Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, Urteil vom 31.05.2022 - 6 K 1125/20 = VG Gelsenkirchen= Urteil vom 31. Mai 2022 – 6 K 1125/20= juris (Lieferung 2022)

Aktenzeichen 6 K 1125/20 Entscheidung Urteil Datum 31.05.2022
Gericht Verwaltungsgericht Gelsenkirchen Veröffentlichungen VG Gelsenkirchen = Urteil vom 31. Mai 2022 – 6 K 1125/20 = juris  Lieferung 2022

Leitsätze[Quelltext bearbeiten]

1. Ob in einem laufenden Flurbereinigungsverfahren die Bauaufsichtsbehörde einem Bauherrn in einem Baugenehmigungsverfahren die nicht erteilte und auch nicht zu erwartende Zustimmung der Flurbereinigungsbehörde nach § 34 Abs. 1 FlurbG entgegenhalten kann, richtet sich nach landesrechtlichen Vorschriften (hier: § 74 Abs. 1 BauO NRW).

(Redaktioneller Leitsatz)

Aus den Gründen

Die Beteiligten streiten über ein Bauvorhaben des Klägers auf dem Grundstück „Im O. …“ (H. X. –T., G. …, G1. …) und dem davor liegenden Wegegrundstück (G2. …) in X. Die zusammen gut drei Hektar großen, inmitten landwirtschaftlich genutzter Flächen gelegenen Grundstücke befinden sich seit Generationen im Familienbesitz und stehen inzwischen im Eigentum des Sohnes des Klägers. Auf dem Grundstück “Im O. …“ stehen ein Wohnhaus und weitere Gebäude auf; im Übrigen besteht es weitgehend aus Grünland. Nordöstlich der Gebäude ist ein Reitplatz angelegt. Die Gebäude und ein Teil der sonstigen Flächen sind derzeit an eine Dritte verpachtet, die hier wohnt und Pferde hält.

Im Dezember 2018 beantragte der Kläger die Erteilung der Baugenehmigung für die Errichtung einer Lagerhalle für Heu und Stroh und als Geräteunterstand. Das 28,45 m lange, 6,32 m breite und bis zu 5,615 m hohe Gebäude soll südlich des Wohnhauses, parallel zur Hofeinfahrt, angeordnet werden. Sein südliches Ende ragt um bis zu zwei Meter in den dort verlaufenden Weg (G2.....) hinein. In der beigefügten Betriebsbeschreibung für landwirtschaftliche Vorhaben ist eine zukünftige Betriebsfläche von insgesamt 4,71 ha (2,96 ha Eigentum, 1,75 ha Zupacht) angegeben.

Es sollen zehn Pensionspferde untergebracht werden. Die Jahreseinkünfte des Nebenerwerbsbetriebs sollen 14.000,- EUR betragen.


Mit Bescheid vom 11. Februar 2019 ordnete die Bezirksregierung X unter Anordnung der sofortigen Vollziehung die Flurbereinigung "O. " an, die sich unter anderem auch auf die Baugrundstücke erstreckt. In dem Bescheid wird darauf hingewiesen, dass Bauwerke nur mit Zustimmung der Flurbereinigungsbehörde errichtet, hergestellt, wesentlich verändert oder beseitigt werden dürfen (§ 34 Flurbereinigungsgesetz). Als Gründe für die Flurbereinigung werden Ziele der Agrarstrukturverbesserung benannt. Unter anderem wird ausgeführt, die Straße "Im O. " befinde sich teilweise in Privateigentum, was zu erschließungsrechtlichen Problemen führe. In einer E-Mail an die Bauaufsichtsbehörde vom 15. Februar 2019 erklärte die Flurbereinigungsbehörde, das Bauvorhaben des Klägers laufe den Zielen der Flurbereinigung zuwider. In einem Schreiben an die Beklagte vom 1. März 2019 hielt die Flurbereinigungsbehörde an ihren Bedenken fest. Zugleich erklärte sie, § 34 FlurbG stehe der Erteilung der Baugenehmigung nicht entgegen; erst deren Umsetzung bedürfe ihrer Zustimmung. Das Vorhaben des Klägers werde von ihr abgelehnt werden.


Mit E-Mail vom 1. März 2019 teilte die Landwirtschaftskammer mit, der Kläger sei ihr nicht als Landwirt bekannt. Sie benötige ein betriebswirtschaftliches Konzept mit sämtlichen Einnahmen und Ausgaben, aus dem die erstrebte Gewinnerzielung ersichtlich werde. Auf einen entsprechenden Hinweis hin legte der Kläger ein "betriebswirtschaftliches Konzept" vor, in dem der jährliche Ertrag mit 4.128,- EUR angegeben wird. Auf der Grundlage dieser Angabe erklärte die Landwirtschaftskammer unter dem 22. Mai 2019, es handele sich nicht um Voll- oder Nebenerwerbslandwirtschaft, sondern um Hobbytierhaltung, obwohl die als Futtergrundlage erforderlichen Flächen vorhanden seien. Im Übrigen stehe der Nachweis aus, dass für eine Landwirtschaft in dem geplanten Umfang ein weiteres Gebäude erforderlich sei.


