imported>Unknown user
Keine Bearbeitungszusammenfassung
 
K (Textersetzung - „entscheidung = Beschluß“ durch „entscheidung = Beschluss“)
 
Zeile 1: Zeile 1:
{{RzF
{{RzF
|paragraph = 65
|paragraph = 65
|entscheidung = Beschluß
|entscheidung = Beschluss
|datum = 07.10.1980
|datum = 07.10.1980
|AKZ = 2 BvR 1068/80
|AKZ = 2 BvR 1068/80

Aktuelle Version vom 20. April 2022, 13:29 Uhr

Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 07.10.1980 - 2 BvR 1068/80

Aktenzeichen 2 BvR 1068/80 Entscheidung Beschluss Datum 07.10.1980
Gericht Bundesverfassungsgericht Veröffentlichungen Lieferung N/A

Leitsätze[Quelltext bearbeiten]

1. Es begegnet grundsätzlich keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, daß der Gesetzgeber in § 65 FlurbG die Möglichkeit vorgesehen hat, die Beteiligten eines Flurbereinigungsverfahrens unter näher bezeichneten Voraussetzungen bereits vor der Unanfechtbarkeit des Flurbereinigungsplans in den Besitz neuer Grundstücke vorläufig einzuweisen.
2. Der Flurbereinigungsbehörde ist es von Verfassungs wegen nicht grundsätzlich verwehrt, die sofortige Vollziehung der vorläufigen Besitzeinweisung anzuordnen.
3. Die Gründe, die eine vorläufige Besitzeinweisung als geboten erscheinen lassen, können mit denen, die die Anordnung der sofortigen Vollziehung rechtfertigen, teilweise übereinstimmen.

Aus den Gründen

Grundsätzlich begegnet es keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, daß der Gesetzgeber in § 65 FlurbG die Möglichkeit vorgesehen hat, daß die Beteiligten eines Flurbereinigungsverfahrens unter näher bezeichneten Voraussetzungen bereits vor der Unanfechtbarkeit des Flurbereinigungsplans in den Besitz neuer Grundstücke vorläufig eingewiesen werden können. Wie der Verwaltungsgerichtshof festgestellt hat, dient die vorläufige Besitzeinweisung dem Zweck, durch möglichst frühe Aufnahme der Bewirtschaftung der neuen Grundstücke einen Zeitgewinn zu erzielen. Der Gesetzgeber hat etwaige Schwierigkeiten offenbar in Kauf genommen, die entstehen können, falls der Flurbereinigungsplan erfolgreich angegriffen werden und dies dazu führen sollte, daß die vorläufige Besitzeinweisung rückgängig gemacht werden muß. Dies ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Der wirksame Rechtsschutz gegen den Flurbereinigungsplan wird dadurch grundsätzlich nicht vereitelt oder beeinträchtigt. Regelmäßig werden durch die vorläufige Besitzeinweisung nämlich keine Tatsachen geschaffen, die nicht mehr rückgängig gemacht werden könnten. Die vorläufige Besitzeinweisung kann auch erst erfolgen, wenn das Flurbereinigungsverfahren sich bereits in einem fortgeschrittenen Stadium befindet. Dabei mag dahinstehen, ob es verfassungsrechtlich bedenklich wäre, wenn die Flurbereinigungsbehörde eine vorläufige Besitzeinweisung auch dann anordnen würde, wenn bereits mit einiger Wahrscheinlichkeit abzusehen wäre, daß der Flurbereinigungsplan keinen Bestand haben wird; ein solcher Fall liegt ersichtlich nicht vor.

Der Flurbereinigungsbehörde ist es von Verfassungs wegen nicht grundsätzlich verwehrt, die sofortige Vollziehung der vorläufigen Besitzeinweisung anzuordnen. Freilich sieht der Gesetzgeber die sofortige Vollziehung nicht als Regelfall vor; nach der allgemeinen Vorschrift des § 80 Absatz 1 VwGO ist vielmehr die aufschiebende Wirkung von Rechtsbehelfen gegen die vorläufige Besitzeinweisung die Regel.

Die für den Regelfall vorgeschriebene aufschiebende Wirkung ist grundsätzlich auch eine sachgerechte Ausprägung der verfassungsrechtlichen Rechtsschutzgarantie (BVerfGE 35, 263 (272)). Artikel 19 Absatz 4 Satz 1 GG gewährleistet die aufschiebende Wirkung der Rechtsbehelfe im Verwaltungsprozeß aber nicht schlechthin (BVerfGE 35, 382 (402); ständige Rechtsprechung). Für die Anordnung der sofortigen Vollziehung eines Verwaltungsaktes bedarf es insoweit freilich eines besonderen Interesses, das über jenes Interesse hinausgeht, das den Verwaltungsakt selbst rechtfertigt (vergleiche BVerfGE 35, 382 (402)). Die Gerichte sind im übrigen von Verfassungs wegen nicht gehindert, bei ihrer Entscheidung über die Aussetzung der behördlich angeordneten sofortigen Vollziehung auch die Erfolgsaussichten des in der Hauptsache eingelegten Rechtsbehelfs zu berücksichtigen.

