Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 04.06.1975 - 1 A 128/73 = AS 14, 59
Aktenzeichen | 1 A 128/73 | Entscheidung | Urteil | Datum | 04.06.1975 |
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Gericht | Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz | Veröffentlichungen | = AS 14, 59 | Lieferung | N/A |
Leitsätze[Quelltext bearbeiten]
1. | Ein im Umlegungs- oder Flurbereinigungsverfahren ausgewiesener Wirtschaftsweg darf nur dann nach § 58 Abs. 4 Satz 2 FlurbG ganz oder teilweise eingezogen werden, wenn die Zwecke, für die er angelegt worden ist, weggefallen sind oder wenn überwiegende öffentliche Interessen es verlangen. |
Aus den Gründen
Die Feststellungsklage ist nach § 43 Abs. 1 VwGO zulässig.
Die Frage, ob die Kläger berechtigt sind, den genannten Weg zu benutzen, bezieht sich auf ein öffentlich-rechtliches Rechtsverhältnis, an dessen Feststellung die Kläger ein berechtigtes Interesse haben. Die Rechtsnatur des streitigen Rechtsverhältnisses beurteilt sich zwar nicht nach dem öffentlichen Straßen- und Wegerecht. Das insoweit maßgebende Landesstraßengesetz für Rheinland-Pfalz - LStrG - vom 15.2.1963 (GVBl. S. 57) regelt nur Bau, Unterhaltung und Benutzung der öffentlichen Straßen (§ 1 Abs. 1). Nach § 2 Abs. 5 LStrG gehören dazu nicht die ausschließlich der Bewirtschaftung land- und forstwirtschaftlicher Grundstücke dienenden Wirtschaftswege. Bei der Wegeparzelle Nr. 113 handelt es sich um einen Weg dieser Art. Sie ist in dem Umlegungsplan des Kulturamts B. für die Gemeinde R., der seit dem 28.12.1953 rechtskräftig ist, ausdrücklich als Wirtschaftsweg ausgewiesen. Die Benutzung der Wirtschaftswege ist nach § 10 Abs. 5 des genannten Umlegungsplans den Teilnehmern nur als Fußweg sowie "zur Bewirtschaftung der neuen Grundstücke und als Triftweg zum Treiben von Vieh" gestattet. Handelt es sich somit bei der Wegeparzelle Nr. 113 nicht um einen öffentlichen Weg, so ist damit jedoch die Anwendung öffentlich-rechtlicher Vorschriften nicht ausgeschlossen. Wie der erkennende Senat bereits in seinem Urteil vom 18.6.1970 - 1 A 104/67 - (AS 11, 386) näher ausgeführt hat, ist das in einem Umlegungs- oder Flurbereinigungsverfahren geschaffene nicht öffentliche Wegenetz als eine öffentliche Anstalt unselbständiger Art anzusehen, weil es einen Bestand von sächlichen Mitteln darstellt, die in der Hand der Gemeinde und damit eines Trägers der öffentlichen Verwaltung einem besonderen Zweck dauernd zu dienen bestimmt sind (a.a.O. S. 390). Das Benutzungsverhältnis bezüglich dieses Wegenetzes ist öffentlich-rechtlicher Art und kann damit auch Gegenstand einer Feststellungsklage nach § 43 VwGO sein. Dem kann die Beklagte nicht mit Erfolg entgegenhalten, die Kläger hätten ein unzulässiges Normenkontrollverfahren eingeleitet, weil sie sich in Wahrheit gegen die Rechtswirksamkeit einer Gemeindesatzung und damit einer Rechtsnorm zur Wehr setzten. Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens bildet allein das konkrete Benutzungsverhältnis der Kläger zu der Wegeparzelle Nr. 113, deren Anlieger sie sind. Die Frage, ob die Satzung über die teilweise Beseitigung dieses Weges rechtswirksam ist, ist lediglich als Vorfrage bei der Entscheidung zu klären, ob der Klageantrag Erfolg haben kann (Inzidentprüfung). Sie wird damit nicht zum Streitgegenstand, wie es bei einer Normenkontrolle der Fall wäre.
Für die Feststellung des streitigen Rechtsverhältnisses ist auch der allgemeine Verwaltungsrechtsweg gegeben (§ 40 Abs. 1 VwGO). Insbesondere kann nicht davon ausgegangen werden, daß die Streitigkeit dem Flurbereinigungsgericht zugewiesen sei. Die dafür nach § 140 FlurbG erforderlichen Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Denn es ist weder über die Anfechtung eines Verwaltungsakts zu entscheiden, der im Vollzug des Flurbereinigungsgesetzes ergangen ist, noch über eine Streitigkeit, die durch ein Flurbereinigungsverfahren hervorgerufen und vor Eintritt der Rechtskraft der Schlußfeststellung anhängig geworden ist.
