Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 16.04.1971 - IV C 36.68 = Buchholz BVerwG 424.01 § 8 FlurbG Nr. 3, § 85 FlurbG Nr. 1= DÖV 1972 S. 173= AgrarR 1972 S. 245= IK 1972 S. 145

Aktenzeichen IV C 36.68 Entscheidung Urteil Datum 16.04.1971
Gericht Bundesverwaltungsgericht Veröffentlichungen Buchholz BVerwG 424.01 § 8 FlurbG Nr. 3, § 85 FlurbG Nr. 1 = DÖV 1972 S. 173 = AgrarR 1972 S. 245 = IK 1972 S. 145  Lieferung N/A

Leitsätze[Quelltext bearbeiten]

1. Zu den Grundsätzen, nach denen zu beurteilen ist, ob eine Änderung des Flurbereinigungsgebietes noch als geringfügig bezeichnet werden kann.
2. Eine nicht geringfügige Änderung des Flurbereinigungsgebietes durch die unzuständige Flurbereinigungsbehörde führt nicht zur Nichtigkeit dieser Anordnung.
3. Wird die forstwirtschaftliche Berufsvertretung nicht nach § 85 Nr. 1 FlurbG beteiligt, so ist die Einbeziehung von Waldgrundstücken zwar rechtswidrig, jedoch nicht nichtig.
4. Die fehlende Anhörung der Forstaufsichtsbehörde zur Einbeziehung von Waldgrundstücken in das Flurbereinigungsgebiet macht eine solche Anordnung zwar fehlerhaft, aber nicht nichtig.

Aus den Gründen

Die Revision kann keinen Erfolg haben, weil das angefochtene Urteil nicht auf der Verletzung von Bundesrecht beruht.

Das Flurbereinigungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, daß die von der Klägerin angefochtene vorzeitige Ausführungsanordnung des Flurbereinigungsamts vom 3. November 1966, auch soweit sie sich auf die beiden klägerischen Waldflurstücke bezieht, rechtmäßig ist. Nach § 63 Abs. 1 FlurbG kann die Ausführung des Flurbereinigungsplans schon vor seiner Rechtskraft angeordnet werden, wenn die Flurbereinigungsbehörde verbliebene Beschwerden gemäß § 60 Abs. 2 FlurbG der Oberen Flurbereinigungsbehörde vorgelegt hat und aus einem längeren Aufschub der Ausführung erhebliche Nachteile entstehen könnten. Zwar wendet die Klägerin solche Gründe gegen die vorzeitige Ausführungsanordnung nicht ein; vielmehr macht sie die Nichtigkeit der mit dem Beschluß des Flurbereinigungsamts vom 21. Dezember 1964 verfügten Erweiterung des Flurbereinigungsgebiets geltend. Dieser Einwand ist zulässig; würde er nämlich durchgreifen, wäre die nachträgliche Einbeziehung der ursprünglich außerhalb des Flurbereinigungsgebiets gelegenen Waldflächen der Klägerin in die Flurbereinigung unwirksam, und Flurbereinigungsamt bzw. Teilnehmergemeinschaft wären insoweit gehindert, irgendwelche diese Waldgrundstücke betreffenden Maßnahmen und Anordnungen zu treffen.

Indessen sind die von der Klägerin gegen den Beschluß des Flurbereinigungsamts erhobenen Einwendungen sachlich nicht gerechtfertigt; denn weder die Verletzung der Zuständigkeitsregelung des § 8 Abs. 1 FlurbG noch die Verletzung des § 85 Nrn. 1 und 2 FlurbG durch das Unterlassen der Beteiligung der dort vorgesehenen Stellen führten zur Nichtigkeit dieses Beschlusses.

Die Vorschrift des § 8 Abs. 1 Satz 1 FlurbG legt fest, daß geringfügige Änderungen des Flurbereinigungsgebietes durch die (Untere) Flurbereinigungsbehörde angeordnet werden können. Damit schafft § 8 Abs. 1 FlurbG eine Ausnahmeregelung zugunsten der Unteren Behörde, da sonst grundsätzlich die Feststellung des Flurbereinigungsgebiets (§ 4 FlurbG) und seine erhebliche Veränderung (§ 8 Abs. 2 FlurbG) der Oberen Flurbereinigungsbehörde obliegen. Ob es sich bei der hinzugenommenen Fläche um eine geringfügige oder erhebliche Änderung handelt, ist Tat- und Rechtsfrage. Für die Abgrenzung ist maßgeblich darauf abzustellen, ob die Änderung so wesentlich ist, daß das förmliche Verfahren nach den § 4 - § 6 FlurbG als notwendig erscheint, wobei es auf das Vorliegen der Voraussetzungen des § 1 FlurbG und das Interesse der Beteiligten ankommt (vgl. Beschluß vom 28. Dezember 1959 - BVerwG I B 141.59 - Buchholz 424.01, § 8 FlurbG Nr. 1).

