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Aktuelle Version vom 2. August 2021, 12:45 Uhr

Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 21.07.1959 - I C 39.59 = BVerwGE 9, 93

Aktenzeichen I C 39.59 Entscheidung Urteil Datum 21.07.1959
Gericht Bundesverwaltungsgericht Veröffentlichungen BVerwGE 9, 93  Lieferung N/A

Leitsätze[Quelltext bearbeiten]

1. Zur Frage der nachträglichen Berücksichtigung von Einwendungen gegen die Schätzung in einem Verfahren nach der Reichsumlegungsordnung.

Aus den Gründen

Das Schätzungsverfahren wird von Amts wegen durchgeführt und von der Umlegungsbehörde geleitet (§ 37 Abs. 1 Satz 2 der Reichsumlegungsordnung vom 16.6.1937 (RGBl. I S. 629) - RUO -). Die Verantwortung für die Ordnungsmäßigkeit der Schätzung liegt daher zunächst bei der Behörde. Sie hat von sich aus alle bei der Schätzung in Betracht kommenden Gesichtspunkte zu beachten. Die Behörde muß daher im Rahmen der Schätzung auch prüfen, welche Grundstücke möglicherweise Bauland sind. Zu einer solchen Prüfung besteht jedenfalls dann Anlaß, wenn ein Grundstück nach seiner Lage oder im Hinblick darauf, daß es früher bereits bebaut gewesen ist, als Bauland in Frage kommt. Die Behörde kann sich nicht mit der Feststellung begnügen, daß das Grundstück landwirtschaftlich genutzt werde.

Nach § 38 Abs. 2 RUO müssen die Teilnehmer eines Umlegungsverfahrens Einwendungen gegen die Ergebnisse der Schätzung ihrer Grundstücke zur Vermeidung des Ausschlusses in einem Anhörungstermin vorbringen; die Einwendungen müssen nach § 123 Abs. 1 Satz 3 RUO in eine Niederschrift aufgenommen werden. Bei der Regelung des § 38 Abs. 2 RUO handelt es sich um eine gesetzliche Ausschließungsfrist: Nach dem Ablauf des Termins ist das Recht, Einwendungen gegen die Schätzung zu erheben, erloschen. Die Beschränkung dieses Rechts dient der Rechtssicherheit und der Beschleunigung des Verfahrens. Wenn der Termin abgelaufen ist, soll feststehen, ob der Teilnehmer mit der Schätzung seiner Grundstücke einverstanden ist. Die Vorschrift soll also nicht nur der Behörde Gewißheit verschaffen, ob der Teilnehmer Einwendungen erhebt, sondern auch Dritten gegenüber Klarheit darüber geben ob die Schätzung angefochten wird. Im Interesse des Rechtsschutzes des von dieser Regelung Betroffenen treten die strengen Folgen, die das Gesetz an die Versäumung des Termins knüpft, nur dann ein, wenn der Teilnehmer in der Ladung und im Termin auf diese Folge hingewiesen worden ist (§ 38 Abs. 2 Satz 1 zweiter Halbsatz RUO). Die Nachweisungen über die Ergebnisse der Schätzung sind zur Einsichtnahme für die Teilnehmer auszulegen. Außerdem soll jeder Teilnehmer ein Verzeichnis erhalten, das die Größe und die Schätzung seiner Grundstücke nachweist (§ 38 Abs. 1 Satz 2 RUO i.d.F. der Ersten Verordnung zur RUO vom 27.4.1938 (RGBl. I S. 425)). Er kann überdies beanspruchen, daß ihm das Ergebnis der Schätzung auf Antrag örtlich erläutert wird (§ 38 Abs. 1 Satz 3 RUO). Aus dem Amtsprinzip ergibt sich - wie es auch einer guten Übung entspricht - zugleich die Verpflichtung, im Termin auf die für die Schätzung wesentlichen Gesichtspunkte hinzuweisen und, soweit notwendig, die Teilnehmer zu beraten: Kein Teilnehmer soll aus Unkenntnis sein Recht verlieren. Um das zu gewährleisten, erhält er die Unterlagen, die es ihm ermöglichen, die Schätzung nachzuprüfen, und er wird gleichzeitig auf die Folgen der Verschweigung hingewiesen. Nur wenn die Behörde entsprechend der gesetzlichen Regelung vorgegangen ist, ist der Teilnehmer mit Einwendungen, die im Termin nicht vorgebracht worden sind, für das spätere Verfahren ausgeschlossen. Diese Rechtsfolge tritt kraft Gesetzes ein. Der Rechtsverlust, der durch die Ausschlußwirkung eintritt, ist eine Folge der Rechtsordnung, die der zeitlichen Geltendmachung von Rechten im öffentlichen Interesse eine Schranke setzen muß. Erfolgt hierdurch eine Vermögensbeeinträchtigung, so liegt darin keine Enteignung im Sinne des Art. 14 GG, wie das Flurbereinigungsgericht zutreffend ausgeführt hat.

