Flurbereinigungsgericht Koblenz, Urteil vom 12.05.1981 - 9 C 58/80 = RdL 1981 S. 241
Aktenzeichen | 9 C 58/80 | Entscheidung | Urteil | Datum | 12.05.1981 |
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Gericht | Flurbereinigungsgericht Koblenz | Veröffentlichungen | = RdL 1981 S. 241 | Lieferung | N/A |
Leitsätze[Quelltext bearbeiten]
1. | Zur Klagebefugnis bei Klagen gegen die flurbereinigungsrechtliche Planfeststellung. |
2. | Die in der Rechtsprechung auf verschiedenen Gebieten des Planungsrechts entwickelten Grundsätze zum Abwägungsgebot gelten auch für die Aufstellung und Feststellung des Wege- und Gewässerplanes mit landschaftspflegerischem Begleitplan. |
3. | § 146 Nr. 2 FlurbG findet keine Anwendung bei der gerichtlichen Nachprüfung der flurbereinigungsrechtlichen Planfeststellung. |
Aus den Gründen
Die Klägerin (Teilnehmergemeinschaft) wendet sich mit der Klage gegen einen Teil des in der Flurbereinigung erlassenen Planfeststellungsbeschlusses. Sie macht geltend, der Wirtschaftsweg Nr. 231 müsse zwischen dem Vorfluter Nr. 410 und der östlichen Verfahrensgrenze mit Beton befestigt werden, um Verkehrsgefährdungen auszuschließen.
Die Anfechtungsklage ist zulässig, da die gesetzlichen Voraussetzungen für die Klagebefugnis nach § 42 Abs. 2 VwGO erfüllt sind.
Die Klägerin macht hinreichend geltend, durch den Planfeststellungsbeschluß in Gestalt des Widerspruchsbescheides, in ihren Rechten verletzt zu sein. Sie hat zwar keinen Rechtsanspruch darauf, daß der Wege- und Gewässerplan eine bestimmte Maßnahme vorsieht. Das folgt daraus, daß im Flurbereinigungsgesetz die Planungsbefugnis allein dem Beklagten zugewiesen ist. Nach § 41 Abs. 1 und Abs. 3 FlurbG wird der Wege- und Gewässerplan von der Flurbereinigungsbehörde aufgestellt und durch die Obere Flurbereinigungsbehörde - Bezirksregierung - rechtsverbindlich festgestellt. Die Befugnis zur Aufstellung und Feststellung des Wege- und Gewässerplanes schließt einen weitgehenden Spielraum an Gestaltungsfreiheit ein, da Planung ohne eine solche Gestaltungsfreiheit nicht denkbar ist (vgl. BVerwGE 34, 301 (304), 48, 56 (59)). Bei der Ausübung der gesetzlichen Planungsbefugnis sind aber die gesetzlichen Grenzen dieser Gestaltungsfreiheit zu beachten; von ihr darf auch nur in einer der gesetzlichen Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht werden (vgl. § 114 VwGO). Überdies folgt aus dem Wesen einer rechtsstaatlichen Planung - ohne daß es hierfür einer ausdrücklichen Regelung im Flurbereinigungsgesetz bedürfte -, daß der Planungsträger der Flurbereinigung verpflichtet ist, die von der Planung berührten öffentlichen Interessen und gemeinschaftlichen Belange der Teilnehmer gegeneinander und untereinander gerecht abzuwägen (vgl. BVerwG in BauR 1970, 35 (36); DÖV 1978, 410 (411)). Dieses Abwägungsgebot verleiht dem von der Planung betroffenen Rechtsträger ein subjektiv öffentliches Recht auf eine gerechte Abwägung seiner rechtlich geschützten Belange mit entgegengesetzten anderen Belangen (BVerwGE 48, 56 (66)). Mit ihren Einwendungen gegen die vorgesehene Ausbauart des Wirtschaftsweges Nr. 231 von dem Vorfluter Nr. 410 bis zu der östlichen Verfahrensgrenze hat die Klägerin vorgetragen, daß ihre eigenen rechtlich geschützten Belange nicht oder nicht hinreichend bei der Abwägung mit den Interessen des Naturschutzes berücksichtigt worden seien. Damit macht sie Belange der Flurbereinigungsteilnehmer geltend, die sie als Körperschaft des öffentlichen Rechts stellvertretend für die Gesamtheit der Grundstückseigentümer wahrzunehmen berechtigt ist (§ 18 Abs. 1 Satz 1, § 39 FlurbG).
