Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 10.09.1971 - IV C 84.68 = Buchholz BVerwG 424.01 § 49 FlurbG Nr. 1= RdL 1972 S. 16

Aktenzeichen IV C 84.68 Entscheidung Urteil Datum 10.09.1971
Gericht Bundesverwaltungsgericht Veröffentlichungen Buchholz BVerwG 424.01 § 49 FlurbG Nr. 1 = RdL 1972 S. 16  Lieferung N/A

Leitsätze[Quelltext bearbeiten]

1. Die Aufhebung von Grunddienstbarkeiten ist nur unter denselben Voraussetzungen zulässig, unter denen in die durch § 45 FlurbG geschützten Flächen und Anlagen zulässigerweise eingegriffen werden darf, d.h. wenn der Zweck der Flurbereinigung diesen Eingriff erfordert.
2. Im Falle einer zulässigen Aufhebung einer Dienstbarkeit ist der bisher Berechtigte nach den Vorschriften des § 49 FlurbG zu behandeln, u.U. abzufinden. Andere Abfindungsmöglichkeiten sind nur im Vereinbarungswege gegeben.
3. Eingriffe in Hof- und Gebäudeflächen anstelle einer Abfindung nach § 49 FlurbG finden im Gesetz keine Grundlage.

Aus den Gründen

Die Revision führt zur Rückverweisung der Sache an das Flurbereinigungsgericht, weil die Sache noch nicht hinreichend aufgeklärt ist.

Auszugehen ist davon, daß der angefochtene Bescheid der Spruchstelle für Flurbereinigung vom 21.6. 1963 in seiner Ziffer 1 sich in zwei verschiedene Maßnahmen gliedert: Einmal ordnet er an, daß die Grunddienstbarkeit, die bisher auf dem Grundstück des Beigeladenen (Flur 1 Nr. 4 neu) zugunsten des jeweiligen Eigentümers des Grundstücks Flur 1 Nr. 5/2 (neu) lastet, auf die Dauer eines Jahres befristet wird. Zum anderen ist darin bestimmt, daß die Ausfahrt für das Grundstück der Klägerin in Flur 1 Nr. 5/2 in näher umschriebener Weise verlegt werden, daß der Beigeladene zu den erforderlichen Kosten 5 000.- DM beitragen oder die Klägerin anstelle dieses Beitrags von dem Beigeladenen die Ausführung der erforderlichen Arbeiten unmittelbar verlangen können soll. Der so im wesentlichen umschriebene Inhalt des angefochtenen Bescheides zwingt zu einer getrennten rechtlichen Betrachtungsweise, und zwar einmal hinsichtlich der Dienstbarkeit und zum anderen hinsichtlich der Veränderung der Hof- und der Gebäudefläche der Klägerin.

Zutreffend ist das Flurbereinigungsgericht mit der Spruchstelle bei der Beurteilung der Anordnung über die Befristung der Dienstbarkeit davon ausgegangen, daß die Flurbereinigungsbehörde in Ausführung des ihr durch § 1 in Verbindung mit § 37 FlurbG gestellten Auftrags zur Förderung der Landeskultur und zur Neugestaltung der Verhältnisse im Flurbereinigungsgebiet u.a. gehalten ist, die Ortslage aufzulockern, wenn diese vom Verfahren erfaßt wird. Dabei hat die Behörde nach § 37 Abs. 2 FlurbG u.a. auch die rechtlichen Verhältnisse zu ordnen. Das Bundesverwaltungsgericht hat indessen wiederholt (zuletzt in seinem Urteil vom 19.8.1970 - BVerwG IV C 61.67 - in RdL 71, 43 mit weiteren Hinweisen) ausgesprochen, daß § 37 Abs. 2 Halbsatz 1 FlurbG keine selbständige Ermächtigung zu Eingriffen in das Eigentum anderer darstellt. Diese Vorschrift deckt vielmehr nur solche Maßnahmen, zu denen die Flurbereinigungsbehörde aufgrund anderer Bestimmungen des Flurbereinigungsgesetzes ermächtigt ist.

