Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 04.02.1991 - 5 B 91.90 = RdL 1991 S. 67= AgrarR 1991 S. 346= NuR 1992 S. 78= NVwZ 1992 S. 786
Aktenzeichen | 5 B 91.90 | Entscheidung | Beschluss | Datum | 04.02.1991 |
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Gericht | Bundesverwaltungsgericht | Veröffentlichungen | = RdL 1991 S. 67 = AgrarR 1991 S. 346 = NuR 1992 S. 78 = NVwZ 1992 S. 786 | Lieferung | N/A |
Leitsätze[Quelltext bearbeiten]
1. | Handelt es sich bei einem landwirtschaftlich genutzten Grundstück um sogenanntes begünstigtes Agrarland, kann eine von der Regel des § 28 Abs. 1 Satz 1 FlurbG abweichende Grundstücksbewertung geboten sein. |
2. | Die Überprüfung eines Bebauungsplanes im Rahmen des Wertermittlungsrechtsstreits durch das Flurbereinigungsgericht ist grundsätzlich nur dann geboten, wenn Zweifel an dessen Gültigkeit bestehen. |
Aus den Gründen
Die vom Kläger aufgeworfene Frage, "wann von der Regel des § 28 Abs. 1 Satz 1 FlurbG abzuweichen ist und ob dies insbesondere bei erheblicher Überschreitung des landwirtschaftlichen Nutzwerts durch den Verkehrswert anzunehmen ist", bedarf mit Rücksicht auf die bereits ergangene Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts keiner weiteren Klärung in einem künftigen Revisionsverfahren. Nach dieser Rechtsprechung ist ein Abweichen von dem Nutzungswert als dem in § 28 Abs. 1 Satz 1 FlurbG für den Regelfall bestimmten Bewertungsmaßstab dann geboten, wenn das nach dieser Vorschrift zu bewertende Grundstück Eigenschaften besitzt, die im Nutzungswert nicht zum Ausdruck kommen. Hierbei muß es sich aber um solche Eigenschaften handeln, die zu den in § 44 Abs. 2 zweiter Halbsatz FlurbG als für den Tauschvorgang maßgeblich bezeichneten Wertfaktoren rechnen. Danach sind alle Umstände zu berücksichtigen, die auf den Ertrag, die Benutzung und die Verwertung des Grundstücks wesentlichen Einfluß haben. Zu den in diesem Sinne wesentlichen Umständen gehören allerdings nur solche tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse, die das Grundstück selbst kennzeichnen, nicht dagegen auch Umstände, die nur mittelbar einen Einfluß auf seine Bewertung auszuüben vermögen. Auch muß es sich bei den konkreten, das Grundstück auszeichnenden Eigenschaften um wertbegründende Umstände handeln. Bloß wertsteigernde Umstände reichen deshalb nicht aus (Urteil vom 14.02.1963 - BVerwG 1 C 56.61 <Buchholz 424.01 § 44 FlurbG Nr. 14 S. 3 = RdL 1963, 249/250>; Beschluß vom 20.11.1989 - BVerwG 5 B 135.88).
Diese Rechtslage hat nach wie vor praktische Bedeutung. Zwar kann die - wertbildende - Eigenschaft eines Grundstücks als Bauland oder Bauerwartungsland eine Ausnahme von der Regel des § 28 Abs. 1 Satz 1 FlurbG nicht mehr begründen, seitdem die Wertermittlung für derartige Grundstücke durch das Gesetz zur Änderung des Flurbereinigungsgesetzes vom 15.03.1976 (BGBl. l S. 533) in den Anwendungsbereich des § 29 Abs. 1 FlurbG einbezogen worden ist. Die Anpassung an das allgemeine Bewertungsrecht, die mit der Neufassung des § 29 Abs. 1 FlurbG beabsichtigt war (BT-Drucks. 7/3020 S. 24 zu Nr. 19), sollte indessen für die Zukunft auch im Rahmen des § 28 FlurbG gewährleistet sein (BT-Drucks. a.a.O. S. 24 zu Nr. 18). In diesem Zusammenhang heißt es in der Begründung zum Regierungsentwurf des Änderungsgesetzes, angesichts "der wachsenden Verflechtung der landwirtschaftlichen und außerlandwirtschaftlichen Bodennutzung nehmen die Bedeutung und der Umfang von Grundstücken mit einem über den landwirtschaftlichen Verkehrswert hinausgehenden Wert ständig zu. Das Flurbereinigungsgesetz enthält keine Bestimmung über die Art der Wertermittlung derartiger Grundstücke. Für die Wertermittlung werden die im Zusammenhang mit dem Bundesbaugesetz entwickelten Grundsätze herangezogen" (BT-Drucks. wie vor; zu den Schwierigkeiten und Bedürfnissen der Praxis s. auch Hahn, Die Schätzungsmethoden der Flurbereinigung in den deutschen Ländern und im benachbarten Ausland, 1961, S. 41; Seehusen/Schwede, FlurbG, 4. Aufl. 1985, § 29 RdNr. 31). Vor diesem Hintergrund kann bei Anwendung des § 28 Abs. 1 Satz 1 FlurbG nicht unberücksichtigt bleiben, daß im allgemeinen Bewertungsrecht für die Wertermittlung land- und forstwirtschaftlich genutzter oder nutzbarer Grundstücke seit langem zwei Kategorien von Flächen unterschieden werden, nämlich einmal als sogenanntes reines Agrarland Flächen, von denen nicht anzunehmen ist, daß sie nach ihren Eigenschaften, der sonstigen Beschaffenheit und Lage, nach ihren Verwertungsmöglichkeiten oder den sonstigen Umständen in absehbarer Zeit anderen als ausschließlich land- oder forstwirtschaftlichen Zwecken dienen werden, und zum anderen als sogenanntes begünstigtes Agrarland Flächen, die sich, insbesondere wegen ihrer landschaftlichen und verkehrlichen Lage oder wegen ihrer Nähe zu verdichteten Siedlungsgebieten, auch für andere, nicht bauliche Nutzungen eignen, für die im gewöhnlichen Geschäftsverkehr eine dahingehende Nachfrage besteht und für die eine Änderung der zulässigen Nutzung nicht zu erwarten ist (s. dazu Dieterich in Ernst/Zinkahn/Bielenberg, Bundesbaugesetz, § 142 RdNrn. 