Flurbereinigungsgericht Kassel, Urteil vom 10.03.1966 - F III 31/64 = RdL 1966 S. 248
Aktenzeichen | F III 31/64 | Entscheidung | Urteil | Datum | 10.03.1966 |
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Gericht | Flurbereinigungsgericht Kassel | Veröffentlichungen | = RdL 1966 S. 248 | Lieferung | N/A |
Leitsätze[Quelltext bearbeiten]
1. | Zur Frage der Behandlung persönlicher Rechte an einem Grundstück in der Flurbereinigung. |
2. | Zur Frage der Analogie: Die Bestimmungen der § 70, § 71 FlurbG finden auf einen unentgeltlichen Grundstücksleihvertrag keine Anwendung. |
Aus den Gründen
Wenn die Flurbereinigungsbehörde den Antrag des Klägers, sein angebliches Pachtverhältnis aufzulösen, abgelehnt hat, so ist dies nicht zu beanstanden. Die Bestimmungen der § 70, § 71 FlurbG finden nämlich auf das Rechtsverhältnis des Klägers zu seinen Vertragspartnern keine Anwendung, denn es handelt sich hier nicht um ein Pachtverhältnis. Durch den Pachtvertrag wird der Verpächter verpflichtet, dem Pächter den Gebrauch des verpachteten Gegenstandes und den Genuß der Früchte, soweit sie nach den Regeln einer ordnungsmäßigen Wirtschaft als Ertrag anzusehen sind, während der Pachtzeit zu gewähren. Der Pächter ist verpflichtet, dem Verpächter den vereinbarten Pachtzins zu entrichten. Der Kläger hat die bezeichneten Grundstücksteile von seinem Verwandten B. aufgrund mündlicher Vereinbarung zur unentgeltlichen Nutzung erhalten. Ein Pachtvertrag ist dadurch nicht zustande gekommen, denn die Vereinbarung eines Pachtzinses ist ein wesentlicher Vertragsinhalt eines Pachtvertrages. Das unentgeltliche Nutzungsverhältnis des Klägers an den bezeichneten Grundstücken ist rechtlich als Leihvertrag im Sinne des § 598 BGB, d.h. als ein Vertrag anzusprechen, durch den der Verleiher - in vorliegender Sache der Beteiligte B. - sich verpflichtet hat, dem Kläger den Gebrauch einer Sache, und zwar im vorliegenden Fall von Grundstücksteilen, unentgeltlich zu gestatten.
Dem Vorbringen des Klägers, die Bestimmungen der § 70, § 71 FlurbG müßten für das von ihm innegehabte Nutzungsverhältnis analoge Anwendung finden, kann der Senat nicht folgen. Analogie ist ausdehnende Anwendung der gesetzlichen Regelung bestimmter Tatbestände auf rechtsähnliche Tatbestände. Für eine ergänzende Rechtsfindung im Wege der Analogie ist aber kein Raum, wenn der Gesetzgeber eine bestimmte Rechtsmaterie lückenlos geregelt hat. Dies gilt insbesondere, wenn der Gesetzgeher die enge Fassung einer gesetzlichen Bestimmung, durch die nur einem eindeutig abgegrenzten Personenkreis bestimmte Rechte zugebilligt werden, absichtlich gewährt hat (vgl. Gutachten des BGH vom 15.6.1953, DÖV 54, 344). Die Bestimmungen des § 70 hinsichtlich der Pacht sind als Sondervorschriften anzusehen (vgl. Seehusen - Schwede - Nebe, FlurbG, 1. Aufl. zu § 49 Anm. 3 und Vorbemerkung zu § 69). Sie betreffen den Schutz der Pächter. Nach der Überzeugung des Senats können die Spezialbestimmungen des § 70 FlurbG betreffend den in der Landwirtschaft wichtigen und deshalb im landeskulturellen Interesse in der Flurbereinigung eines besonderen Schutzes bedürftigen Personenkreis der Pächter keine analoge Anwendung auf Grundstücksleihverträge finden, denen weder landwirtschaftlich noch landeskulturell betrachtet, eine Bedeutung zukommt.