Unter dem 28. Mai 2019 erklärte die Untere Naturschutzbehörde des Kreises V., sie habe angesichts der fehlenden Privilegierung, wegen des Standorts in unmittelbarer Nähe zur Hofallee und wegen der räumlichen Zuordnung zur Hofstelle Bedenken gegen das Vorhaben und könne eine landschaftsrechtliche Befreiung nicht in Aussicht stellen. Im Übrigen befinde sich auf dem Grundstück bereits ein ungenehmigter Reitplatz.


Mit Bescheid vom 17. Februar 2020 lehnte die Beklagte den Bauantrag mit der Begründung ab, es handele sich nicht um einen privilegierten landwirtschaftlichen Betrieb und das Vorhaben beeinträchtige öffentliche Belange. Zudem fehle eine gesicherte Erschließung, da die Straße "Am S. " weder dem öffentlichen Verkehr gewidmet, noch mit einer Baulast zugunsten der Baugrundstücke belastet sei.


Am 20. März 2020 hat der Kläger Klage erhoben, zu deren Begründung er ausführt:


Er habe nachgewiesen, dass es sich bei dem Vorhaben um Landwirtschaft und nicht um Hobbytierhaltung handele. Damit ließen sich Jahreseinkünfte von 14.000,- EUR erwirtschaften. Eine ausreichende Futtergrundlage sei gegeben. Es sei auch bereits ein landwirtschaftlicher Betrieb vorhanden. Die geplante Halle diene dem Betrieb, denn die Hofstelle sei derzeit für einen Pensionspferdebetrieb mit zehn Pferden nicht ausgelegt. Öffentliche Belange stünden dem Vorhaben nicht entgegen. Auch eine ausreichende Erschließung sei über die Straße "Im O. " gesichert. Das Fehlen einer Zustimmung der Flurbereinigungsbehörde dürfe dem Vorhaben nicht entgegen gehalten werden, da beide Verfahren nebeneinander stünden.


Der Kläger beantragt (schriftsätzlich),


die Ablehnung der Beklagten vom 17. Februar 2020, Az. 00903-18-18, aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihm die Baugenehmigung für die Errichtung einer Lagerhalle für Heu/Stroh und als Geräteunterstand zu erteilen


Die Beklagte beantragt,


die Klage abzuweisen.


Sie meint, es fehle bereits am Sachbescheidungsinteresse für den Bauantrag. Denn nachdem die Flurbereinigungsbehörde angekündigt habe, dass sie einer Verwirklichung des Vorhabens nicht zustimmen werde, bestehe keine Aussicht auf eine Umsetzung des Vorhabens. Der Bauantrag sei aber auch in der Sache nicht genehmigungsfähig. Denn auf dem Grundstück existiere kein landwirtschaftlicher Betrieb; bereits die Baugenehmigung für den Wohnhausumbau im Jahre 2004 sei auf dieser Grundlage erteilt worden. Auch fehle es an einer gesicherten Erschließung; die Straße "Am O. " sei nur über die Straße "Am S. " zu erreichen.


Mit Urteil vom 6. September 2021 (9a D 108/19.G) hat das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen eine Klage (unter anderem) des Klägers gegen die Einleitung des Flurbereinigungsverfahrens "O. " abgewiesen.


Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.


Der Ablehnungsbescheid der Beklagten vom 17. Februar 2020 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§113 Abs. 5 VwGO); der Kläger hat keinen Anspruch auf Erteilung der beantragten Baugenehmigung.


Eine Baugenehmigung ist gemäß § 74 Abs. 1 Bauordnung (BauO) NRW 2018 zu erteilen, wenn dem Vorhaben keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen. Vorliegend stehen dem Vorhaben indes bauplanungsrechtliche Vorschriften entgegen (dazu nachfolgend 1.). Es fehlt zudem auch an notwendigen fachbehördlichen Genehmigungen (dazu nachfolgend 2.).


1. Das zur Genehmigung gestellte Vorhaben verstößt gegen Bauplanungsrecht.


Grundlage der planungsrechtlichen Beurteilung ist § 35 Baugesetzbuch (BauGB). Denn die nicht im Geltungsbereich eines Bebauungsplans liegende Antragsfläche befindet sich ersichtlich außerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils im Sinne von § 34 Abs. 1 BauGB und damit im Außenbereich.


Es handelt sich nicht um ein privilegiertes Vorhaben nach § 35 Abs. 1 BauGB.


a) Dass die zur Genehmigung gestellte Halle einem landwirtschaftlichen Betrieb im Sinne von § 35 Abs, 1 Nr. 1 BauGB dient, lässt sich auf der Grundlage der Angaben des Klägers nicht feststellen.


