Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 30.10.1979 - 5 C 40.79 = BVerwGE 59, 79= RdL 1980 S. 100

Aktenzeichen 5 C 40.79 Entscheidung Urteil Datum 30.10.1979
Gericht Bundesverwaltungsgericht Veröffentlichungen BVerwGE 59, 79 = RdL 1980 S. 100  Lieferung N/A

Leitsätze[Quelltext bearbeiten]

1. Für Erstattungsverlangen nach § 51 Abs. 2 FlurbG, die als hoheitliche Maßnahmen der Teilnehmergemeinschaft im Vollzug des Flurbereinigungsgesetzes ergehen, ist der Rechtsweg zu den Flurbereinigungsgerichten gegeben.
2. Zur Abgrenzung von Nutzungsbeeinträchtigungen durch Teilnehmer aus Anlaß und im unmittelbaren Zusammenhang mit Maßnahmen der Flurbereinigung gegenüber sonstigen während des Verfahrens auftretenden Besitzstörungen.
3. Zur Behandlung von Nutzungsbeschränkungen und Besitzstörungen im Zeitpunkt der vorläufigen Besitzeinweisung.
4. Zur Zuständigkeit des Flurbereinigungsgerichts für Erstattungsregelungen der Teilnehmergemeinschaft.

Aus den Gründen

Die Revision ist begründet; sie führt unter Aufhebung des angefochtenen Urteils zur Zurückverweisung der Sache an das Flurbereinigungsgericht zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung über die Verpflichtung der Kläger, der Beklagten die festgesetzte Ausgleichszahlung in dem durch die teilweise Rücknahme der Beschwerde reduzierten Umfang zu erstatten.

Durch Beschluß des Vorstands der beklagten Teilnehmergemeinschaft vom 20. November 1975, dem insoweit die Aufgaben und Befugnisse der Flurbereinigungsbehörde übertragen sind (Artikel 3 Absatz 1 Satz 2 AGFlurbG), wurden zwei gegenständlich verschiedene Regelungen getroffen, die - trotz desselben Anlasses - sich weder wechselseitig bedingen noch reziprok Maßnahmen gleicher Intensität gegenüber den verschiedenen Adressaten erfordern. Der unter a) getroffene Regelungsinhalt betrifft die Gewährung einer Ausgleichszahlung wegen vorübergehender Nachteile im Sinne des § 51 Absatz 1 FlurbG an die Beigeladenen. Diese zugunsten der Beigeladenen getroffene Regelung entfaltet keine unmittelbare - belastende - Rechtswirkung gegenüber den Klägern, etwa der automatischen Verpflichtung zur Erstattung der den Beigeladenen gewährten Ausgleichszahlung. In der Gewährung einer Ausgleichszahlung nach § 51 Absatz 1 FlurbG liegt deshalb kein Verwaltungsakt mit Drittwirkung.

