Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 13.01.1959 - I C 155.58 = Buchholz BVerwG 424.01 § 44 FlurbG Nr. 1= BVerwGE 8 S. 95
Aktenzeichen | I C 155.58 | Entscheidung | Urteil | Datum | 13.01.1959 |
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Gericht | Bundesverwaltungsgericht | Veröffentlichungen | = Buchholz BVerwG 424.01 § 44 FlurbG Nr. 1 = BVerwGE 8 S. 95 | Lieferung | N/A |
Leitsätze[Quelltext bearbeiten]
1. | Eine Geldleistung als Ausgleich für Land ist gemäß § 44 Abs. 3 Satz 2 FlurbG nur dann gerechtfertigt, wenn und soweit die bei der Gestaltung des Bereinigungsgebietes zu wahrenden Interessen der Mehrheit der Beteiligten an einer zweckvollen Flurbereinigung eine andere Lösung nicht zulassen oder erheblich erschweren. |
2. | Ein Geldausgleich ist keine Enteignungsentschädigung. |
Aus den Gründen
Der Zweck der Flurbereinigung besteht u.a. darin, durch Änderung des bisherigen Besitzstandes den am Verfahren beteiligten Grundbesitzern wirtschaftlich besser geformte und erschlossene, sonst aber gleichwertige Flurstücke zu verschaffen. Bei dem Gebot der wertgleichen Abfindung (vgl. BVerwGE 3, 246, 249 geht das Gesetz davon aus, daß für Landeinlagen grundsätzlich Landzuteilungen gegeben werden müssen (§ 44 Abs. 1 FlurbG). Der Beteiligte hat ein Recht, für eingelegte Grundstücke Land zurückzuerhalten. Dieser Grundsatz, für Landeinlagen Landzuteilungen zu geben, kann nicht in jedem Verfahren restlos durchgeführt werden. Nach § 44 Abs. 3 Satz 2 FlurbG ist die Flurbereinigungsbehörde daher ermächtigt, unvermeidbare Minderabfindungen in Geld auszugleichen.
Bei der Anwendung dieser Bestimmung sind zwei Gesichtspunkte zu berücksichtigen. Einmal: Es handelt sich um eine Ausnahmeregelung, die eng auszulegen ist. Zum zweiten: Es sind die der Flurbereinigung durch Art. 14 GG gesteckten Grenzen zu beachten.
Ein am Flurbereinigungsverfahren Beteiligter könnte eine Minderabfindung dadurch erleiden, daß die Gestaltung des Bereinigungsgebietes dazu zwingt. Die Flurbereinigungsbehörde hat bei der in ihrem Ermessen liegenden Ordnung des Bereinigungsgebietes Bedacht darauf zu nehmen, große, zusammenhängende Flächen auszuweisen und eine zweckmäßige, modernen Verkehrsverhältnissen angepaßte Flureinteilung herbeizuführen. Die Verwirklichung dieses gesetzlichen Auftrags - die jedem einzelnen Beteiligten zugute kommen soll - kann dazu führen, daß ein Beteiligter nicht voll in Land abgefunden wird. Die zur Durchführung der gesetzlichen Ziele von der Behörde zu treffenden Maßnahmen können somit im Einzelfall mit dem Recht des Beteiligten auf vollwertige Abfindung in Land in Konflikt geraten.
Das Recht des einzelnen Verfahrensbeteiligten, eine vollwertige Abfindung in Land zu erhalten, ist durch Art. 14 GG vor einer Schmälerung geschützt. Hieraus ergeben sich für die Flurbereinigungsbehörde bei der Neuverteilung der eingelegten Grundstücke Grenzen. Wenn der Anspruch des Beteiligten in Land befriedigt werden kann, ist eine Minderausweisung unzulässig. Um eine restlose Abfindung der Beteiligten mit Land zu ermöglichen, muß die Behörde alle technisch möglichen und zweckmäßigen Planungen vornehmen, die eine Minderausweisung verhindern. Gegebenenfalls muß ein Flächenverlust durch die Zuteilung von Grundstücken mit höherer Wertklasse oder durch betriebsnähere Gesamtzuteilung ausgeglichen werden. Eine Minderabfindung ist dann nicht unvermeidbar im Sinne des § 44 Abs. 3 Satz 2 FlurbG, wenn sie durch eine andere Einteilung des Bereinigungsgebietes, die der gesetzlichen Forderung nach einer großräumigen Gliederung Rechnung trägt, vermieden werden kann. Die Behörde darf einem einzelnen Beteiligten nur dann eine Minderabfindung ausweisen, wenn die bei der Gestaltung des Bereinigungsgebietes zu wahrenden Interessen der Mehrheit der Beteiligten an einer zweckvollen Flurbereinigung eine andere Lösung nicht zulassen oder erheblich erschweren. In einem solchen Fall ist die Abfindung eines Beteiligten in Geld gerechtfertigt. Nur in dieser Begrenzung ist § 44 Abs. 3 Satz 2 FlurbG mit Art. 14 GG vereinbar.
