Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 21.03.1978 - 5 C 57.76 = RdL 1979 S. 38
Aktenzeichen | 5 C 57.76 | Entscheidung | Urteil | Datum | 21.03.1978 |
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Gericht | Bundesverwaltungsgericht | Veröffentlichungen | = RdL 1979 S. 38 | Lieferung | N/A |
Leitsätze[Quelltext bearbeiten]
1. | Zu den Voraussetzungen einer unverschuldeten Versäumnis im Sinne von § 134 Abs. 2 Satz 2 FlurbG. |
2. | Rechtsauskünfte des Vorstandsvorsitzenden sind im Gegensatz zu Auskünften über technische Gegebenheiten unverbindlich. |
Aus den Gründen
Die Revision muß aus materiellrechtlichen Gründen Erfolg haben.
Die Gründe, mit denen das Flurbereinigungsgericht die am 10. Juli 1975 bei der Flurbereinigungsdirektion eingegangene Beschwerde der Klägerin gegen die am 19. August 1971 festgestellten Ergebnisse der Schätzung und den am 22. November 1971 beschlossenen Flurbereinigungsplan Teil I für unzulässig gehalten hat, vermögen die getroffene Entscheidung nicht zu tragen. Zwar waren bei der Einlegung der Beschwerde sowohl die Frist des § 141 Abs. 1 Satz 3 FlurbG zur Erhebung der Schätzbeschwerde als auch die Frist nach Art. 21 Abs. 2 BayAGFlurbG zur Einlegung einer Planbeschwerde verstrichen. Entgegen der Annahme des Flurbereinigungsgerichts waren jedoch die Voraussetzungen des § 134 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 FlurbG für eine nachträgliche Zulassung der Beschwerde gegeben. Die Klägerin hat unverschuldet die Frist zur Einlegung der Schätzwert- und der Planbeschwerde versäumt. Zwar kann eine nachträgliche Zulassung der Beschwerde nicht schon darauf gestützt werden, daß nach Eintritt des in der Ausführungsanordnung festgestellten Zeitpunktes des neuen Rechtszustandes den Eheleuten R. eine Baugenehmigung erteilt worden ist, derzufolge eine Teilfläche des von der Klägerin eingebrachten als landwirtschaftlich genutzt bewerteten Grundstücks bebaut werden darf. Diese Tatsache allein rechtfertigt noch nicht eine nachträgliche Änderung der Schätzwertfeststellung und als deren Folge eine Erhöhung der der Klägerin ausgewiesenen Abfindung. Es entspricht ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, daß nur solche Werterhöhungen im Wege einer nachträglichen Zulassung der Beschwerde berücksichtigt werden können, die vor Eintritt der rechtlichen Wirkungen des Flurbereinigungsplans entstanden sind (vgl. u.a. BVerwGE 8, 343; Urteil vom 30. April 1969 - BVerwG 4 C 236.65 (RdL 1970, 20); BVerwGE 48, 160 (163); vgl. auch § 44 Abs. 1 Satz 3 FlurbG F. 1976). Wertänderungen, die nach diesem Zeitpunkt eintreten, berühren den Abfindungsanspruch des bisherigen Eigentümers nicht und sind deshalb auch kein Anlaß, nachträglich eine Beschwerde gegen die Schätzwertfeststellung und den Flurbereinigungsplan zuzulassen.
Die Klägerin macht indessen geltend, ihre ortsnahen Einlageflurstücke 905 und 905/2 seien bereits im Zeitpunkt der Planeröffnung, zumindest aber bei Eintritt des neuen Rechtszustandes Bauland gewesen. Sie trägt damit einen Umstand vor, der zu einer nachträglichen Zulassung der Schätzwert- und Planbeschwerde führen kann. Daß die Klägerin diesen Beschwerdegrund nicht schon mit einer fristgerechten Beschwerde gegen den Flurbereinigungsplan vorgebracht hat, kann ihr entgegen der Meinung des Flurbereinigungsgerichts nicht als Verschulden angerechnet werden.