Der Teilnehmer verliert sein Recht, Einwendungen gegen die Schätzung seiner Grundstücke zu erheben, grundsätzlich aber nur, wenn er den Termin schuldhaft nicht wahrnimmt oder schuldhaft keine Erklärung abgibt. Im Falle einer unverschuldeten Versäumnis kann er seine Erklärung nachholen. Er muß dies unverzüglich nach Beendigung des Hindernisses tun (§ 129 Abs. 2 RUO). Liegen beide Voraussetzungen vor, so gilt die Erklärung als fristgerecht abgegeben, und die Behörde muß die Einwendungen sachlich prüfen. Die Behörde hat also zunächst nur festzustellen, ob die Fristversäumnis entschuldbar ist und ob die Erklärung unverzüglich nachgeholt worden ist.

Für den Fall des § 38 Abs. 2 RUO bestimmt zwar § 129 Abs. 3 RUO, daß ein Teilnehmer auch bei unverschuldeter Versäumnis mit späteren Erklärungen zurückgewiesen werden kann. Diese Bestimmung ist im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG nicht mehr anzuwenden, da sie im Ergebnis in ungerechtfertigter Weise zu einer Verweigerung des Rechtsschutzes führt. Es bleibt somit auch im Falle des § 38 Abs. 2 RUO bei der allgemeinen Regelung für unverschuldete Versäumnis: Der Teilnehmer muß mit seinen Einwendungen zugelassen werden, wenn er sie unverzüglich nachholt. Soweit das Reichsverwaltungsgericht in seinem Beschluß vom 15.5.1942 (Ztschr. f. Agrar- u. Wasserrecht, Bd. 28 S. 36) eine abweichende Meinung vertritt, kann ihm nicht gefolgt werden.

Hinsichtlich der Anforderungen, die an die Erklärungen des einzelnen Teilnehmers im Rahmen des Schätzungsverfahrens zu stellen sind, bleibt folgendes zu beachten: Wenn auch die Schätzung von Amts wegen und unter der Verantwortlichkeit der Behörde durchgeführt wird, so ist der Teilnehmer nicht von einer Mitwirkungspflicht entbunden: Die Beteiligung an einem Umlegungsverfahren verpflichtet ihn, im Rahmen seiner Möglichkeiten in einer sachgerechten und den Zielen der Umlegung entsprechenden Weise mitzuwirken. Hiernach kann sich der Teilnehmer bei Einwendungen gegen die Schätzung nicht damit begnügen, lediglich allgemeine Beanstandungen vorzutragen. Obwohl die Reichsumlegungsordnung nicht vorschreibt, daß ein Beteiligter seine Einwendungen begründen muß, und er auch keinen bestimmten Antrag zu stellen braucht, müssen die Erklärungen dennoch ergeben, welches Grundstück als nicht richtig geschätzt angesehen wird, und die allgemeine Angriffsrichtung erkennen lassen. Soweit das Flurbereinigungsgericht darüber hinaus vom Teilnehmer eine präzisierte Begründung fordert, kann ihm nicht gefolgt werden. Es können auch an die Genauigkeit der Ausführungen nicht zu hohe Anforderungen gestellt werden. Soweit die Erklärungen des Teilnehmers nicht eindeutig sind, muß die Behörde, um eine sachgerechte und allen Gesichtspunkten Rechnung tragende Entscheidung treffen zu können, auf Grund der dem Amtsprinzip innewohnenden Aufklärungspflicht nötigenfalls die Teilnehmer befragen und zur Abgabe von Erläuterungen auffordern. Der Teilnehmer ist dann seinerseits verpflichtet, entsprechende Angaben zu machen. Die Erklärungen des Teilnehmers müssen nach § 123 Abs. 1 Satz 3 RUO in die Niederschrift aufgenommen werden, die im Falle eines späteren Streites ein entscheidendes Beweismittel dafür ist, welche Einwendungen erhoben worden sind.

