Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 26.03.1962 - I C 24.61 = RdL 1962 S. 217
Aktenzeichen | I C 24.61 | Entscheidung | Urteil | Datum | 26.03.1962 |
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Gericht | Bundesverwaltungsgericht | Veröffentlichungen | = RdL 1962 S. 217 | Lieferung | N/A |
Leitsätze[Quelltext bearbeiten]
2. | Zum Begriff der im Rahmen der Abfindung zu berücksichtigenden Wirtschaftserschwernis. |
3. | Zur Berücksichtigung vermehrter Hanglagen in der Abfindung. |
4. | Zur Rechtmäßigkeit einer Minderausweisung von Land. |
Aus den Gründen
Der im Rahmen der Flurbereinigung vorzunehmende Grundstücksaustausch erfolgt nach § 44 Abs. 1 Satz 1 FlurbG nicht nach der Größe der von den Teilnehmern in das Verfahren eingelegten Flächen. Der entscheidende Maßstab ist vielmehr der Wert der Grundstücke (Land von gleichem Wert). Welche Wertfaktoren für den Tauschvorgang maßgeblich sein sollen, ist § 44 Abs. 2 zweiter Halbsatz FlurbG zu entnehmen. Es sind alle Umstände zu berücksichtigen, die auf den Ertrag, die Benutzung und die Verwertung der Grundstücke wesentlichen Einfluß haben. Die Vorschrift des § 44 Abs. 2 zweiter Halbsatz FlurbG erläutert den allgemeinen Wertbegriff des § 44 Abs. 1 Satz 1 FlurbG. Sie legt fest, welche Umstände für die Beurteilung der Landabfindung nach Wertgesichtspunkten bestimmend sein sollen. Daher gibt § 44 Abs. 2 zweiter Halbsatz FlurbG dem Teilnehmer nicht "neben" dem Anspruch auf wertgleiche Abfindung nach § 44 Abs. 1 Satz 1 FlurbG einen weiteren Anspruch auf Berücksichtigung der hier genannten Wertumstände. Das Gesetz kennt nur den Anspruch auf wertgleiche Abfindung nach § 44 Abs. 1 Satz 1 FlurbG, der seinem Inhalt nach durch die in § 44 Abs. 2 zweiter Halbsatz FlurbG genannten Umstände bestimmt wird. Diese Umstände müssen bei der Landabfindung "berücksichtigt" werden, d.h. sie müssen erstens überhaupt und zweitens wertgerecht bei der Ermittlung des Gesamttauschwertes in Ansatz gebracht werden (Urteil vom 30.9.1958 - BVerwG I C 6.57 = RdL 1959 S. 51; Urteil vom 27.6.1961 - BVerwG I C 127.59 = RdL 1961 S. 239). Die Landabfindung eines Teilnehmers ist hiernach dann wertgleich, wenn ihm Grundstücke zugeteilt werden, die - bei Berücksichtigung der Abzüge nach § 47 FlurbG - hinsichtlich des erzielbaren Ertrages und der Benutzungs- und Verwertungsmöglichkeiten seinen alten Grundstücken entsprechen. Hierbei ist von der Gesamteinlage und von der Gesamtzuteilung auszugehen (Urteil vom 30.9.1958 aaO).
Ein verfahrensmäßiges Hilfsmittel zur Verwirklichung des materiellrechtlichen Grundsatzes der wertgleichen Abfindung ist die Schätzung der alten Grundstücke der Teilnehmer (§ 27 Satz 1 FlurbG). Die hierbei ermittelten Werte sind der Bemessung der Abfindung "zugrunde zu legen" (§ 44 Abs. 1 Satz 2 FlurbG). Die Schätzwerte von Alt- und Neubesitz bilden zwar die Grundlage; nicht aber den ausschließlichen Maßstab für die Landabfindung, da die Gleichwertigkeit der Einlage mit der Abfindung nicht allein in der Übereinstimmung der Schätzungswerte von Alt- und Neubesitz zum Ausdruck kommt (Urteil vom 30.9.1958 (RdL 1959 S. 51); Beschluß vom 5.6.1961 - BVerwG I B 48.61 - Beschluß vom 27.11.1961 - BVerwG I B 127.61 -; ebenso Hess. VGH (RdL 1960 S. 133); VGH Bad.-Württ., Urteil vom 5.7.1961 - V 18/60 -; Hoerster, Berichte über Landwirtschaft 1960 S. 539; Steuer, Kommentar zum Flurbereinigungsgesetz, Anm. 2 zu § 44 a. E.). Der nach § 28 Abs. 1 FlurbG ermittelte Nutzungswert landwirtschaftlich genutzter Grundstücke ist zwar ein Bestandteil der für die wertgleiche Abfindung nach § 44 Abs. 1 Satz 1 FlurbG maßgeblichen Wertumstände; er drückt den Tauschwert der Grundstücke in der Regel aber nur zum Teil aus. So bleibt kraft ausdrücklicher gesetzlicher Regelung die Entfernung der Grundstücke vom Hof oder von der Ortslage bei der Schätzung unberücksichtigt, obwohl die Entfernung einen den Tauschwert mitbestimmenden Faktor darstellt (Urteil vom 27.6.1961 - BVerwG I C 127.59 - (RdL 1961 S. 239)). Der Nutzungswert umfaßt auch nur die natürlichen Ertragsbedingungen, die auf Grund allgemeiner und - im wesentlichen - unveränderlicher Merkmale festgestellt werden. Für die Abfindungsregel des § 44 Abs. 1 Satz 1 FlurbG kommt es dagegen auf die konkrete Einlage des Teilnehmers und seine konkrete Abfindung an, deren Wert von weiteren Umständen abhängt.