Diese Frage läßt sich nur anhand der Umstände und Verhältnisse des einzelnen Verfahrens entscheiden. Dabei können folgende Gesichtspunkte maßgebend sein: Da § 8 Abs. 1 FlurbG auf die Änderung des Flurbereinigungsgebiets, also auf die Gesamtheit der von der Flurbereinigung erfaßten Grundstücke abstellt, wird in erster Linie die Größe der hinzugenommenen Flächen mit der Größe des bisherigen Verfahrensgebiets zu vergleichen und danach zu beurteilen sein, ob die Vergrößerung noch als geringfügig anzusehen ist. Indessen zwingt der vorliegende Rechtsstreit nicht dazu, eine absolute Zahl oder einen bestimmten Vonhundertsatz als Grenzwert für eine noch geringfügige Änderung festzulegen. Denn nach dem vorliegenden Sachverhalt ist es offensichtlich, daß unter diesem Gesichtspunkt eine Vergrößerung des Flurbereinigungsgebiets von ursprünglich 300 ha um eine Fläche von ca. 144 ha, also um fast die Hälfte der ursprünglichen Fläche, nicht geringfügig ist. Zum anderen neigt der Senat jedoch in Übereinstimmung mit den Ausführungen des Beklagten zu der Auffassung, daß es bei der Frage der Geringfügigkeit außer auf die Größe der einzubeziehenden Fläche auch auf andere Gesichtspunkte ankommen kann. Hierbei kann, da bei der Veränderung des Flurbereinigungsgebiets nach § 8 FlurbG wie bei der Anordnung der Flurbereinigung nach § 4 FlurbG die Voraussetzungen für eine Flurbereinigung (§ 1 FlurbG) und das Interesse der Beteiligten vorliegen müssen, darauf abgestellt werden, welcher Zweck mit der Änderung verfolgt wird; denn danach richtet sich die Entscheidung, ob die Voraussetzungen des § 1 FlurbG und das Interesse der Beteiligten gegeben sind, und welche Interessen der Teilnehmer betroffen werden. Diese auf den Zweck der Änderung abstellende Betrachtungsweise kann insbesondere dann Bedeutung erlangen, wenn eine genau bestimmte kleine Fläche eines noch nicht zum Flurbereinigungsgebiet gehörigen Grundstücks einem Teilnehmer - was sich möglicherweise erst nach Anordnung der Flurbereinigung herausstellt - zweckmäßigerweise als Abfindung zugeteilt werden soll oder wenn es sich als zweckmäßig erweist, die Grenzen des Flurbereinigungsgebiets zu den angrenzenden, außerhalb des Flurbereinigungsgebiets gelegenen Grundstücken zu begradigen. Da nach dem jetzt geltenden Flurbereinigungsgesetz nur Grundstücke im ganzen und nicht auch Grundstücksteile wie nach den früheren gesetzlichen Regelungen in die Flurbereinigung einbezogen werden können (vgl. Steuer, Flurbereinigungsgesetz, 2. Aufl., Anm. 2 zu § 7), kann es erforderlich sein, wegen eines flächenmäßig unbedeutenden Landaustauschs oder einer unbedeutenden Grenzkorrektur ein unverhältnismäßig großes, rechtlich selbständiges Grundstück nachträglich in das Flurbereinigungsgebiet einzubeziehen, wobei die Änderung ohne Rücksicht auf das Flächenverhältnis zwischen einbezogenem Grundstück und Flurbereinigungsgebiet nach dem Zweck der Änderung als geringfügig im Sinne des § 8 Abs. 1 FlurbG erscheinen könnte. In den bezeichneten Fällen wäre es indessen nicht gerechtfertigt, das Verfahren nach § 4 bis § 6 FlurbG nur deswegen durchzuführen, weil die erforderliche Fläche zu einem unverhältnismäßig großen, rechtlich selbständigen Grundstück außerhalb des Flurbereinigungsgebiets gehört. Allerdings muß es in solchen Fällen als notwendig erachtet werden, daß in der Anordnung nach § 8 FlurbG die Gründe und der Zweck für die Gebietsänderung klar zum Ausdruck kommen; denn nur auf diese Weise kann überprüft werden, ob es sich um eine geringfügige Änderung handelt und ob das Interesse der Beteiligten vorliegt bzw. welche Interessen der Beteiligten von der Gebietsänderung betroffen werden. Jedoch enthalten weder der Antrag der Teilnehmergemeinschaft noch die Anordnung des Flurbereinigungsamts vom 21. Dezember 1964 einen Hinweis darauf, aus welchen Gründen und zu welchem Zweck die Änderung des Flurbereinigungsgebiets erfolgt ist. Zwar hat der Beklagte im Verfahren vor dem Flurbereinigungsgericht vorgetragen, daß die Einbeziehung der klägerischen Waldflächen lediglich aus katastertechnischen Gründen erforderlich wurde, um einige Grenzen im Zuge der Flurbereinigung ändern zu können. Dies mag zwar nach dem Ausgeführten einen die Änderung rechtfertigenden Grund darstellen. Da aber die Angabe dieser Zweckbestimmung in dem Beschluß des Flurbereinigungsamts fehlt, so daß die großen Waldflächen der Klägerin praktisch ohne jede Einschränkung in die Flurbereinigung einbezogen wurden, kann die Änderung unter den vorliegenden Umständen nicht mehr als nur geringfügig angesehen werden. Mithin durfte das Flurbereinigungsamt als Untere Flurbereinigungsbehörde die Gebietsänderung nicht anordnen.