Gesetzliche Grundlage für die von der Spruchstelle angeordnete Befristung der Dienstbarkeit auf die Dauer eines Jahres kann allein § 49 FlurbG sein. Nach § 49 Abs. 1 Satz 1 FlurbG können Dienstbarkeiten sowie andere hier nicht in Betracht kommende Rechte an einem Grundstück aufgehoben werden, wenn es der Zweck der Flurbereinigung erfordert. Diese Voraussetzung deckt sich wörtlich mit derjenigen in § 45 Abs. 1 Satz 1 FlurbG und muß daher entsprechend angewandt und ausgelegt werden. Somit "erfordert" der Zweck der Flurbereinigung die Aufhebung einer Dienstbarkeit, wenn gesetzlich zulässige Maßnahmen durchgeführt werden müssen, um den im Flurbereinigungsgesetz festgelegten Auftrag sachgerecht zu erledigen. Die Aufhebung der Dienstbarkeit wäre mithin nur dann zulässig, wenn das Flurbereinigungsverfahren diesen Eingriff unumgänglich notwendig machte. Dies ist indessen regelmäßig nur dann der Fall, wenn eine zweckmäßige Durchführung der Flurbereinigung auf andere Weise nicht erreicht werden kann. Denn die Flurbereinigung steht unter dem Vorbehalt, daß in besonders geschützte Interessenbereiche nur insoweit eingegriffen werden darf, als das zu erreichende Ziel dies erfordert (BVerwGE 8, 65 (68)). Die Aufhebung der Dienstbarkeit lediglich zugunsten des Beigeladenen könnte folglich überhaupt nur dann gerechtfertigt sein, wenn die bei ihm notwendigen Änderungen nicht durch eigene Maßnahmen ausgeglichen werden können. Denn es muß von jedem Teilnehmer zunächst erwartet werden, daß er unter Anspannung der eigenen Kräfte und Ausschöpfung der eigenen Möglichkeiten Mängel des eigenen Betriebs ausgleicht (BVerwG I C 78.58, Urteil vom 23.6.1959). Erst wenn dies wegen der besonderen Verhältnisse nicht möglich ist, kann die Aufhebung der Dienstbarkeit überhaupt ins Auge gefaßt werden, und sie muß dann zur Erreichung des Zwecks der Flurbereinigung unumgänglich notwendig sein. Das ist sie jedenfalls nicht, wenn diese Maßnahme lediglich im Eigeninteresse eines einzelnen Teilnehmers liegt (BVerwG IV C 43.65 = BVerwGE 26, 173). Bei der dahin gehenden Prüfung ist es allerdings nicht so, daß ausschließlich rein landwirtschaftliche Belange berücksichtigt werden dürfen, vielmehr ist auch auf die Auflockerung der Ortslage Bedacht zu nehmen, soweit sie - wie hier - vom Verfahren erfaßt wird.

In dieser Richtung läßt das angefochtene Urteil einschlägige Feststellungen vermissen, weil es aus anderen Gründen den Bescheid hinsichtlich der Ziffer 1 ohnehin aufgehoben hat. Die Feststellung allein, daß aufgrund der Augenscheinseinnahme das Gericht die Überzeugung gewonnen hat, der Wegfall der mitten über das Hofgrundstück des Beigeladenen hinwegreichenden Dienstbarkeit sei für ihn wirtschaftlich außerordentlich vorteilhaft, reicht dafür nicht aus, die Voraussetzung als erfüllt anzusehen, daß der Zweck der Flurbereinigung hier die Aufhebung der Dienstbarkeit erfordert hätte. Vielmehr zeigt die weitere Feststellung des Flurbereinigungsgerichts, diese Dienstbarkeit werde gar nicht durch die Flurbereinigung entbehrlich sondern erst dann, wenn die neue Ausfahrt aus dem Hof der Klägerin geschaffen sein wird, daß das Gericht jegliche Prüfung dieser Voraussetzung für die Aufhebung der Dienstbarkeit zu Lasten der Klägerin unterlassen hat. Diese Prüfung wird das Flurbereinigungsgericht nachzuholen haben unter Berücksichtigung der in dem angefochtenen Bescheid gegebenen Begründung und der sonstigen möglichen rechtlichen und tatsächlichen Umstände dieses Falles. Denn nur dann, wenn der Zweck der hier fraglichen Flurbereinigung die Aufhebung der Dienstbarkeit erfordert, diese Maßnahme also durchgeführt werden muß, um den im Flurbereinigungsgesetz festgelegten Auftrag zu erfüllen, darf die Dienstbarkeit - gegen den Willen der Klägerin - aufgehoben werden.