Die Klage führt auch in der Sache zum Erfolg. Denn der Beklagte ist den sich aus dem Abwägungsgebot ergebenden grundlegenden Anforderungen nicht gerecht worden, so daß sich der angefochtene Planfeststellungsbescheid teilweise als rechtswidrig erweist und insoweit keinen Bestand haben kann. Nach der auf den Gebieten des Bauplanungs- und Fernstraßenrechts entwickelten höchstrichterlichen Rechtsprechung, die ohne Bedenken auf die flurbereinigungsrechtliche Planfeststellung übertragen werden kann, verlangt das Abwägungsgebot, daß eine Abwägung überhaupt stattfindet, daß in die Abwägung an Belangen eingestellt wird, was nach Lage der Dinge in sie eingestellt werden muß, und daß weder die Bedeutung der betroffenen öffentlichen und privaten - bei der Flurbereinigungsplanung der betroffenen gemeinschaftlichen - Belange verkannt noch der Ausgleich zwischen ihnen in einer Weise vorgenommen wird, die zur objektiven Gewichtung einzelner Belange außer Verhältnis steht. Innerhalb dieses Rahmens wird das Abwägungsgebot nicht verletzt, wenn sich die Planungsbehörde bei dem Widerstreit verschiedener Belange für die Bevorzugung des einen und damit notwendig für die Zurückstellung des anderen entscheidet. Die mit diesem Erkenntnis- und Entscheidungsprozeß verbundene Gewichtung der von der Planung betroffenen verschiedenartigen Belange ist somit ein wesentlicher Bestandteil der planerischen Gestaltungsfreiheit und der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle entzogen. Die gerichtliche Überprüfung im Rahmen des Abwägungsgebotes hat sich daher auf die Frage zu beschränken, ob die Planungsbehörde die abwägungserheblichen Gesichtspunkte rechtlich und tatsächlich zutreffend bestimmt, und ob sie die aufgezeigten Grenzen der ihr obliegenden Gewichtung eingehalten hat (BVerwGE 48, 56 (63, 64); Quadflieg, Recht der Flurbereinigung, Stand 1981, Rdnr. 70 zu § 41 FlurbG). Dies ist im vorliegenden Falle zu verneinen. Zwar kann davon ausgegangen werden, daß der Beklagte eine Abwägung überhaupt vorgenommen und daß er in seine Abwägung das öffentliche Interesse des Naturschutzes ebenso wie das gemeinschaftliche Interesse der Grundstückseigentümer an der wegemäßigen Erschließung ihres Weinbergbesitzes einbezogen hat. Die vorgenommene Abwägung krankt jedoch offensichtlich daran, daß die kollidierenden Belange von dem Beklagten in ihrer tatsächlichen und rechtlichen Bedeutung weder erkannt noch näher bestimmt und daher unzutreffend gewichtet worden sind. In ihrem Planfeststellungsbeschluß vom 09.05.1980 hat die Bezirksregierung die vorgesehene Befestigung des Weges Nr. 231 auf einer Teilstrecke mit Rasengittersteinen damit begründet, daß dies der Forderung der Gesellschaft für Naturschutz und Ornithologie entspreche und "der Erhaltung der