Flurbereinigungsgericht Lüneburg, Urteil vom 28.08.1970 - F OVG A 6/70 = RdL 1971 S. 18
Aktenzeichen | F OVG A 6/70 | Entscheidung | Urteil | Datum | 28.08.1970 |
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Gericht | Flurbereinigungsgericht Lüneburg | Veröffentlichungen | = RdL 1971 S. 18 | Lieferung | N/A |
Leitsätze[Quelltext bearbeiten]
1. | Zu den Voraussetzungen der Einstellung eines Flurbereinigungsverfahrens. |
Aus den Gründen
Nach § 9 Abs. 1 FlurbG kann die Obere Flurbereinigungsbehörde die Einstellung des Flurbereinigungsverfahrens anordnen, wenn die Flurbereinigung infolge nachträglich eingetretener Umstände unzweckmäßig erscheint. Die Einstellung des Flurbereinigungsverfahrens steht danach - wie dessen Einleitung - grundsätzlich im Ermessen der Oberen Flurbereinigungsbehörde. Diese darf von ihrem Ermessen indessen erst Gebrauch machen, wenn sie festgestellt hat, daß die gesetzlichen Voraussetzungen für die Einstellung des Verfahrens vorliegen. Das Vorliegen dieser Voraussetzungen ist Tat- und Rechtsfrage. Bei der Entscheidung ist davon auszugehen, daß Umstände vorliegen müssen, die erst während der Durchführung des Verfahrens eingetreten sind. § 9 Abs. 1 FlurbG setzt voraus, daß der Verfahrensabschnitt "Einleitung" abgeschlossen und damit die Entscheidung der Oberen Flurbereinigungsbehörde über das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Flurbereinigung und das Interesse der Beteiligten (§ 1 und § 4 FlurbG) unanfechtbar geworden ist. Bei den nachträglich eingetretenen Umständen muß es sich stets um "neue Gesichtspunkte faktischer Art" handeln, also um Umstände, die, hätten sie bei der Einleitung des Verfahrens vorgelegen, dazu geführt hätten, das Verfahren nicht einzuleiten (vgl. RdL 1963, 29).
Die Kläger haben als "nachträglich eingetretene Umstände" geltend gemacht:
a) die Verschlechterung der Finanzierungsbedingungen und die ständig steigenden Baukosten,
b) die agrarpolitisch hervorgetretenen Pläne, den landwirtschaftlichen Mittel- und Kleinbesitz zugunsten größerer, leistungsfähiger Betriebseinheiten aufzulösen und
c) den Umstand, daß die künftige Autobahn B. - G. das Flurbereinigungsgebiet durchschneiden werde.
Sie nehmen jedoch zu Unrecht an, daß die von Ihnen vorgetragenen Gründe einzeln, zumindest aber in ihrer Zusammenfassung die gesetzlichen Voraussetzungen im Sinne des § 9 FlurbG erfüllen könnten. Es trifft zunächst nicht zu, daß sich die Finanzierung der Flurbereinigung zum Nachteil der Beteiligten in den anhängigen Verfahren bisher wesentlich verschlechtert habe. Der Beklagte hat im einzelnen dargelegt, daß die Finanzierung der Flurbereinigung heute nicht wesentlich anders geregelt ist als bei der Einleitung der Flurbereinigung H. und das deshalb die Planung der Flurbereinigungsbehörden in bezug auf dieses Verfahren keiner ins Gewicht fallenden Änderung bedürfe. Das hat auch die Erörterung in der mündlichen Verhandlung ergeben. Es gilt daher nach wie vor die Feststellung, daß die Flurbereinigung in erheblichem Umfang mit öffentlichen Mitteln durchgeführt wird und daß der dem einzelnen nach allgemeinen Erfahrungen durch die Flurbereinigung zufließende Vorteil weitgehend zu Lasten der Allgemeinheit geht (vgl. BVerwG, Beschluß vom 28.12.1960, RdL 1961, 80). Der Beklagte hat ferner zutreffend darauf hingewiesen, daß die Teilnehmergemeinschaft einen wesentIichen Einfluß darauf habe, wann und wie der Ausbau der Wege und Gewässer, also derjenigen gemeinschaftlichen Anlagen, für deren Herstellung der größte Teil der Ausführungskosten aufgebracht werden muß, erfolgen solle. Dadurch können insbesondere die aus dem etwaigen höheren Schuldendienst erwachsenden Aufwendungen weitgehend aufgefangen werden.
