Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 20.10.1972 - IV C 107/67 = MDR 1973 S. 702
Aktenzeichen | IV C 107/67 | Entscheidung | Urteil | Datum | 20.10.1972 |
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Gericht | Bundesverwaltungsgericht | Veröffentlichungen | = MDR 1973 S. 702 | Lieferung | N/A |
Leitsätze[Quelltext bearbeiten]
1. | Wasserrechtliche Erlaubnis und Bewilligung unterscheiden sich nicht nach dem Gegenstand und dem Umfang der durch sie ermöglichten Gewässerbenutzung, sondern durch die Art der durch sie gewährten Rechtsstellung. |
2. | Weder die das Verfahren zur Erteilung einer Erlaubnis noch die das Verfahren zur Erteilung einer Bewilligung regelnden Vorschriften des Wasserhaushaltsgesetzes haben als solche nachbarschützende Funktionen. |
3. | Die äußerste Grenze der Duldungspflicht des Nachbarn wird gegenüber Erlaubnis und Bewilligung gleichermaßen durch die Eigentumsgewährleistung des Art. 14 Abs. 1 GG gebildet. |
Aus den Gründen
Das vom Bundesgesetzgeber in Wahrnehmung der ihm durch Art. 75 Nr. 4 GG eingeräumten Rahmenkompetenz erl. Gesetz zur Ordnung des Wasserhaushalts (Wasserhaushaltsges.) vom 27.7.1957 - WHG - macht in seinem § 2 die Benutzung der in seinen Geltungsbereich fallenden Gewässer grundsätzlich von einer öffentlich-rechtlichen Gestattung abhängig und verweist dabei für die Art der Gestattung einerseits auf die Erlaubnis nach § 7 WHG und andererseits auf die Bewilligung nach § 8 WHG.
Schon mit dieser - grundlegenden - Regelung macht das Gesetz deutlich, daß ungeachtet der unterschiedlichen Ausgestaltung von Erlaubnis und Bewilligung, wie sie sich aus den §§ 7 und 8 WHG ergibt, beide Arten der wasserrechtlichen Gestattung als Voraussetzung einer nach öffentlichem Recht zulässigen Gewässerbenutzung selbständig und nebeneinander zur Verfügung stehen. Entsprechend gilt auch im Hinblick auf den Gegenstand der gestattungsbedürftigen Gewässerbenutzung. (Wird ausgeführt).
Damit wird ein rechtserheblicher Unterschied zwischen der wasserrechtlichen Erlaubnis und der wasserrechtlichen Bewilligung nicht überhaupt verneint. Dieser Unterschied bezieht sich aber nicht auf die Qualität oder auf die Quantität der Gewässerbenutzung, sondern liegt in der verschiedenen Ausgestaltung und der unterschiedlichen Absicherung der in bezug auf die gestattete Benutzung eingeräumten Rechtspositionen. Die Erlaubnis gewährt nach § 7 WHG die "widerrufliche Befugnis" zur Gewässerbenutzung, während die Bewilligung nach § 8 Abs. 1 WHG das "Recht" auf Gewässerbenutzung verleiht, das grundsätzlich nicht widerruflich ist, sondern nur nach Maßgabe des § 12 WHG - gegebenenfalls gegen Entschädigung - beschränkt oder zurückgenommen werden kann und unter anderem gerade darum dem Bewilligungsinhaber eine stärkere Rechtsstellung bietet als dem Erlaubnisinhaber.
Aus diesem Gesichtswinkel ist auch die Vorschrift des § 8 Abs. 2 Nr. 1 WHG zu werten. Der in ihr enthaltene Vorbehalt, daß die Bewilligung nur erteilt werden darf, wenn dem Unternehmer die Durchführung seines Vorhabens ohne eine gesicherte Rechtsstellung nicht zugemutet werden kann, setzt zwar die Erlaubnis zur Bewilligung in das Verhältnis von Regel und Ausnahme, führt mit dieser gesetzlichen Lösung aber gerade deshalb zu keiner unzuträglichen Einschränkung der öffentlich-rechtlichen Zulassung zur Gewässerbenutzung, weil sie nicht die Nutzungstatbestände als solche, sondern mit der Bewilligung allein die besondere Rechtsposition betrifft, die das öffentliche Wasserrecht gerade durch sie gewährt.
Öffentlich-rechtlicher Nachbarschutz ist für den Bereich des Wasserrechts nicht anders als für andere Gebiete des öffentlichen Rechts grundsätzlich nur im Gefolge solcher Rechtsvorschriften anzunehmen, die das individuell geschützte private Interesse, die Art seiner Verletzung und den Kreis der unmittelbar geschützten Personen hinreichend deutlich klarstellen und abgrenzen (ständ. Rspr. d. BVerwG; für das Gebiet des Baurechts vgl. z.B. Urt. v. 28.4.1967 = MDR 1967, 863 = BVerwGE 27, 29 (33) sowie Urt. v. 13.6.1969, MDR 1969, 869 = BVerwGE 32, 173 (177); für das Gebiet des Wasserrechts vgl. Urt. v. 11.11.1970, MDR 1971, 163 = BVerwGE 36, 248 und Beschl. v. 17.8.1972 - BVerwG IV B 162/71). Im Hinblick auf diese Anforderungen gehen die Kläger zwar mit Recht davon aus, daß die Vorschriften des WHG, die das Verfahren bei der Erteilung der Erlaubnis regeln, als solche einem Dritten, insbesondere also einem Nachbarn, eine geschützte Rechtsposition nicht einräumen. Die Folgerung jedoch, die die Kläger aus dieser Erkenntnis herleiten, daß sie nämlich aus diesem Grunde zur Vermeidung von Rechtsnachteilen einen Anspruch auf die Durchführung eines Bewilligungsverfahrens haben müßten, geht fehl. Sie beruht auf der unzutreffenden Vorstellung, daß die Vorschriften des WHG zum Bewilligungsverfahren ihrerseits schon durch die Gewährleistung der Verfahrensbeteiligung Dritter unmittelbaren öffentlich-rechtlichen Nachbarschutz einräumten.
