Flurbereinigungsgericht Kassel, Beschluss vom 19.11.1961 - QF III 86/61
Aktenzeichen | QF III 86/61 | Entscheidung | Beschluss | Datum | 19.11.1961 |
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Gericht | Flurbereinigungsgericht Kassel | Veröffentlichungen | Lieferung | N/A |
Leitsätze[Quelltext bearbeiten]
1. | Wird die Aufklärung der Grundstückseigentümer unterlassen, so ist der Flurbereinigungsbeschluß nicht deswegen nichtig. |
2. | Zur Fehlerhaftigkeit des Flurbereinigungsbeschlusses bei unterlassener Aufklärung. |
Aus den Gründen
Die Klägerin ist der Ansicht, ihre Klage sei schon deshalb offensichtlich begründet, weil der Flurbereinigungsbeschluß wegen Verletzung der zwingenden Vorschrift des § 5 Abs. 1 FlurbG fehlerhaft, ja sogar nichtig sei. Demgegenüber meint der Beklagte, dieser Mangel sei durch die nachträgliche Anhörung geheilt, und die Klage sei daher unbegründet. Der Senat hat Bedenken, die damit aufgeworfenen schwierigen Fragen in diesem Stadium des Verfahrens, d.h. vor restloser Klärung aller Umstände und vor einer bisher fehlenden eingehenden Stellungnahme der Parteien dazu, in dem einen oder dem anderen Sinne zu entscheiden.
Der Senat ist allerdings der Ansicht, daß der Flurbereinigungsbeschluß trotz der Verletzung des § 5 Ziff.1 FlurbG nicht als nichtig, d.h. als auch ohne Anfechtung unwirksam, angesehen werden kann. Der Flurbereinigungsbeschluß ist von der dafür zuständigen Behörde in einem vom Flurbereinigungsgesetz geregelten Verfahren erlassen worden. Es mangelt allerdings an einer gesetzlich vorgeschriebenen Voraussetzung, nämlich an der vorherigen Aufklärung der voraussichtlich beteiligten Grundstückseigentümer. Dieser Mangel kann jedoch nicht die Unwirksamkeit des Verwaltungsakts auch ohne Anfechtung zur Folge haben. Der IV. Senat des Hess. VGH hat in seinem Urteil vom 30.9.1960 (DÖV 61/515) ausgesprochen, daß sogar gesetzlose Verwaltungsakte, die also nicht auf der Grundlage einer gültigen Rechtsnorm ergangen sind, nur dann als nichtig anzusehen sind, wenn der schwere Mangel, der seine Ursache in der Machtüberschreitung der Behörde hat, offenkundig ist. Hierzu wird in Schrifttum und Rechtsprechung die Meinung vertreten, daß jedenfalls dann, wenn vernünftigerweise Zweifel darüber bestehen konnten, ob die angenommene Rechtsgrundlage gültig oder ungültig ist, schon aus Gründen der Rechtssicherheit von einer völligen Unbeachtlichkeit (Nichtigkeit) nicht die Rede sein könne (s. Bachof, VerwRSpr. Bd. 5 S. 57; Hess. VGH, Urteil vom 29.4.1953, ESVGH Bd. 2 S. 160/164).
Immerhin ist es aber sehr zweifelhaft, ob der angegriffene Flurbereinigungsbeschluß infolge seines Mangels mit Rücksicht auf den Inhalt und Zweck der Bestimmung des § 5 Abs. 1 FlurbG als derart fehlerhaft anzusehen ist, daß er auf Grund der Anfechtung aufgehoben werden müßte, ohne daß die Möglichkeit bestände, den Mangel durch nachträgliche Erfüllung der Vorschrift des § 5 Abs. 1 zu beheben. Manches spricht dafür, in dieser Weise zu verfahren. Daß der bezeichneten, im Gesetz als zwingende Vorschrift formulierten Bestimmung eine wesentlich größere Bedeutung zukommt, als ihrem bloßen Wortlaut zu entnehmen ist, ist in dieser Rechtslehre anerkannt (vgl. Steuer, Komm., FlurbG zu § 5 Anm. 3 und 7; Seehusen-Schwede-Nebe, Komm. zum FlurbG zu § 4 und § 5). Wenn in § 5 Abs. 1 FlurbG vorgeschrieben ist, daß vor der Anordnung der Flurbereinigung die voraussichtlich beteiligten Grundeigentümer in geeigneter Weise eingehend über das geplante Flurbereinigungsverfahren einschließlich der voraussichtlich entstehenden Kosten aufzuklären sind, so soll diese Aufklärung nicht lediglich zu dem Zweck erfolgen, um die voraussichtlich Beteiligten für die geplante Maßnahme zu gewinnen, sondern auch um durch die Erörterung mit den Beteiligten die notwendigen Unterlagen für die Beurteilung ihres