Die Kläger haben schließlich auch ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung des streitigen Rechtsverhältnisses, weil die Beklagte das Recht zur Benutzung des Weges in seinem bisherigen Umfang in Abrede stellt. Das Feststellungsinteresse entfällt nicht deshalb, weil die Kläger im ersten Rechtszug geltend gemacht haben, ihr Bestreben, den Weg zu erhalten, werde vor allem durch ihre Absicht bestimmt, ihr Grundstück zu bebauen. Ob die Kläger diese Absicht verwirklichen und den Weg zu anderen Zwecken als zur landwirtschaftlichen Nutzung ihres Grundstücks in Anspruch nehmen dürfen, kann hier auf sich beruhen. Diese Frage ist nicht Gegenstand des Rechtsstreits. Entscheidungserheblich ist allein, daß die Kläger den in Rede stehenden Weg jedenfalls auch zu den Zwecken benutzen wollen, die für seine Anlegung im Umlegungsverfahren maßgebend waren.
Die somit zulässige Feststellungsklage ist auch begründet. Die Kläger sind berechtigt, die Wegeparzelle Nr. 113 in dem im Umlegungsverfahren festgesetzten Umfang weiterhin zu benutzen. Dieses Recht ist ihnen nicht durch die Satzung der Beklagten vom 23.9.1970 über die teilweise Beseitigung dieses Weges entzogen worden.
Ob diese Satzung rechtmäßig ist, richtet sich nach § 58 Abs. 4 Satz 2 FlurbG. Danach können nach Beendigung des Flurbereinigungsverfahrens Festsetzungen des Flurbereinigungsplans, die im gemeinschaftlichen Interesse der Beteiligten oder im öffentlichen Interesse getroffen worden sind, durch Gemeindesatzung geändert oder aufgehoben werden. Das gilt insbesondere für die im Flurbereinigungsverfahren geschaffenen Wirtschaftswege, weil es sich bei den damit verbundenen Regelungen um Festsetzungen in dem angeführten Sinne handelt (Steuer, FlurbG, 2. Aufl., § 58 Anm. 15). Die Anwendung des § 58 Abs. 4 Satz 2 FlurbG wird hier nicht dadurch ausgeschlossen, daß sich die fragliche Änderung auf einen Umlegungsplan bezieht, der unter der Geltung der Reichsumlegungsordnung - RUO - vom 16.6.1937 (GBl. I S. 629) aufgestellt und bestandskräftig geworden ist. Es ist kein Grund dafür ersichtlich, daß für solche Pläne die Möglichkeit einer Änderung nach § 58 Abs. 4 FlurbG ausgeschlossen werden sollte. Dagegen spricht bereits, daß gemäß § 61 Abs. 4 Satz 2 RUO die Umlegungspläne unter den gleichen Voraussetzungen geändert werden konnten. Diese Vorschrift ist hier allerdings nicht mehr anwendbar, weil die Reichsumlegungsordnung durch das am 1.1.1954 in Kraft getretene Flurbereinigungsgesetz aufgehoben worden ist (§ 155 Abs. 1 FlurbG), und auch ein Fall, in dem die Reichsumlegungsordnung nach der Überleitungsbestimmung des § 156 FlurbG weitergilt, nicht gegeben ist. Denn in dem vorliegenden Rechtsstreit geht es weder um die Fortführung eines Verfahrens, das bei Inkrafttreten des Flurbereinigungsgesetzes noch nicht abgeschlossen war, noch um die Entscheidung, ob eine behördliche Anordnung nach altem Recht wirksam ist. Es kann deshalb nur das jetzt geltende Recht, also § 58 Abs. 4 Satz 2 FlurbG, maßgebend sein.
Die somit zulässige Änderungssatzung ist jedoch aus Gründen des materiellen Rechts nichtig. Sie steht nicht im Einklang mit den Grundsätzen, die bei der Veränderung des im Flurbereinigungsverfahren festgesetzten und angelegten Wegenetzes zu beachten sind.
