Oberlandesgericht Nürnberg, Beschluss vom 10.11.1975 - 4 W 32/75
Aktenzeichen | 4 W 32/75 | Entscheidung | Beschluss | Datum | 10.11.1975 |
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Gericht | Oberlandesgericht Nürnberg | Veröffentlichungen | Lieferung | N/A |
Leitsätze[Quelltext bearbeiten]
1. | Grundlage für die Vollstreckung öffentlich-rechtlicher Geldforderungen durch den Gerichtsvollzieher ist eine Ausfertigung des Leistungsbescheides oder eines Ausstandverzeichnisses, die mit der Klausel "diese Ausfertigung ist vollstreckbar" versehen ist. |
2. | Einer Zustellung des Leistungsbescheides oder des Ausstandsverzeichnisses durch den Gerichtsvollzieher bedarf es nicht. |
Aus den Gründen
Die Stadt L. betreibt gegen den Schuldner X die Zwangsvollstreckung aus einem Ausstandsverzeichnis vom 12.12.1974 wegen einer Gesamtforderung von 18 711,25 DM, die sich aus verschiedenen Steuerschulden, aus "bisher angefallenen Gerichtskosten", aus Müllabfuhrgebühren, aus Erschließungsbeiträgen aus Mahngebühren und Säumniszuschlägen sowie aus Kosten für eine erteilte Bescheinigung über ein Vorkaufsrecht zusammensetzt. Am 22.12.1974 hat der von der Stadt L. mit der Durchführung der Vollstreckung beauftragte Obergerichtsvollzieher Pfandabstand erklärt. Die Verpflichtung zur von der Stadt L. beantragten Abgabe der eidesstattlichen Versicherung hat der Schuldner mit der Behauptung bestritten, der dem Verfahren zugrunde liegende Titel sei unrechtmäßig ergangen. Er - der Schuldner - werde auf dem Verwaltungsrechtsweg gegen das Ausstandsverzeichnis vorgehen. Mit Beschluß vom 7.3.1975 hat der Rechtspfleger den Widerspruch des Schuldners gegen die Verpflichtung zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt, daß der Schuldner mit seinem Einwand, der sich gegen die zu vollstreckende Forderung richte, nicht gehört werden könne. Gründe, die zur Unzulässigkeit der Zwangsvollstreckung führen würden, seien nicht vorhanden. Auf die sofortige Beschwerde des Schuldners hat das Landgericht N.-F. mit Beschluß vom 11.6.1975 den Beschluß des Rechtspflegers aufgehoben und den Antrag der Gläubigerin auf Bestimmung eines Termins zur Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung zurückgewiesen. Zur Begründung hat das Landgericht im wesentlichen ausgeführt, daß dem Verfahren eine von Amts wegen zu beachtende Voraussetzung der Zwangsvollstreckung fehle, nämlich die Zustellung des Ausstandsverzeichnisses. Das Bayerische Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetz (VwZVG) enthalte hierzu zwar keine ausdrückliche Regelung. Die Vollstreckung aus einem Ausstandsverzeichnis sei aber den in § 750 Abs. 2 ZPO genannten Fällen "entscheidend rechtsähnlich". Es würde in unzulässiger Weise Bundesrecht außer Kraft gesetzt werden, wenn vorliegend der Gedanke des § 750 Abs. 2 ZPO nicht zur Anwendung gelänge. Die von der Stadt L. eingelegte sofortige weitere Beschwerde führt zur Aufhebung des angefochtenen landgerichtlichen Beschlusses und zur Zurückweisung der sofortigen Beschwerde des Schuldners.
1. ...
2. ...