Lässt sich nach alledem nicht feststellen, dass die geplante Halle einem landwirtschaftlichen Betrieb dient, so ist das Vorhaben als nicht privilegiertes Vorhaben schon gemäß § 35 Abs. 2 i.V.m. Abs. 3 Nr. 1 BauGB unzulässig, weil ihm eine Darstellung des Flächennutzungsplans ("Fläche für die Landwirtschaft") entgegensteht. Ob weitere öffentliche Belange beeinträchtigt sind, kann offen bleiben.


2. Unabhängig von den bauplanungsrechtlichen Einwänden besteht ein Anspruch auf Erteilung der begehrten Baugenehmigung derzeit auch deshalb nicht, weil fachbehördliche Genehmigungen für das Vorhaben fehlen.


Die Baugenehmigung bildet nach § 74 Abs. 1 BauO NRW den Abschluss der für die Verwirklichung eines Bauvorhabens erforderlichen Genehmigungs- und Befreiungsverfahren und stellt die öffentlich-rechtliche Zulässigkeit des Vorhabens umfassend fest. Fehlt eine für das Bauvorhaben erforderliche weitere Genehmigung, besteht kein Anspruch auf die Erteilung der Baugenehmigung (sog. “Schlusspunkttheorie'').


Vgl. OVG NRW, Urteile vom 11. September 2003 - 10 A 469/01 - und vom 30. Oktober 2009 - 10 A 1074/08 juris (dort Rn. 102 ff); Beschlüsse vom 27. Juni 2018 - 10 B 676/18 juris (Rn. 6 ff.) und vom 3. Dezember 2020 - 10 A 112/20 juris (Rn. 6 ff); Boeddinghaus/Hahn/Schulte, BauO NRW, Kommentar, § 74 Rn. 263 ff; Hüwelmeier, in: Spannowsky/Saurenhaus, BeckOK Bauordnungsrecht NRW, 10. Edition 1.2.2022, § 74 Rn. 50 ff., mit weiteren Nachweisen.


Im Falle des streitgegenständlichen Vorhabens fehlt es an einer Zustimmung der Flurbereinigungsbehörde. Gemäß § 34 Abs. 1 Nr. 2 Flurbereinigungsgesetz (FlurbG) dürfen von der Bekanntgabe des Flurbereinigungsbeschlusses bis zur Unanfechtbarkeit des Flurbereinigungsplans Bauwerke nur mit Zustimmung der Flurbereinigungsbehörde errichtet werden. Vorliegend ist der (mit sofortiger Vollziehung versehene) Beschluss über die Flurbereinigung "O. " im Februar 2019 bekannt gemacht worden. Die Klage des Klägers gegen diesen Beschluss hat das Oberverwaltungsgericht zudem mit Urteil vom 6. September 2021 (9a D 108/19.G) abgewiesen. Die Errichtung der Halle bedarf somit der Zustimmung der Flurbereinigungsbehörde. Diese Zustimmung liegt nicht vor. Ausweislich der Äußerungen der Behörde im Verfahren und weil gerade auch die Eigentumsverhältnisse an dem X3. …, auf dem ein Teil des streitgegenständlichen Gebäudes aufstehen soll, einen Grund für die Eröffnung des Flurbereinigungsverfahrens dargestellt haben, ist die Erteilung der Zustimmung im Übrigen auch nicht zu erwarten.


Nach den oben skizzierten Grundsätzen der "Schlusspunkttheorie" darf die Baugenehmigung folglich nicht erteilt werden. Der im Standardkommentar zum Flurbereinigungsgesetz vertretenen Auffassung, die Bauaufsichtsbehörde dürfe einem Bauvorhaben § 34 FlurbG nicht entgegen halten,


Wingerter/Mayr, vormals Seehusen/Schwede, FlurbereinigungsG, 10. Aufl. 2018,       § 34 Rn. 4,


vermag das Gericht sich für das nordrhein-westfälische Landesrecht nicht anzuschließen. Die Kommentierung beruft sich zur Begründung allein auf ein Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 18. März 1993 (GrS 1/92 - 1 B 90.3063). In diesem Grundsatzurteil hat der Große Senat des Gerichtshofs entschieden, dass die "Schlusspunkttheorie" im bayerischen Bauordnungsrecht keine Anwendung finde. Im nordrhein-westfälischen Bauordnungsrecht gilt indes - wie aufgezeigt - das Gegenteil, so dass die Entscheidung sich hier nicht fruchtbar machen lässt. Gründe, warum die Baugenehmigung abweichend von den Grundsätzen der Schlusspunktformel auch bei noch ausstehender Zustimmung der Flurbereinigungsbehörde soll erteilt werden müssen, vermag die Kammer nicht zu erkennen.


Neben der Zustimmung der Flurbereinigungsbehörde fehlt auch eine entsprechende Entscheidung der unteren Naturschutzbehörde….

Anmerkung

Vgl. hierzu die Ausführungen bei Wingerter/Mayr, FlurbG, 10. Aufl., zu § 34 Rz 4 sowie Bay VGH, Beschluss vom 18.03.1993, GrS 1/92- 1 B 90.3063