Diese Kompetenzverletzung durch das Flurbereinigungsamt führt jedoch nicht zur Nichtigkeit der Anordnung. Nach der vom Bundesverwaltungsgericht in ständiger Rechtsprechung vertretenen sog. Evidenztheorie ist ein Verwaltungsakt nur dann nichtig, wenn er an so schweren formellen oder materiellen Mängeln leidet, daß seine Rechtswidrigkeit offensichtlich ist. Dies ist bei einer sachlichen Zuständigkeitsverletzung nur anzunehmen, wenn ein Fall der absoluten Unzuständigkeit vorliegt, d.h. die Behörde unter keinen wie immer gearteten Umständen mit der Sache befaßt sein kann, sei es, daß es sich um die Behörde eines anderen hoheitlichen Verbandes, um die Behörde eines anderen Ressorts oder um eine Behörde handelt, die dem für den konkreten Fall eröffneten Instanzenzug nicht angehört. Dies trifft jedoch gerade im Falle der funktionellen Unzuständigkeit, wenn die Untere statt der Oberen Behörde desselben Ressorts handelt, nicht zu und gilt besonders im vorliegenden Falle, wo nach dem Gesetz für Änderungen des Flurbereinigungsgebiets sowohl die Obere als auch die Untere Flurbereinigungsbehörde zuständig sein können und die Abgrenzung der Zuständigkeit von der Auslegung des Begriffs "geringfügig" abhängt. Ein Auslegungsfehler, der hier zum Handeln der unzuständigen Behörde führt - mag auch die Auslegung nach den gegebenen Umständen keine rechtlichen Schwierigkeiten bereiten -, stellt jedoch keinen schwerwiegenden und offensichtlichen Mangel dar, demzufolge der Verwaltungsakt als schlechthin nichtig anzusehen wäre. Demnach ist der Beschluß des Flurbereinigungsamts vom 21. Dezember 1964 allein wegen der Kompetenzüberschreitung nicht nichtig, sondern nur schlicht rechtswidrig und, da er nicht fristgerecht angefochten wurde, wirksam.