Wie der Senat wiederholt entschieden hat, ist die Flurbereinigung dann keine Enteignung, wenn der Grundsatz der wertgleichen Landabfindung vollständig durchgeführt wird (BVerwGE 2, 154). Sie wird es aber auch dann nicht, wenn in den oben aufgezeigten Grenzen des § 44 Abs. 3 Satz 2 FlurbG eine Geldentschädigung gewährt wird. Der erkennende Senat hat sich bereits in verschiedenen Verfahren mit der Frage befaßt, ob die Umlegung dann als Enteignung anzusehen ist, wenn der Teilnehmer Geldabfindung erhält. Zu der hier maßgeblichen Bestimmung des Flurbereinigungsgesetzes hat er sich bisher nicht ausdrücklich geäußert. Für die in § 55 Abs. 2 der Reichsumlegungsordnung - RUO - vorgesehene Geldentschädigung hat der Senat im Beschluß vom 8.1.1955 - BVerwG I B 192.53 - (NJW 1955 S. 1001) ausgesprochen, daß die Umlegung auch dann keine Enteignung ist, wenn der Umlegungsplan nicht nur Landabfindungen, sondern auch geldliche Abfindungen und Ausgleiche vorsieht. Im Beschluß vom 25.4.1956 (BVerwGE 3, 246 (249)), ist er von dieser Auffassung auch für die Geldentschädigung nach § 56 RUO und - insoweit allerdings nicht in der Entscheidungssammlung abgedruckt - auch für die Geldentschädigung nach § 48 Abs. 4 Satz 1 RUO ausgegangen. Durch Urteil vom 19.12.1957 (BVerwGE 6, 79) hat der Senat darüber hinaus für die städtebauliche Umlegung entschieden, daß die Barabfindung, mit der der Beteiligte dem Grunde nach einverstanden ist, ebenfalls keine Enteignung darstellt. Die in diesen Entscheidungen entwickelte Rechtsansicht muß im grundsätzlichen auch für den Geldausgleich nach § 44 Abs. 3 Satz 2 FlurbG gelten. Bei seiner Rechtsprechung ist der Senat davon ausgegangen, daß die Enteignung nach dem Sinn der von dem Grundgesetz vorgenommenen Wertung dadurch gekennzeichnet ist, daß sie einem dem Betroffenen gegenüber selbständigen fremden Interesse dient. Die Flurbereinigung nimmt mit ihrer auf die Förderung der landwirtschaftlichen Erzeugung und der allgemeinen Landeskultur gerichteten Zielsetzung zwar auch auf Interessen der Allgemeinheit Rücksicht, doch diese sind den Interessen der Beteiligten nicht entgegengesetzt, nicht fremd. Die Ziele liegen vielmehr auch im Interesse der Betroffenen, denen durch die Flurbereinigung unter Zuteilung gleichwertiger Grundflächen eine wirtschaftlichere Betriebsführung ermöglicht werden soll. Der für die Enteignung kennzeichnende Gegensatz der Interessen fehlt hier somit (vgl. BVerwGE 1, 225). Die Rechtslage wird nicht dadurch geändert, daß im Rahmen der Flurbereinigung unter besonderen Voraussetzungen neben der Landabfindung Geldentschädigungen zu gewähren sind. Soweit der Geldausgleich als Zugabe zur Landabfindung für eine unvermeidbare Minderabfindung gegeben wird, steht er in einem derart engen Zusammenhang mit der Landabfindung, daß hierdurch die Interessenrichtung nicht aufgehoben wird. Die Geldabfindung erfolgt nicht im fremden Interesse, sondern ausschließlich mit dem Ziel, eine großräumige und zweckvolle Zusammenlegung der Grundstücke zu ermöglichen, die auch dem mit einer Geldabfindung Bedachten zugute kommen soll. Daher kann, wenn die sich aus § 44 Abs. 3 Satz 2 FlurbG selbst ergebenden Grenzen eingehalten werden, die Abfindung mit Geld keine Enteignung darstellen.