Dem angefochtenen Urteil ist allerdings darin beizutreten, daß sich die Klägerin nicht mit Erfolg darauf berufen kann, sie habe von einer fristgerechten Beschwerde deswegen abgesehen, weil ihr der Vorstandsvorsitzende der Beklagten bei der Wunschentgegennahme und auch später erklärt habe, ihre Einlageflurstücke seien aus Rechtsgründen nicht bebaubar und müßten deshalb als landwirtschaftlich genutzt bewertet werden.
Dabei kann offenbleiben, ob der Vorstandsvorsitzende der Beklagten, wie die Klägerin behauptet, diese Äußerung wider besseren Wissens abgegeben hat oder ob er von der Richtigkeit seiner Auskunft überzeugt war. Die Klägerin durfte jedenfalls auf eine solche ihr gegebene Rechtsauskunft nicht ohne weiteres vertrauen und deswegen von der Anfechtung der Schätzwertfeststellung und des Flurbereinigungsplans absehen. Darin liegt eine Verletzung der einem Teilnehmer bei der Wahrung seiner Interessen obliegenden Sorgfalt. Bei der Wertermittlung kann von ihm regelmäßig erwartet werden, daß er innerhalb der Beschwerdefrist die festgestellten Ergebnisse prüft und sich dabei aller ihm offenstehenden Möglichkeiten zur Information und zur Überlegung bedient (Urteil vom 24. Februar 1959 - BVerwG 1 C 160. 57 - (RdL 1959, 221 (223)); BVerwGE 15, 271 (275)). Unterläßt er dies, so handelt er schuldhaft im Sinne des § 134 Abs. 2 Satz 2 FlurbG und kann keine nachträgliche Zulassung seiner Einwendungen beanspruchen. Bei Wahrung der ihr zuzumutenden Sorgfalt hätte sich die Klägerin nicht mit der Auskunft des Vorstandsvorsitzenden der Beklagten, soweit dieser die Baulandeigenschaft der von ihr eingebrachten Flurstücke 905 und 905/2 aus baurechtlichen Gründen verneint hatte, begnügen dürfen. Nach ihrem eigenen Vortrag war sie von der Richtigkeit dieser Auskunft nicht überzeugt. Um so mehr war sie deshalb zur Vermeidung eines Verlustes ihres Rügerechts (§ 134 Abs. 1 FlurbG) gehalten, ihre gegenteilige Rechtsansicht mit der Beschwerde geltend zu machen. Dies hat das Flurbereinigungsgericht insoweit zutreffend ausgeführt.
Die Klägerin hat aber nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils ihr Absehen von einer Beschwerde gegen die Schätzwertfeststellung und gegen den Flurbereinigungsplan weiterhin damit gerechtfertigt, sie habe auf die Richtigkeit der von dem Vorstandsvorsitzenden der Beklagten und von dem Ortsbeauftragten gegebenen Versicherung vertraut, ihre Einlageflurstücke könnten nicht an den zu hoch liegenden Abwasserkanal angeschlossen werden und seien deshalb nicht als Bauland zu bewerten. Dieses Vorbringen hat in dem angefochtenen Urteil keine Berücksichtigung gefunden. Das Flurbereinigungsgericht hat vielmehr der Klägerin ausschließlich zum Vorwurf gemacht, daß sie die durch die Vertreter der Beklagten vorgenommene baurechtliche Qualifizierung ihrer Einlageflurstücke hingenommen habe. Ihre weitere Begründung für die Versäumung der Beschwerdefrist rechtfertigt indessen die nachträgliche Zulassung des Rechtsbehelfs. Es kann der Klägerin nicht als Verschulden angelastet werden, wenn sie auf die sich später als unrichtig erweisende Auskunft des Vorstandsvorsitzenden der Beklagten und des Ortsbeauftragten vertraut hat, ihre Einlage könne nicht an den zu hoch liegenden Abwasserkanal angeschlossen werden. Insoweit handelt es sich nicht um die Äußerung einer für die Klägerin nicht verbindlichen