Davon völlig unabhängig ist die andere Frage, ob nach etwaiger zulässiger Aufhebung der Dienstbarkeit der Klägerin eine Abfindung nicht gewährt (§ 49 Abs. 1 Satz 2 FlurbG) oder ob sie durch ein gleichartiges Recht abgefunden wird (Satz 4 a.a.O.) oder in Geld bzw. mit Land abzufinden ist (Satz 5 a.a.O.). Eine anderweitige Lösung dieser Frage muß nach dem Gesetz ausscheiden, solange die Klägerin sich mit der Aufhebung der Dienstbarkeit nicht ausdrücklich einverstanden erklärt. Jedenfalls kann die Klägerin nicht allein wegen einer für den Beigeladenen noch so vorteilhaft erscheinenden Aufhebung der Dienstbarkeit gezwungen werden, sich eine neue Ausfahrt aus ihrem Grundstück herzustellen und dies auch dann nicht, wenn die Teilnehmergemeinschaft und (oder) der Beigeladene die Kosten dafür übernehmen. Es mag im wohlverstandenen Interesse der Klägerin liegen, wenn sie auf entsprechend angemessene Angebote eingeht, um die Mißhelligkeiten zu überwinden, die mit dieser Dienstbarkeit für beide Beteiligte verbunden sind; eine Verpflichtung dazu besteht nach dem Gesetz aber nicht. Insbesondere ist die Koppelung einer etwa erforderlichen Aufhebung dieser Dienstbarkeit mit der angeordneten "Veränderung" der Hof- und der Gebäudefläche der Klägerin als eine Art Ersatzabfindung vom Gesetz nicht gedeckt, weil § 49 FlurbG nur die oben bezeichneten Möglichkeiten einer Abfindung zuläßt.

Nach alledem bedarf es eines näheren Eingehens auf die Frage nicht, ob nach § 45 Abs. 1 Nr. 1 FlurbG die Veränderung einer Hoffläche und die bauliche Veränderung eines Gebäudes angeordnet werden darf, wenn dem betroffenen Teilnehmer diese Hoffläche und diese Gebäudefläche in vollem Unfange wieder zugeteilt werden, weil diese Frage sich hier nicht stellt. Denn bei der insoweit in dem Bescheid getroffenen Anordnung, auf dem Grundstück der Klägerin eine neue Ausfahrt herzustellen, ist die Spruchstelle offensichtlich von der irrigen Annahme ausgegangen, sie könne die Dienstbarkeit und damit praktisch die bisherige Grundstücksausfahrt der Klägerin ohne weiteres aufheben, müsse nur dafür der Klägerin einen Ersatz schaffen. Dies ist aber, wie oben bereits dargelegt, gegen den Willen der Klägerin rechtlich nicht in dieser Weise möglich, weil die Klägerin bei einer zulässigen Aufhebung der Dienstbarkeit gemäß den Vorschriften des § 49 FlurbG abzufinden ist. Da irgendeine andere Rechtsgrundlage für die getroffene Anordnung zur Herstellung der neuen Ausfahrt nicht geltend gemacht und auch nicht ersichtlich ist, hat das Flurbereinigungsgericht diese Anordnung mit Recht, wenn auch mit anderer Begründung, aufgehoben. Darüber hinaus erscheint es angebracht, darauf hinzuweisen, daß § 45 FlurbG in bestimmtem Umfange eine Ausnahmevorschrift gegenüber dem das gesamte Flurbereinigungsverfahren sonst beherrschenden Grundsatz darstellt, nach dem kein Teilnehmer Anspruch darauf hat, mit bestimmten Grundstücken oder mit Grundstücken in bestimmter Lage abgefunden zu werden (BVerwG I B 41.62). In diesem Umfange ist § 45 FlurbG gleichsam eine Schutzvorschrift zugunsten ganz bestimmter Grundstücke und Anlagen. Diese Vorschrift berechtigt also nicht von sich aus zum Eingreifen in das Eigentum der durch sie Geschützten, sondern setzt zwingend voraus, daß zunächst einmal der Zweck der Flurbereinigung einen Eingriff der in § 45 FlurbG bezeichneten Art überhaupt erfordert. Liegt diese Voraussetzung vor, so bestimmt § 45 FlurbG, in welchem Umfange der Kreis der durch ihn Geschützten solche Eingriffe dulden muß oder etwa durch Verweigerung der Zustimmung zu solchen Maßnahmen diese verhindern kann.