Bundesgerichtshof, Urteil vom 11.10.1973 - III ZR 159/71 = DVBl. 1974 S. 125= NJW 1974 S. 53
Aktenzeichen | III ZR 159/71 | Entscheidung | Urteil | Datum | 11.10.1973 |
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Gericht | Bundesgerichtshof | Veröffentlichungen | = DVBl. 1974 S. 125 = NJW 1974 S. 53 | Lieferung | N/A |
Leitsätze[Quelltext bearbeiten]
1. | Ein Anspruch auf Zahlung einer Enteignungsentschädigung wird nicht schon dadurch begründet, daß durch die Höherlegung einer Gemeindestraße eine Minderung des Verkehrswertes eines anliegenden Grundstücks verursacht wird, weil es nunmehr in verstärktem Maß eingesehen werden kann und optisch einen ungünstigeren Eindruck als früher erweckt. |
Aus den Gründen
I. 1. Dem Kläger ist für die Beeinträchtigung durch den unmittelbaren Eingriff in die Substanz seines Eigentums und für die Wiederherstellung des freien Zugangs zu seinem Grundstück eine in ihrer Höhe noch offenstehende Entschädigung rechtskräftig zuerkannt worden. Darüber hinaus ist der Grundeigentümer nach Enteignungsrecht (nur) davor geschützt, daß sein Grundstück durch hoheitliche Maßnahmen nicht von Licht, Luft und Wasser abgeschnitten und dadurch in seiner wirtschaftlichen Nutzbarkeit beschränkt wird (BGHZ 23, 235, 239 = NJW 57, 633; RGZ 145, 107, 113; RG, Warn 1935 Nr. 132; für freien Zugang zur Straße auch: BGHZ 48, 58, 62, 63, 65, 68 = NJW 67, 1752; BGHZ 30, 241 = NJW 59, 1776; BGH, LM Nr. 22 zu Art. 14 (D) GG = NJW 59, 1916). Derartige Einschränkungen liegen nach den Feststellungen des Berufungsgerichts bei dem Grundeigentum des Klägers nicht vor.
2. Weitergehende Rechte räumt auch § 17 BadWürtt. StraßenG dem Grundeigentümer nicht ein. Die Vorschrift gewährt dem Straßenanlieger einen Entschädigungsanspruch lediglich dann, wenn durch die Änderung einer Straße der notwendige Zugang zu seinem Grundstück (Abs. 2) oder der Zutritt von Licht und Luft (Abs. 3) entzogen oder wesentlich beschränkt werden.
3. Gegen die Erhöhung eines Nachbargrundstücks ist der Grundeigentümer dagegen weder nach Bundesrecht noch nach Baden-Württembergischem Landesrecht geschützt, sofern Bestand und Festigkeit seines Grundstücks gewahrt bleiben und es nicht von Licht, Luft, Wasser und Zugang abgeschnitten wird.
Das BGB untersagt in § 909 lediglich bestimmte Vertiefungen von Nachbargrundstücken. Die Vorschrift gilt nicht - entsprechend - für Erhöhungen (RGZ 155, 154, 160; RGRK, BGB, 11. Aufl., § 909 Anm. 9; Meisner-Stern-Hodes, Nachbarrecht im Bundesgebiet, 5. Aufl., § 20 V 1). Diese gehören auch nicht zu den unzulässigen Anlagen nach § 907 BGB (RGZ 51, 251, 253; vgl. auch RGZ 155, 154, 158 und RG, Warn. 1935 Nr. 132; RGRK, BGB § 907 Anm. 6; Meisner-Stern-Hodes, § 17 II 1).
§ 9 BadWürtt. NachbarRG läßt Erhöhungen ausdrücklich zu, sofern "ein solcher Abstand von der Grenze eingehalten wird oder solche Vorkehrungen getroffen und unterhalten werden, daß eine Schädigung des Nachbargrundstücks durch Absturz oder Pressung des Bodens ausgeschlossen ist". Dementsprechend hat die Beklagte an der Grenze des Grundstücks des Klägers zur K.-Straße hin eine Stützmauer errichtet.