Auch die Bestimmungen des § 49 FlurbG können den Antrag des Klägers auf Auflösung des Leihvertrages nach Ansicht des Senats nicht rechtfertigen. Gemäß § 49 Abs. 1 FlurbG können Dienstbarkeiten, Reallasten und Erwerbsrechte an einem Grundstück sowie persönliche Rechte, die zum Besitz oder zur Nutzung eines Grundstücks berechtigen, oder die Benutzung eines Grundstücks beschränken, aufgehoben werden, wenn es der Zweck der Flurbereinigung erfordert. In Absatz 2 dieser Bestimmung ist geregelt, daß ein in Absatz 1 Satz 1 bezeichnetes Recht auf Antrag des Berechtigten aufzuheben ist, wenn es bei Übergang auf die Landabfindung an dieser nicht mehr in dem bisherigen Umfange ausgeübt werden könne. Ob die Leihe an einem Grundstück ein persönliches Recht im Sinne des § 49 Abs. 1 Satz 1 FlurbG darstellt, das zum Besitz oder zur Nutzung eines Grundstücks berechtigt, könnte zweifelhaft sein. Im Gegensatz zu Steuer (FlurbG, 1. Aufl. zu § 10 Anm. 11 e, § 49 Anm. 7 und § 73 Anm. 4), der unter diese persönlichen Rechte u.a. Pacht und Miete benennt, werden von Seehusen - Schwede - Nebe (aaO) darunter nur solche persönlichen Rechte verstanden, die abgesehen von der fehlenden dinglichen Natur des Rechtes, praktisch den Inhalt von Dienstbarkeiten haben (aaO zu § 10 Anm. 3 d). Es sollen im wesentlichen nur solche Rechte und Rechtsverhältnisse in Betracht kommen, die ihrem Inhalt nach nicht geeignet sind, auf die Landabfindung überzugehen, so daß sie an den alten Grundstücken fortbestehen müßten (aaO zu § 49 Anm. 1 d). Demgegenüber ist aber auf folgendes hinzuweisen: Der Begriff der persönlichen Rechte, die zum Besitz oder zur Nutzung eines Grundstückes berechtigen oder die Benutzung eines Grundstückes beschränken, wird sowohl in § 49 Abs. 1 Satz 1 wie in § 10 Ziff. 2 d bei der Bezeichnung der Nebenbeteiligten und in § 73 bei der gesonderten Abfindung von Berechtigten im Falle von Geldabfindungen von Teilnehmern verwendet. Fast die gleiche Begriffsbestimmung ist in dem durch das Bundesbaugesetz - BBauG - vom 23.6.1969 (BGBl.I, S. 341, dort § 86 Abs. 1 Ziff. 3) abgelösten Baulandbeschaffungsgesetz vom 3.8.1953 (BGBl. I, S. 720 dort § 12) anläßlich der Behandlung des Gegenstandes der Enteignung verwendet worden. Daß im Enteignungsrecht der Begriff der persönlichen Rechte Miete und Pacht einschließt, ist einhellige Meinung. Die im Flurbereinigungsgesetz geregelte besondere Behandlung der genannten persönlichen Rechte anläßlich der Bezeichnung der Nebenbeteiligten, der Regelung der Aufhebung von Rechten und der gesonderten Geldabfindung gemäß § 73 FlurbG, ist nach zutreffender Ansicht (vgl. Steuer aaO zu § 73 Anm.1; Seehusen - Schwede - Nebe zu § 10 Anm. 3 d) mit Rücksicht auf Artikel 19 Abs. 4 GG) erfolgt. Daraus kann geschlossen werden, daß der Begriff der bezeichneten persönlichen Rechte in beiden etwa zur selben Zeit verkündeten Gesetzen in gleicher Weise auszulegen ist, und daß zu den persönlichen Rechten im Sinne des § 49 Abs. 1 Satz 1 FlurbG auch Rechte wie z.B. Miete und Leihe gehören, da auch diese Rechte zum Besitz oder zur Nutzung eines Grundstückes berechtigen oder die Benutzung eines Grundstücks durch den Eigentümer beschränken.
Dennoch kann die vom Kläger ausgeübte Leihe in vorliegender Sache nicht als persönliches Recht im Sinne des § 49 Abs. 1 Satz 1 FlurbG anerkannt werden. Dem Inhaber der bezeichneten persönlichen Rechte muß nämlich ein schuldrechtlicher Anspruch gegenüber dem Grundstückseigentümer persönlich aufgrund eines obligatorischen Vertrages zustehen (vgl. Schütz-Frohberg, BBauG, 2. Aufl. Anm. 12 zu § 86 S. 306). Nur unter diesen Voraussetzungen ist die Benutzung des Grundstücks durch den Eigentümer beschränkt. Nur in diesem Fall steht dem Rechtsinhaber ein im Rahmen der Enteignung wie im Rahmen der Flurbereinigung besonders zu berücksichtigendes Recht an diesem Grundstück zu. Diese Voraussetzungen sind bei der von dem Kläger ausgeübten Leihe nicht erfüllt. Es hat nämlich den größten Teil der von ihm genutzten Grundstücke, und zwar die Altparzelle, auf der er das Bienenhaus errichtet hat, und die Altparzelle von dem Beteiligten B. nur in Unternutzung erhalten. Der Beteiligte B. besaß diese Grundstücke nicht als Eigentümer, sondern nur als Pächter. Eigentümer waren die Beteiligten D. und B.. Zwischen einem Eigentümer und einem Inhaber einer Unterpacht oder eines Unterleihverhältnisses bestehen aber keine unmittelbaren schuldrechtlichen Verbindungen (vgl. Rosenthal - Bohnenberg, BGB, 15. Aufl. zu § 556 Anm. 3).
Hinzu kommt in der vorliegenden Sache, daß die Hauptpachtverträge betreffend die bezeichneten Altparzellen durch die bereits im Frühjahr 1962 getroffenen Vereinbarungen zwischen dem Beteiligten B. und den Eigentümern zum Zeitpunkt der Besitzeinweisung in die neuen Grundstücke, also zum 1.8.1962 aufgelöst worden sind. Da Vorbehalte hinsichtlich der Leihverhältnisse des Klägers dabei nicht gemacht worden sind, so ist nach Aufhebung der beiden Hauptpachtverträge dem Kläger die Grundlage für die Nutzung der ihm von Seiten des Beteiligten B. überlassenen Grundstücke entfallen. Der vom Kläger innegehabte Besitz ist somit nicht durch die Flurbereinigung geändert worden, sondern durch die vertragliche Aufhebung der Hauptpachtverträge. Damit ist dem Kläger auch die Möglichkeit genommen worden, das Grundstück weiterhin zu nutzen, denn seine Imkerei ist von dem Grundstück aus betrieben worden. Für die Aufhebung des Leihvertrages des Klägers durch die Flurbereinigungsbehörde war also kein Raum mehr.