Flurbereinigungsgericht Mannheim, Beschluss vom 06.11.1975 - VII 1246/75
Aktenzeichen | VII 1246/75 | Entscheidung | Beschluss | Datum | 06.11.1975 |
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Gericht | Flurbereinigungsgericht Mannheim | Veröffentlichungen | Lieferung | N/A |
Leitsätze[Quelltext bearbeiten]
1. | Bei der Abwägung des gegenseitigen Interesses im Sinne des § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO ist zu berücksichtigen, daß wegen des Grundsatzes der wertgleichen Landabfindung in der Flurbereinigung anders als im Enteignungsverfahren die Grundstücke der Antragsteller - von dessen Gebrauchszweck her gesehen - nicht "vernichtet" werden, sondern auch im Falle einer vorläufigen Anordnung nach § 36 FlurbG nur eine das Recht auf Eigentum gewährleistende Besitzregelung für einen begrenzten Zeitraum zu dem ausschließlichen Zweck vorgenommen wird, während dieser Zeit den ländlichen Grundbesitz nicht nur durch Zusammenlegung, sondern auch z. B. durch Planierungen und andere Bodenverbesserungsmaßnahmen sowie durch den Bau gemeinschaftlicher Anlagen so zu gestalten, daß die Grundlagen der Wirtschaftsbetriebe verbessert, der Arbeitsaufwand vermindert und die Bewirtschaftung erleichtert werden. |
Aus den Gründen
1. Der Antrag ist statthaft (§ 80 Abs. 5 VwGO) und auch im übrigen zulässig.
2. Der Antrag ist jedoch nicht begründet.
Bei der Prüfung, ob die Anordnung der sofortigen Vollziehung rechtmäßig und aufrechtzuerhalten ist, bedarf es der Abwägung zwischen dem öffentlichen und dem Interesse Dritter an der sofortigen Vollziehung und dem Interesse der Antragsteller an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung. Dabei ist davon auszugehen, daß die in der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs liegende Sicherung vorläufigen Rechtsschutzes zu den wesentlichen Elementen des Rechtsschutzes überhaupt gehört (vgl. BVerwG, Beschluß vom 29.4.1974 - IV C 21.74 - DÖV 1974, 422) und daß im Hinblick auf die Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes i. S. des Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz für die Betroffenen ein elementares Interesse an der Vermeidung der Schaffung vollendeter Tatsachen besteht, die auch dann nicht oder gegebenenfalls nur schwer wieder rückgängig gemacht werden können, wenn die Betroffenen mit ihrem Rechtsmittel letzten Endes Erfolg haben. Aus diesem Grunde setzt die Anordnung der sofortigen Vollziehung ein besonderes öffentliches Interesse voraus, das über jenes Interesse hinausgehen muß, das den Verwaltungsakt selbst rechtfertigt (BVerwG a.a.O. mit weiteren Nachweisen). Ein solches besonderes öffentliches Interesse ist allerdings nach ständiger Rechtsprechung aller Verwaltungsgerichte regelmäßig dann anzuerkennen, wenn sich bereits im Verfahren auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung erkennen läßt, daß die gegen den Verwaltungsakt eingelegten Rechtsbehelfe im Ergebnis keine Aussicht auf Erfolg haben können. Denn an der alsbaldigen Vollziehung eines von den Betroffenen offensichtlich zu Unrecht angegriffenen Verwaltungsakts wird in der Regel ein besonderes öffentliches Interesse bestehen, wie sich umgekehrt das überwiegende Interesse der Betroffenen an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihres Rechtsbehelfs in aller Regel schon aus dem Umstand ergibt, daß der Rechtsbehelf offensichtlich begründet ist.
Vorliegend waren die Erfolgsaussichten der Klage der Antragsteller gegen die vorläufige Anordnung des Flurbereinigungsamts F. vom 14.1.1975 zunächst zwar weder in dem einen noch in dem anderen Sinne offensichtlich. Nachdem der erkennende Senat - als letzte Tatsacheninstanz - ihre Klage jedoch mit am 6.11.1975 verkündetem Urteil als unbegründet abgewiesen und die Revision nicht zugelassen hat, dieses Urteil jedoch noch nicht rechtskräftig ist, steht einem etwaigen Interesse an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung schon hinreichend entgegen, daß nicht abzusehen ist, ob eine etwaige Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision und gegebenenfalls die Revision Erfolg haben werden (BVerwG, Beschluß vom 14.11.1972 - IV C 49.72 = Buchholz, 310, § 80 VwGO Nr. 21). Es ist daher Angelegenheit der Antragsteller, diejenigen Umstände darzutun, die gleichwohl ihr überwiegendes Interesse an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung rechtfertigen können (BVerwG, Beschluß vom 29.4.1974 - IV C 21.74 - DÖV 1974, 422).