4. Dem Berufungsgericht ist mithin auch insoweit zu folgen, als es in den vom Kläger behaupteten und unter Beweis gestellten negativen Auswirkungen der zulässigen Höherlegung der K.-Straße einen Eingriff in den geschützten Rechtsbereich des Klägers nicht gesehen hat. Weder die Tatsache, daß das Anwesen des Klägers nunmehr in verstärktem Maß eingesehen werden kann, noch der Umstand, daß es aus diesem Grund und auch deswegen in seinem Wert gemindert sein kann, weil es infolge der höherliegenden Straße optisch einen ungünstigeren Eindruck als früher erweckt, beeinträchtigen den Kläger in seiner durch das geltende Recht geschützten Position als Grundeigentümer. Er besaß keinen Rechtsanspruch darauf, daß sein Grundeigentum von solchen Maßnahmen, die sich wertmindernd auswirken könnten, verschont bliebe, sein Eigentum war derartigen Wertminderungen vielmehr von Anfang an ausgesetzt, da die Möglichkeit einer Erhöhung der K.- Straße nach dem geltenden Recht immer bestanden hatte. Die wirtschaftliche Benutzbarkeit seines Grundstücks aber und insbesondere dessen Bewohnbarkeit, die unter dem Schutz der Eigentumsgarantie stehen (vgl. BGHZ 30, 241, 242 = NJW 59, 1776), sind durch die Höherlegung des Straßenkörpers und eine verstärkte Einsehbarkeit von dort nicht beeinträchtigt worden. Das Grundstück des Klägers bleibt im tatsächlichen Bereich unbeschränkt nutzbar.
II. 1. Weitere Beeinträchtigungen der wirtschaftlichen Nutzbarkeit des Grundstücks infolge der Aufschüttung der K.-Straße hat das Berufungsgericht nicht festgestellt. Die Revision rügt, das Gericht habe bei der Beurteilung der Nutzbarkeit und des Maßes der jedem Anlieger zuzumutenden Beeinträchtigungen nicht berücksichtigt, daß das Straßenniveau nunmehr so hoch liege, daß beispielsweise der Auspuff eines Volkswagens sich in Höhe der Fensteröffnungen des Erdgeschosses des Wohnhauses befinde. Auch mit diesem Vorbringen kann die Revision keinen Erfolg haben.
2. Das angefochtene Urteil läßt allerdings nicht erkennen, ob das Berufungsgericht auch der Tatsache Rechnung getragen hat, daß auf der K.-Straße, nachdem sie höher gelegt war, der Verkehr wieder zugelassen worden ist, und zwar ersichtlich von der beklagten Gemeinde als Trägerin der Straßenbaulast und als Straßenbaubehörde (vgl. § 5 Abs. 2 Nr. 2 und Abs. 7 i. Verb. m. § 46 und § 52 Abs. 3 Nr. 3 BadWürtt. StraßenG). Dieser Tatsache kann in Ausnahmefällen Bedeutung zukommen, wenn ein Straßenanlieger nunmehr infolge einer für ihn besonders ungünstigen Straßenführung in der Nutzbarkeit seines Eigentums durch Lärm, Abgase oder sonstige vom Straßenverkehr ausgehende Belästigungen unvermeidlich und unzumutbar beeinträchtigt wird (vgl. BGH, LM Nr. 10 zu § 95 BBauG = WM 72, 620 = NJW 72, 949 L - Bremer Hochstraße und RGZ 159, 129, 136). Denn bei solchen Immissionen, die ausnahmsweise einmal über das Maß dessen hinausgehen, was der Grundeigentümer nach § 906 BGB entschädigungslos hinzunehmen hat, kann ein Anspruch auf Enteignungsentschädigung in Betracht kommen, wenn sie auf einen (rechtmäßigen oder rechtswidrigen) Eingriff von hoher Hand zurückzuführen sind (BGHZ 48, 98, 101 = NJW 67, 1857; BGHZ 54, 384, 387, 388 = NJW 71, 94; BGHZ 49, 148, 150, 152 = NJW 68, 549; vgl. auch RGZ 159, 129, 135, 140/1). Beruht die Beeinträchtigung dabei auf einer ortsüblichen Benutzung des Straßengrundstücks und ist sie durch wirtschaftlich zumutbare Maßnahmen nicht zu verhindern, so kann eine Entschädigung auch in entsprechender Anwendung des § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB geschuldet sein (BGHZ 54, 384, 387, 391 = NJW 71, 94 und BGHZ 49, 148, 150 f. = NJW 68, 549).
