Bundesgerichtshof, Urteil vom 12.06.1961 - III ZR 27/60 = RdL 1961 S. 270= IK 1961 S. 187

Aktenzeichen III ZR 27/60 Entscheidung Urteil Datum 12.06.1961
Gericht Bundesgerichtshof Veröffentlichungen RdL 1961 S. 270 = IK 1961 S. 187  Lieferung N/A

Leitsätze[Quelltext bearbeiten]

1. Dem Beamten einer Flurbereinigungsbehörde kann kein schuldhafter Vorwurf gemacht werden, wenn er der Auffassung ist, daß die Eigentumseinschränkungen des § 34 FlurbG auch noch nach dem Erlaß der vorzeitigen Ausführungsanordnung in Kraft sind und infolgedessen zu einer beabsichtigten Maßnahme, zu der nach § 34 Abs. 1 FlurbG die Zustimmung der Flurbereinigungsbehörde erforderlich ist, diese verweigert, weil die Maßnahme die Erledigung einer anhängigen Beschwerde vereiteln oder erschweren kann.

Aus den Gründen

In der Frage der Auslegung des § 34 FlurbG ist das Berufungsgericht der mit dem Schreiben des Ministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten vom 28.8.1957 übereinstimmenden Auffassung des Landgerichts dahin gefolgt, daß nach dem Erlaß der vorzeitigen Ausführungsanordnung (§ 63 FlurbG), also seit dem 23.9.1954 die Einschränkungen des § 34 FlurbG weggefallen seien und dementsprechend das Baugesuch der Kläger keiner Zustimmung der Flurbereinigungsbehörde mehr bedurft habe. Im einzelnen hat das Berufungsgericht dazu ausgeführt: Die zeitliche Begrenzung der gemäß § 34 FlurbG für die in das Flurbereinigungsgebiet fallenden Grundstücke vorgesehenen Einschränkungen "bis zur Ausführungsanordnung" finde ihre Erklärung in der in § 61 FlurbG entfallenen Rechtsfolge (Eintritt des neuen Rechtszustandes zu dem in der Ausführungsanordnung angegebenen Zeitpunkt). Für den Zeitpunkt nach dem Eintritt des neuen Rechtszustandes bestehe für eine allgemeine Einschränkung, wie sie die § 34 ff. FlurbG vorsehen, keine Notwendigkeit mehr. In diesem für die zeitliche Begrenzung der Einschränkungen des § 34 FlurbG maßgebenden Gesichtspunkt unterscheide sich auch die vorzeitige Ausführungsanordnung des § 63 nicht von der Ausführungsanordnung des § 62 FlurbG. Beide unterschieden sich nicht in Inhalt und Wirkung, sondern lediglich darin, daß die Ausführungsanordnung nach § 62 erst nach Rechtskraft des Flurbereinigungsplanes und die nach § 63 FlurbG schon vor der Rechtskraft dieses Planes erlassen werden könne (nicht vorläufige sondern vorzeitige Anordnung). Der Gesetzgeber habe diese Möglichkeit vorgesehen, um Nachteile, die durch eine ungebührlich lange Hinauszögerung der Ausführung des Flurbereinigungsplanes und damit auch der in ihm enthaltenen Veränderungen, wie sie durch Beschwerden einzelner Unzufriedener entstehen können, zu vermeiden. Dieser Zweck aber werde nur erreicht, wenn auch mit dieser vorzeitigen Anordnung die allgemeinen Einschränkungen der § 34 ff. FlurbG entfielen. Die in § 61 FlurbG bestimmte Gleichstellung beider Ausführungsanordnungen werde weitgehend beseitigt, wenn diese Einschränkungen nur bei der Ausführungsanordnung des § 62, nicht aber auch bei der vorzeitigen Ausführungsanordnung nach § 63 FlurbG in Wegfall kämen. Dieser Auslegung stehe nicht entgegen, daß in § 34 FlurbG im Gegensatz zu den § 61, § 64 und § 101 FlurbG die § 62, § 63 FlurbG nicht ausdrücklich angeführt seien. Einer solchen Anführung habe es mit Rücksicht auf die in § 61 erfolgte Gleichstellung der Anordnung des § 62 mit der des § 63 FlurbG nicht bedurft. Die Notwendigkeit einer Aufrechterhaltung der Einschränkungen des § 34 FlurbG könne auch nicht mit dem Hinweis auf die noch möglichen Veränderungen des Flurbereinigungsplanes bei der Entscheidung über die noch anhängigen Beschwerden nach § 63 Abs. 2 FlurbG begründet werden. Die vorzeitige Ausführungsanordnung bezwecke gerade, daß die zufriedenen Beteiligten trotz der Beschwerden eines oder einiger weniger Unzufriedenen in den uneingeschränkten Genuß des Planes kommen sollten. Die Flurbereinigungsbehörde werde jeweils sorgfältig prüfen müssen, ob sie von der in ihrem Ermessen stehenden Möglichkeit, die Ausführungsanordnung vorzeitig zu erlassen, Gebrauch machen wolle. So lange weittragende Veränderungen zu erwarten seien, werde sie von dieser Möglichkeit Abstand nehmen. Entschließe sie sich aber zum Erlaß der vorzeitigen Anordnung, so begebe sie sich damit einer Eingriffsmöglichkeit nach § 34 FlurbG.