Soweit die für die Bemessung der Abfindung maßgeblichen Wertumstände im Rahmen der Schätzung nicht oder nicht ausreichend zum Ausdruck kommen, müssen sie im Rahmen der Planaufstellung berücksichtigt werden. Die bei der Schätzung und bei der Planaufstellung berücksichtigten Wertumstände müssen zusammen zu der nach § 44 Abs. 1 Satz 1 FlurbG geforderten wertgleichen Abfindung führen. Ergibt ein Vergleich von Alt- und Neubesitz, daß diese Forderung nicht voll erfüllt wird, so liegt eine Minderausweisung im Sinne des § 44 Abs. 3 Satz 2 FlurbG vor, die - soweit sie unvermeidbar ist - in Geld ausgeglichen werden kann.
Die Rechtmäßigkeit des zugesprochenen Betrages hängt somit zunächst von der Feststellung ab, daß die Kläger nicht wertgleich im Sinne des § 44 Abs. 1 Satz 1 FlurbG abgefunden worden sind. Das Flurbereinigungsgericht sieht einen "Mangel" der Abfindung, der zur Herstellung des gesetzlichen Zustandes eines "Ausgleichs" bedarf, darin, daß den Klägern 0,561 ha mehr hängige Fläche zugeteilt worden ist, als sie im Altbesitz hatten. Es begründet seine Auffassung mit folgender Erwägung: "Die Klassenabschläge gelegentlich der Schätzung vermögen allein bei einem Überhang an Grundstücken mit stärkerer Hängigkeit gegenüber der Einlage keinen Ausgleich herbeizuführen. Bei dem gegenwärtigen technischen Stand der Landbewirtschaftung erschwert eine starke Hängigkeit den zeit- und arbeitskräftesparenden Maschineneinsatz oder schließt ihn überhaupt aus". Der hiermit zum Ausdruck gebrachten Rechtsauffassung vermag der Senat nicht zu folgen.
Die Hängigkeit ist ein für den Tauschwert nach § 44 Abs. 1 Satz 1 FlurbG wesentlicher Umstand. Da sie zu den natürlichen Ertragsbedingungen gehört, muß sie im Rahmen der Schätzung der Grundstücke berücksichtigt werden (Urteil vom 23.6.1959 - BVerwG I C 78.58 - Beschluß vom 27.11.1961 - BVerwG I B 127.61 -). Ist das geschehen, so kann die Hängigkeit zugeteilter Grundstücke im Hinblick auf den für die Abfindung maßgeblichen Wertbegriff bei der Festsetzung der Abfindung nicht noch einmal berücksichtigt werden (Urteil vom 30.9.1958 aaO). Von dieser Rechtsauffassung weicht das Flurbereinigungsgericht ab. Seine Ausführungen lassen zunächst nicht eindeutig erkennen, welche "Mängel" nach seiner Auffassung durch "Klassenabschläge" keinen Ausgleich finden. Gleichgültig ob es die Bodenneigung selbst (hierfür spricht sein Hinweis auf die Erschwerung des Maschineneinsatzes) oder die Vergrößerung hängiger Flächen im Auge hat, in keinem Fall kann ihm gefolgt werden.
