Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 20.07.1963 - I B 88.63 = RdL 1963 S. 278
Aktenzeichen | I B 88.63 | Entscheidung | Beschluss | Datum | 20.07.1963 |
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Gericht | Bundesverwaltungsgericht | Veröffentlichungen | = RdL 1963 S. 278 | Lieferung | N/A |
Leitsätze[Quelltext bearbeiten]
1. | lm Verfahren vor dem Flurbereinigungsgericht liegt kein Verfahrensverstoß darin, daß eine Ortsbesichtigung durch den Vorsitzenden und einen beauftragten Richter durchgeführt wird. |
Aus den Gründen
Die Rüge, die Ortsbesichtigung sei prozeßordnungswidrig durchgeführt worden, weil an ihr zwei Richter teilgenommen haben, ist unbegründet. Zwar hat der BGH in seinem in BGHZ 32, 233 abgedruckten Urteil ausgesprochen, es sei nach § 355 ZPO nicht statthaft, die Beweisaufnahmen dem Vorsitzenden und dem Berichterstatter als beauftragten Richtern zu übertragen (vgl. auch OVG Hamburg, MDR 1960 S. 706). Diese Vorschrift kommt im Verfahren vor dem Flurbereinigungsgericht nicht zum Zuge. Einschlägig ist § 143 Satz 2 FlurbG. Hiernach kann der Vorsitzende des Flurbereinigungsgerichts eines seiner Mitglieder beauftragen, die Ermittlungen und Verhandlungen durchzuführen, die zur Vorbereitung der Entscheidung erforderlich sind. Der Senat hat es bisher nicht beanstandet, wenn das Flurbereinigungsgericht in Anwendung dieser Vorschrift eine Ortsbesichtigung durch den Vorsitzenden und den richterlichen Beisitzer durchgeführt hat. Die Erwägungen des BGH geben keinen Anlaß, von dieser Auffassung abzugehen. Die genannte Entscheidung beruht im wesentlichen auf folgenden Gesichtspunkten: Wenn die Beweisaufnahme gleichzeitig durch zwei Mitglieder des Prozeßgerichts als beauftragte Richter durchgeführt werde, bestehe in "nicht geringem Maße die Gefahr, daß der Rechtsstreit auf Grund eines Beweisergebnisses entschieden werde, das nicht allen drei Mitgliedern des Gerichts in derselben Weise bekannt gewesen" sei; das nur auf die Aktenkenntnis angewiesene dritte Mitglied des Gerichts könne eine abweichende Meinung nicht zur Geltung bringen. Diese Erwägungen treffen für das Flurbereinigungsgericht schon deshalb nicht zu, weil dieses mit fünf Mitgliedern besetzt ist und die Gefahr der Majorisierung, die der BGH befürchtet, somit nicht bestehen kann. Auch für das Flurbereinigungsgericht gilt der Grundsatz der unmittelbaren Beweiserhebung durch das ganze Prozeßgericht (§ 138 Abs. 1 Satz 2 FlurbG, § 96 Abs. 1 VwGO). Er muß im Hinblick auf die komplexen Vorgänge, über die das Flurbereinigungsgericht meist befinden muß, die Regel sein. Wenn aber in geeigneten Fällen von der Befugnis des § 143 Satz 2 FlurbG Gebrauch gemacht wird, liegt keine Verletzung dieser Vorschrift darin, daß eine Ortsbesichtigung durch den beauftragten Richter und den Vorsitzenden gemeinsam durchgeführt wird. Die Fassung des Gesetzes, daß "einem Mitglied des Gerichts" der Auftrag erteilt werden kann, die vom Gericht zu treffende Entscheidung vorzubereiten, rechtfertigt nicht den Schluß, daß der Vorsitzende damit von der weiteren Vorbereitung ausgeschlossen sein müsse. Auch der Zweck der Vorschrift, das Verfahren zu erleichtern und zu beschleunigen, zwingt nicht zu der Annahme, daß nur der beauftragte Richter tätig werden dürfe, wenn der Vorsitzende von der Ermächtigung des § 143 Satz 2 FlurbG Gebrauch gemacht hat. Sowohl die unmittelbare Beweiserhebung durch das ganze Prozeßgericht als auch die Beweiserhebung durch den beauftragten Richter werden von dem Grundsatz beherrscht, daß der wahre Sachverhalt festzustellen ist (§ 86 Abs. 1 VwGO). Es dürfte nicht zutreffen, daß dann, wenn nicht das ganze Gericht tätig wird, die Wahrheit besser durch einen als durch zwei Richter erforscht werden kann. Wenn die Ortsbesichtigung nicht nur durch einen, sondern durch zwei Richter durchgeführt wird, ist eine größere Gewähr dafür gegeben, daß alle entscheidungserheblichen Tatsachen umfassend und zutreffend festgestellt werden und daß diese Feststellungen in der Niederschrift den richtigen Ausdruck finden. Damit ist aber auch eine bessere Unterrichtung der übrigen Mitglieder des Gerichts, die für die Urteilsbildung auf den Inhalt der Niederschrift angewiesen sind, sichergestellt.
Anmerkung
Vgl. auch Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 4.11.1966 - IV C 65.65, sowie Helbing, Zur Auslegung des § 143 FlurbG, RdL 1969 S. 253