Ob dieser Rechtsauffassung in der Auslegung des § 34 FlurbG zu folgen ist, bedarf keiner abschließenden Stellungnahme. Jedenfalls kann den Beamten des Kulturamtes und des Landeskulturamtes entgegen der Meinung des Berufungsgerichts daraus, daß sie von einer anderen Rechtsauffassung ausgegangen sind und auch nach Erlaß der vorzeitigen Ausführungsanordnung eine Zustimmung gemäß § 34 FlurbG für erforderlich gehalten haben, der Vorwurf einer schuldhaften Amtspflichtverletzung nicht gemacht werden. Der Senat vermag dem Berufungsgericht nicht in der Meinung beizupflichten, die Vorschrift des § 34 FlurbG biete bei Berücksichtigung ihres Zusammenhanges mit § 61 FlurbG und der Zweckbestimmung der dort vorgesehenen Einschränkungen keine besonderen Schwierigkeiten und gebe auch nur geringe Anhaltspunkte für eine Auslegung im Sinne der vom Kulturamt und Landeskulturamt vertretenen Ansicht.

Für die Auffassung des Kultur- und Landeskulturamtes kann zunächst einmal auf den Gesetzeswortlaut verwiesen werden: In § 34 FlurbG ist bestimmt, daß die dort im einzelnen aufgeführten Einschränkungen "bis zur Ausführungsanordnung" gelten. Was unter der "Ausführungsanordnung" zu verstehen ist, ist in der Legaldefinition des § 62 Abs. 1 FlurbG gesagt, nämlich die nach Eintritt der Rechtskraft des Flurbereinigungsplanes erfolgende Anordnung seiner Ausführung. In anderen Fällen, in denen das Gesetz zwar ebenfalls allein den Ausdruck "Ausführungsanordnung" verwendet, aber darunter auch die "vorzeitige Ausführungsanordnung" verstanden wissen will, ist dies - so in den § 61, § 64, § 101 FlurbG - in der Weise zum Ausdruck gebracht, daß hinter dem Wort "Ausführungsanordnung" die § 62, § 63 in Klammern angeführt sind. Wenn das Berufungsgericht meint, mit Rücksicht auf die in § 61 FlurbG erfolgte Gleichstellung der Anordnung des § 62 mit der des § 63 FlurbG habe es in § 34 FlurbG einer solchen Anführung nicht bedurft, so ist das nicht unbedingt zwingend. Einmal kann fraglich erscheinen, ob aus § 61 FlurbG überhaupt auf eine völlige Gleichstellung der - in ihren Voraussetzungen und auch in ihren rechtlichen Auswirkungen (§ 63 Abs. 2 FlurbG) verschiedenen - Anordnungen geschlossen werden kann, und zum anderen liegt die Annahme nahe, daß dann, wenn die Argumentation des Berufungsgerichts richtig wäre, die Anführung "(§ 62, § 63)", auch in den § 64 und § 101 FlurbG entbehrlich gewesen sei.