Die dargelegten Voraussetzungen, unter denen einer Rechtsnorm eine öffentlich-rechtliche Nachbarschutzfunktion beigemessen werden kann, schließen es zwar nicht aus, daß die einem Dritten oder auch einer anderen Behörde in einem Verwaltungsverfahren eingeräumte Verfahrensposition dem dadurch Begünstigten subjektive Rechte in der Weise gewähren, daß die unter Verletzung des vorgeschriebenen Anhörungs- oder Mitwirkungsverfahrens ergangene Verwaltungsentscheidung schon allein aus diesem Grunde auf seine Anfechtung hin der Aufhebung unterliegt (vgl. dazu einers. Urt. vom 8.7.1959 - MDR 1959, 869 = BVerwGE 9, 69 (72/73) sowie Urt. vom 4.11.1960, MDR 1961, 441 = BVerwGE 11, 195 (205/206); andererseits Urt. vom 6.12.1967 - MDR 1968, 521 = BVerwGE 28, 268 (269/270); Urt. vom 16.3.1970 - BVerwG IV C 39/66 in DVBl 1970, 578 (579 f.)). Von einer derartigen verfahrensrechtlichen Schutzfunktion kann aber nur dort ausgegangen werden, wo der der Rechtsnorm zugrunde liegende Schutzzweck gerade in der Wahrung der Anhörungs- oder Mitwirkungsrechte selbst liegt. Für den Regelfall ist dagegen anzunehmen, daß Verfahrensvorschriften durch die Regelung von Art und Weise, in der betroffene Rechte oder Interessen geltend zu machen und von der Behörde zu ermitteln sind, den Schutz allein desjenigen materiellen Rechts bezwecken, auf das sich das vorgeschriebene Verfahren bezieht, eine eigene Schutzfunktion kann ihr nur dann zukommen, wenn die gesetzliche Regelung erkennbar davon ausgeht, daß ein am Verfahren zu beteiligender Dritter unter Berufung allein auf einen ihn betreffenden Verfahrensmangel, d. h. ohne Rücksicht auf das Entscheidungsergebnis in der Sache, die Aufhebung einer behördlichen Entscheidung soll durchsetzen können.
Dafür, daß das wasserrechtliche Bewilligungsverfahren mit solchen verfahrensrechtlichen Sicherungen habe ausgestattet werden sollen, sind Anhaltspunkte nicht ersichtlich. (Wird ausgeführt).
Ergibt sich demnach, daß das Bewilligungsverfahren in dem, was es dem betroffenen Nachbarn an verfahrensrechtlicher Gewährleistung einräumt, keine nachbarschützende Funktion von eigenem Gewicht hat, so geht es in dieser Hinsicht über das wasserrechtliche Erlaubnisverfahren nicht hinaus. Eine Verletzung einer öffentlich-rechtlichen Nachbarposition schon allein dadurch, daß die Gestattung einer Gewässerbenutzung im Rahmen eines Erlaubnisverfahrens und nicht im Rahmen eines Bewilligungsverfahrens ausgesprochen worden ist, scheidet demnach voraussetzungsgemäß aus.
Diese Erkenntnis führt zwar auf die Frage nach Umfang und Voraussetzungen des öffentlich-rechtlichen Nachbarschutzes eines durch die (erlaubte oder bewilligte) Gewässerbenutzung in seinen materiellen Rechten betroffenen Dritten. Die Frage bedarf aber zur Entscheidung des vorl. Rechtsstreits keiner Beantwortung. Da - wie dargelegt - der öffentlich-rechtliche Nachbarschutz im Wasserrecht an die materielle Rechtsstellung des Nachharn anknüpft, muß im Hinblick auf sie gefragt werden, ob sie ihm einer ihn nachteilig berührenden Gewässerbenutzung gegenüber individuelle Abwehrrechte einräumt. Von dieser Voraussetzung ausgehend hat der erk. Senat in seinem Urt. v. 11.11.1970, MDR 1971, 163 - für Bewilligung und Erlaubnis gleichermaßen - entschieden, daß die gleichsam äußerste Grenze der Duldungspflicht des Nachbarn und damit seines mit ihr korrespondierenden Abwehrrechts durch die grundrechtliche Eigentumsgewährleistung des Art. 14 Abs. 1 GG gebildet wird: Wird durch die Erlaubnis oder die Bewilligung bzw. durch deren Ausnutzung die vorgegebene wasserwirtschaftliche Situation nachhaltig verändert und der Nachbar dadurch schwer und unerträglich getroffen, so greift öffentlich-rechtlicher Nachbarschutz jedenfalls nach Art. 14 Abs. 1 GG ein.