Funktion eines entomologisch besonders bedeutsamen Biotops diene". In ihrem Widerspruchsbescheid vom 23.09.1980 stützt sie ihre Anordnung, daß diese Befestigungsart ersatzlos entfällt, auf "ökologische Gründe" - eine Wegebefestigung bilde für die 83 festgestellten Insektenarten eine Hitzebarriere - und außerdem auf die Erwägung, daß der Weg einen verhältnismäßig festen Untergrund aufweise und daher wie bisher auch in Zukunft seinen Zweck erfüllen werde. Es kann für die hier zu treffende Entscheidung dahinstehen, ob der Beklagte die Belange des Naturschutzes in seiner Tragweite zutreffend erkannt und dementsprechend bei der Abwägung der rechtserheblichen Gesichtspunkte richtig gewichtet hat. Daß die Planungsbehörde den Erfordernissen des Naturschutzes Rechnung zu tragen hat, bedarf im Hinblick auf § 37 Abs. 2 FlurbG keiner näheren Ausführungen. Jedoch lassen weder die Feststellungen der Bezirksregierung in den genannten Beschlüssen noch die in der mündlichen Verhandlung von dem Beklagten vorgelegten Schriftstücke ohne weiteres den Schluß zu, daß seltene und schutzwürdige Insektenarten durch eine Wegebefestigung in ihrem Bestand wesentlich beeinträchtigt oder gar gefährdet würden. Ein fachwissenschaftliches Gutachten ist weder von der Planaufstellungsbehörde noch von der Bezirksregierung eingeholt worden. Der Senat sieht sich nicht veranlaßt, die Sache in diesem Punkte - etwa durch Einholung eines Sachverständigengutachtens - aufzuklären, um feststellen zu können, ob im vorliegenden Falle, wie die Bezirksregierung ohne weiteres angenommen hat, konkrete Belange des Naturschutzes überhaupt und gegebenenfalls welcher Art und in welchem Umfange gegeben sind. Denn der Planfeststellungsbescheid ist in seinem angefochtenen Teil auf jeden Fall rechtswidrig und daher aufzuheben, da der Beklagte bei der Abwägung der Belange die Bedeutung des Wirtschaftswegebaues für die Verbesserung der Landbewirtschaftung offensichtlich verkannt und daher nicht entsprechend gewichtet hat.
Der von der Bezirksregierung im Rahmen der Abwägung zugrunde gelegte - einzige - maßgebliche Gesichtspunkt, daß der Weg Nr. 231 einen verhältnismäßig festen Untergrund habe und daher wie bisher ohne Befestigung benutzt werden könne, läßt eine angemessene Auseinandersetzung mit den flurbereinigungsrechtlichen Geboten der Wegenetzgestaltung vermissen. Er macht darüber hinaus in keiner Weise deutlich, ob die Planfeststellungsbehörde die maßgeblichen örtlichen Gegebenheiten und Erfordernisse bei ihrer Abwägung in Rechnung gestellt hat. Nach den § 37 Abs. 1, § 39 FlurbG sind im Flurbereinigungsgebiet Wege zu schaffen, die dem Zweck der Flurbereinigung entsprechend die Bodenbewirtschaftung erleichtern und den Arbeitsaufwand vermindern (BVerwG, RdL 1964 S. 328).
