Flurbereinigungsgericht München, Beschluss vom 28.12.1994 - 13 AS 94.3195 = RdL 1995 S. 111
Aktenzeichen | 13 AS 94.3195 | Entscheidung | Beschluss | Datum | 28.12.1994 |
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Gericht | Flurbereinigungsgericht München | Veröffentlichungen | = RdL 1995 S. 111 | Lieferung | N/A |
Leitsätze[Quelltext bearbeiten]
1. | Das Flurbereinigungsgericht macht von der Änderungsbefugnis nach § 80 Abs. 7 Satz 1 VwGO Gebrauch, nachdem die wasserwirtschaftlichen Auswirkungen des Wegebaus im vorausgegangenen Verfahren nicht im erforderlichen prüfungsfähigen Umfang dargestellt worden waren. |
2. | Die Planfeststellungsbehörde ist aus Rechtsgründen nicht gehindert, eine Planungsmaßnahme nicht nur im Wege einer abschnittsweisen Planfeststellung sondern auch dadurch zu verwirklichen, daß sie ihrer Natur nach abtrennbare Planungsentscheidungen einer ergänzenden Planfeststellung vorbehält. |
3. | Eine grundsätzlich zulässige fachlich-sektorale Gliederung rechtfertigt eine Anordnung nach § 36 in Verbindung mit § 42 Abs. 1 Satz 2 FlurbG zur Besitzregelung auf einer Wegetrasse dann nicht, wenn erst ein weiterer Planfeststellungsabschnitt zur erforderlichen Problembewältigung (Entwässerung) führt. |
Aus den Gründen
Mit vorläufiger Anordnung vom 11.05.1994 entzog die Antragsgegnerin nach § 36 FlurbG dem Antragsteller Besitz und Nutzung von Teilen der Flurstücke 72 und 588 Gemarkung H. insoweit, als diese Flächen für den Bau der Wege BM-Nrn. 116 424, 116 467 und 116 491 benötigt werden. Gleichzeitig verfügte sie den sofortigen Vollzug des Bescheides.
Den hiergegen am 18.05.1994 gestellten Antrag nach § 80 Abs. 5 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -, die aufschiebende Wirkung des Widerspruches vom gleichen Tage wieder herzustellen, wies das Gericht durch Beschluß vom 08.08.1994 ab. Mit Schreiben vom 12.09.1994 stellten die Bevollmächtigten des Antragstellers Antrag nach § 80 Abs. 7 VwGO.
Das Änderungsbegehren nach § 80 Abs. 7 VwGO hat Erfolg.
Der Antragsteller kann allerdings seinen Antrag nicht auf § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO stützen, denn im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachte Umstände stehen seinem Änderungsantrag nicht zur Seite. Die streitgegenständliche Anordnung nach § 36 FlurbG vom 11.05.1994 bezog sich auf den Planfeststellungsbescheid der vormaligen Flurbereinigungsdirektion B. vom 03.09.1993, der ebenso wie der dazugehörige Plan Gegenstand des Antragsverfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO war, dem Gericht vorlag und damit spätestens im gerichtlichen Verfahren hätte eingesehen werden können.
Das Gericht ist jedoch nach Maßgabe des § 80 Abs. 7 Satz 1 VwGO von Amts wegen zu einer Abänderung der ursprünglichen Entscheidung berechtigt. Es macht von dieser Änderungsbefugnis Gebrauch, nachdem die wasserwirtschaftlichen Auswirkungen des Wegebaus im fraglichen Bereich im vorausgegangenen Verfahren weder vom Antragsteller noch von der Antragsgegnerin im erforderlichen prüfungsfähigen Umfang dargestellt worden waren, es hierauf aber entscheidungserheblich ankommt. Das ist erst jetzt geschehen, weshalb die Änderungsvoraussetzungen des § 80 Abs. 7 Satz 1 VwGO vorliegen (vgl. Kopp, VwGO, Anm. 107 f. zu § 80). Prozessualer Prüfungsmaßstab bei einer Entscheidung nach § 80 Abs. 7 VwGO ist § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO. Maßgeblich sind dieselben materiellen Gesichtspunkte, wie sie im Falle eines erstmaligen Antrages nach § 80 Abs. 5 Satz 1 zu gelten hätten (BVerwG vom 21.07.1994, BayVBl. 1994, 1197 mit weiteren Nachweisen).
