Bundesgerichtshof, Urteil vom 30.09.1970 - III ZR 148/67 = NJW 1971 S. 133
Aktenzeichen | III ZR 148/67 | Entscheidung | Urteil | Datum | 30.09.1970 |
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Gericht | Bundesgerichtshof | Veröffentlichungen | = NJW 1971 S. 133 | Lieferung | N/A |
Leitsätze[Quelltext bearbeiten]
1. | Wird das vor Jahrzehnten begründete Recht eines Grundstückseigentümers, die in seinem Haushalt anfallenden Abwässer in ein Gewässer dritter Ordnung einzuleiten, dadurch gegenstandslos, daß die Stadt die Abwasserbeseitigung übernimmt und dabei einen Anschluß- und Benutzungszwang einführt, so liegt darin kein entschädigungspflichtiger enteignender Tatbestand. |
Aus den Gründen
Die Klage ist mit Recht abgewiesen worden, weil ein enteignender Tatbestand nicht gegeben ist, der allein den Anspruch rechtfertigen könnte. Denn die Maßnahmen der Beklagten halten sich im Rahmen der Sozialbindung des Eigentums und schließen damit für alle Folgen eine Entschädigung aus.
Ein entschädigungspflichtiger enteignender Eingriff liegt vor, wenn in einen als "Eigentum" im Sinne von Art. 14 GG zu qualifizierenden Vermögenswert, also ein enteignungsfähiges Objekt, durch einen hoheitlichen Akt eingegriffen wird und dieser Eingriff nicht als Konkretisierung der Sozialpflichtigkeit allen Eigentums zu rechtfertigen ist, wenn insbesondere dem Betroffenen ein Sonderopfer abverlangt wird, das über die Sozialpflichtigkeit des Eigentums hinausgeht. Zwar ist nach Art. 14 Abs. 3 GG eine Enteignung nur gegen angemessene Entschädigung zulässig und wird das Eigentum durch das GG gewährleistet, doch werden Inhalt und Schranken des Eigentums nach Art. 14 Abs. 1 GG durch die Gesetze bestimmt, wobei zu beachten ist, daß nach Art. 14 Abs. 2 GG das Eigentum auch verpflichtet. Dabei werden Inhalt und Schranken des Eigentums nicht für immer feststehend und für den Gesetzgeber unabänderlich vorausgesetzt, vielmehr wird die Bestimmung des Inhalts und der Schranken des als Grundrecht geschützten Eigentums dem einfachen Gesetzgeber überlassen. Diesem ist damit verfassungsrechtlich die Möglichkeit gegeben, der - ständigen und unaufhebbaren - Spannungslage Rechnung zu tragen, in der der einzelne Eigentümer und der Staat einander gegenüberstehen. Der Gesetzgeber darf die Grenzen der durch Art. 14 GG geschützten Rechtspositionen jeweils den sich wandelnden Rechtsauffassungen und Rechtsüberzeugungen ebenso wie den sozialen Gegebenheiten und Notwendigkeiten anpassen. Diese geschichtliche Lage wird nicht nur durch Not- und Krisenzeiten geprägt, sondern auch durch den jeweiligen Stand der Wissenschaft und der damit im Zusammenhang stehenden Erkenntnisse, Mittel und Methoden. Dem Gesetzgeber sind wegen der Substanzgarantie des Art. 19 Abs. 2 GG allerdings solche Regelungen verwehrt, die das Eigentum in seinem Wesensgehalt antasten und in Frage stellen würden.
Das alles ist ständige höchstrichterliche Rechtsprechung (BGHZ 6, 270, 278 ff. = NJW 52, 972; BGHZ 43, 196 = NJW 65, 1080; BGHZ 48, 193 = NJW 67, 1855; BGH, LM Nr. 4 zu BayAGBGB = Warn 64 Nr. 78).
Die Frage, ob ein hoheitlicher Eingriff bereits enteignenden Charakter hat oder nur die Sozialbindung des Eigentums verwirklicht, beantwortet sich nicht nach der formalen Gestaltung der Maßnahme, sondern nach ihrem inneren Gehalt und ihrem Zweck, wobei die Schwere des Eingriffs, die Überschreitung einer gewissen Opfergrenze und die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit zu beachten sind. Die gleiche Maßnahme kann einmal Zurückweisung des Betroffenen in die gesetzlichen Schranken seines Rechts, also Verwirklichung der Sozialbindung, bedeuten, aber in einem anderen Fall schon - insonderheit bei Verstoß gegen den Gleichheitssatz - einen enteignenden Eingriff darstellen (BGHZ 23, 30 = NJW 57, 538; BGHZ 31, 49 = NJW 60, 143). Bei der im Enteignungsrecht wesentlichen wirtschaftlichen Betrachtungsweise kann nur eine fühlbare Beeinträchtigung einer vermögenswerten Rechtsposition als entschädigungspflichtiges Opfer gewertet werden. Eine wirtschaftlich geringfügige Beeinträchtigung begründet keinen Anspruch auf Enteignungsentschädigung (BGHZ 30, 241 = NJW 59, 1776; BGHZ 50, 93, 98 = NJW 68, 1278; BGH, Warn 63, 28).