Solche Umstände haben die Antragsteller jedoch nicht vorgetragen - und zwar auch dann nicht, wenn man den Grundsatz berücksichtigt, daß der Rechtsschutzanspruch des Bürgers um so stärker ist und um so weniger zurückstehen darf, je schwerer die ihm auferlegte Belastung wiegt und je mehr die Maßnahmen der Verwaltung Unabänderliches bewirken (vgl. BVerwG, Beschluß vom 29.4.1974 a.a.O. , BVerfG, Beschluß vom 18.6.1973 - 1 BvR 23/73 = DVBl. 1974, 79). Zwar erweckt die Vollziehung der angefochtenen vorläufigen Anordnung i. V. mit dem vorläufig festgestellten Wege- und Gewässerplan auf den ersten Blick den Anschein, daß hier etwas Unabänderliches, d. h. nicht wieder rückgängig zu machendes geschehe. Die Grundstücke der Antragsteller müssen nämlich von allen wesentlichen Bestandteilen wie Aufwuchs, Rebanlagen und Gerätehütten vollständig geräumt werden; alsdann wird die Teilnehmergemeinschaft die Grundstücke so umfassend planieren, daß beiderseitig entlang der Gemarkungsgrenze E./B. eine Terrasse mit einem gleichmäßigen Gefälle von je 2 % nach Süden und Osten entsteht, die sodann zum Rebenanbau - auch für die Antragsteller entsprechend ihrem Abfindungsanspruch - hergerichtet und erschlossen wird. Diese nicht wieder rückgängig zu machende "Vernichtung" der Grundstücke der Antragsteller und der wesentlichen Grundstücksbestandteile kann jedoch nicht mit anderen Fällen vorläufiger Inanspruchnahme von Grundstücken verglichen werden, wie z. B. der Inanspruchnahme eines Grundstücks auf Grund einer vorzeitigen Besitzeinweisung nach § 18 f. FStrG n. F. zum Neubau einer Bundesstraße und wie sie Gegenstand des Beschlusses des Bundesverwaltungsgerichts vom 29.4.1974 a.a.O. ist. Denn im Gegensatz zu diesen Eingriffen in das Eigentum handelt es sich bei flurbereinigungsbehördlichen Maßnahmen wie z. B. der vorläufigen Anordnung nach § 36 FlurbG zumindest in einem wie hier nach den § 1 und § 4 FlurbG angeordneten Flurbereinigungsverfahren nicht um eine vorläufige Regelung vor einer endgültigen Wegnahme des Grundstücks gegen eine Geldentschädigung, sondern grundsätzlich nur um eine das Recht auf Eigentum gemäß Art. 14 GG gewährleistende Besitzregelung für einen begrenzten Zeitraum zu dem ausschließlichen Zweck (vgl. § 1, § 37 FlurbG), während dieser Zeit den ländlichen Grundbesitz nicht nur durch Zusammenlegung, sondern auch z. B. durch Planierungen und andere Bodenverbesserungsmaßnahmen sowie durch den Bau gemeinschaftlicher Anlagen so zu gestalten, daß die Grundlagen der Wirtschaftsbetriebe verbessert, der Arbeitsaufwand vermindert und die Bewirtschaftung erleichtert werden (§ 37 Abs. 1 Satz 2 FlurbG). Der wesentlichste Unterschied aber liegt sodann darin, daß jeder Teilnehmer eines Flurbereinigungsverfahrens für sein (e) Grundstück (e) unter Berücksichtigung der nach § 47 FlurbG vorgenommenen Abzüge mit Land von gleichem Wert abzufinden ist (§ 44 Abs. 1 Satz 1 FlurbG). Während die Enteignung einschließlich der dieser vorausgehenden vorzeitigen Besitzeinweisung einem dem Betroffenen gegenüber selbständigen fremden Interesse dient, liegt die Flurbereinigung einschließlich z. B. der in ihr getroffenen Besitzregelungen nicht nur im Interesse der allgemeinen Landeskultur, sondern vor allem im Interesse der Betroffenen selbst (ständige Rechtsprechung). Dieser besondere Charakter der Flurbereinigung wird auch nicht dadurch geändert, daß im Flurbereinigungsverfahren und vor allem in einem Rebflurbereinigungsverfahren wie dem vorliegenden Landabzüge in erheblicher Höhe (im vorliegenden Verfahren voraussichtlich rd. 26 %) gemacht werden, denn diese Landabzüge bleiben im Rahmen der die Flurbereinigung kennzeichnenden Interessenrichtung und sind "ihrem Wesen nach Mehrwertausgleiche in Form von Naturalbeiträgen" (Seehusen - Schwede - Nebe, Flurbereinigungsgesetz, 2. Aufl., Vorbemerkung II, S. 22 mit zahlreichen Hinweisen auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts).