Oberverwaltungsgericht Münster, Urteil vom 22.07.1969 - IV A 1034/68 = DVBl. 1970 S. 394
Aktenzeichen | IV A 1034/68 | Entscheidung | Urteil | Datum | 22.07.1969 |
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Gericht | Oberverwaltungsgericht Münster | Veröffentlichungen | = DVBl. 1970 S. 394 | Lieferung | N/A |
Leitsätze[Quelltext bearbeiten]
1. | Zur Frage, ob es für die Besitzeinweisung nach § 6 Pr-VereinfEG erforderlich ist, daß der Planfeststellungsbeschluß für vorläufig vollziehbar erklärt worden ist. |
Aus den Gründen
1. Diese Berufung wendet sich gegen die Ansicht des VG, die vorläufige Besitzeinweisung nach § 6 VereinfEG erfordere, wenn sie zugleich mit der Planfeststellung oder doch vor der Unanfechtbarkeit des Planfeststellungsbeschlusses ausgesprochen werde, daß nach § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO die vorläufige Vollziehbarkeit des Planfeststellungsbeschlusses angeordnet worden sei. Sei dies nicht der Fall - so meint das VG -, müsse ein sowohl die Planfeststellung als auch die vorläufige Besitzeinweisung aussprechender Beschluß der Enteignungsbehörde aufgehoben werden, soweit er die Besitzeinweisung betreffe.
2. § 6 Abs. 1 Satz 1 VereinfEG, der die vorläufige Besitzeinweisung im Enteigungsverfahren regelt, bestimmt, daß die Enteignungsbehörde den Enteignungsunternehmer "auf Antrag vorläufig in den Besitz der in dem Plan bezeichneten Grundstücke einweisen kann, sobald der Beschluß über die Feststellung des Planes ergangen ist (§ 21 EG)". Zu dem von dem VG angesprochenen Problem hat sich der erkennende Senat und hat sich - soweit ersichtlich - die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung auch sonst, was das Verfahren nach dem Enteignungsgesetz und dem Gesetz über eine vereinfachte Enteignung betrifft, noch nicht geäußert.
3. Von dieser gesetzlichen Regelung ersichtlich beeinflußt ist jedoch die Regelung der Planfeststellung und Besitzeinweisung im Straßenrecht nach § 19 Abs. 3 des Bundesfernstraßengesetzes vom 6.8.1953, BGBl. I 903, i.d.F. vom 6.8.1961, BGBl. I 1742 (FStrG). In diesem Zusammenhang stellt sich das gleiche Problem wie in dem hier zu entscheidenden Verwaltungsprozeß, und der erkennende Senat hat, worauf der Beigel. richtig hinweist, sich in seinem Beschluß IV B 1227/57 vom 13.11.1957 mit der hier zu entscheidenden Frage befaßt. Er hat zum Ausdruck gebracht: Die Besitzeinweisung setze nur den Erlaß, nicht die Rechtskraft und auch nicht die Vollziehbarkeit des Planfeststellungsbeschlusses voraus, da dies im Gesetz positiv und "nicht zufällig" so geregelt sei. Es bestehe kein Anhalt dafür, daß § 19 Abs. 3 aaO abweichend von § 6 aaO "die Rechtskraft oder eine besondere Vollziehungsanordnung des Planfeststellungsbeschlusses zur Voraussetzung der Besitzeinweisung habe machen wollen". Ein Aussetzungsantrag (nach § 51 MRVO 165) sei unzulässig. Rechtsschutz gegen die vorläufige Besitzeinweisung und ihre Verpflichtung zur Duldung von Vermessungsarbeiten böten die gegen den Verwaltungsakt vorgesehenen Rechtsmittel.
4. Diese Ansicht des erkennenden Senats wird in dem Kommentar zum Bundesfernstraßengesetz von Marschall, 2. Aufl., Anm. 6 zu § 19 S. 19 S. 560, mit dem Bemerken wiedergegeben, man werde "nunmehr die sofortige Vollziehung nach § 80 VwGO für erforderlich halten müssen". Für diese seine Ansicht beruft sich Marschall auf den - offensichtlich nicht veröffentlichten - Beschluß des Bayerischen VGH vom 18.10.1962 - 88 IV 62 - sowie auf verschiedene Äußerungen im Schrifttum. Mit dem VG wird die Anordnung der Vollziehung nach § 80 aaO auch von Kodal und von dem Hessischen VGH verlangt, wie in dem angef. Urteil (S. 7) zitiert und oben wiedergegeben; und ebenso von dem OVG Lüneburg in der im "Verkehrsblatt" 1964, 331, veröffentlichten Entscheidung I B 61/63 vom 24.10.1963.
Übersehen wird dabei in dem Kommentar von Marschall (vgl. "nunmehr") aber, daß eine dem § 80 VwGO entsprechende Regelung auch in der den Verwaltungsprozeß im Lande Nordrhein-Westfalen vorher regelnden Militärregierungsverordnung Nr. 165, nämlich in deren § 51 enthalten war. Diese Regelung galt, als der erkennende Senat den o.a. Beschluß vom 15.11.1957 faßte. Das Inkrafttreten der Verwaltungsgerichtsordnung, wie Marschall offenbar meint, zwingt also nicht dazu, von der in dem Beschluß vom 15.11.1957 wiedergegebenen Ansicht abzuweichen (die Marschall offenbar für die Zeit vor dem Inkrafttreten der Verwaltungsgerichtsordnung für gerechtfertigt hält), daß die vorläufige Besitzeinweisung nach § 19 Abs. 3 FStrG nur den Erlaß, nicht die Unanfechtbarkeit und auch nicht die Vollziehbarkeit des Planfeststellungsbeschlusses voraussetzt. Nach Ansicht des erkennenden Senats verlangt ebensowenig wie die Regelung der MRVO 165 die Regelung der Verwaltungsgerichtsordnung über die aufschiebende Wirkung von Rechtsmitteln, daß man im Falle der vorläufigen Besitzeinweisung die zugleich ergehende Planfeststellung für vollziehbar erklären muß mit der Folge, daß anderenfalls die zugleich (meist in dem zweiten Teil des Beschlusses) ausgesprochene Besitzeinweisung rechtswidrig und der Verwaltungsakt insoweit aufzuheben sei. § 19 Abs. 3 aaO sieht dies ausdrücklich nicht vor, und zwar auch nicht in der nach Inkrafttreten der Verwaltungsgerichtsordnung ergangenen Neufassung des Bundesfernstraßengesetzes.
5. Wären die in dem angef. Urteil zur Begründung der gegenteiligen Ansicht des VG vorgetragenen Gründe gerechtfertigt, hätten sie nach Ansicht des Senats bei der Neufassung des Bundesfernstraßengesetzes Berücksichtigung gefunden. Es sind bisher auch noch in keinem eine Planfeststellung und damit verbunden eine Besitzeinweisung betreffenden Fall, über den der erkennende Senat zu befinden hatte, diesbezügliche Bedenken vorgebracht worden. Der erkennende Senat vermag die Bedenken, die das VG im Anschluß an Kodal aaO entwickelt hat, auch nicht zu teilen. Dem Rechtsschutz eines von der Enteignung betroffenen Bürgers ist auch dann hinreichend Genüge getan, wenn man die in der o.a. Entscheidung des Senats vom 13. 11.1957 wiedergegebene Ansicht vertritt, an der der Senat für § 19 Abs. 3 FStrG festhält und die er - was im vorliegenden Verfahren von Interesse ist - auch für die in § 6 VereinfEG enthaltene Regelung für zutreffend hält. Wer mit dem Planfeststellungs- und Besitzeinweisungsbeschluß (oder nur mit dem Besitzeinweisungsbeschluß) nicht einverstanden ist, muß die vorgesehenen Rechtsmittel ergreifen. Will die Behörde dann gleichwohl schon die Besitzeinweisung realisieren, muß sie - aber auch erst dann muß sie es - nach § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO vorgehen mit der Folge, daß der Betroffene dann die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung (§ 80 Abs. 5 aaO) beantragen kann. Dementsprechend wird von den Planfeststellungsbehörden im Lande Nordrhein-Westfalen auch durchweg verfahren; wenn die Besitzeinweisung praktisch werden soll, erfolgt die Anordnung der Vollziehung des sie enthaltenden Beschlusses, wenn die Unanfechtbarkeit noch nicht eingetreten ist. Vgl. aus der Vielzahl der dem Senat vorliegenden Entscheidungen in Planfeststellungs- und Besitzeinweisungssachen das Urteil des (eine Zeitlang für Enteignungssachen zuständigen) VIII. Senats des OVG NW vom 21.11.1963 - VIII A 1095/62 -.