Es trifft ebenfalls nicht zu, daß die Durchführung der Flurbereinigung von H. im gegenwärtigen Zeitpunkt wegen der modernen agrarpolitischen Vorstellungen unzweckmäßig erscheine. Abgesehen davon, daß die Bestrebung, die Besitzgrößenstruktur zugunsten größerer, leistungsfähigerer Betriebseinheiten zu verändern, nicht erst nach der Einleitung des hier fraglichen Flurbereinigungsverfahrens entstanden ist und in ihr daher schon deshalb kein "nachträglich eingetretener Umstand" erblickt werden kann, verkennen die Kläger, daß die Flurbereinigung dieser agrarpolitischen Tendenz durchaus nicht entgegensteht. Den Klägern ist zwar darin zuzustimmen, daß sich die Landwirtschaft im Bundesgebiet zur Zeit in einem Umwandlungsprozeß befindet, wobei die Besitzer landwirtschaftlicher Kleinbetriebe mehr und mehr dazu übergehen, die Bewirtschaftung ihres Landes aufzugeben, und die Besitzer von sogenannten Vollerwerbsstellen das freiwerdende Land in Bewirtschaftung nehmen, um ihre Betriebe durch die Vergrößerung rentabler zu gestalten. Das rechtfertigt aber nicht die Auffassung, daß deshalb die Einleitung und die Durchführung von Flurbereinigungsverfahren unzweckmäßig sei. Denn die Flurbereinigung führt auch unter Berücksichtigung dieses Umwandlungsprozesses zu einer Förderung der landwirtschaftlichen Erzeugung. Die Beseitigung der agrarstrukturellen Mängel in den Gemarkungen hat, wie die Erfahrung lehrt, eine Verminderung des Arbeitsaufwandes und damit eine Verbesserung der betriebswirtschaftlichen Grundlagen bei allen - auch den kleinen - Betrieben zur Folge. Abgesehen davon, daß der Wandel in der Besitzstruktur durch die Flurbereinigung häufig beschleunigt wird und sich noch im Rahmen des Verfahrens vollzieht, erhalten die Eigentümer von landwirtschaftlichen Kleinbetrieben durch die Flurbereinigung oft erst die Möglichkeit, ihren durch die Maßnahmen der Flurbereinigung verbesserten Besitz günstiger als bisher durch Verpachtung zu nutzen und ihren Besitz auf diese Weise zu erhalten, wenn sie nicht eine Veräußerung an die Eigentümer von Vollerwerbsstellen vorziehen. Durch die Möglichkeit der Zupachtung von wirtschaftlich gut geformten und auch sonst verbesserten Grundstücken wird andererseits die Rentabilität der größeren, heute aber häufig noch an der unteren Grenze der erwünschten Betriebsgröße liegenden Betriebe gefördert. Schließlich kommen auch die mit der Neuordnung der Feldmark und der dörflichen Verhältnisse verbundenen allgemeinen Vorteile der Flurbereinigung allen Beteiligten - wenn vielleicht auch in unterschiedlicher Weise - zugute (vgl. HessVGH, Urt. vom 1.4.1968 - III F 236/67 -).
Ferner kann auch der Umstand, daß die Linienführung der geplanten Autobahn B. - G. noch nicht feststeht und daß diese Autobahn u.U. das Verfahrensgebiet der Flurbereinigung H. berühren wird, nicht als Voraussetzung für eine Einstellung des Flurbereinigungsverfahrens gewertet werden. Nach den Planungen, die in dem Entwurf des Raumordnungsplanes für den Regierungsbezirk H. enthalten sind, wird die Autobahn B.-G. das Flurbereinigungsgebiet H. nicht berühren. Die zu diesem Plan gehörende zeichnerische Darstellung ist, soweit sie hier in Betracht kommt, in der mündlichen Verhandlung eingehend erörtert worden. Zwar können, wie auch dem Schreiben des Nds. Verwaltungsamts - Straßenbau - vom 12.8.1970 an das Kulturamt zu entnehmen ist, über die zu verfolgende Trasse noch keine konkreten Angaben gemacht werden, zumal die Linienführung der geplanten Autobahn Gegenstand einer noch durchzuführenden verkehrswirtschaftlichen Untersuchung sein wird. Danach ist die Frage, ob das Verfahrensgebiet der Flurbereinigung H. von der neuen Autobahn durchschnitten wird, noch völlig offen. Bei dieser Sachlage kann aber dahingestellt bleiben, wie zu entscheiden wäre, wenn endgültig feststände, daß das Flurbereinigungsgebiet durchschnitten würde. Denn jedenfalls nötigt der gegenwärtig bestehende Zustand der Ungewißheit über die endgültige Linienführung der Autobahn B. - G., deren Ende noch nicht abzusehen ist, nicht dazu, das Vorliegen eines nachträglich eingetretenen Umstandes im Sinne des § 9 Abs. 1 FlurbG anzunehmen (vgl. auch BVerwG, Beschluß vom 31.10.1969, RdL 1970, 22). Es können in diesem frühen Stand der Planungen auch noch keine Angaben darüber gemacht werden, wie das für die Bundesautobahn benötigte Land aufgebracht werden soll, wenn das Verfahrensgebiet der Flurbereinigung H. tatsächlich berührt werden sollte. Insoweit ist auf das besondere Flurbereinigungsverfahren nach den § 87 ff. FlurbG zu verweisen.