Die Bedeutung der Bodenneigung liegt für die Wertermittlung darin, daß mit steigender Hängigkeit der Bodenertrag absinkt, die Bewirtschaftungskosten sich erhöhen und Erosionsgefahr besteht. Diese Nachteile (negative Wertumstände) gegenüber einem Boden mit sonst gleicher Beschaffenheit und Qualität müssen bei der Schätzung berücksichtigt werden. Daß das technisch und rechnerisch möglich ist, ist in der landwirtschaftlichen Schätzungslehre und in der Flurbereinigungspraxis bisher nicht in Zweifel gezogen worden. Es ist auch nicht einzusehen, warum die Auswirkungen der Bodenneigung auf den möglichen Betriebserfolg und warum eine Vergrößerung der Hanglagen gegenüber der Einlage nicht "allein" durch ausreichende Abschläge bei der Schätzung, dagegen aber durch eine zusätzliche einmalige Geldzahlung ausgeglichen werden können. Wenn Abschläge bei der Schätzung, die sich dauernd auswirken, nicht geeignet wären, die durch die Bodenneigung eintretende Ertragsminderung und Erhöhung der Bewirtschaftungskosten auszugleichen, müßte das erst recht für einen einmaligen Geldbetrag gelten. Im Rahmen der Prüfung, ob ein Teilnehmer wertgleich abgefunden ist, kommt es entscheidend nur darauf an, daß die im Rahmen der Schätzung vorgenommenen Abschläge die Auswirkungen der Bodenneigung auf den möglichen Wirtschaftserfolg tatsächlich zum Ausdruck bringen, daß sie also ihrem Umfang nach richtig festgesetzt worden sind. In welchem Ausmaß Abschläge notwendig und gerechtfertigt sind, läßt sich nicht für alle Flurbereinigungsverfahren gleichmäßig festlegen. Es kommt - wie bei der Wertermittlung überhaupt - weitgehend auf die im Flurbereinigungsgebiet gegebenen Verhältnisse an.
Auch eine Mehrung von Hanglagen gegenüber der Einlage führt nicht ohne weiteres zu einem ausgleichspflichtigen "Mangel" der Abfindung. Die ohne nähere Begründung vom Flurbereinigungsgericht vertretene Auffassung trifft schon deshalb nicht zu, weil sich die Hangabschläge auf jede für das Wertverhältnis maßgebliche Flächeneinheit auswirken. Ist die Bodenneigung bei der Schätzung zutreffend berücksichtigt, dann sind die hierdurch bedingte Ertragsminderung und die Erhöhung der Bewirtschaftungskosten für die jeweilige Grundstücksfläche in Ansatz gebracht. Daher führt eine Vergrößerung der Hangfläche, für sich gesehen, bei richtiger Schätzung nicht schlechthin zu einem die Wertgleichheit störenden Nachteil der Abfindung.
Das Flurbereinigungsgericht scheint auch die Bedeutung der Bodenneigung zu überschätzen. Nach den Untersuchungen von Lang, "Aktuelle Probleme der Schätzung, Wegenetzgestaltung und Neueinteilung im Flurbereinigungsverfahren" (Institut für Bau- und Kulturtechnik der Universität Bonn 1958), treten arbeitswirtschaftliche Erschwernisse bei Steigungen bis zu 6 % noch nicht ein; der Mähdrescher kann noch in Hanglagen bis zu 14 % einwandfrei arbeiten. Ob diese Angaben, die sich im wesentlichen mit anderen Untersuchungen decken, im vorliegenden Fall verwendbar sind, bedarf hier keiner Entscheidung, da die Schätzung unanfechtbar feststeht.
Rechtfertigen die Ausführungen des Flurbereinigungsgerichts somit nicht den Schluß, daß die Auswirkungen der Bodenneigung nicht wertgerecht im Rahmen der Schätzung berücksichtigt sind, so kann mit der im angefochtenen Urteil gegebenen Begründung die Wertgleichheit von Einlage und Abfindung der Kläger nicht verneint werden. Gleichwohl sieht sich der Senat aus folgenden Gründen nicht in der Lage, die Streitsache abschließend zu entscheiden.
Nach der Begründung des Revisionszulassungsbeschlusses, die von der des Urteils abweicht, soll der streitige Betrag den Klägern zugebilligt worden sein, weil sie durch die Hangmehrung eine "Wirtschaftserschwernis" erleiden. Was das Flurbereinigungsgericht hierunter versteht, kommt allerdings nicht zum Ausdruck. Die Umstände, daß der Kläger auf Grund seines Gesundheitszustandes nicht in der Lage ist, Feldarbeit zu leisten, daß die Klägerin acht minderjährige Kinder versorgen muß und daß keine fremden Arbeitskräfte zur Verfügung stehen, betreffen die persönlichen Verhältnisse der Kläger, sind aber keine durch die Abfindung verursachte Erschwerung der Betriebsführung. Auf sie kann bei der Frage, ob eine wertgleiche Abfindung im Sinne des § 44 Abs. 1 Satz 1 FlurbG vorliegt und ob eine Bewirtschaftungserschwernis gegeben ist, nicht abgestellt werden (Urteil vom 5.6.1961 - BVerwG I C 231.58 - (RdL 1961 S. 240)).