3. In Bayern ist das Verwaltungszwangsverfahren, soweit nicht bundesrechtliche Verwaltungsvollstreckungsvorschriften (Bundesverwaltungsvollstreckungsgesetz vom 27.4.1953, Vorschriften der Abgabenordnung des Sozialversicherungsrechts und der Justizbeitreibungsordnung) zur Anwendung gelangen, durch das Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetz (VwZVG) vom 30.5.1961 (GVBl. S. 148) i. d. F. der Bek. vom 11.11.1970 (GVBl S. 169), geregelt. Es steht als Landesgesetz für seinen Geltungsbereich gleichberechtigt neben den Bestimmungen des Achten Buches der ZPO. Beide Gesetze konkurrieren nicht, da es sich im einen Fall um einen Teil einer sog. allgemeinen Verwaltungsverfahrensordnung (Schmitt-Lermann, VwZVG, S. 31) handelt, im anderen Fall um eine gerichtliche Verfahrensordnung für die ordentliche Gerichtsbarkeit. Was die angesprochene Verletzung von Bundesrecht durch das VwZVG angeht, verkennt das Landgericht, daß das Grundgesetz bei der Abgrenzung der Gesetzgebungskompetenz von Bund und Ländern vom Grundsatz der Länderkompetenz ausgeht (Art. 70, 30 GG) und die im VwZVG geregelte Materie nicht in den Sachkatalogen der Art. 72 bis 75 GG enthalten ist. Das VwZVG als Teil einer Verwaltungsverfahrensordnung unterfällt insbesonders nicht der konkurrierenden Gesetzgebung des Bundes, da kein gerichtliches Verfahren im Sinne von Art. 74 Nr. 1 GG eine Regelung erfahren hat. Es ist anerkannt, daß sich die Kompetenzbestimmung für das Verwaltungsverfahren aus der jeweiligen Zuständigkeit zur Regelung der Sachmaterie herleitet (Maunz-Dürig-Herzog, Komm. z. GG, Art. 83 RdNr. 10). Die Gesetzgebungskompetenz des Freistaats Bayern kann somit für den im VwZVG geregelten Bereich (vgl. Art. 18 VwZVG) nicht in Frage gestellt werden. Das bedeutet, daß für seinen Bereich der Landesgesetzgeber bei der Ausgestaltung des Verwaltungszwangsverfahrens frei war. Der im angefochtenen Beschluß anklingende Grundsatz, daß Bundesrecht Landesrecht bricht (Art. 31 GG), kommt hier nicht zum Tragen, da - wie oben ausgeführt - miteinander konkurrierendes, d. h. den gleichen Gegenstand abweichend regelndes Bundes- und Landesrecht nicht besteht.
4. ...
5. Bezogen auf den hier zu entscheidenden Fall ist festzustellen, daß dem Gerichtsvollzieher von der Stadt L. ein Vollstreckungsersuchen unter Beifügung eines für vollstreckbar erklärten Ausstandsverzeichnisses der Stadtkasse L. vom 12.12.1974 zugegangen ist. Dieses Ausstandsverzeichnis enthält keinen erkennbaren Mangel. Ein Formfehler kann nicht darin gesehen werden, daß mehrere ungleichartige Geldschulden vollstreckt werden. Zwar dienen Ausstandsverzeichnisse im allgemeinen dem Zweck, bei häufig vorkommenden gleichartigen Geldschulden die Vollstreckungsklausel nicht auf jeden einzelnen Leistungsbescheid setzen zu müssen (Schmitt-Lermann, VwZVG, Art. 24 Anm. 4). Es besteht aber kein Grund, eine Vollstreckungsanordnung für unwirksam zu halten, wenn - wie hier - das Ausstandsverzeichnis verschiedenartige Geldschulden enthält (Birkner, VwZVG, 2. Aufl., Anm. 5). Erst recht bestehen keine Zweifel an der Rechtsgültigkeit der vom 1. Bürgermeister unterzeichneten (Art. 37 GO) und gesiegelten Vollstreckungsklausel. Der im vorliegenden Fall nach Art. 26 Abs. 3 VwZVG tätig gewordene Gerichtsvollzieher und das Vollstreckungsgericht waren also an die Vollstreckungsanordnung gebunden. Sie hatten ihr Vorliegen von Amts wegen zu prüfen, aber nur dahin, ob sie vorliegt, nicht ob sie zulässig und richtig zustandegekommen ist (Thomas-Putzo, ZPO, 8. Aufl., § 750 Anm. 1).
6. Eine Zustellung des für vollstreckbar erklärten Leistungsbescheids oder Ausstandsverzeichnisses sieht das VwZVG nicht vor. Ein Zwang hierzu besteht auch nicht aus allgemeinen verwaltungsrechtlichen Gesichtspunkten. Denn die das Vollstreckungsorgan bindende Vollstreckungsanordnung nach Art. 24 VwZVG ist nach einhelliger Meinung kein Verwaltungsakt, sondern ein internes Behördenersuchen mit der Bestätigung des Vorliegens der Vollstreckungsvoraussetzungen gegenüber den Vollstreckungsorganen (Harrer, Komm. z. VwZVG, Art. 24 Anm. 1; Birkner, a.a.O., Art. 24 Anm. 1; Schmitt-Lermann, a.a.O., Art. 24 Anm. 2 c). Hiervon ging auch der Ausschuß des Bayerischen Landtags für Verfassungsfragen und Rechtsfragen bei der Beratung des Gesetzentwurfs aus (vgl. Drucksache des Bay. Landtags, 4. Legislaturperiode, Beilage 1746). Zu ihrer Wirksamkeit bedürfen mithin für vollstreckbar erklärte Leistungsbescheide und Ausstandsverzeichnisse der Zustellung an den Schuldner nicht.