Diese der Flurbereinigungsbehörde auferlegte gesetzliche Verpflichtung zur Schaffung eines funktionsfähigen Wegenetzes erhält auch dadurch ihr weiteres und besonderes Gewicht, daß das Flurbereinigungsgesetz jedem Verfahrensteilnehmer ausdrücklich ein subjektiv öffentliches Recht auf Zuwegung mit der oben beschriebenen Qualität einräumt, ohne daß hier die Frage der Wertgleichheit zwischen Altbesitz und Abfindung eine Rolle spielt (§ 44 Abs. 3 Satz 3 Halbsatz 1 FlurbG). Die "Empfehlungen der Arbeitsgemeinschaft für das technische Verfahren der Flurbereinigung im Bundesgebiet - Der Wege- und Gewässerplan - Ausgabe 1972 - (AtVF)" stellen die Richtlinie auf, daß Hauptwirtschaftswege wegen ihrer stärkeren Beanspruchung in der Regel zu befestigen seien (Nrn. 8.1.5 und 9.2 Abs. 2 AtVF). Sie bringen überdies zum Ausdruck, daß Hauptwirtschaftswege, die Weinberge erschließen, in Hanglagen mit einer bergseitigen Querneigung ausgebaut werden sollen, damit zum einen das Oberflächenwasser geregelt abgeführt werden kann und zum anderen bei steilen Lagen ein Schutz gegen das Abrutschen der Fahrzeuge gewährleistet ist (Nrn. 9.2 Abs. 4 AtVF). Im Hinblick auf diese Pflichtenstellung der Flurbereinigungsbehörde und die anerkannten Regeln der Bautechnik erscheinen dem Senat folgende abwägungserhebliche Umstände von Bedeutung: Die Wegeteilstrecke zwischen dem Vorfluter Nr. 410 und der östlichen Verfahrensgrenze wie auch der gesamte Wirtschaftsweg Nr. 231 dienen der Zu- und Abfahrt zahlreicher Weinbergseigentümer, die in den Weinbergslagen K. und F. begütert und in größerer Anzahl in Ortschaften außerhalb des Verfahrensgebietes wohnhaft sind. Nach übereinstimmender Auffassung der Prozeßbeteiligten ist der Wirtschaftsweg für die Erschließung des Verfahrensgebietes unentbehrlich. Die örtlichen Messungen des Gerichts haben auf der strittigen Wegestrecke ergeben, daß ihr Längsgefälle in westlicher Richtung zwischen 9 und 13 %, auf einer kürzeren Strecke 14 % und auf rund 20 m 17 % beträgt. Die Wegestrecke verläuft in einem teilweise felsigen Steilhang, der talseitig bis zu etwa 60 bis 70 % abfällt. Auf 50 m wird sie von einer etwa 6 m hohen talseitigen Mauer abgestützt, die mit keinerlei Sicherungsvorrichtungen versehen ist. Auf der jetzigen Wegeoberfläche zeigt sich nur an verschiedenen Stellen nacktes Felsgestein, so daß Fahrrinnen entstanden sind. Bei einem richtlinienmäßigen Wegeausbau mit einer bergseitigen Querneigung sind mit Rücksicht auf die wasserführende Funktion, die dem Wege unstreitig zukommt, Bodenerosionen in der Fahrbahnfläche zu erwarten, die zu Erschwernissen, Behinderungen und Gefährdungen führen können. Die Erosionsmöglichkeit innerhalb der Fahrbahnfläche wird nicht dadurch ausgeschlossen, daß das in dem Einzugsbereich östlich der Verfahrensgrenze anfallende Oberflächenwasser in jenem Bereich abgefangen und abgeleitet werden soll. Denn dem Bereich der hier fraglichen Wegestrecke wird auch weiterhin Oberflächenwasser zugeführt, zumal die teilweise unbewachsenen Felspartien keinerlei wasserverteilende oder abflußhemmende Wirkung entfalten können. Schließlich kommt hinzu, daß eine beengte Wegestrecke entlang der hohen bergseitigen Felsen im Bereich der hohen talseitigen Stützmauer nur durch Schaffung einer armierten Betonplatte verbreitert werden kann, wie selbst der Vertreter des Beklagten in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich eingeräumt hat. Der Beklagte muß daher in dem strittigen Punkt erneut unter Beachtung der von dem Senat aufgezeigten rechtlichen Gesichtspunkte entscheiden. § 146 Nr. 2 FlurbG, der dem Flurbereinigungsgericht das Recht der eigenen Ermessensbetätigung einräumt, findet keine Anwendung, da sich diese gesetzliche Regelung ausdrücklich nur auf Einwendungen gegen den Flurbereinigungsplan bezieht. Die Novellierung des Flurbereinigungsgesetzes vom 16.03.1976, die unter anderem das Recht der Planfeststellung neu geordnet hat, läßt es ersichtlich bei der bisherigen Regelung in § 146 FlurbG bewenden. Eine Zurückverweisung der Sache zur erneuten Entscheidung ist daher geboten.