Von einer Wirtschaftserschwernis kann gesprochen werden, wenn trotz richtiger Wertermittlung durch die Gestaltung der Abfindung nachteilige Auswirkungen auf den Betrieb eintreten. Das Ziel der Flurbereinigung ist u.a. die Ausweisung möglichst großer Flächen. Da aber die Schätzung auf der Grundlage der alten Flureinteilung erfolgt, bei der Neueinteilung dagegen Flächen und Flächenteile zusammengefaßt werden, kann ein Ersatzgrundstück trotz zutreffender Einschätzung der einzelnen Flächen oder Flächenteile Nachteile aufweisen, die den Tauschwert des Ersatzgrundstücks beeinträchtigen. Es können z.B. durch starken Wechsel der Bodengüte auf engem Raum (Verschießen) oder durch den Wechsel der Bodenverhältnisse innerhalb einer Zuteilungsfläche, die einheitlich bewirtschaftet werden muß, durch ungünstige Grundstückslängen oder nachteilige Formen der Grundstücke Mängel auftreten, die eine wertgleiche Abfindung in Frage stellen; bei Vermehrung der Hanglagen kann die Notwendigkeit entstehen, andere als die bisher genutzten Maschinen einzusetzen usw.. Ob die Landabfindung der Kläger durch solche Umstände tatsächlich unausgeglichen ist, kann den Feststellungen in der angefochtenen Entscheidung nicht entnommen werden. Das wird das Flurbereinigungsgericht bei der erneuten Verhandlung der Streitsache prüfen müssen, sofern nicht folgende Gesichtspunkte durchgreifen.
Die Ausführungen des Flurbereinigungsgerichts, die Kläger erlitten durch die Hangzuteilung eine Wirtschaftserschwernis, stehen in Widerspruch zu der Feststellung, die Kläger könnten die hängige Fläche als Grünland und die derzeitige Wiese im Süden der Gewanne 92 als Acker nutzen. Diese Feststellung läßt Zweifel aufkommen, ob die Zuteilung der Hanggrundstücke tatsächlich Nachteile mit sich bringt, die zur Wahrung einer wertgleichen Abfindung ausgeglichen werden müßten. Eine ausgleichspflichtige Bewirtschaftungserschwernis liegt in der Regel nur dann vor, wenn sich Nachteile trotz Ausnutzung der wirtschaftlichen Möglichkeiten und optimaler Bodennutzung auswirken. Treten bei der Nutzung eines Grundstücks als Acker Mängel auf, die sich bei Umwandlung in Grünland nicht auswirken, so muß der Teilnehmer diesen Weg wählen, wenn die betrieblichen Verhältnisse es zulassen. Vorübergehende Nachteile können unter Umständen einen Entschädigungsanspruch nach § 51 FlurbG auslösen.
Ergibt die erneute Verhandlung der Streitsache unter Berücksichtigung dieser rechtlichen Erwägung, daß die Kläger nicht wertgleich abgefunden worden sind, so kann eine Geldabfindung nur ausnahmsweise in Betracht kommen. Das Gebot der wertgleichen Abfindung umfaßt die Regel, daß für Landeinlagen Landzuteilung gegeben werden muß (§ 44 Abs. 1 Satz 1 FlurbG: Land von gleichem Wert). Ist der Abfindungsanspruch nicht erfüllt, so muß der festgestellte Nachteil durch Änderung der Landabfindung oder durch andere Vorteile (z.B. durch Zuteilung eines höherwertigen Grundstücks, durch Entfernungsverbesserung usw.) ausgeglichen werden. Welchen Weg das Flurbereinigungsgericht beschreitet, steht in seinem Ermessen. Die Maßnahme muß sich jedoch im Rahmen des Gesetzes halten und geeignet sein, die vom Gesetz geforderte Wertgleichheit herzustellen (Beschluß vom 28.10.1960 - BVerwG I B 98.60 -). Eine Geldentschädigung kommt daher nur dann in Frage, wenn die Voraussetzungen des § 44 Abs. 3 Satz 2 FlurbG vorliegen. Nach der Entscheidung des Senats in BVerwGE 8, 95 ist eine Geldleistung als Ausgleich für Land aber nur dann gerechtfertigt, wenn und soweit die bei der Gestaltung des Bereinigungsgebietes zu wahrenden Interessen der Allgemeinheit an einer zweckvollen Flurbereinigung eine andere Lösung nicht zulassen oder erheblich erschweren.