Oberverwaltungsgericht Münster, Urteil vom 17.11.1972 - IX A 389/71
Aktenzeichen | IX A 389/71 | Entscheidung | Urteil | Datum | 17.11.1972 |
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Gericht | Oberverwaltungsgericht Münster | Veröffentlichungen | Lieferung | N/A |
Leitsätze[Quelltext bearbeiten]
1. | Zur Frage der Einziehung eines in einem Umlegungsverfahren ausgewiesenen und der Gemeinde zu Eigentum übertragenen Wirtschaftsweges durch eine gemeindliche Satzung. |
Aus den Gründen
Ebenso wie die durch den Rezeß eines Auseinandersetzungsverfahrens als sog. rezeßmäßige Zweckgrundstücke begründeten Interessentenwege sind auch die in einem Auseinandersetzungsplan nach preußischem Umlegungsrecht ausgewiesenen und der zuständigen politischen Gemeinde zu Eigentum übertragenen Wirtschaftswege Privatwege. (Vgl. Urteil des zuvor für Wegesachen zuständigen IV. Senats des erkennenden Gerichtshofs vom 18.12.1963 - IV A 707/61 -, Entscheidungen der Oberverwaltungsgerichte Münster und Lüneburg (OVGE) 11, 175 unter Hinweis auf das Urteil des Preußischen Oberverwaltungsgerichts (PrOVG) vom 28.1.1926, PrOVGE 80, 253 - Kurzausgabe X 1, 230; Germershausen / Seydel, Wegerecht und Wegeverwaltung in Preußen, 4. Aufl., Bd. 1, Nachdruck 1953, 22; Kluckhuhn, Das Recht der Wirtschaftswege und sonstigen landwirtschaftlichen Zweckgrundstücke, Berlin 1904, 8, 86, 149, 270.
Diese aus der Umlegungsmasse aufgebrachten Wirtschaftswege weisen aber die Besonderheit auf, daß sie mit der Zuweisung des Eigentums an die Gemeinde der Verfügungsgewalt der Umlegungsteilnehmer entzogen und über die bloße Vertretung und Verwaltung der betreffenden Gemeinde hinaus wegen der im Auseinandersetzungs- (Umlegungs-)plan festgesetzten Zweckbindung zum Gemeindeglieder(klassen)vermögen i.S.d. § 86 der Gemeindeordnung für das Land Nordrhein-Westfalen i.d.F. vom 11.7.1972, GV NW 218 / SGV NW 2021, (GO NW), zuvor § 66 GO NW i.d.F. vom 9.6.1954, GV NW 219, geworden sind.
Die im Interesse der Umlegungsteilnehmer in einem öffentlich-rechtlichen Auseinandersetzungs-(Umlegungs-)Verfahren getroffene Festsetzung, wonach die Gemeinde den Beteiligten die bestimmungsgemäße Benutzung des ihr zu Eigentum zugewiesenen Wirtschaftswege gestatten muß, stellt eine gemeinschaftliche Angelegenheit i.S.d. § 1 des Gesetzes über die durch ein Auseinandersetzungsverfahren begründeten gemeinschaftlichen Angelegenheiten vom 9.4.1956, GV NW 740 / SGV NW 7815, (G 56) dar, die gemäß § 2 Satz 2 dieses Gesetzes nach Beendigung des Auseinandersetzungsverfahrens nur durch Gemeindesatzung geändert oder aufgehoben werden kann. Bei einem Streit über die Änderung oder Aufhebung des der öffentlich-rechtlich festgesetzten Zweckbindung entsprechenden Nutzungsrecht an einer gemeinschaftlichen Anlage ist der Verwaltungsrechtsweg gegeben.
Für die Frage, ob das Grundstück Flur 4 Nr. 107 Wirtschaftsweg geblieben und ob die Klägerin danach berechtigt ist, diesen Wirtschaftsweg weiterhin zu benutzen, ist entscheidend und daher inzidenter, d.h. als öffentlich-rechtliche Vorfrage zu prüfen, ob die Rechtsvorgängerin des Beklagten dieses Wegeteilstück durch Erlaß der Ortssatzung vom 15.9.1969 wirksam einziehen konnte (vgl. zur Inzidentprüfung eines Bebauungsplans ohne Möglichkeit abstrakter Normenkontrolle: OVG Münster, Urteil vom 25.1.1968 - X A 122/67 -, Thiel-Gelzer, Baurechtssammlung (BRS) 20 Nr. 6; OVG Berlin, Urteil vom 8.5.1970 - II B 16.69 -, Thiel/Gelzer, BRS 23 Nr. 2).
Nach Auffassung des Senats ist die Zweckwidmung des Teilstücks des Wirtschaftsweges Flur 4 Nr. 63, laut Veränderungsnachweis Nr. 16/1970 jetzt Flurstück Nr. 107 in Größe von 8,75 a, nicht rechtswirksam aufgehoben worden.