Vorübergehende Nachteile einzelner Teilnehmer im Sinne des § 51 Absatz 1 FlurbG, die durch Maßnahmen der Flurbereinigung entstehen und das Maß der den übrigen Teilnehmern entstehenden gleichartigen Nachteile erheblich übersteigen, sind durch Geld oder in anderer Art auszugleichen. Die Teilnehmergemeinschaft, der die Ausgleichszahlung zur Last fällt, ist dagegen nicht gehalten, diese Last auf den Teilnehmer abzuwälzen, der aus den die Ausgleichszahlung auslösenden Verhältnissen besondere Vorteile gezogen hat. Die Teilnehmergemeinschaft kann jedoch Erstattung der von ihr geleisteten Ausgleichszahlung von dem, der dadurch Vorteile hat, nach dem Verhältnis seines Vorteils verlangen (§ 51 Absatz 2 FlurbG). Die Ermächtigung der Teilnehmergemeinschaft, eine solche Erstattung zu verlangen, erfordert danach zwar die Gewährung einer angemessenen Ausgleichszahlung an einzelne Teilnehmer, setzt also eine dahingehende Regelung gegenüber einzelnen Teilnehmern voraus. Die tatsächliche Leistung einer Ausgleichszahlung nach § 51 Absatz 1 FlurbG ist jedoch nur Tatbestandsvoraussetzung für eine Ermessensbetätigung nach § 51 Absatz 2 FlurbG. Da die vorhergehende Regelung über die Leistung einer Ausgleichszahlung an einen Teilnehmer die Teilnehmergemeinschaft weder zu einer Konsekutiv-Maßnahme gleicher oder abgestufter Intensität gegenüber einem anderen Teilnehmer zwingt noch automatisch eine reziproke Rechtsfolge bewirkt, sondern nur zu einer vorteilsangemessenen Abwälzungsmaßnahme ermächtigt, sind die angeführten Regelungsinhalte einer gegenständlich getrennten Betrachtung zugänglich. Dies eröffnet den notwendigerweise verschiedenen Adressaten eine isolierte Anfechtungsmöglichkeit; seitens des nach § 51 Absatz 1 FlurbG Begünstigten hinsichtlich einer Beschwer wegen Versagung eines höheren Geldausgleichs, seitens des nach § 51 Absatz 2 FlurbG Betroffenen hinsichtlich eines unbegründeten oder nicht vorteilsangemessenen Erstattungsverlangens. Durch die Regelung einer Ausgleichszahlung nach § 51 Absatz 1 FlurbG zugunsten eines Teilnehmers wird ein anderer Teilnehmer nicht unmittelbar beschwert, zumal es vorübergehende Beeinträchtigungen geben kann, die auf Gestaltungsmaßnahmen der Teilnehmergemeinschaft selbst beruhen oder im Verlaufe des Verfahrens noch eintreten, ohne jemandem Vorteile zu bringen. Durch die Erstattungsregelung nach § 51 Absatz 2 FlurbG wird andererseits auch die vorhergegangene Regelung nach § 51 Absatz 1 FlurbG nicht berührt, und selbst im Falle einer erfolgreichen Anfechtung des nach § 51 Absatz 2 FlurbG Betroffenen müssen sich daraus keine rückwirkenden Konsequenzen in bezug auf den Grund und den Umfang des nach § 51 Absatz 1 FlurbG gewährten Geldausgleichs ergeben. Den aus einer Erstattungsregelung nach § 51 Absatz 2 FlurbG wegen der vorausgesetzten Ausgleichszahlung nach § 51 Absatz 1 FlurbG sich ergebenden widerstreitenden Interessen des hiervon Betroffenen mit denen des nach § 51 Absatz 1 FlurbG Begünstigten kann im Flurbereinigungsverfahren durch dessen Beteiligung und im Verwaltungsstreitverfahren - wie im vorliegenden Fall geschehen - durch (einfache) Beiladung (§ 65 Absatz 1 VwGO) Rechnung getragen werden.

Gegenstand der Anfechtungsklage, um die es sich hier handelt, ist - wie durch vorstehenden Ausführungen klargestellt - nur die unter b) des Beschlusses der Beklagten vom 20. November 1975 nach § 51 Absatz 2 FlurbG getroffene Regelung, nach der - unter Berücksichtigung der teilweisen Beschwerderücknahme - die Kläger verpflichtet wurden, an die Beklagte die von ihr geleistete Ausgleichszahlung in Höhe von 3.600 DM zu erstatten. Eine solche Erstattungsregelung nach § 51 Absatz 2 FlurbG ist eine hoheitliche Maßnahme der Teilnehmergemeinschaft, die im Vollzug des Flurbereinigungsgesetzes ergeht und deshalb der flurbereinigungsgerichtlichen Kontrolle unterliegt (§ 140 Satz 1 FlurbG). Ebenso wie der gegen die Teilnehmergemeinschaft gerichtete Ausgleichsanspruch nach § 51 Absatz 1 FlurbG öffentlich-rechtlicher Natur ist (Urteil vom 14. November 1961 - BVerwG I C 117.59 - (RdL 1962, 106)), ist auch das Erstattungsverlangen nach § 51 Absatz 2 FlurbG von gleicher Qualität, das geltend zu machen die Teilnehmergemeinschaft im Rahmen ihrer Befugnisse nach § 18 Absatz 1 Satz 3 FlurbG berechtigt ist mit der Folge, daß die sich daraus ergebende Erstattungspflicht als öffentliche Last auf den im Flurbereinigungsgebiet liegenden Grundstücken des Erstattungspflichtigen ruht (§ 20 Satz 3 FlurbG). Die Flurbereinigung wird in einem behördlichen Verfahren durchgeführt (§ 2 Absatz 1 FlurbG); die Flurbereinigungsbehörde/Teilnehmergemeinschaft bleibt Verfahrensträger bis zur Schlußfeststellung (§ 149 FlurbG).