Auch erscheint die der Auffassung des Berufungsgerichts entgegengesetzte Auslegung des § 34 FlurbG nicht so sinn- und zweckwidrig, wie das Berufungsgericht meint. Das, was das Berufungsgericht über den Zweck der vorzeitigen Ausführungsanordnung gesagt hat, ist durchaus zutreffend. Diejenigen Teilnehmer, die sich mit dem Flurbereinigungsplan abgefunden und keine Einwendungen gegen ihn erhoben haben, sollen vor Nachteilen aus der Verzögerung des Verfahrens, die durch die Beschwerden Unzufriedener eintreten, möglichst bewahrt werden, möglichst bald in den Genuß des neuen Planes kommen und sich in ihrem Wirtschaftsbetrieb auf den neuen Plan einrichten können. Mit diesem Zweck der vorzeitigen Ausführungsanordnung ist jedoch auch die Auslegung des § 34 FlurbG, daß die Einschränkungen nicht mit einer vorzeitigen Ausführungsanordnung enden, sondern bis zur "Ausführungsanordnung", d.h. bis zur Rechtskraft des Flurbereinigungsplanes gelten, vereinbar. Diese Einschränkungen bestehen nicht absolut, vielmehr kann die Flurbereinigungsbehörde im Einzelfall alle diese Einschränkungen durch Zustimmung beseitigen. Sie wird diese Zustimmung nicht versagen und auch nicht versagen dürfen, wenn davon ausgegangen werden kann, daß die der Rechtskraft des Flurbereinigungsplanes noch entgegenstehenden unerledigten Beschwerden im Falle ihres Erfolges nicht zu Änderungen des Flurbereinigungsplanes führen, die die beabsichtigten und der Zustimmung nach § 34 FlurbG bedürftigen Maßnahmen berühren. Dem Zweck der vorzeitigen Ausführungsanordnung kann mithin in durchaus genügender Weise dadurch Rechnung getragen werden, daß die Flurbereinigungsbehörde ihre Zustimmung zu allen Maßnahmen erteilt, die bei einer vernünftigen Beurteilung der Dinge durch etwa noch eintretende Änderungen des Flurbereinigungsplanes auf die noch nicht erledigten Beschwerden hin nicht berührt werden.
Die gegenseitige Auffassung könnte zu folgenden unerwünschten Nachteilen führen: Wenn die Einschränkungen des § 34 FlurbG bereits mit dem Erlaß der vorzeitigen Ausführungsanordnung in vollem Umfang wegfallen, dann besteht die Gefahr, daß Veränderungen vorgenommen, Bauwerke errichtet werden usw., die mit den auf die noch laufenden Beschwerden hin möglicherweise erfolgenden Änderungen des Flurbereinigungsplanes im Widerspruch stehen. Eine Anpassung an den geänderten Flurbereinigungsplan kann gegebenenfalls erhebliche rechtliche und tatsächliche Schwierigkeiten bereiten und möglicherweise erhebliche Geldaufwendungen erfordern. Ob insoweit mit § 36 FlurbG geholfen werden könnte, kann zweifelhaft sein. Denn einmal ist es fraglich, ob vorläufige Anordnungen nach dieser Vorschrift überhaupt noch zulässig sind, wenn die Einschränkungen des § 34 FlurbG weggefallen sind. (Das Berufungsgericht ist der Auffassung, daß die vorläufigen Anordnungen nur bis zu einer Ausführungsanordnung entweder nach § 62 oder nach § 63 FlurbG wirksam seien.) Zum anderen kann fraglich sein, ob wirklich mit Hilfe derartiger Anordnungen, die angesichts der für ihren Erlaß vom Gesetz erforderten besonderen Voraussetzungen nur in beschränktem Umfang zulässig sind, der zuvor aufgezeigten Gefahr wirksam begegnet werden könnte. Bestünde aber die Gefahr, daß im Falle einer vorzeitigen Ausführungsanordnung und dem damit verbundenen Wegfall der Einschränkungen des § 34 FlurbG von den Beteiligten Fakten geschaffen werden können, die mit einer etwas später erfolgenden Änderung des Flurbereinigungsplanes im Widerspruch stehen, dann könnte es naheliegen, daß die Flurbereinigungsbehörden nur mit großer Zurückhaltung von der Möglichkeit vorzeitiger Ausführungsanordnungen Gebrauch machen, selbst wenn diese im Interesse der mit dem Flurbereinigungsplan zufriedenen Beteiligten sehr erwünscht wären. Es läßt sich daher mit gewisser Berechtigung sagen, im Interesse der mit dem Flurbereinigungsplan einverstandenen Beteiligten liege gerade die Auffassung, daß die Einschränkungen des § 34 FlurbG mit dem Erlaß einer vorzeitigen Ausführungsanordnung noch nicht ohne weiteres entfallen.

Die aufgezeigten Bedenken werden auch durch den Hinweis des Berufungsgerichts auf die Bestimmung des § 64 FlurbG, nach der sogar nach einer Ausführungsanordnung gemäß § 62 FlurbG, d.h. nach Rechtskraft des Flurbereinigungsplanes, Änderungen dieses Planes vorgenommen werden können, nicht restlos beseitigt. Eine solche Änderung, die zudem allein in der Hand der Flurbereinigungsbehörde liegt, ist an ganz bestimmte Voraussetzungen gebunden (öffentliches Interesse oder wichtige, nicht vorherzusehende wirtschaftliche Bedürfnisse der Beteiligten) und wird nur verhältnismäßig selten vorgenommen. Im Falle einer "vorzeitigen Ausführungsanordnung" aber muß viel eher mit einer Änderung des Flurbereinigungsplanes gerechnet werden, zumal eine solche ja gerade mit Hilfe der noch nicht erledigten Beschwerden erstrebt wird.