3. Dem Kläger steht ein solcher Entschädigungsanspruch jedoch nicht zu. Das kann der erkennende Senat entscheiden, ohne daß es insoweit einer Zurückverweisung des Rechtsstreits an den Tatrichter bedarf. Nach dem Vortrag des Klägers und den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts muß es ausgeschlossen werden, daß bei dem Kläger die strengen Voraussetzungen vorliegen, die an den Entschädigungsanspruch von der Rechtsprechung gestellt werden (vgl. BGHZ 49, 148, 152 = NJW 68, 549).
a) Im Regelfall muß der Anlieger von Straßen, insbesondere im Ortsbereich, auch wesentliche Beeinträchtigungen und Belästigungen durch immer stärker werdenden Straßenverkehr hinnehmen, ohne einen Geldausgleich beanspruchen zu können. Das ist bereits vom RG entschieden worden (RGZ 159, 129, 137 f.) und entspricht der Rechtsprechung des BGH (BGHZ 49, 148, 151, 152 = NJW 68, 549; BGHZ 54, 384, 389 f., insbes. 391 = NJW 71, 95).
Das dem einzelnen zumutbare Maß an Beeinträchtigung ist nach BGHZ 49, 148, 152 = NJW 68, 549 (vgl. früher schon RGZ 159, 129, 140) erst dann überschritten, wenn Verkehrslärm und sonstige verkehrsbedingte Belästigungen die ortsübliche Benutzung der straßenwärts gelegenen Wohnräume eines Hauses in ganz besonderem, zur Herbeiführung von Gesundheitsstörungen geeignetem Maß beeinträchtigen, die objektiven Gegebenheiten des Hauses ein Ausweichen der Bewohner in straßenabgewandte Räume nicht gestatten und zur Beseitigung oder nennenswerten Herabsetzungen der Beeinträchtigung bei objektiver Betrachtung Aufwendungen in einer Höhe notwendig sind, die sowohl für sich betrachtet als auch im Verhältnis zum Wert des Grundstücks ganz erheblich ins Gewicht fallen. So starke Beeinträchtigungen können bei dem Kläger nach seinem eigenen Vorbringen nicht festgestellt werden.
b) Der Kläger hat, worauf die Revision zutreffend hinweist, vorgetragen, daß infolge der Straßenerhöhung beispielsweise der Auspuff eines Volkswagens sich nunmehr in Höhe der Fenstereröffnungen der Erdgeschoßwohnung befinde. Auch wenn das zu seinen Gunsten unterstellt und weiter angenommen wird, daß er infolgedessen die zur Straße angebrachten Fenster der Erdgeschoßwohnung zeitweise geschlossen halten muß und auch sonst nicht ganz unerheblichen Belästigungen durch den Straßenverkehr ausgesetzt ist, genügt das nicht, um ihm einen Entschädigungsanspruch wegen unzumutbarer und unvermeidbarer Immissionen zuzubilligen. Es handelt sich bei ihm, auch wenn der Verkehr in Fensterhöhe vorbeigeführt wird, noch um Nachteile, die das Maß dessen nicht übersteigen, was jeder Anlieger einer dem öffentlichen Verkehr dienenden Straße entschädigungslos hinzunehmen hat.