Mit der öffentlichen Bekanntgabe der Anordnung über die vorläufige Besitzeinweisung in die für die einzelnen Teilnehmer nach dem Flurbereinigungsplan ausgewiesenen Grundstücke ist deshalb die Tätigkeit der Flurbereinigungsbehörde nach § 65 Absatz 2 FlurbG nicht erschöpft. Die Flurbereinigungsbehörde trägt auch die Verantwortung für den Zustand, die Beschaffenheit und die Nutzungsmöglichkeit der von der vorläufigen Besitzeinweisung erfaßten Grundstücke. Durch die vorläufige Besitzeinweisung nach § 65 FlurbG gehen der Besitz, die Verwaltung und die Nutzung der neuen Grundstücke auf die benannten Empfänger über, wohingegen die Teilnehmer vorerst noch Eigentümer der betroffenen Grundstücke bleiben. Der Besitz der neuen Grundstücke wird hoheitlich vermittelt, der Übergang erfolgt durch die Anordnung selbst und unmittelbar (§ 66 Absatz 1 FlurbG). Eine Handlung der Teilnehmer für den Besitzübergang ist nicht erforderlich; es bedarf auch keiner Übergabe der Grundstücke zur Begründung des Besitzes, und auf die tatsächliche Besitzergreifung des Empfängers kommt es nicht an. Entgegen der Regelung in Artikel 58 und 59 Absatz 1 des früheren bayerischen Flurbereinigungsgesetzes, wonach der Besitz erst durch die tatsächliche Besitzergreifung durch die Beteiligten aufgrund der Vollzugsdurchführung durch den Genossenschaftsvorstand überging (vergleiche Seubelt, Bayerisches Flurbereinigungs-Gesetz, 2. Auflage 1934, Anmerkung 5 zu Artikel 58), bedarf es nach dem Flurbereinigungsgesetz weder einer Übergabe - noch einer Übernahmehandlung in bezug auf das Grundstück. Bei der Prüfung der besonderen Voraussetzungen für die im Ermessen der Flurbereinigungsbehörde liegende vorläufige Besitzeinweisung wird nicht näher untersucht, ob die zugedachten Abfindungen wertgleich sind, weil insoweit dem Verfahren über Planbeschwerden nicht vorgegriffen werden darf. Um aber das bei der vorläufigen Besitzeinweisung feststehende Verhältnis der Abfindung zur Einlage einzuhalten und das Entstehen grober Mißverhältnisse zu verhindern, hat die Flurbereinigungsbehörde für die Herbeiführung des der neuen Feldeinteilung entsprechenden Zustandes zu sorgen und damit die dem neuen (vorläufigen) Zustand zugedachte Nutzungsmöglichkeit zu gewährleisten. Denn mit dem in den Überleitungsbestimmungen bestimmten Zeitpunkt treten insbesondere die Erzeugnisse der neuen Grundstücke in rechtlicher Beziehung an die Stelle der alten Grundstücke (§ 66 Absatz 1 Satz 3 FlurbG). Damit verbundene Nutzungseinbußen müssen deshalb unabhängig von der herzustellenden Wertgleichheit der Landabfindung anderweitig ausgeglichen werden. Können Nutzungen aus den neuen Grundstücken zeitweilig nicht gezogen werden, etwa wegen des die Nutzungsmöglichkeit einschränkenden vorübergehenden Zustandes der Grundstücke (vernachlässigte Düngung, starke Verunkrautung und andere behebbare Mängel) oder anderweitiger Nutzungsbehinderungen, auch solcher aufgrund anordnungswidrigen Verhaltens eines Teilnehmers (vergleiche Seehusen - Schwede - Nebe, Flurbereinigungsgesetz, 2. Auflage 1966, Anmerkung 4 zu § 51), können die nicht erzielbaren Erzeugnisse kein Äquivalent für die auf den entzogenen Grundstücken vorhandenen Nutzungsmöglichkeiten bilden. Die sich hieraus ergebenden Nutzungsausfälle, Erzeugungsbehinderungen sowie andere vorübergehende Nachteile sind möglichst anschließend an die Anordnung der vorläufigen Besitzeinweisung auszugleichen (§ 67 Absatz 1 FlurbG). Es kann deshalb nicht angehen, die vorläufige Besitzeinweisung anzuordnen und die Klärung der durch die hoheitliche Besitzneuordnung eingetretenen Änderungen in den Besitz-, Verwaltungs- und Nutzungsverhältnissen ausschließlich den betroffenen Teilnehmern zu überlassen und damit verbundene Rechtsstreitigkeiten den ordentlichen Gerichten zuzuweisen, die über Streitigkeiten, die unmittelbar durch ein Flurbereinigungsverfahren hervorgerufen werden, nach § 140 Satz 1 FlurbG nicht zu befinden haben. Denn die Flurbereinigungsbehörde trägt nicht nur die Verantwortung für die Zulässigkeit der vorläufigen Besitzeinweisung, sondern auch die Verpflichtung zur Beseitigung behebbarer vorübergehender Nachteile, die die Verwirklichung der mit der Anordnung verbundenen Rechtsfolge verhindern. Zur Herbeiführung und Sicherstellung der mit der vorläufigen Besitzeinweisung angestrebten Bewirtschaftungsverhältnisse stehen der Flurbereinigungsbehörde die Zwangsmittel nach § 137 FlurbG zur Verfügung. Mit den angeführten Zwangsmitteln zur Durchsetzung flurbereinigungsbehördlicher Verwaltungsakte könnte auch Besitzstörungen oder Bewirtschaftungsbehinderungen von Teilnehmern begegnet werden (vergleiche BVerwGE 49, 169).