7. Wenn im vorliegenden Fall die Vollstreckungsanordnung vom 12.12.1974 zu ihrer Wirksamkeit nicht zugestellt zu werden brauchte, dann vermag der Senat nicht einzusehen, warum im vorliegenden Fall die Zustellung dennoch deshalb erforderlich sein sollte, weil nicht aus einem Leistungsbescheid, sondern aus einem Ausstandsverzeichnis vollstreckt wird. Als Grundlagen für eine Vollstreckung stellt das Gesetz grundsätzlich Leistungsbescheide und Ausstandsverzeichnisse gleich. Es führt insbesonders über Art. 26 Abs. 7 VwZVG kein Weg zu § 750 ZPO, der in den Fällen seines 2. Absatzes die Zustellung der Vollstreckungsklausel normiert. Denn Art. 26 Abs. 7 VwZVG enthält eine Verweisung auf die ZPO wegen des Vollstreckungsverfahrens, nicht wegen der Voraussetzungen der Vollstreckung. Zu einer weitergehenden Verweisung bestand kein Grund, da der Landesgesetzgeber die Voraussetzungen für Verwaltungsvollstreckungsmaßnahmen in den Art. 19 und 23 VwZVG abschließend geregelt hat. § 750 ZPO enthält für seinen Geltungsbereich keine Regelung des Vollstreckungsverfahrens, sondern die Normierung einer der Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung nach der ZPO. Auch nach der ZPO beginnt das Vollstreckungsverfahren nicht schon mit dem Vollstreckungsauftrag, sondern erst mit einer Handlung des Vollstreckungsorgans gegen den Schuldner (Thomas-Putzo, a.a.O., vor § 704 Anm. V 1, Baumbach-Lauterbach-Albers-Hartmann, ZPO, 33. Aufl., Grundz. Anm. 7 A).
8. Auch analog ist vorliegend § 750 Abs. 2 ZPO nicht anzuwenden, zum einen, weil das VwZVG hinsichtlich der Voraussetzungen der Vollstreckung eine abschließende Regelung enthält, zum andern, weil, was die Voraussetzungen des Verwaltungsvollstreckungsverfahrens betrifft, hier andere Maßstäbe angelegt werden müssen als bei der Zwangsvollstreckung aus Zivilrechtstiteln. Denn ein Vollstreckungstitel nach der ZPO ist nur eine in der Hand eines Gläubigers befindliche Urkunde, mit der er sich dem staatlichen Vollstreckungsorgan gegenüber als zum Betreiben der Zwangsvollstreckung berechtigt ausweisen muß. Dies setzt in den Fällen des § 750 Abs. 2 ZPO besondere Nachweisungen voraus. Anders im Verwaltungsvollstreckungsverfahren, wo die Vollstreckungsanordnung von der Anordnungsbehörde auf Grund ihres eigenen, den Schuldner zur Leistung verpflichtenden Verwaltungsaktes ergeht.
9. Es bestand im vorliegenden Fall auch tatsächlich kein Bedürfnis, vor dem Beginn der Vollstreckungsmaßnahmen dem Schuldner das Ausstandsverzeichnis zuzustellen. Denn der Schuldner hatte in jedem Falle das Recht, vom Gerichtsvollzieher die Vorlage des vollstreckbaren Ausstandsverzeichnisses zu fordern; vorher brauchte er keine Zwangsvollstreckungshandlung zu dulden (Zöller, ZPO, 11. Aufl., zu § 755; Baumbach-Lauterbach-Albers-Hartmann, a.a.O., § 754 Anm. 1 B; Stein-Jonas, ZPO, 19. Aufl., § 755 Anm. I). Daß hiervon der Schuldner Gebrauch gemacht hat, ergibt sich nicht nur aus seiner - unzutreffenden - Behauptung, das Ausstandsverzeichnis sei zugestellt worden, sondern auch daraus, daß er lt. Pfandabstandsprotokoll vom 22.12.1974 dem Gerichtsvollzieher erklärt hat, den "Grundsteuerrückstand" werde er "sogleich" bezahlen, gegen die Gewerbesteuer für die Jahre 1964 und 1969 wende er jedoch Verjährung ein. Entgegen der Meinung des Landgerichts war also der Inhalt des Ausstandsverzeichnisses für den Schuldner überprüfbar.