Hinzu kommt folgendes: Niemand darf durch sein Verhalten, den Zustand oder die Verwendung einer Sache oder die Ausübung eines Rechts die öffentliche Sicherheit und Ordnung stören oder gefährden. Die öffentliche Hand und insbesondere die Polizei ist berechtigt, Störer oder Gewalthaber einer störenden Sache in die Schranken ihres Eigentums zu verweisen. Die Zurückweisung des Einzelnen in die gesetzlichen Schranken des Eigentums oder seines Rechtes ist stets nur Verwirklichung der Sozialbindung des Eigentums und keine entschädigungspflichtige Enteignung. Ein polizeiliches rechtmäßiges Zugreifen auf störendes Eigentum zur Beseitigung einer Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ist entschädigungslos hinzunehmen, selbst wenn es zur Vernichtung des Eigentums führt (BGHZ 43, 196 = NJW 65, 1080; BGHZ 45, 23 = NJW 66, 649; BGH, Warn 68 Nr. 58; BGH, VersR 64, 196).
Die Einführung eines Anschluß- und Benutzungszwanges für die Abwässerbeseitigung durch eine Gemeindesatzung ist in diesem Sinne bloße Sozialbindung des Eigentums und enthält die Festlegung der allgemeinen Eigentumsschranken für Grundstücke und auch für mit dem Grundeigentum verbundene Rechte aus Gründen der öffentlichen Gesundheitspflege.
Das entspricht der Rechtsprechung, die Gleiches bereits für die Einführung eines Anschluß- und Benutzungszwangs für Müllabfuhren, Schlachthäuser, Wasserleitungen und Kanalisationen ausgesprochen hat (RGZ 133, 124; BGHZ 40, 355 = NJW 64, 863; BGH, Warn 68 Nr. 159 = MDR 68, 999; BGH, Warn 69 Nr. 184; BVerwG, DVBl. 60, 396 = MDR 60, 435).
Schon die Deutsche Gemeindeordnung von 1935 sah die Einführung eines solchen Benutzungszwangs durch Gemeindesatzung vor. Alle nach 1945 neu geschaffenen Gemeindeordnungen kennen die gleiche Regelung. Die Klägerin hält selbst die Einführung des Benutzungszwangs für die gemeindliche Abwässerbeseitigung für eine rechtmäßige Maßnahme. Das ist in der Tat nicht zweifelhaft, denn die Abwässerbeseitigung gehört zu den typischen öffentlichen Aufgaben der Gemeinden und ist ein Akt der Daseinsvorsorge der öffentlichen Hand (BGH, Warn 69 Nr. 176). Es handelt sich dabei um öffentliche Gesundheitspflege und um das Bemühen zur Bannung der durch die Verschmutzung der Gewässer ständig steigenden Gefahren für die menschliche Gesundheit. Denn mit der Veränderung der menschlichen Lebensgewohnheiten durch Benutzung der verschiedensten technischen und chemischen Hilfsmittel, insbesondere der steigenden Verwendung von Öl und der starken Motorisierung, wird die Sorge für die Reinhaltung von Luft und Wasser immer drängender. Noch um die Jahrhundertwende konnte es dem einzelnen Grundstückseigentümer überlassen bleiben, Abwässer und Fäkalien seiner Wohnhäuser unter eigener Verantwortung zu beseitigen. Heute bei der zunehmenden Verunreinigung aller Wasserläufe, der drohenden Verseuchung des Grundwassers sowie der Seen und Meere, bei den Gefahren infolge der in den Abwässern sich häufenden gesundheitsgefährlichen Bestandteile ist es ein dringendes Anliegen jeder Gemeinde, unter der alleinigen Verantwortung der öffentlichen Hand für eine schnelle und gefahrlose Beseitigung der Abwässer und Fäkalien ihrer Gemeinde zu sorgen. Das ist nach heutiger Auffassung nur durch eine öffentliche Kanalisation mit einem Anschluß- und Benutzungszwang möglich. Den Eigentümern darf bei den vielen schädlichen Beimischungen sogar im Haushaltswasser nicht mehr gestattet werden, Abwässer der Haushalte ungereinigt in die öffentlichen Wasserläufe einzuführen.
Die Einführung eines umfassenden Benutzungszwangs für eine gemeindliche Abwässerbeseitigung ist daher nur das Ergebnis einer geläuterten Auffassung von den Notwendigkeiten für das ungefährdete Zusammenleben der Menschen in einer Gemeinde. Die Gemeindesatzung über die Einführung eines solchen Anschluß- und Benutzungszwangs, die jeden Grundstückseigentümer der Gemeinde verpflichtet, enthält damit nur die zulässige Festlegung der Schranken des Grundeigentums und regelt lediglich die Sozialbindung des Eigentums. Dieses Gemeindegesetz hält sich im Rahmen des Art. 14 Abs. 2 GG, weil es den Eigentümer hindert, von seinen Rechten einen sozialschädlichen Gebrauch zu machen.
