Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 15.03.1973 - V C 123.72 = AgrarR 1973 S. 267
Aktenzeichen | V C 123.72 | Entscheidung | Urteil | Datum | 15.03.1973 |
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Gericht | Bundesverwaltungsgericht | Veröffentlichungen | = AgrarR 1973 S. 267 | Lieferung | N/A |
Leitsätze[Quelltext bearbeiten]
1. | Eine nachweisbare Abfindungszusage kann eine lagemäßige Verschiebung im Rahmen des Gesamtabfindungsanspruchs nach sich ziehen. |
Aus den Gründen
Die Sache ist zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Flurbereinigungsgericht zurückzuverweisen, weil der geltend gemachte Verfahrensmangel durchgreift.
Die Verletzung der Aufklärungspflicht ist in der unterbliebenen Nachprüfung des mit der behaupteten Abfindungszusage dargelegten Sachverhalts zu sehen. Da das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen erforscht, ist ein Aufklärungsmangel dann vorhanden, wenn das Flurbereinigungsgericht bei seiner Entscheidung nicht davon absehen durfte, dem mit dem konkretisierten Abfindungsanspruch vorgebrachten Beweisanerbieten nachzukommen. Die Behebung des Aufklärungsmangels könnte hier zu einer Änderung des entscheidungserheblichen Sachverhalts führen und sich auf das Gesamtergebnis des Verfahrens auswirken, weil eine nachweisbare Abfindungszusage eine lagemäßige Verschiebung des Gesamtabfindungsanspruchs nach sich ziehen würde.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts haben die am Flurbereinigungsverfahren Beteiligten grundsätzlich keinen Anspruch darauf, an einer bestimmten Stelle abgefunden zu werden oder bestimmte Grundstücke zugeteilt zu erhalten (Urteil vom 25.5.1961 - BVerwG I C 102.58 - (RdL 1961, 274)). Wenngleich gegen die durch das angefochtene Urteil vorgenommene Gesamtabfindung keine substantiierten Verfahrensrügen hinsichtlich der einzelnen Abfindungsflurstücke angebracht sind, darf der gerügte Verfahrensmangel für das Entscheidungsergebnis nicht als unerheblich angesehen werden, weil ein auf Grund unter Beweis gestellter Abfindungszusagen geltend gemachter Anspruch eines Beteiligten auf Zuweisung bestimmter Grundstücke trennbar ist von dem Anspruch, der auf eine wertgleiche Abfindung schlechthin gerichtet ist (Urteil vom 10.5.1967 - BVerwG IV C 103.65 - (RdL 1968, 217 - InnKol 1969, 294)).
Eine partielle Zuweisungsverschiebung im Rahmen des Gesamtabfindungsanspruchs hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Flurbereinigungsgericht am 28./29.10.1970 durch den Antrag auf Zuweisung der Flurstücke 158/1 und 176 mit der Begründung geltend gemacht, daß ihm hinsichtlich der Zuweisung dieser Parzellen vom früheren leitenden Ingenieur seinerzeit Zusicherungen gemacht worden seien. In Ergänzung hierzu hat er in seiner schriftlichen Stellungnahme zum Beweisergebnis und zur Ablehnung des vom Beklagten schriftlich nachgereichten Vergleichsvorschlag Antrag auf Vernehmung des früheren leitenden Ingenieurs wegen der behaupteten Abfindungszusage gestellt. Dieser nicht mehr in der mündlichen Verhandlung gestellte Beweisantrag ist vom Flurbereinigungsgericht wegen des nachträglich präzisierten Vergleichsangebots des Beklagten und der nachgelassenen Erklärungen wie ein nach § 86 Abs. 2 VwGO gestellter Antrag behandelt und abgelehnt worden. Daraus ergibt sich keine verfahrensrechtliche Beanstandung, weil es hier nicht um die Nichtberücksichtigung eines nach § 86 Abs. 2 VwGO zu verbescheidenden Beweisantrags geht, sondern um die unterbliebene Nachprüfung einer behaupteten Abfindungszusage, der nach der Rechtsprechung Entscheidungserheblichkeit zukommen kann. Abzustellen ist insoweit auch nicht auf die Gründe des den Beweisantrag ablehnenden Beschlusses, sondern auf die im Urteil für die unterlassene Aufklärung gegebene Begründung.