Auch die unterlassene Beteiligung der Forstaufsichtsbehörde, deren Zustimmung gemäß § 85 Nr. 2 FlurbG zur Einbeziehung einer geschlossenen Waldfläche von mehr als zehn Hektar Größe in die Flurbereinigung erforderlich ist, führt nicht zur Nichtigkeit, sondern - allenfalls - zur Anfechtbarkeit des Beschlusses des Flurbereinigungsamts. Denn nach den schon dargelegten Grundsätzen ist die aus Rechtsmängeln abgeleitete Folge der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts stets eine besondere Ausnahme von dem Grundsatz, daß ein Akt der staatlichen Gewalt die Vermutung der Gültigkeit in sich trägt und von dem Betroffenen nur mittels Anfechtung beseitigt werden kann. Zwar können auch formelle Mängel beim Zustandekommen eines Verwaltungsakts, wie das Unterlassen einer im Gesetz vorgesehenen Mitwirkungspflicht, so bedeutsam sein, daß sein Ergehen ohne diese Beteiligung mit der Rechtsordnung unter keinen Umständen vereinbar ist, ihm also von vornherein keine Rechtswirkung zukommt. So stellt es einen schweren Verfahrensverstoß dar, wenn bei einem zweiseitigen Verwaltungsakt der betroffene Private nicht beteiligt wurde und seine Mitwirkung als unerläßliche Voraussetzung für das Zustandekommen des Verwaltungsakts, wie etwa beim Beamtenverhältnis, erscheint. Ist demgegenüber vom Gesetz das Zusammenwirken zwischen zwei gleichgeordneten Behörden - wie nach § 85 Nr. 2 FlurbG von Flurbereinigungsbehörde und Forstaufsichtsbehörde - vorgeschrieben und ist dieses Beteiligungsverhältnis so gestaltet, daß lediglich eine Behörde nach außen gegenüber dem Bürger handelt, während das Handeln der anderen Behörde sich auf dem Wege der verwaltungsinternen Beteiligung in der Form der Zustimmung vollzieht, so besitzt diese Mitwirkung kein so erhebliches Gewicht, daß ihr Fehlen zur Nichtigkeit des Verwaltungsakts führt. Wohl begründet das Zustimmungserfordernis der Forstaufsichtsbehörde die grundsätzlich unabdingbare Verpflichtung der nach außen allein handlungsbefugten Flurbereinigungsbehörde, vor Erlaß ihres Verwaltungsakts die Entschließung der Forstbehörde einzuholen und beim Erlaß des Verwaltungsakts zu berücksichtigen. Unterläßt sie diese Beteiligung der Forstbehörde, so verletzt sie damit eine ihr in § 85 Nr. 2 FlurbG auferlegte Verfahrenspflicht; der von ihr erlassene Verwaltungsakt ist daher rechtswidrig und könnte durch Anfechtung vernichtet werden. Allerdings hat die Oberforstdirektion Augsburg als zuständige Forstaufsichtsbehörde (Art. 23 BayAGFlurbG) ihre Zustimmung nach der Klageerhebung erteilt. Ob hierdurch die durch das Unterlassen der rechtzeitigen Beteiligung hervorgerufene Fehlerhaftigkeit des Beschlusses möglicherweise nachträglich beseitigt wurde, bedarf keiner weiteren Prüfung, da der Verwaltungsakt von dem früheren Kläger nicht fristgerecht angefochten wurde, also in jedem Falle wirksam ist.

Schließlich führt auch die unterbliebene Anhörung der forstwirtschaftlichen Berufsvertretung nicht zur Nichtigkeit des Beschlusses des Flurbereinigungsamts. Gemäß § 85 Nr. 1 und § 5 Abs. 2 FlurbG hätte, da die Einbeziehung der Waldflächen eine erhebliche Änderung des Flurbereinigungsgebiets darstellt, auf die gemäß § 8 Abs. 2 FlurbG die Vorschriften der § 4 bis § 6 FlurbG, also auch des § 5 Abs. 2 FlurbG, anzuwenden sind, die forstwirtschaftliche Berufsvertretung, das ist gemäß § 109 Satz 2 FlurbG in Bayern der Bayerische Waldbesitzerverband, gehört werden müssen. Dieser Form der Beteiligung, durch die sichergestellt werden soll, daß die gemeinsamen Interessen der in der Berufsvertretung zusammengeschlossenen Waldbesitzer hinreichende Beachtung finden, soll nach der gesetzlichen Ausgestaltung als Anhörungsrecht nur geringere Bedeutung zukommen (vgl. Urteil vom 19. November 1965 - BVerwG IV C 184.65 - (BVerwGE 22, 342 (344))), so daß nach den obigen Ausführungen die Unterlassung der Beteiligung ebenfalls nur zur Anfechtbarkeit des Verwaltungsakts führen kann.

Ist somit der Beschluß des Flurbereinigungsamts zwar aus mehreren Gründen fehlerhaft, so sind diese Mängel aber sowohl für sich allein betrachtet als auch zusammengenommen nicht so schwerwiegend, daß aus ihnen die Nichtigkeit des Beschlusses hergeleitet werden könnte. Der Beschluß ist somit, da er innerhalb der Anfechtungsfrist nicht angefochten worden ist, voll wirksam. Daher ist der Einwand gegen den Erlaß der vorzeitigen Ausführungsanordnung, daß die durch diesen Beschluß verfügte Einbeziehung der beiden Waldgrundstücke nichtig sei und sich demzufolge die vorzeitige Ausführungsanordnung nicht auf diese Grundstücke erstrecke, unbegründet. Da auch sonstige Hindernisse, die dem Erlaß der vorzeitigen Ausführungsanordnung entgegenstehen könnten, nicht ersichtlich sind, ist diese rechtmäßig.