dies ergibt sich aus der gebotenen entsprechenden Anwendung des Art. 13 Abs. 2 BayEG (Molodovsky aaO; vgl. BGH WPM 1974, 601/602).