Daraus folgt aber, daß alle Maßnahmen, die im Rahmen der Durchführung des Anschluß- und Benutzungszwangs für die städtische Kanalisation notwendig waren, um das Abfließen ungereinigter Abwässer in einen öffentlichen Wasserlauf zu verhindern, keine Entschädigungspflicht begründen.
Bis zur Einführung des Benutzungszwangs hatten alle Grundstückseigentümer in S. irgendwelche Maßnahmen ergriffen oder geschaffen, Vereinbarungen geschlossen oder sich sonst irgendwie gesichert, um ihre Abwässer und Fäkalien zu beseitigen. Wie bei der Einführung einer gemeindlichen Müllabfuhr die Grundstückseigentümer hinnehmen müssen, daß ihre bisherigen Abmachungen und Verträge gegenstandslos sowie ihre getroffenen Maßnahmen und errichteten Vorkehrungen nutzlos werden (RGZ 133, 124; BGHZ 40, 355 = NJW 64, 863), muß die Klägerin es hinnehmen, daß auch ihre bisherigen Vorrichtungen zur Ableitung der Abwässer unbrauchbar und ihre Verträge über entgeltliche oder unentgeltliche Beseitigung der Abwässer und Fäkalien gegenstandslos werden. Das folgt daraus, daß die Schranken des Grundeigentums entsprechend den Veränderungen der Lebensgewohnheiten und den geläuterten Auffassungen von der Notwendigkeit einer gefahrlosen Abwässerbeseitigung sich gewandelt haben und durch Rechtsnormen anders festgelegt werden. Deshalb muß die Klägerin es hinnehmen, daß ihre Schlammreinigungsbehälter nutzlos und ihre Rechte auf kostenlose Abnahme gewisser Abwässer durch die Eigentümer von benachbarten Wasserläufen gegenstandslos werden. Das alles ist, wie gesagt, die Folge der sich ändernden Schranken des Eigentums auf dem Gebiet der Abwässerbeseitigung. Dafür ist es ohne Bedeutung, ob die Klägerin diese Entwicklung vorhergesehen hat oder vorhersehen konnte oder diese Möglichkeit schon bei der Gründung des Wasserableitungsrechts der Klägerin bestand.
Der Senat hat allerdings in der Entscheidung vom 30.9.1963 über Einführung einer städtischen Müllabfuhr (BGHZ 40, 355 = NJW 64, 863) gemeint, eine andere Beurteilung könnte möglich sein, wenn ein privater Abfuhrunternehmer bestimmte Aufträge, Zusagen oder Zusicherungen von der Gemeinde erhalten hat, auf Grund deren er auf eine unbeschränkte oder fortdauernde Ausübung seines Gewerbes vertrauen konnte, oder wenn er eine besondere Rechtsstellung gegenüber der Gemeinde erworben hat oder wenn mit Einführung des Benutzungszwangs zugleich auf sonstige Rechte des Unternehmers eingewirkt wird. Der Senat hat dabei aber nur an die Fälle gedacht, daß die Gemeinde einem anderen öffentliche Aufgaben übertragen hat. Solche Besonderheiten liegen hier nicht vor, denn die Gemeinde bzw. ihr Rechtsvorgänger hat keine Abmachungen mit der Klägerin oder ihren Vorgängern dahin geschlossen, daß diese einen Teil der der Gemeinde obliegenden Aufgaben übernehmen sollten. Die Rechtsvorgänger der Klägerin hatten nur eine in ihrem Interesse liegende und nach damaliger Auffassung unschädliche wasserrechtliche Befugnis erworben, gewisse Abwässer in den M.-Bach zu leiten. Dieses Recht muß zurücktreten, wenn seine Ausübung bei den veränderten Umweltbedingungen und nach geläuterter Auffassung eine Gefahr oder eine Störung der öffentlichen Ordnung darstellt.
Die Entscheidung des OVG Münster schließlich (MDR 59, 956) betraf einen ganz anderen Fall, weil damals ein Landwirt seine Wasserleitungsanlage der Stadt übertragen und diese sich verpflichtet hatte, ihn dafür aus der städtischen Wasserleitung ständig zu einem bestimmten niedrigeren Preis zu beliefern. Der Sachverhalt ist mit dem hier zu entscheidenden Fall nicht zu vergleichen, wie das Berufungsgericht richtig dargelegt hat.
Ein Anspruch auf Entschädigung besteht daher schon aus diesen Gründen nicht, so daß es keines Eingehens auf die Frage bedarf, ob der durch die Maßnahmen der Beklagten entstandene Nachteil der Klägerin überhaupt wirtschaftlich erheblich im Sinne des Enteignungsrechtes ist.