Eine ortsrechtliche Satzung, die mit höherrangigem Recht nicht vereinbar ist, bietet nämlich keine hinreichende Rechtsgrundlage für eine Wegeeinziehung (vgl. entsprechend für die Nichtigkeit einer Erschließungsbeitragssatzung: OVG Lüneburg, Urteil vom 8.5.1970 - III A 31/69 -, Recht der Landwirtschaft - RdL - 1971, 159).
Allerdings können hier allein deshalb, weil ein konkreter wegerechtlicher Einzelfall durch Gemeindesatzung geregelt wird, wegen der verschlechterten Rechtsstellung des Betroffenen Bedenken nicht erhoben werden, wenn nicht das Fehlen einschlägiger Motive die Nichtigkeit der Ortssatzung bedingen.
§ 2 Satz 2 G 56 enthält mit Ausnahme der Zustimmungsbedürftigkeit durch die Gemeindeaufsichtsbehörde ebensowenig wie die zuvor genannten Vorschriften nähere Bestimmungen über die Voraussetzungen für die Änderung oder Aufhebung von Festsetzungen des Auseinandersetzungsplans durch Gemeindesatzung.
Lediglich aus der amtlichen Begründung des G 56 (Drucksache des Landtags Nordrhein-Westfalen, 3. Wahlperiode (ab 1954) Bd. II, Drucksache Nr. 219) ist zu entnehmen, daß die neue Regelung gleichzeitig im Interesse einer Arbeitsentlastung der Umlegungsbehörden den Gemeinden ermöglichen soll, die Zweckbestimmungen der in den Rezessen festgesetzten gemeinschaftlichen Anlagen den geänderten wirtschaftlichen Bedürfnissen anzupassen und zwar wie von dem zuvor für Wegesachen zuständigen IV. Senat des erkennenden Gerichtshofs ausgeführt wurde "nicht nach Gutdünken", sondern nach ihrem pflichtgemäßen Ermessen. Ein Weg kann danach insbesondere dann durch Gemeindesatzung eingezogen werden, wenn die Wegebenutzer nicht mehr auf diesen Weg angewiesen sind, weil ein zumutbarer Ersatzweg vorhanden ist, so daß eine weitere Unterhaltung auch des entbehrlichen Weges eine nicht mehr notwendige Mehrbelastung der Allgemeinheit darstellen würde. (Vgl. das nicht veröffentlichte Urteil vom 10.1.1968, a.a.O.).
Der erkennende Senat ist mit dem Vertreter des öffentlichen Interesses der Auffassung, daß darüber hinaus die in einem öffentlich-rechtlichen Auseinandersetzungs- (oder ähnlichen) Verfahren getroffenen Festsetzungen der gemeinschaftlichen Angelegenheiten, insbesondere unter Heranziehung des in § 12 G 35 bzw. jetzt in § 64 FlurbG ausgedrückten Rechtsgedankens, nur geändert oder aufgehoben werden können, wenn öffentliche Interessen oder wichtige (überwiegende) wirtschaftliche Bedürfnisse der Beteiligten es erfordern und dadurch - mangels einer Junktim-Klausel im G 56 bei verfassungskonformer Auslegung - nicht enteignungsähnlich i.S.d. Art. 14 Grundgesetz (GG) in die durch die Verfahrensfestsetzungen erlangten Rechte der Beteiligten eingegriffen wird und die erzielten landeskulturellen Interessen gewahrt bleiben. Denn es wäre mit dem Sinn und Zweck der landeskulturellen gesetzlichen Regelungen und insbesondere mit der unter erheblichem finanziellen Einsatz der öffentlichen Hand geschaffenen Neugestaltung eines Flurbereinigungs- oder Umlegungsgebietes schlechterdings nicht vereinbar, wenn die Gemeinden ihr nach Art. 28 Abs. 2 GG gewährleistetes Selbstverwaltungsrecht ohne Beachtung dieser Belange ausüben würden.
Solche Belange werden vor allem verletzt, wenn das in einem behördlich geleiteten Auseinandersetzungs-, Umlegungs- oder Flurbereinigungsverfahren neu geschaffene zusammenhängende Wegenetz durch Einziehung eines Wegezwischenstücks derart zerstört würde, daß Wegestümpfe verblieben. Nur wenn ein ganzer Grundstücksblock durch eine Wirtschaftseinheit zusammenhängend bewirtschaftet werden kann, könnten solche Veränderungen die Aufhebung des dazwischen liegenden Wirtschaftsweges erfordern, wenn die Wirtschaftsflächen dann für modernen Maschineneinsatz nicht zu lang werden.
Mit diesen Grundsätzen steht die durch die aufgrund des Gemeinderatsbeschlusses vom 10.9.1968 erlassene Satzung der Rechtsvorgängerin der Beklagten vom 15.9.1969 verfügte Einziehung des genannten Wegeteilstücks auch bei der gebotenen Beachtung der gemeindlichen Satzungshoheit nicht im Einklang; diese Satzung findet deshalb in § 2 Satz 2 G 56 keine Ermächtigungsgrundlage und kann sich auch nicht auf einschlägige Motive stützen. Sie ist damit rechtsunwirksam.