Für die Entscheidung des Gerichts über das vorliegende Begehren ist mithin wesentlich, ob das für die Anordnung erforderliche gemeinschaftliche Interesse die Belange des Antragstellers überwiegt; das ergibt sich aus dem Zusammenhang zwischen den Vorschriften in Abs. 2 und Abs. 5 des § 80 VwGO. Nachdem die Anordnung des sofortigen Vollzugs ein besonderes Interesse an der Durchführung des Verwaltungsaktes voraussetzt und § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO gerade die einstweilige Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsaktes, ungeachtet des in der Hauptsache selbst noch bestehenden Schwebezustandes, ermöglichen soll, ist über die Frage, ob ein Interesse im Sinne der genannten Bestimmung besteht, unabhängig von den Erfolgsaussichten des Rechtsmittels durch Abwägung der gegenläufigen berechtigten Interessen im Lichte eines effektiven Rechtsschutzes gemäß Art. 19 des Grundgesetzes (BVerfGE 35, 263/272 ff.; 46, 166/178) zu entscheiden, es sei denn, der sichere Erfolg oder die völlige Aussichtslosigkeit des Rechtsmittels liegt klar auf der Hand.
Die so vorzunehmende Gegenüberstellung der jeweiligen Belange fällt zuungunsten der Antragsgegnerin aus. Die Besitz- und Nutzungsregelung vom 11.05.1994 begegnet nämlich ernstlichen Bedenken, als nunmehr zweifelhaft ist, ob die gesetzlichen Voraussetzungen des § 42 Abs. 1 Satz 2 FlurbG vorliegen.
Nach § 36 FlurbG kann die Antragsgegnerin bereits vor der Ausführung des Flurbereinigungsplanes eine Besitz- und Nutzungsregelung im Wege einer vorläufigen Anordnung treffen, wenn dringende Gründe sie erfordern. Da im vorliegenden Fall der Vorausbau der Wege den Grund der besitzentziehenden Anordnung bildete, mußten dessen Voraussetzungen bei Erlaß der Anordnung gegeben sein. Das setzte die Anordnung auch deshalb voraus, weil sie nur aus dringenden Gründen ergehen kann. Einwendungen gegen die Rechtmäßigkeit der Planungsgrundlagen nach § 41 FlurbG, die den Bestand der auszuführenden Planung berühren, lassen die für den Vorausbau maßgeblichen Gründe an Gewicht verlieren und stellen sie in Frage. Es kann deshalb in der Regel keinen dringenden Grund im Sinne des § 36 FlurbG für einen Vorwegausbau geben, wenn gewichtige, aus dem formellen oder materiellen Recht sich ergebende Zweifel an der Recht- und Zweckmäßigkeit der Planungsergebnisse in Form der Planfeststellung bestehen (vgl. BayVGH vom 02.12.1975, RdL 1976, 131 und ständige Rechtsprechung). Insoweit erscheint es hier jedoch fraglich, ob der Planfeststellungsbeschluß vom 03.09.1993 ausreichende Grundlage der Anordnung der Antragsgegnerin vom 11.05.1994 ist.