Interesses an der Flurbereinigung (§ 4 FlurbG) zu erhalten (vgl. BVerwG, Urteil vom 3.3.1959, BVerwGE 8, 197). Die Anhörung ist also nicht lediglich ein formelles Erfordernis für den Erlaß des Verwaltungsakts. Sie ist vielmehr als mitbestimmend für die Ermessensentscheidung der Behörde anzusehen, ob sie das wohlverstandene Interesse der Beteiligten bejahen und die Flurbereinigung anordnen will oder nicht. Es bestehen insoweit berechtigte Zweifel, ob diese Voraussetzung noch nach Erlaß des Flurbereinigungsbeschlusses wirksam nachgeholt werden kann, weil regelmäßig später nicht mehr festzustellen ist, ob die Flurbereinigungsbehörde bei Kenntnis der geäußerten Einwendungen die Flurbereinigung dann auch tatsächlich angeordnet oder ob sie die Anordnung vielleicht noch zurückgestellt hätte. Gegen die Möglichkeit einer Nachholung der "Aufklärung" könnte ferner der Umstand sprechen, daß ihr mit Rücksicht auf die notwendige Mitwirkung der Teilnehmer an der Flurbereinigung und wegen der besonderen Bedeutung der Teilnehmergemeinschaft nach den Bestimmungen des Flurbereinigungsgesetzes ein ganz wesentliches Gewicht zukommt. Die Zulassung einer nachträglichen Anhörung dürfte endlich dem Gedanken der Flurbereinigung als der gerade heute besonders wichtigen strukturellen Maßnahme zur Steigerung der landwirtschaftlichen Erzeugung nicht gerade förderlich sein.
Andererseits ist aber auf folgendes hinzuweisen: Gemäß § 79 Abs. 1 Ziff. 1 VwGO ist Gegenstand der Anfechtungsklage der ursprüngliche Verwaltungsakt in der GestaIt, die er durch den Widerspruchsbescheid gefunden hat. Wenn also der dem Verwaltungsakt anhaftende Mangel bis zum Widerspruchsbescheid behoben ist, so könnte insoweit die (hier zunächst unterbliebene) Anhörung als vor Erlaß des den Gegenstand der Anfechtungsklage bildenden Verwaltungsakts vorgenommen betrachtet werden. Dagegen mag allerdings eingewendet werden, daß der Verwaltungsakt im vorliegenden Fall durch den Widerspruchsbescheid, in dem lediglich der Widerspruch zurückgewiesen worden ist - wenigstens äußerlich - keine andere Gestaltung gefunden hat. Im Verwaltungsrecht ist jedoch (so z.B. im Wohnungsrecht) der Grundsatz anerkannt, daß eine Eingriffsmaßnahme - auch die Flurbereinigung stellt einen Eingriff in das Eigentum dar - die im Zeitpunkt des Erlasses unzulässig war, aber im Laufe des Verfahrens zulässig wurde, im Widerspruchsbescheid bestätigt werden kann. Eine Anfechtungsklage ist dann erfolglos, es sei denn, daß ein Rechtsschutzinteresse an der Feststellung besteht, daß der Eingriff im Zeitpunkt des Erlasses des Erstaktes unzulässig war (vgl. Eyermann - Fröhler, VwGO zu § 113 S. 477). Es werden auch folgende Erwägungen zu beachten sein: In der Rechtslehre scheint sich gerade bei der Betrachtung von Verwaltungsakten mit fortdauernder Wirkung - um einen solchen handelt es sich hier - mehr und mehr der Gedanke durchzusetzen, daß das Gericht in dem Falle, daß sich die Sach- oder Rechtslage zwischen dem Erlaß des Verwaltungsakts und dem Erlaß des Widerspruchsbescheides ändert, die veränderte Lage bei Erlaß des Widerspruchsbescheides dem Urteil zugrunde zu legen hat (vgl. Ule, Verwaltungsgerichtsbarkeit, zu § 108 S. 302 mit Fundstellen; Köhler, VwGO, S. 870). Sollten diese allerdings durchaus nicht einheitlich anerkannten Grundsätze (vgl. Ule aaO, S. 301 - 302 mit Fundstellen) auch in vorliegender Sache Platz greifen können, so dürfte die Anfechtungsklage, soweit sie sich auf den von der Flurbereinigungsbehörde begangenen Verstoß gegen § 5 Abs. 1 FlurbG stützt, keinen Erfolg versprechen. Für diese Art der Betrachtung spricht übrigens auch die Erwägung, daß die obere Flurbereinigungsbehörde nicht gehindert ist, den Verwaltungsakt jederzeit neu zu erlassen. Der bisher gerügte Mangel der vorherigen Aufklärung könnte dann wohl nicht mehr geltend gemacht werden.