Diese Grundsätze hat der Verwaltungsgerichtshof bei seiner Entscheidung gemäß § 80 Absatz 5 VwGO berücksichtigt. Er hat festgestellt, daß die Flurbereinigungsbehörde von einem besonderen Interesse an der sofortigen Vollziehung der vorläufigen Besitzeinweisung ausgegangen ist, wobei sie die konkrete Interessenlage in dem vorliegenden Verfahren berücksichtigt habe. Der Hinweis des Verwaltungsgerichtshofs auf den dem Flurbereinigungsgesetz zugrundeliegenden Grundsatz möglichster Verfahrensbeschleunigung läßt allein noch nicht den Schluß zu, das Gericht habe verkannt, daß Rechtsbehelfen in der Regel aufschiebende Wirkung zukommt und die Anordnung der sofortigen Vollziehung die Ausnahme bleiben muß. In diesem Zusammenhang ist im übrigen zu berücksichtigen, daß es sich auch bei der in der Hauptsache angegriffenen Besitzeinweisung um eine vorläufige Maßnahme handelt. Die Gründe, die eine vorläufige Besitzeinweisung als geboten erscheinen lassen können, können mit denen, die die Anordnung der sofortigen Vollziehung rechtfertigen, teilweise übereinstimmen. Es dürfen deshalb an die zusätzliche Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung auch keine übermäßig strengen Anforderungen gestellt werden.

Die Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs, daß der Widerspruch des Beschwerdeführers gegen die vorläufige Besitzeinweisung voraussichtlich keinen Erfolg haben werde, begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Dabei mag dahinstehen, ob und inwieweit ein Beschwerdeführer im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde gegen eine gerichtliche Entscheidung gemäß § 80 Absatz 5 VwGO überhaupt die Verfassungswidrigkeit des in der Hauptsache angegriffenen Akts geltend machen kann (vergleiche BVerfG, Beschluß vom 20. Dezember 1979, EuGRZ 1980, Seite 57 (63) = BVerfGE 53, 30). Die - in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise - auf die summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage beschränkte Beurteilung der angegriffenen Besitzeinweisung durch den Verwaltungsgerichtshof läßt einen Verfassungsverstoß jedenfalls nicht erkennen. Im Hinblick auf die Garantie des effektiven Rechtsschutzes ist es von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden, daß der Beschwerdeführer mit seinen Einwendungen gegen die Zuweisung der für ihn vorgesehenen Grundstücke auf die gegen den Flurbereinigungsplan bestehenden Rechtsbehelfe verwiesen wurde. Der Verwaltungsgerichtshof konnte in diesem Zusammenhang die derzeitige, durch den Ausbau der Bundesstraße erschwerte Situation der Beteiligten ebenso berücksichtigen wie den Umstand, daß nur ein - wenn auch nicht unwesentlicher - Teil des Betriebs des Beschwerdeführers von dem Flurbereinigungsverfahren und somit auch von der vorläufigen Besitzeinweisung betroffen ist.

Aus den vorstehend dargelegten Gründen kommt auch eine Verletzung des Grundrechts des Beschwerdeführers aus Artikel 14 GG sowie eine Verletzung der Grundsätze der Verhältnismäßigkeit oder der Rechtsstaatlichkeit durch die Entscheidung über die Anordnung der sofortigen Vollziehung der vorläufigen Besitzeinweisung nicht in Betracht.

Die angegriffene Entscheidung verstößt nicht gegen Artikel 103 Absatz 1 GG. Der Anspruch auf rechtliches Gehör bedeutet, daß das entscheidende Gericht die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis nehmen und in Erwägung ziehen muß (BVerfGE 11, 218 (220); ständige Rechtsprechung). Das Bundesverfassungsgericht geht davon aus, daß die Gerichte dieser Pflicht nachkommen. Es kann nur dann feststellen, daß ein Gericht seine Pflicht, den Vortrag der Parteien zur Kenntnis zu nehmen und zu erwägen, verletzt hat, wenn sich dies aus den besonderen Umständen des einzelnen Falles ergibt (BVerfGE 22, 267 (274); ständige Rechtsprechung). An entsprechenden Anhaltspunkten fehlt es im vorliegenden Fall. Der Verwaltungsgerichtshof hat den Vortrag des Beschwerdeführers in bezug auf die Frage, warum eine bereits die vorläufige Besitzeinweisung als unzumutbar erscheinende Erschwernis darin liegen könnte, daß ein an der Betriebsgröße gemessen untergeordneter Betriebsteil nur als Grünland bewirtschaftet werden können solle, für nicht näher substantiiert gehalten. Dies läßt nicht ohne weiteres darauf schließen, das Gericht habe den Schriftsatz des Beschwerdeführers vom 9. September 1980 nicht zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen. Die Ausführungen unter Ziffer I dieses Schriftsatzes betreffen im wesentlichen die Angemessenheit und Rechtmäßigkeit der Ergebnisse des Flurbereinigungsverfahrens überhaupt und enthalten insoweit nähere Angaben über die Verhältnisse des Betriebs des Beschwerdeführers. Ihnen können hingegen keine weiteren Anhaltspunkte dafür entnommen werden, weshalb der Beschwerdeführer schon die vorläufige Besitzeinweisung und deren sofortige Vollziehung für unzumutbar hält. Daß der Verwaltungsgerichtshof die hierzu wesentlichen Ausführungen unter Ziffer II des Schriftsatzes nicht beachtet hätte, kann nicht angenommen werden.