67 f. <Stand: Juni 1980>). Maßgebend für diese Abgrenzung, die jetzt auch in § 4 Abs. 1 Nm. 1 und 2 der Verordnung über Grundsätze für die Ermittlung der Verkehrswerte von Grundstücken (Wertermittlungsverordnung - WertV) vom 06.12.1988 (BGBl. l S. 2209) ihren Niederschlag gefunden hat, ist der unterschiedliche Entwicklungszustand der genannten Flächen, der regelmäßig dazu führt, daß begünstigtes Agrarland im Wert über dem Wert von reinem Agrarland liegt (vgl. zu § 4 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 WertV BR-Drucks. 352/88 S. 37). Da Zustand und Entwicklung von Grund und Boden (so die Überschrift des § 4 WertV) im Verständnis der eingangs wiedergegebenen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts das jeweilige Grundstück selbst kennzeichnen, handelt es sich bei den Nutzungsmerkmalen, wie sie nunmehr in § 4 Abs. 1 Nr. 2 WertV umschrieben sind, um wertbegründende Umstände. Deshalb kann, wenn solche Umstände vorliegen, eine von der Regel des § 28 Abs. 1 Satz 1 FlurbG abweichende Grundstücksbewertung geboten sein.
Dem Beschwerdevorbringen ist nicht zu entnehmen, daß das vom Kläger in das Verfahren eingebrachte Flurstück 402 Merkmale der vorbezeichneten Art aufweisen könnte. Denn dieses Vorbringen beschränkt sich auf den Vortrag, das genannte Grundstück liege am Ortsrand und besitze deshalb einen Verkehrswert, der mindestens das Doppelte des üblichen landwirtschaftlichen Preises betrage. Daß das Einlageflurstück 402 die Eigenschaft begünstigten Agrarlandes habe, ist damit nicht dargelegt. Insbesondere fehlen substantiierte Ausführungen dazu, daß sich dieses Grundstück auch für außerlandwirtschaftliche Nutzungen eigne und daß im gewöhnlichen Geschäftsverkehr eine dahingehende Nachfrage bestehe. Die Beurteilung des Flurbereinigungsgerichts auf S. 11 seines Urteils legt - jedenfalls in letzterer Hinsicht - eher eine entgegengesetzte Annahme nahe.
Die vom Kläger weiter für klärungsbedürftig gehaltene Frage, "ob das Flurbereinigungsgericht die Wirksamkeit von Bebauungsplänen überprüfen muß, wenn es diese der Wertfeststellung zugrunde legt", gibt der Rechtssache ebenfalls keine grundsätzliche Bedeutung. Wie der beschließende Senat schon früher ausgeführt hat, gehört es seit jeher zur richterlichen Prüfungskompetenz, auch die Gültigkeit einer Rechtsnorm, insbesondere ihre Vereinbarkeit mit höherem Recht zu überprüfen, sofern es für den Ausgang des Rechtsstreits hierauf ankommt. Daran hat sich durch die Zulassung der abstrakten Normenkontrolle des § 47 VwGO nichts geändert (Urteil vom 09.12.1982 - BVerwG 5 C 103.81 <Buchholz 310 § 43 VwGO Nr. 78 S. 16 = NJW 1983, 2208> mit Hinweis auf BVerwGE 58, 299 <301> und Kopp, VwGO, 5. Aufl. 1981, § 47 RdNr. 5). Das Flurbereinigungsgesetz enthält in den §§ 138 ff. keine Regelung, aus der sich für das flurbereinigungsgerichtliche Verfahren Abweichendes ergeben könnte. Auch das Flurbereinigungsgericht war deshalb zur Überprüfung des das Einlageflurstück 474 des Klägers erfassenden Bebauungsplanes verpflichtet. Allerdings hätte ein Eintreten in diese Überprüfung vorausgesetzt, daß das Flurbereinigungsgericht Anlaß hatte, an der Gültigkeit des Bebauungsplanes zu zweifeln. Dafür ist nichts ersichtlich. Entgegen den Ausführungen im Schriftsatz des Klägers vom 08.01.1991 hat das Flurbereinigungsgericht keine Feststellung dahin getroffen, daß die Festsetzung des klägerischen Einlagegrundstücks als Fläche für die Landwirtschaft zur Verhinderung des Kiesabbaus und damit aus ökologischen Gründen erfolgt ist; es hat vielmehr lediglich aus der genannten Festsetzung gefolgert, daß der Abbau von Kies auf dem Grundstück 474 unzulässig sei. Auch der Kläger selbst hat im flurbereinigungsgerichtlichen Verfahren zu keinem Zeitpunkt geltend gemacht, daß der oben angeführte Bebauungsplan hinsichtlich des Flurstücks 474 unwirksam sei.