Um welche Grundsätze es sich dabei handelt, kann allerdings nicht unmittelbar aus § 58 Abs. 4 FlurbG entnommen werden. Diese Vorschrift regelt die Befugnis der Gemeinde, nach Beendigung des Flurbereinigungsverfahrens bestimmte Festsetzungen des Flurbereinigungsplans durch Satzung zu ändern, ohne dafür besondere Voraussetzungen vorzusehen. Auch das Landesgesetz zur Ausführung des Flurbereinigungsgesetzes vom 26.3.1954 (GVBl. S. 49) enthält keine entsprechenden Regelungen. Dies bedeutet jedoch nicht, daß es allein in das Belieben der Gemeinde gestellt sei, ob und inwieweit sie von dieser Befugnis Gebrauch macht. Eine grundsätzliche Einschränkung ergibt sich vor allem daraus, daß für den Inhalt eines Umlegungs- und Flurbereinigungsplans verbindliche Richtlinien und Maßstäbe gelten, nach denen sich die Umlegungs- oder Flurbereinigungsbehörde richten muß. Diese Grundsätze müssen auch beachtet werden, wenn einzelne Planfestsetzungen geändert oder aufgehoben werden sollen. Für die Frage, ob die hier zu beurteilende Wegeeinziehung rechtmäßig ist, sind deshalb die Regelungen der Reichsumlegungsordnung bedeutsam, welche für die Festsetzung des Wegenetzes im Umlegungsplan maßgebend waren. Das jetzt geltende Recht hat in dieser Hinsicht nichts geändert. Das Flurbereinigungsgesetz enthält vielmehr, bis in den Wortlaut übereinstimmend, die gleichen Bestimmungen. Gewicht erhält damit einmal der in § 42 Abs. 1 Satz 3 RUO (jetzt § 37 Abs. 1 Satz 2 FlurbG) geregelte Grundsatz, wonach bei der Neugestaltung des Umlegungsgebietes alle Maßnahmen so zu treffen sind, daß die Grundlagen der Wirtschaftsbetriebe verbessert werden, der Arbeitsaufwand vermindert und die Bewirtschaftung erleichtert wird. Besondere Richtlinien für die Festsetzung von Wegen enthält § 43 Abs. 1 RUO (jetzt § 39 Abs. 1 FlurbG). Danach besteht die grundsätzliche Verpflichtung, derartige gemeinschaftliche Anlagen vorzusehen, soweit das Interesse der allgemeinen Landeskultur und das wirtschaftliche Bedürfnis der Teilnehmer es erfordert. Dementsprechend müssen nach § 48 Abs. 2 RUO (jetzt § 44 Abs. 3 Satz 3 FlurbG) die neuen Grundstücke durch Wege zugänglich gemacht werden. Bezüglich der Rechtsposition der einzelnen Teilnehmer am Umlegungsverfahren ist ferner in Rechnung zu stellen, daß sie gemäß § 51 Abs. 1 RUO (§ 47 Abs. 1 FlurbG) für die gemeinschaftlichen Anlagen, zu denen die Wege gehören, den erforderlichen Grund und Boden nach dem Verhältnis des Werts ihrer alten Grundstücke entschädigungslos aufzubringen haben. Vor allem die letzte Regelung gebietet es, bei der Einziehung von Wirtschaftswegen einen strengen Maßstab anzulegen, weil die Grundstückseigentümer für die Anlage der Wege eine eigene Leistung erbracht haben. Der ihnen zum Ausgleich dafür gewährte Vorteil, daß ihre landwirtschaftlichen Grundstücke zweckentsprechend erschlossen werden, kann ihnen deshalb nur ausnahmsweise wieder entzogen werden. Daß eine solche Einschränkung gerechtfertigt ist, ergibt auch ein Vergleich mit den Regelungen, die für die Einziehung öffentlicher Straßen gelten. Auch diese Entscheidung ist nicht in das freie Ermessen des Straßenbaulastträgers gestellt, sondern nur dann zulässig, wenn das öffentliche Verkehrsbedürfnis für die Straße entfällt oder überwiegende Gründe des Gemeinwohls vorliegen (§ 2 Abs. 4 des Bundesfernstraßengesetzes, § 37 Abs. 1 LStrG). Da die Wirtschaftswege keine öffentlichen Straßen sind, haben allerdings im vorliegenden Zusammenhang an die Stelle des öffentlichen Verkehrsbedürfnisses die Belange zu treten, die nach den erörterten Grundsätzen des Umlegungs- oder Flurbereinigungsverfahrens für die Anlegung des landwirtschaftlichen Wegenetzes bedeutsam sind. Zusammenfassend läßt sich demnach sagen: Ein im Umlegungs- oder Flurbereinigungsverfahren ausgewiesener Wirtschaftsweg darf nur dann nach § 58 Abs. 4 Satz 2 FlurbG ganz oder teilweise eingezogen werden, wenn die Zwecke, für die er angelegt worden ist, weggefallen sind oder wenn überwiegende öffentliche Interessen es verlangen.
Nach diesen Grundsätzen ist die teilweise Einziehung des Wirtschaftsweges Nr. 113 rechtswidrig. Keine der dafür erforderlichen Voraussetzungen ist erfüllt.