Ihren Zielsetzungen (vgl. für das Flurbereinigungsverfahren: § 39 ff. FlurbG) wird die Planfeststellung nur durch eine umfassende Problem- und Konfliktbewältigung gerecht, der die Behörde in der Weise Rechnung trägt, daß sie die von der Planung berührten öffentlichen und privaten Belange gegeneinander und untereinander angemessen abwägt (Abwägungsgebot, BVerwG vom 21.10.1968, DÖV 1969, 503 und ständige Rechtsprechung). Das Abwägungsgebot ordnet damit für die planfeststellende Behörde einen Ermittlungs-, Bewertungs- und Entscheidungsvorgang an, der sich u. a. auch darauf erstreckt, ob bei einer umfassenden Planungsmaßnahme das verfolgte Planungsziel in Teilabschnitten verwirklicht und planungsrechtlich durch abschnittsweise Planfeststellung erreicht werden kann (BVerwG vom 01.09.1965, DÖV 1966, 134 und ständige Rechtsprechung). Der abschnittsweisen Planung muß dabei ein Gesamtplanungskonzept zugrunde liegen, weil dem Abwägungsgebot nur dann entsprochen wird, wenn die Teilplanfeststellungen der Sache nach eine einheitliche, dem Grundsatz der umfassenden Problembewältigung gerecht werdende Planungsentscheidung ergeben (BVerwGE 57, 297/301 ff.; BVerwG vom 26.06.1992, NVwZ 1993, 572). Diese vornehmlich zur straßenrechtlichen Planfeststellung entwickelten Grundsätze gelten ebenso in Anwendung des Flurbereinigungsgesetzes (vgl. OVG Koblenz vom 12.05.1981, RdL 1981, 241), wie auch die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts für das abschnittsweise Vorgehen bei einer Weinbergflurbereinigung bestätigt (BVerwG vom 06.03.1961, RdL 1961, 136). Für andere ihrem Wesen nach abtrennbare Planungsentscheidungen kann aber vom Grundsatz her nichts anderes gelten. Die Planfeststellungsbehörde ist deshalb aus Rechtsgründen wohl nicht gehindert, eine Planungsmaßnahme nicht nur im Wege einer abschnittsweisen Planfeststellung sondern auch dadurch zu verwirklichen, daß sie ihrer Natur nach abtrennbare Planungsentscheidungen einer ergänzenden Planfeststellung vorbehält (BVerwG vom 22.03.1973, DÖV 1973, 785).
Ob sich damit auch eine zeitlich gestufte fachliche Aufspaltung des Planes nach § 41 FlurbG als rechtmäßig erweisen kann, bejaht Quadflieg (FlurbG, Anm. 153 zu § 41), bemerkt jedoch, daß derartige Gliederungen möglichst vermieden und wegen des besonderen Sachzusammenhangs der gemeinschaftlichen und öffentlichen Anlagen auf besonders gelagerte Fälle beschränkt werden sollten. Aber auch eine zulässige fachlich-sektorale Gliederung rechtfertigt eine Anordnung nach § 36 i. V. m. § 42 Abs. 1 Satz 2 FlurbG dann nicht, wenn erst der weitere noch nicht ergangene Planfeststellungsabschnitt zur erforderlichen Problembewältigung führt. Erst dann nämlich ist dem Grundsatz der umfassenden Planabwägung entsprochen und liegen die Voraussetzungen für den Vorausbau vor. So aber stellt sich die Streitsache dar.
Die Errichtung der Wege wirft wasserwirtschaftliche Fragen auf, die im Planfeststellungsbescheid vom 03.09.1993 nicht angesprochen und auch keiner Lösung zugeführt worden sind.
Die planungsrechtliche Zulässigkeit des Weges wird damit bedingt durch die Lösung der durch ihn aufgeworfenen wasserwirtschaftlichen Probleme. Wegebau und wasserwirtschaftliche Maßnahmen greifen hier ineinander; sie lassen sich problemgerecht nicht voneinander gelöst betrachten, erst die Gesamtschau ermöglicht die notwendige Prüfung. Der bisher nicht festgestellte wasserwirtschaftliche Teil der Planfeststellung wird klären müssen, welche Anlagen als sachlich erforderlich und technisch durchführbar der umfassenden Konfliktbewältigung gerecht werden. Erst mit ihm beantwortet sich die Frage nach der ausreichenden Abwägung aller von der Maßnahme Wegebau berührten öffentlichen und privaten Belange. Solange diese Planungssicherheit nicht feststeht, sind Zweifel an der Dringlichkeit des Besitzentzuges begründet.
In Gegenüberstellung der nach § 80 Abs. 5 VwGO zu betrachtenden gegenläufigen Interessen von Antragsteller und Antragsgegnerin war deshalb der gerichtliche Beschluß vom 08.08.1994 mit Wirkung ex nunc (Kopp a.a.O., Anm. 116 zu § 80 m. w. N.) abzuändern.