Rechtsmeinung von Vorstandsmitgliedern der Beklagten, zu deren Überprüfung sich die Klägerin auf das Rechtsmittelverfahren verweisen lassen mußte. Vielmehr betraf die Auskunft technische Gegebenheiten, die zu beurteilen in erster Linie Sache des Vorstandsvorsitzenden der Beklagten, eines technischen Beamten des höheren Flurbereinigungsdienstes, und seiner Hilfskräfte war. Auf deren Beurteilung der tatsächlichen Möglichkeit eines Anschlusses an den bestehenden Abwasserkanal konnte sich die Klägerin als Laie verlassen. Sie durfte davon ausgehen, daß die ihr gegebene Erklärung auf einer fachgerechten Prüfung der vorhandenen Anschlußmöglichkeiten beruhte und nicht etwa leichtfertig oder gar in der Absicht geäußert war, sie zu beschwichtigen oder von der Einlegung eines Rechtsmittels abzuhalten. Hinsichtlich dieser Auskunft traf sie keine Verpflichtung, sich anderweitig über deren Richtigkeit zu informieren. Ein Teilnehmer eines Flurbereinigungsverfahrens kann regelmäßig erwarten, daß die durch die Flurbereinigungsbehörde vorgenommene Beurteilung technischer Sachverhalte zutreffend ist. Er verletzt nicht die ihm obliegende Sorgfalt, wenn er die hierzu vertretene Auffassung der Behörde hinnimmt und davon absieht, deren Richtigkeit im Beschwerdeverfahren klären zu lassen. Dies jedenfalls dann, wenn er, wie hier, die Ansicht der Behörde für überzeugend hält.
Zeitliche Rücksichten stehen einer nachträglichen Zulassung der von der Klägerin erhobenen Beschwerde nicht entgegen. Das Bundesverwaltungsgericht hat zwar für den Anwendungsbereich des § 134 Abs. 2 Satz 1 FlurbG entschieden, daß im Rahmen der dort vorzunehmenden Interessenabwägung auch der Zeitablauf zwischen Eintritt der Säumnis und der Erhebung der verspäteten Beschwerde in Rechnung zu stellen ist. Daraus ergeben sich zeitliche Grenzen für die gemäß § 134 Abs. 2 Satz 1 FlurbG im Ermessen der Behörde stehende Nachsichtgewährung (BVerwGE 21, 93 (95)). Es soll dadurch verhindert werden, daß die im Flurbereinigungsplan getroffene Neuordnung des Verfahrensgebiets, die für die Beteiligten und die Behörden verbindlich ist, noch nach längerer Zeit wieder umgestoßen werden kann, mit der Folge, daß die mit der Flurbereinigung erstrebte Verbesserung der Agrarstruktur im Bereinigungsgebiet verzögert wird (Urteil vom 26. Mai 1977 - BVerwG 5 C 47.73 -). Diese Erwägungen können jedoch bei unverschuldeter Säumnis, um die es hier geht, nicht Platz greifen. Bei unverschuldeter Versäumung gesetzlicher Fristen hat der Betroffene ebenso wie in dem in § 60 Abs. 1 VwGO geregelten Fall der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand einen Rechtsanspruch auf nachträgliche Zulassung seiner Beschwerde, sofern er sie unverzüglich nach Behebung des Hindernisses nachholt (§ 134 Abs. 2 Satz 2 FlurbG). Für eine Interessenabwägung zwischen den Belangen des säumigen Teilnehmers und denen der Teilnehmergemeinschaft läßt diese Regelung grundsätzlich keinen Raum. Zeitliche Rücksichten können in diesem Zusammenhang nur insofern eine Rolle spielen, als der Anspruch auf Nachsichtgewährung nur bis zur Schlußfeststellung (§ 149 FlurbG) geltend gemacht werden kann. Ob eine solche Anordnung in dem vorliegenden Verfahren bereits ergangen ist, läßt sich dem angefochtenen Urteil nicht eindeutig entnehmen. Das Flurbereinigungsgericht wird hierzu noch nähere Feststellungen zu treffen haben.