Die im Urteil angegebenen maßgeblichen Erwägungen, auf die Ablehnungsgründe der unterlassenen Beweiserhebung gestützt, sind nicht widerspruchsfrei und enthalten eine unzulässige vorweggenommene Beweiswürdigung. Wenngleich über die Erforderlichkeit einer Sachverhaltsaufklärung das Gericht entscheidet, ohne an Beweisanträge der Beteiligten gebunden zu sein (§ 86 Abs. 1 VwGO), sind grundsätzlich alle Tatsachen beweisbedürftig, die noch nicht als feststehend angesehen werden können, nach der Überzeugung des Tatsachengerichts aber für die Entscheidung nicht unwesentlich sind. Einer Beweiserhebung bedarf es unter anderem dann nicht, wenn eine an sich beweisbedürftige Tatsache aus besonderen Gründen als wahr unterstelIt werden kann. Die Wahrunterstellung der unter Beweis gestellten Tatsachen erfordert allerdings, daß das Gericht die beweiserheblichen Tatsachen als nachgewiesen behandeln muß und sie in den die Entscheidung tragenden Gründen dann nicht als unerheblich abtun und im Ergebnis bedeutungslos hinstellen darf.
Die im Ablehnungsbeschluß gegebene Begründung, daß die zum Nachweis der Abfindungszusage aufgestellten Behauptungen als wahr unterstellt werden könnten, ohne daß dadurch das Urteil beeinflußt werde, hat auch in den Entscheidungsgründen ihren Niederschlag gefunden. In der aus dem angeführten Ablehnungsgrund gezogenen Schlußfolgerung liegt jedoch ein das Ergebnis berührender Widerspruch. Denn wenn ein auf Grund einer behaupteten Abfindungszusage erhobener Anspruch auf Zuweisung bestimmter Grundstücke im Rahmen der Gesamtabfindung geltend gemacht werden kann, dann kann die hinreichend konkretisierte Abfindungszusage nicht als bedeutungslos behandelt werden. Soll die Beweiserhebung nach der Auffassung des Tatsachengerichts bei Wahrunterstellung der behaupteten Abfindungszusage unterbleiben können, dann müßte das zur Folge haben, daß die durch das Urteil festzulegende Abfindung die Zuweisung bestimmter Grundstücke erfaßt.
Im vorliegenden Falle ist die vom Flurbereinigungsgericht als wahr unterstellte Behauptung nicht als erfolgreich behandelt worden. Hätten die aufgestellten Behauptungen tatsächlich als wahr unterstellt werden können, dann wäre von einer verbindlichen Zusage hinsichtlich der Zuweisung der hinreichend bezeichneten Abfindungsparzellen auszugehen gewesen. Die durch das Urteil festzustellende Gesamtabfindung hätte danach eine partielle Zuweisungsverschiebung erfahren. Wenn das Flurbereinigungsgericht statt dessen unter Verzicht auf die Feststellung einer verbindlichen Abfindungszusage, eine Abfindungszusage substantiell mit der Feststellung in Abrede stellt, dem Kläger sei eine Arrondierung seiner Hoffläche durch die angeführten Grundstücke nicht versprochen worden, dann liegt in dieser Feststellungsbehauptung eine vorweggenommene Beweiswürdigung. Da eine verbindliche Abfindungszusage eines am Flurbereinigungsverfahren beteiligten Verantwortlichen den Abfindungsanspruch in bestimmter Weise modifizieren kann, kann deren Feststellbarkeit nur dann unterbleiben, wenn eine Wahrunterstellung erfolgen darf.
Die Sache ist deshalb an das Flurbereinigungsgericht zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen, um den aufgezeigten Widerspruch, der zu einer unzulässigen vorweggenommenen Beweiswürdigung geführt hat, auszuräumen.