Unter diesen rechtlichen Gesichtspunkten bleibt zu prüfen, ob es dem Kläger als Verschulden angerechnet werden kann, wenn er im Termin zur Anhörung der Teilnehmer über die Schätzungsergebnisse vom 9.2.1948 nicht besonders auf die Baulandeigenschaft des Obsthofes hingewiesen hat.

Aus der angefochtenen Entscheidung kann nicht entnommen werden, ob der Termin vom 9.2.1948 den gesetzlichen Vorschriften entsprechend abgehalten worden ist, insbesondere, ob der Kläger im Sinne der obigen Ausführungen belehrt worden ist. Es ist lediglich ersichtlich, daß die Teilnehmer auf die Ausschlußfrist nach § 38 Abs. 2 RUO hingewiesen worden sind. Die Frage kann aber dahinstehen, da der Kläger aus folgenden Gründen mit seinen Einwendungen gegen die Schätzung nicht ausgeschlossen ist:

Nach den tatsächlichen Feststellungen der angefochtenen Entscheidung hat der Kläger im Termin am 9.2.1948 zwar Einwendungen gegen die Schätzung der zum Obsthof gehörenden Grundstücke erhoben. Er habe aber - so führt das Oberverwaltungsgericht aus - lediglich eine bessere Bewertung nach dem landwirtschaftlichen Nutzungswert gefordert. Weiter hat das Flurbereinigungsgericht festgestellt: Der Kläger habe in der Beschwerdebegründung vom 28.9.1948 vorgetragen, daß er eine frühere Hofstelle verliere, und mit Schreiben vom 23.6.1949 im Beschwerdeverfahren vor der Oberen Spruchstelle noch geltend gemacht, daß er 7 Morgen Land in Dorflage mit 125 m Wegefront in unmittelbarer Nähe des Hofes verliere. Nach der von der Beklagten vertretenen Auffassung war die Baulandeigenschaft eines Grundstücks nicht bei der Schätzung, sondern erst bei der Planabfindung als Umstand nach § 48 Abs. 1 RUO zu berücksichtigen.

Unter Berücksichtigung dieser Umstände kann es dem Kläger nicht als Verschulden angerechnet werden, daß er im Termin zur Vorlage der Schätzung nicht besonders auf die Baulandeigenschaft des Obsthofes hingewiesen hat. Wenn das Grundstück früher bebaut war und im Ortsgebiet liegt, konnte der Kläger damit rechnen, daß diese Umstände von Amts wegen berücksichtigt wurden. Es mag richtig sein, daß seine Einwendungen nicht eindeutig auf die Baulandeigenschaft hinwiesen; das Flurbereinigungsgericht fordert aber vom Kläger zuviel, wenn es eine genaue Begründung für etwas fordert, was nach den Umständen jedenfalls von Amts wegen zu beachten gewesen wäre. Aber selbst wenn der Auffassung des Flurbereinigungsgerichts gefolgt würde, daß für die Behörde kein Anlaß bestanden habe, das Grundstück als Bauland anzusehen, kann der Kläger aus folgenden Erwägungen mit seinen Einwendungen nicht ausgeschlossen werden: Wenn die Behörde damals selbst den Standpunkt eingenommen hat, die Baulandeigenschaft sei noch nicht bei der Schätzung, sondern erst bei der Zuweisung der Abfindung zu berücksichtigen, war es für einen Beteiligten selbstverständlich, daß er derartige Einwendungen erst bei der Planvorlage vorzubringen brauchte. Das hat der Kläger aber getan. Sein Vorbringen vom 28.9.1948 und vom 23.6.1949 hätte jedenfalls der Oberen Spruchstelle Anlaß zur Prüfung geben müssen, ob das vom Kläger genannte Grundstück als Bauland anzusprechen war. Die Behauptung, sein Grundstück liege in der Dorflage an harter Straße und es handle sich um eine ehemalige Hofstelle, kann vernünftigerweise nur dahin ausgelegt werden, daß es sich um Bauland handle. Selbst wenn unterstellt wird, der Kläger habe sich im Termin zur Vorlage der Schätzung verschwiegen, trifft ihn kein Verschulden. Er hat seine Einwendungen gegen die Schätzung jedenfalls im Zeitpunkt der Vorlage des Umlegungsplanes geltend gemacht. Da dieser Zeitpunkt nach der damaligen Praxis der richtige war, hat er die Einwendungen auch unverzüglich im Sinne des § 129 Abs. 2 RUO vorgebracht.

Bei dieser Sach- und Rechtslage war die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Streitsache zur erneuten Verhandlung an das Flurbereinigungsgericht zurückzuverweisen.