Dem kann nicht entgegengehalten werden, daß Nutzungsbeeinträchtigungen der vorliegenden Art als Nachteile anzusehen seien, die nicht auf der Zusammenlegung beruhen, sondern nur anläßlich des Verfahrens aus anderen Ursachen heraus aufgetreten seien (so das Flurbereinigungsgericht im angefochtenen Urteil auf Seite 6 unter Hinweis auf die angeführte Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Koblenz; der gleichen Ansicht wohl auch Steuer, Flurbereinigungsgesetz, 2. Auflage unter Nummer 1 zu § 66 Absatz 1 FlurbG). Ursache für die Änderung der Besitz- und Nutzungsverhältnisse ist allein die hoheitliche Besitzneuordnung durch die vorläufige Besitzeinweisung der Flurbereinigungsbehörde. Hierauf beruht aber auch die Nutzungsbeeinträchtigung der Beigeladenen, wenn die Kläger die vorläufige Besitzeinweisung der Beigeladenen in die beiden angeführten Grundstücke nicht beachtet haben (obgleich sie die vorläufige Besitzeinweisung nicht angefochten hatten), so daß die Flurbereinigungsbehörde in bezug auf die Beigeladenen den neuen Zustand tatsächlich nicht herbeizuführen vermochte. Da mit der vorläufigen Besitzeinweisung ursächlich verbundene Nutzungsbeeinträchtigungen nach § 67 Absatz 1 FlurbG möglichst anschließend an die Anordnung nach § 65 Absatz 2 FlurbG auszugleichen sind, ist die Flurbereinigungsbehörde bei vorübergehenden Nutzungsnachteilen einzelner Teilnehmer, die das Maß der den übrigen Teilnehmern entstehenden gleichartigen Nachteile erheblich übersteigen, verpflichtet, diese Nachteile durch Geld oder in anderer Art auszugleichen (§ 51 Absatz 1 FlurbG). Die Flurbereinigungsbehörde ist danach auch berechtigt, die Erstattung der von ihr geleisteten Ausgleichszahlung von dem, der dadurch Vorteile gezogen hat, nach dem Verhältnis seines Vorteils zu verlangen (§ 51 Absatz 2 FlurbG). Die Rechtskontrolle hierüber obliegt nach § 140 FlurbG den Flurbereinigungsgerichten. Der Zivilrechtsweg für anderweitige Besitzstörungen von Teilnehmern, die weder aus Anlaß noch im unmittelbaren Zusammenhang mit Maßnahmen der Flurbereinigung eintreten, bleibt hiervon unberührt.